Die Regierungen der Welt tun sich schwer, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu begrenzen. Erste Wissenschaftler sind daher überzeugt, dass wir nicht darum herumkommen, gezielt das Klima zu manipulieren. Doch die Ideen des Climate Engineering sind zum Teil abenteuerlich und womöglich so gefährlich wie der Klimawandel selbst.
Von Michael Förtsch
Zu sagen, die Lage wäre ernst, wäre eine Untertreibung. Der Klimawandel und die Erderwärmung werden immer mess- und spürbarer. Ein Bericht der Vereinten Nationen, der im November veröffentlicht wurde, rechnet damit, dass, wenn nicht eine globale Kurskorrektur beim Klimaschutz erfolgt, die Durchschnittstemperatur der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um 3,4 bis 3,9 Grad steigen wird. Das würde weitreichende Dürren, Massensterben von Tierarten, Wasserknappheit in ganzen Nationen und damit die Flucht von Hunderten Millionen Menschen auslösen. Schon jetzt hat in Deutschland die Zahl der heißen Tage zugenommen und parallel die Zahl der Tode durch Hitzestress bei Kranken, Alten und Kindern, das hat eine Studie des Bundesumweltministeriums ergeben. Ebenso treten bereits heute vermehrt Extremwetterlagen, Sturmfluten und Niedrigwasserstände auf.
Doch trotz der sichtbaren Folgen, trotz internationaler Proteste und Appelle von Aktivisten wie Greta Thunberg und renommierten Klimaforschern sind die Anstrengungen der Staaten eher mäßig. Zu wenig, urteilen erste Studien, wird getan, um den Ausstoß von Millionen Tonnen CO2 und anderen Klimagasen wie Methan einzudämmen. Statt einer Reduktion der Emissionen wurde im vergangenen Jahr sogar ein Rekordhoch erreicht. Daher scheint zunehmend auch ein bislang als zu extrem und invasiv geltendes Werkzeug zur Bremsung des Klimawandels im Bereich des Möglichen. Zumindest glauben immer mehr Wissenschaftler und selbst der Weltklimarat IPPC, dass dessen Einsatz nötig werden könnte. Die Rede ist vom Geo- und Climate-Engineering, der gewollten Manipulation des Klimas.
Sollten wir einen Vulkanausbruch simulieren?
Das Jahr 1816 war kein gutes Jahr. Es war das Jahr ohne Sommer, wie es auch heute noch bezeichnet wird. Denn es war eines der kältesten Jahre seit Jahrhunderten. Mitten im Sommer kam es zu Frost, harschen Niederschlägen, Hagel und Überschwemmungen. Das führte in Europa und Nordamerika zu zahlreichen Missernten, Hungersnöten und Tausenden von Todesopfern. Über ein Jahrhundert hinweg war es ein Rätsel, was zu diesem bizarren Elendsjahr geführt hatte. 1920 schlussfolgerte der Klimaforscher William Jackson Humphreys dann, dass wohl der Vulkan Tambora dahinter steckte. Dessen Ausbruch im April 1815 hatte über 150 Kubikkilometer Staub, Asche und Schwefel in die Atmosphäre geschleudert. Sie umhüllten den Erdball wie ein Schleier, der dem Sonnenlicht seine Kraft raubte: ein Vulkanischer Winter.
Heutige Klimaforscher glauben, dass sich die Effekte eines solchen Vulkanausbruchs künstlich nachstellen lassen.
Heutige Klimaforscher glauben, dass sich die Effekte eines solchen Vulkanausbruchs künstlich nachstellen lassen. Erst in diesem Jahr starteten Forscher der Harvard University eine Studie, um zu erproben, ob und wie effektiv das funktionieren könnte. In einem ersten Test brachte ein Ballon dazu kleine Mengen von Kalziumkarbonat-Partikeln in die Höhe. Die Forscher beobachten dann, wie sich die Partikel verteilen und welche Auswirkungen sie auf die Sonnenstrahlung haben könnten. Laut David Keith, dem Leiter des Projektes, ging es bei diesen Versuchen darum, zu ergründen, „ob sich die Albedo, die Reflexionsfähigkeit, unseres Planeten erhöhen und damit die Sonneneinstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht, steuern lässt.“
Die Forscher wollen natürlich nicht, wie einst beim Ausbruch des Tambora, Frost und Hungernöte hervorrufen, sondern die Durchschnittstemperatur der Erde oder auch einzelner Regionen sachte absenken. Die Technik dieses Solar Radiation Management „macht es keinesfalls unnötig, das CO2 in der Atmosphäre zu reduzieren“, sagt Keith. „Aber sie könnte die unmittelbaren Folgen des Klimawandels abmildern. Wir können damit eingreifen und schnell temporäre Effekte erzielen.“ Beispielsweise ließen sich Hitzeperioden bekämpfen, die Menschen, Pflanzen, Tieren, dem Ökosystem, aber auch der Wirtschaft beträchtlichen Schaden zufügen würden. Ebenso ließe sich die Technik großflächig nutzen, um den Klimawandel künstlich zu pausieren, während Klimaschutzprogramme rund um die Welt umgesetzt werden.
Laut einer Berechnung von Keith und seinen Kollegen könnte die abgeschätzte globale Erwärmung um bis zur Hälfte reduziert werden. David Mitchell von der University of Nevada, der Bismutiodid versprühen möchte und andere Forschungsprojekt anderer Klimawissenschaftler kalkulieren ähnlich. Damit ließen sich etliche Katastrophen verhindern und vor allem Zeit gewinnen. Weitere Forscher wie Wake Smith von der Yale University sind nicht nur überzeugt, dass das glaubhaft und machbar, sondern auch vergleichsweise günstig wäre. Für ein globales Solar Radiation Management-Programm brauche es nur 60.000 Flüge im Jahr mit 100 speziell angepassten Flugzeugen. Kosten würde das rund 2,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Riesenspiegel und Megalinsen im Weltraum
Die Idee aus Harvard – also die Sonneneinstrahlung auf die Erde künstlich zu reduzieren – ist nicht neu. Bereits seit Jahrzehnten erarbeiteten Wissenschaftler verschiedene Möglichkeiten, um sowohl das regionale Wetter als auch das Klima zu manipulieren. Vor allem geht es dabei um das gezielte Reflektieren und Blockieren des Sonnenlichts, da dies einen unmittelbaren Effekt hätte. Zu den Ideen gehören fast schon pragmatisch einfache Mittel, wie Häuser mit weißen Dächern oder sogenannten Cool Roofs auszustatten, die, wie es in einer Studie der University of Southern California heißt, „weniger Sonnenlicht als traditionelle Dächer absorbieren, die Aufheizung und die in die Atmosphäre abgestrahlte Hitze reduzieren.“ Das großflächige Anbauen von Pflanzen mit weißen Blüten und versprühen von Kunstschnee soll einen ganz ähnlichen Effekt haben.
Extremere Mittel, die aber durchaus als Optionen debattiert wurden, wären das Überspannen und Besprühen von Wüstenflächen mit reflektierenden oder weißen Folien, Flüssigkeitsfilmen oder Konfetti-artigen Partikeln. Ebenso existieren Überlegungen, in Städten und Wäldern je nach Fläche mehrere Hundert bis Zehntausende Ballons mit Silberbeschichtungen aufsteigen zu lassen. Dadurch könne die Temperatur zumindest regional um zwei bis drei Grad Celsius gesenkt werden. Würden diese Methoden tatsächlich im großen Stil angewendet, könne ein globaler Effekt erzielt und die Temperatur der Welt messbar herunter geregelt werden. So argumentierte zumindest der Umwelt- und Materialforscher Alvia Gaskill schon vor zehn Jahren.
Auch Wissenschaftler des Öl-Giganten Exxon – heute ExxonMobil – forschten bereits an Maßnahmen zur Klimamanipulation. Schon in den 1970ern begann das Unternehmen, beweiskräftige Studien zu den Gefahren des Klimawandel anzusammeln – auch wenn der Konzern öffentlich das Gegenteil behauptete. Die Exxon-Forscher berechneten, dass sich rund ein bis vielleicht sogar zwei Prozent der Sonneneinstrahlung blocken ließen, wenn 55.000 Spiegel mit einer Gesamtfläche von 100 Quadratkilometern in den Orbit transportiert werden würden,. Eine Idee, die auch Edward Teller, dem Vater der Wasserstoffbombe, nicht ganz abwegig erschien.
James Early, ein Harvard-Forscher, erachtete es 1989 als realistisch, dass sich eine 2.000 Kilometer durchmessende Linse zwischen Sonne und Erde positionieren ließe. Diese Fresnel- oder auch Stufenlinse würde am sogenannten Lagrange-Punkt 1 positioniert und könnte dadurch das Licht, das direkt die Erde trifft, wie ein umgekehrtes Vergrößerungsglas zerstrahlen und dadurch abschwächen. Das ist eine Idee, mit der Early nicht alleine dastand. Auch der Physiker und Autor Gregory Benford hatte eine solche Überlegung, glaubte jedoch, dass schon eine nur 1.000 Kilometer durchmessende und nur wenige Millimeter dicke Linse reichen würde, um die Sonneneinstrahlung um 0,5 bis 1 Prozent abzuschwächen.
Zu den weiteren Ideen, die Sonne zu schwächen, gehören Schiffe, die als gigantische Wasserdampfmaschinen auf den Ozeanen herumfahren, um künstliche Wolken in den Himmel zu blasen, die die Erdoberfläche und insbesondere die schmelzenden Pole bedecken. Das klingt absurd aber wie erste Tests gezeigt hatten, könnte das funktionieren. Möglich wäre auch, Salzpartikel aus den Meeren zu extrahieren und in die Wolken zu pusten, um sie heller und damit reflektierender zu machen. Eine weitere Überlegung ist, den Himmel zu verdunkeln, in dem Flugzeugtreibstoffen rußige Aerosole beigemischt werden. Selbst den Ozean mit schwimmenden Plastik- und Aluminium-Chips oder Unmengen an Plastikbällen zu weißeln , Mond- oder Asteroidenstaub zwischen Erde und Sonne zu blasen, standen als Möglichkeiten im Raum.
Saugt CO2 aus der Luft
Natürlich ist nicht nur das Sonnenlicht ein Regulator, der am Klima drehen lässt. Es gibt auch noch den Stoff, der uns den Klimawandel erst eingebrockt hat: das CO2, das Kohlenstoffdioxid. Statt nur dessen Ausstoß zu reduzieren, fordern einige Wissenschaftler und Aktivisten, sollten wir beginnen, es aktiv aus der Atmosphäre zu ziehen: ein Konzept, das sich Carbon Dioxide Removal nennt. Eine Idee ist, dafür die Meere zu beleben und zu begrünen, in dem Tonnen-weise Eisensulfat und Nährstoffe hinein gepumpt werden. Der Marinebiologe Callum Roberts von der York University fordert hingegen, die Meere mit Chemikalien wie Olivin und Kalziumkarbonat weniger sauer zu machen.
Das Ziel? Beide Methoden sollen das Wachstum von Algen und Korallen anregen, die CO2 aufnehmen und speichern. Der aufgenommene Kohlenstoff würde, wenn die Pflanzen später absterben, auf den Meeresboden sinken – und dort langfristig bleiben. Zumindest ist das die einfache und zunächst plausibel erscheinende Überlegung. Studien, die über vergangen Jahre durchgeführt worden waren, kamen aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es zeigte sich zwar, dass das Düngens der Ozeane grundsätzlich gelingen dürfte – aber nicht, ob es auch so effektiv wäre wie erhofft. Denn das hänge letztlich davon ab, welche Organismen dadurch am meisten profitieren und wachsen.
Dennoch begrüßen einige einflussreiche Wissenschaftler den Ansatz – auch weil er quasi unmittelbar umsetzbar wäre. Denn die nötigen Düngestoffe und Chemikalien sind in Massen vorhanden, ebenso wie Schiffe, um sie zu verteilen. „Schauen wir uns die flachen Meeresflächen in den Küstenregionen an, viele davon waren einst reich an Seegras und Algen“, sagt etwa David King, ehemaliger Berater der Britischen Regierung in Sachen Klimawandel. Diese Bereiche wieder zu begrünen sei „eine relativ einfache Sache“ und könne „in wenigen Wochen“ durchgeführt werden.
Einen noch aktivieren Ansatz der CO2-Reduktion verfolgen mittlerweile mehrere Start-ups. Das Schweizer Unternehmen Climeworks arbeitet beispielsweise an einer Kombination aus Luftfiltern und Gebläsen, die zusammengestellt als Mauern das CO2 aus der Luft holen und unter die Erde pumpen, wo es mit Basaltgestein reagiert und selbst versteinert. Bereits seit 2017 laufen die ersten Anlagen in Hinwil, Schweiz, die dort bis zu 900 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Jahr sammeln sollen. Auch auf Island steht mittlerweile eine Filteranlage, die gemeinsam mit der Universität Island und dem Energieversorger Reykjavik Energy betrieben wird.
Global Thermostat aus New York will hingegen dreckige Kraftwerke und Werksanlagen mit großen Röhrenabsorbern nachrüsten, so dass sie nicht nur kein CO2 mehr ausstoßen, sondern auch noch zusätzliches aus der Umgebung einfangen können. Erst kürzlich hat zudem die Arizona State University angekündigt, den vom Forscher Klaus Lackner entwickelten CO2-Absorber, einen mechanischen Baum, der eher an ein vertikales Faltdach erinnert, in einer Testserie umzusetzen. Anders als andere CO2-Removal-Technologien wie beispielsweise von Climeworks bräuchten sie keine Gebläse oder Saugmechaniken, sondern könnten alleinig mit den natürlichen Winden arbeiten. Zwölf dieser Bäume, die im kommenden Jahr konstruiert werden sollen, könnten pro Tag so knapp über eine Tonne CO2 einfangen.
Eine exotischere Optionen, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen, wäre es, die Verwitterung von Stein, insbesondere Kalk und anderen Silikaten, zu beschleunigen. Denn bei diesem Zersetzungsprozess binden sie kleine Mengen an CO2. Praktisch würde das bedeuten, im industriellen Maßstab Felsen und Berge abzutragen, klein zu raspeln und die Gesteinsbrocken zu verteilen. Allerdings müssten ganze Berglandschaften eingeebnet werden, um das wirksam zu tun. Sonderlich ökonomisch und landschaftsschonend wäre das nicht.
Wollen oder müssen?
Die oben aufgeführten Methoden sind nur einige der Ideen, um Climate Engeering zu betreiben. Es gibt noch viele andere. Zum Einsatz im großen Maßstab ist – abgesehen vom Düngen der Meere – noch keine davon bereit. Ganz sicher aber, teilen sie alle ein Problem: Ob und welche Konsequenzen die Pläne haben könnten, das lässt sich nur schwerlich abschätzen. Der Harvard-Forscher David Keith, der reflektierende Partikel in die Atmosphäre bringen will, sagte selbst in einem Vortrag, dass es bei seiner Methode „viele Rätsel im Detail und einige schlechte Nebeneffekte“ geben wird. Das Klima ist ein derart komplexes System, das selbst kleinste Eingriffe unerwartete und verheerende Folgen nach sich ziehen könnten.
Das Fluten des Himmels mit künstlichen Wolken oder Partikeln könnte das Wetter ganzer Länder auf den Kopf stellen, für Dürren, Wirbelstürme oder Sturmfluten sorgen. Das wiederum könnte bei einem Alleingang einzelner Nationen oder vielleicht sogar von Unternehmen, internationale Konflikte, Klagen und Kriege auslösen. Wobei nie sicher wäre, ob tatsächlich das Climate Engeering oder der Klimawandel der Auslöser war. Ob und wie Climate Engineering derzeit überhaupt nach internationalem Recht erlaubt wäre, ist nach Ansicht des Bundesministerium für Bildung und Forschung ebenso unsicher.
Trotzdem nimmt die Zahl der Experten zu, die meinen, die Methoden des Climate Engineering sollten mit Nachdruck erforscht und als mögliches Werkzeug in Betracht gezogen werden. Der einfache Grund dafür: Selbst wenn die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden, könnte es nicht genug sein, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Zumindest nicht eine, die alles Leben auf dem Planeten schwer in Mitleidenschaft zöge.
Die Zeit ist nicht länger auf unserer Seite.
David King
„Die Zeit ist nicht länger auf unserer Seite“, sagt etwa David King, der ehemalige wissenschaftliche Berater der britischen Regierung und Mitverantwortliche für das Klimaabkommen von Paris. „Was wir in den nächsten 10 Jahre tun, wird die Zukunft der Menschheit in den nächsten 10.000 Jahre bestimmen.“ Das Klima mit gezielten Eingriffen zu manipulieren, wie der Wissenschaftler sagt, „wird nötig werden.“ Aber nicht nur, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Sondern um das Klima langfristig mit chirurgischen Eingriffen auch zu reparieren. Denn, das hofft King, sei die eigentliche Chance, die im Climate Engineering liegt: Die Möglichkeit das Klima in den Stand zurückzuversetzen, den es vor der Industriellen Revolution hatte.
Glaubt ihr, dass Climate Engineering das Risiko wert wäre?
Teaser-Bild: Getty Images / coffeekai