Harvard-Wissenschaftler wollen einen Ballon testen, mit dem das Klima manipuliert werden soll

Die Erwärmung der Erde schreitet voran. Einige Wissenschaftler meinen daher, dass wir nicht drumherum kommen, gezielt das Klima zu manipulieren. Forscher von Harvard wollen Mitte 2021 ein Experiment durchführen, das zeigen soll, ob sich die Erde durch Kalk in der Atmosphäre abkühlen lässt.

Von Michael Förtsch

Das UNO-Klimasekretariat ist nicht gerade guter Hoffnung. Laut einer aktuellen Auswertung von Emissionsdaten hängen die Mitgliedsstaaten des Pariser Klimaabkommens weit hinter den vereinbarten Zielen zurück. Nach einer Hochrechnung wird der Ausstoß von Klimagasen bis 2030 wohl nur um ein Prozent gegenüber dem Jahr 2010 gesenkt. Nach einer Kalkulation des Weltklimarats IPCC müssten die Emissionen jedoch um 45 Prozent zurückgefahren werden, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Und für eine Erwärmung um 2 Grad um mindestens 25 Prozent. Wird die Erde wärmer, könnten Sommer so heiß werden, dass ein Aufenthalt im Freien tödlich ausgehen kann, weltweit Missernten drohen, die zu Nahrungsmittelknappheiten führen und Naturkatastrophen zum Normalfall werden.

Einige Wissenschaftler sind daher überzeugt, dass die Menschheit früher oder später gezwungen sein wird, das Klima mittels Climate Engineering – auch Geo-Engineering genannt – ganz bewusst zu manipulieren, um die desaströsen Folgen abzufedern. Eine Überlegung ist, die Erde künstlich herunterkühlen, um die Erderhitzung zu kompensieren. Und zwar mittels Solar Radiation Management – also dem Steuern beziehungsweise Blockieren der Sonnenstrahlung, die die Erde trifft. Theorien und Konzepte, wie das gehen könnte, gibt es zuhauf – und das bereits seit Jahrzehnten. Unter anderen wurde von Forschern vorgeschlagen, das Sonnenlicht mit riesigen Spiegeln im Weltall abzufangen oder Abertausende von reflektierenden Ballons einzusetzen. Eine deutlich realistischere Möglichkeit ist, die Rückstrahlstärke der Atmosphäre selbst zu erhöhen. Genau daran arbeitet derzeit ein Team von Harvard-Wissenschaftlern.

Die Gruppe um Frank Keutsch glaubt, dass bestimmte Aerosole und Partikel wie Calciumcarbonat – auch kohlensaurer Kalk –, wenn in großer Höhe freigelassen, das Sonnenlicht zurück ins All reflektieren können, bevor es die Erde erreicht. Die theoretische Umsetzbarkeit hat das Team bereits mit Computermodellen und im Labor getestet und ist überzeugt, dass es funktioniert. Allerdings muss sich das System dann auch in der Realität beweisen. Im Juni soll ein erster Test stattfinden – finanziert wird er unter anderem von Bill Gates. Unweit der schwedischen Stadt Kiruna will das Team unterstützt von der Swedish Space Corporation einen Ballon steigen lassen, den die Forscher entwickelt haben.

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Selbst die Wissenschaftler haben Zweifel

Bei dem ScoPEx getauften Probelauf sollen noch keine Chemikalien oder Partikel in die Atmosphäre entlassen werden. Stattdessen soll zunächst eine am Ballon hängende Gondel erprobt werden, die mit Sensoren, Funk- und Steuersystemen, Propellern und Streubehältern ausgerüstet ist, die bis zu zwei Kilogramm Calciumcarbonat fassen könnten. Der Ballon soll bis in 20 Kilometer Höhe steigen und zeigen, ob die Mechaniken funktionieren und sich der Ballon zuverlässig steuern und verfolgen lässt. Denn in diesen Höhen fällt die Temperatur auf bis zu -50 Grad Celsius und Druckverhältnisse können drastisch schwanken. Vor allem aber soll der Ballon zahlreiche Daten sammeln, die besser berechnen lassen, wie sich die Partikel verteilen würden. Es gehe darum herauszufinden, „wie die Atmosphäre wirklich ist“, sagte Keutsch gegenüber Technology Review .

Verläuft der Test erfolgreich, möchte das Team einen weiteren Versuch unternehmen, bei dem dann kleine Mengen an Calciumcarbonat freigesetzt werden. Genau das beunruhigt jedoch viele Menschen. Organisation wie die Swedish Society for Nature Conservation, Greenpeace Sweden, Friends of the Earth Sweden und mehrere Privatpersonen protestieren gegen die Versuche – selbst Greta Thunberg hat sich dagegen ausgesprochen. Es könne der erste Schritt hin zum Einsatz einer potentiell „gefährlichen, unvorhersehbaren und nicht kontrollierbaren“ Technik sein, wie es in einem offenen Brief heißt. Tatsächlich könnte der Test noch gekippt werden. Denn in den kommenden Wochen muss noch ein Komitee über die ethischen, umwelttechnischen und rechtlichen Implikationen urteilen und eine Erlaubnis erteilen.

Der Projektleiter Frank Keutsch teilt die Sorgen der Aktivisten und Umweltschützer durchaus und nennt die Kritik „berechtigt“. Auch wenn er die Technik mitentwickele, hoffe er, „dass wir nie in eine Situation geraten, wo wir sie einsetzen müssen“. „Die Leute denken, weil ich Geo-Engineering-Forschung betreibe, würde ich wollen, dass wir Geo-Engineering einsetzen“, sagt Keutsch. Aber das sei falsch. Er selbst erachte die Manipulation des Klimas als beängstigend und schwer berechenbar. Allerdings sei es besser die Technik und ihre Auswirkungen jetzt so weit als möglich zu erforschen und bereit zu halten, falls sich zeigen sollte, dass es tatsächlich keinen anderen Weg mehr gibt, um die Erde und ihre Bewohner zu retten.

Teaser-Bild: Dominik Schröder / Unsplash

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Wenn der Satz “Chomputersimulationen haben gezeigt“ verwendet wird, sollten immer die Alarmglocken klingeln. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir bei der Simulation des Klimas immer noch im alchemistischen Stadium sind. Schließlich laufen zig Simulationen parallel, um zu gucken, welche am besten zu den Realdaten passen. Wissenschaftstheoretisch ist das noch “Rezeptewissen“. In ein hochgradig nicht-lineares System einzugreifen, in dem man “Staub“ in die Atmosphäre kippt, würde ich lieber nicht machen. Manchmal ist der nächste Bifurkationspunkt näher als man glaubt.

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Geo Engineering ist die nächste Eskalationsstufe. Kompletter Wahnsinn. Da ist der Gates komplett am Holzweg, wie bei weit über der hälfte all seiner Aktionen.