Eine Gruppe Forscher an der US-Universität MIT befürchtet, dass sich der Klimawandel nicht mehr auf natürlichem Wege bremsen lässt. Daher haben die Wissenschaftler ein Konzept entwickelt, um den Planeten künstlich abzukühlen. Ein Schutzschild aus riesigen Blasen soll das Sonnenlicht dimmen.
Von Michael Förtsch
Die Wirkung des Klimawandels ist für immer mehr Menschen spürbar und sichtbar. Rund um die Welt zeigt die höhere Durchschnittstemperatur gegenüber der Zeit vor der industriellen Revolution ihren Einfluss. Es gibt heißere Sommer, extremere Niederschläge, mehr Waldbrände und Tornados, wo sie bisher ungekannt waren. Das gefährdet das Leben von Menschen, Tieren und ganzen Ökosystemen. Daher muss der Ausstoß von Klimagasen wie CO2, Methan und anderen gestoppt werden. Denn diese sind es, die die Atmosphäre aufheizen. Aber viele Wissenschaftler zweifeln allmählich, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft das in der noch gegebenen Zeit schaffen werden. Daher entwickeln sie radikale Ideen – für den Fall, dass sich die Erwärmung der Erde nicht mehr anders bremsen lässt.
Die Idee des sogenannte Climate Engineering ist nicht neu. Es gibt Experimente, Kohlenstoffdioxid maschinell aktiv aus der Atmosphäre zu ziehen, und Ideen, etwa das Algenwachstum in den Weltmeeren zu stimulieren, um CO2 zu binden. Ebenso existieren Pläne, die vorschlagen mit riesigen Verdampfern gigantische Mengen an Wasser in Wolken zu verwandeln oder reflektierende Aerosole in der Atmosphäre zu verteilen, die die Sonnenstrahlung in den Weltraum zurückwerfen – und so die Erde vor einer weiteren Erhitzung schützen. Letzteres ist auch das Ziel einer Forschergruppe am Massachusetts Institute of Technology. „Wir sind eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern, Designern und Ingenieuren aus allen Fachrichtungen am MIT“, sagt der Mathematiker und Ingenieur Umberto Fugiglando zu 1E9.
Die Idee der MIT-Forscher: Sie wollen die Sonnenstrahlung bereits im Weltraum abfangen. Auch diese Idee ist nicht neu. Bereits in den letzten Jahrzehnten wurden Überlegungen entwickelt, das Sonnenlicht im Weltraum mit riesigen Spiegelflächen auf automatisierten Satelliten oder mit den Staubschwaden eines zerstörten Meteoriten wie mit einem Sonnenschirm zu blockieren. Laut den MIT-Forschern wären solche Methodiken durchaus machbar, aber auch teuer, aufwendig und womöglich too much. Ihre Überlegung: Das Sonnenlicht könnte mit einem riesigen Schirm aus Blasen aus einem transparenten Material gedimmt werden. Der Effekt wäre gleich dem eines Diffusors für einen Kamerablitz oder einer Gardine, die das Licht hindurch lässt, aber ihm etwas die Kraft nimmt. Um bis zu 1,8 Prozent könnte das Sonnenlicht abgeschwächt werden, das auf die Erde gelangt. Genug, nicht nur um die Erderwärmung zu bremsen, sondern um sie zu stoppen und die bisherige Erwärmung umzukehren – in der Theorie zumindest.
Wir gehen davon aus, dass eine nie dagewesene Zusammenarbeit auf internationaler Basis zwischen politischen Instanzen, Forschungseinrichtungen und privaten Unternehmen erforderlich sein wird.
Umberto Fugiglando
Der Vorteil der Weltraumblasen: Sie könnten vergleichsweise einfach aus dem Weg geschoben oder zerstreut werden, indem ihnen etwa von Steuerdüsen ein kleiner Schubs gegeben wird. Sämtliche Climate-Engineering-Methoden, die direkt auf der Erde stattfinden würden, könnten hingegen langanhaltende und desaströse Auswirkungen haben, weil sie schwer reversibel sind. Gigantische Wolkenfelder müssten sich beispielsweise erst wieder abbauen. Aerosole in der Atmosphäre könnten auf Jahrzehnte in den Luftschichten verweilen, ohne eingefangen werden zu können.
Ein riesiges Schild
Entstehen soll das Schutzschild aus Blasen am Lagrange-Punkt L1. Dabei handelt es sich um einen rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Sektor zwischen Erde und Sonne, in dem Objekte durch die Anziehungskraft der beiden Himmelskörper festgehalten werden. Der stellare Diffusor müsste in etwa die Fläche von Brasilien haben, um seine Wirkung zu entfalten, meinen die Forscher. Die Blasen selbst wiederum müssten wohl mehrere Kilometer durchmessen. Das klingt herausfordernd, aber nach Ansicht der Wissenschaftler sei das Konzept umsetzbar – und vor allem günstig, verglichen mit ähnlichen Ansätzen wie riesigen Spiegeln.
Die kreisrunden Sphären könnten aus einem dünnen Film aus Silizium hergestellt werden – oder einem ähnlichen Material. Ausgesetzt und aufgeblasen würden sie durch die Kälte des Alls erstarren und könnten mit anderen Blasen verknüpft werden, um das durchgehende Schild zu bilden. Laut den Forschern könnte es sogar machbar sein, die Blasen direkt im All automatisiert zur produzieren. „Unsere aktuell verfügbaren Technologien ermöglichen uns das“, sagt Fugiglando. „Wir könnten solche Materialien im All fertigen. […] Wir könnten das Silizium komprimieren und problemlos in großen Mengen zum Lagrange-Punkt transportiert werden, um die Kugeln an Ort und Stelle herzustellen.“
Für die Durchführung könnten Raumschiffe wie die Dragon-Kapseln oder das Starship von SpaceX adaptiert werden. Auch Mini-Fabriken für das All gibt es tatsächlich bereits. Das Problem sei lediglich, die verfügbaren Technologien zu skalieren, sagen die Wissenschaftler. Sie also so zu vergrößern und zu perfektionieren, dass sich damit wirklich Blasen produzieren lassen, die letztlich eine Scheibe mit einer Fläche von rund acht Millionen Quadratkilometer ergeben. Daher räumen die Forscher auch ein, dass die Space Bubbles ein Projekt seien, das keineswegs ein Land alleine stemmen kann. „Wir gehen davon aus, dass eine nie dagewesene Zusammenarbeit auf internationaler Basis zwischen politischen Instanzen, Forschungseinrichtungen und privaten Unternehmen erforderlich sein wird“, sagt der MIT-Forscher. Aber vor allem brauche es auch derzeit eines: Noch mehr Forschung und Entwicklung.
Ein Prototyp soll ins All fliegen
„Unser Ziel ist es, in der nächsten Phase unserer Forschung einen Prototyp für die Herstellung von Space Bubbles im Weltraum zu entwickeln“, sagt Umberto Fugiglando zu 1E9. Es soll also eine Maschine gebaut werden, die Silizium zu Blasen verarbeiten kann, wie sie genutzt werden sollen, um den Schutzschirm für die Erde zu errichten. Diese soll anschließend mit einem Kleinsatelliten im CubeSat-Format ins All gebracht werden. Mit so einem Prototypen soll die Machbarkeit der Idee bewiesen werden. Und er soll helfen, die Kosten für ein solches Projekt abschätzen zu können.
Dass es teuer werden dürfte, einen solchen Sonnendeflektor für die Erde aufzubauen, das ist sicher. Nur wie teuer, da sind selbst die MIT-Wissenschaftler derzeit überfragt – denn es gibt keine Vergleichswerte für ein solches Projekt. Wie die Forscher aber bereits bestätigen können, gibt es Interesse an den Space Bubbles. Denn mit der Befürchtung, dass es mit dem Stopp des Klimawandels nichts wird, sind sie nicht alleine. „Wir erhalten zahlreiche Anfragen [zum Projekt]“, sagt Fugiglando. „Und wir stehen daher derzeit in Kontakt mit mehreren hochrangigen Forschungseinrichtungen, Industrievertretern und potenziellen Investoren.“
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Jetzt Mitglied werden!Die Space Bubbles sind ein Notfallplan, ein Plan B.
Umberto Fugiglando
Wie die MIT-Wissenschaftler beteuern, hoffen sie, dass ihr Projekt letztlich unnötig sein wird. „Wir sind der festen Überzeugung, dass unser Handeln auf der Erde die Lösung des Problems darstellt“, sagt Fugiglando. „Aber uns rennt die Zeit davon.“ Ein Konzept wie Space Bubbles könne womöglich die schlimmsten Szenarien verhindern, die Klimaforscher prophezeien und als ein Polster für die Ökosysteme fungieren. „Der Einsatz von Space Bubbles könnte uns zusätzliche Zeit verschaffen, um zu einer nachhaltigen Wirtschaft überzugehen, die Ökosysteme wiederherzustellen und einen globalen Zusammenbruch zu vermeiden“, sagt Fugiglando. Die Scheibe aus Siliziumblasen könne und dürfe nicht mehr sein; nicht als langfristige Lösung dienen. „Die Space Bubbles sind ein Notfallplan, ein Plan B“, führt Fugiglando aus. „Wir hoffen, dass, wenn die Machbarkeit und Umsetzbarkeit verstanden wird, die Menschheit vielleicht motivierter sein wird, den Übergang in die Nachhaltigkeit voranzutreiben.“
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Titelbild: MIT SCL
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