Noch wird wenig darüber gesprochen. Doch die Erkenntnis hat sich weitgehend durchgesetzt: Will die Menschheit die schlimmsten Folgen des Klimawandels verhindern, muss sie nicht nur den Ausstoß von Treibhausgasen verringern. Sie muss auch aktiv CO2 aus der Atmosphäre zurückholen. Das geht mit Bäumen. Oder mit klimapositivem Plastik, aus dem Möbel oder Sonnenbrillen gemacht werden können. Oder mit CO2-Saugern.
Von Wolfgang Kerler
Europa will bis 2050 klimaneutral werden. Die USA unter ihrem nächsten Präsidenten Joe Biden vermutlich auch. Und China nimmt sich vor, ab 2060 in Summe keine Treibhausgase mehr in die Luft zu blasen. Das klingt ambitioniert, ist aber nötig, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit soll demnach auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden. Noch besser wären 1,5 Grad.
„In irgendeiner Form ist inzwischen jeder vom Klimawandel betroffen“, sagt die Professorin Daniela Jacob. In allen Weltregionen seien seine Folgen zu spüren: Hitzewellen und Dürren, Starkregen und Überflutungen. Je mehr die Temperatur steige, umso größer der Schaden. Die Versprechen vieler Länder, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern, seien daher ein gutes Signal. „Aber die globale Erwärmung ist bereits so weit fortgeschritten, dass wir nicht mehr von Versprechen leben können.“ Bei 1,2 Grad sind wir in diesem Jahr schon.
Daniela Jacob ist Meteorologin und die Direktorin des Climate Service Center Germany. Die Konsequenzen der Erderwärmung sind ihr Fachgebiet. Sie war einer der Leitautorinnen des Sonderberichts über die Folgen der globalen Erwärmung um 1,5 Grad, den der Weltklimarat IPCC 2018 herausbrachte. Und sie hat klare Vorstellungen davon, was jetzt passieren muss.
„Wir müssen die Emissionen in allen Lebensbereichen dramatisch reduzieren“, sagt sie. „Aber wir können das Problem nicht allein durch die Verringerung der Emissionen lösen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, CO2 aktiv aus der Atmosphäre herauszunehmen.“
Prof. Daniela Jacob, Christoph Beuttler von Climeworks und Allison Dring von Made of Air waren am 15. Dezember 2020 beim digitalen „Reclaim the Future!“-Event von 1E9 und dem Future Forum by BMW Welt dabei. Sie diskutierten über die Frage: Can we engineer our way out of the climate crisis? Hier könnt ihr die Debatte nachverfolgen.
Kühe, Flugzeuge und Zement werden 2050 wohl nicht klimaneutral sein
Ohne die Entnahme von Kohlendioxid wird die Erwärmung von nur 1,5 Grad also nicht zu schaffen sein. Das geht auch aus dem IPCC-Sonderbericht hervor. Je nachdem, welche anderen Maßnahmen getroffen werden, müssen bis zum Ende des Jahrhunderts demnach 100 bis 1.000 Gigatonnen CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre gesaugt werden. Das sind gewaltige Mengen. Zum Vergleich: Der deutsche CO2-Ausstoß beträgt pro Jahr etwa 0,8 Gigatonnen.
Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik kam in einer Studie vom Mai 2020 zum Schluss, dass es der EU nicht reichen wird, nur auf sinkende Emissionen zu setzen, um bis 2050 klimaneutral zu werden.
Denn manchen Branchen wird es bis dahin nicht gelingen, überhaupt keine Treibhausgase mehr auszustoßen. Dazu dürfte die Bauindustrie gehören, die Zement und Beton braucht. Oder die Luftfahrt, die nicht einfach auf Elektroflugzeuge mit Batterien oder Wasserstoff umsteigen kann. Auch dürfte der Klimaschutz manchen Ländern schwerer fallen als anderen. Polen etwa setzt stark auf Kohlestrom. In Irland leben mehr Rinder als Menschen. Und Rinder produzieren nicht nur Milch und Fleisch, sondern auch klimaschädliches Methangas.
Folglich müssen andere Branchen und Länder eine Vorreiterrolle übernehmen – und nicht nur klimaneutral werden, sondern klimapositiv. Das heißt, sie müssen mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen als sie ausstoßen. Nur wie?
Bäume allein werden nicht reichen
Die wichtigste und günstigste „Technologie“, um Kohlendioxid aus der Luft zu bekommen, stammt von der Natur selbst: Es sind die Pflanzen. Sie nehmen CO2 auf und erzeugen Sauerstoff – der Photosynthese sei Dank. Besonders große CO2-Speicher sind Wälder. Was läge also näher als Bäume zu pflanzen?
Tatsächlich sorgte im vergangenen Jahr eine Berechnung von Wissenschaftlern der ETH Zürich für Aufsehen, nach der zwei Drittel des seit der industriellen Revolution ausgestoßenen CO2 – genauer: 200 Gigatonnen – durch das Anpflanzen oder Wiederaufforsten von Wäldern gebunden werden könnte. Weltweit könnte dafür laut der ETH-Studie eine Fläche von 900 Millionen Hektar bewaldet werden. Das entspricht in etwa der Größe der USA. Würde diese Rechnung aufgehen, könnten Bäume der Klimaretter schlechthin werden.
Doch wenig später dämpften andere Wissenschaftler die Erwartungen wieder. Und auch die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA schaltete sich ein, um zu erklären, dass das Aufforsten und Anpflanzen von Wäldern zwar einen enormen Beitrag zum Carbon Dioxide Removal , kurz: CDR, leisten kann. Aber keinen in dieser Größenordnung.
Einer der Gründe dafür: Eine globale Aufforstung dieser Dimension dürfte Jahrzehnte dauern – und damit Zeit, die wir nicht mehr haben. Ein anderer: Es sei nicht auszuschließen, dass riesige zusätzliche Waldflächen selbst zur globalen Erwärmung beitragen. Denn sie verdunkeln die Oberfläche des Planeten, wodurch dieser mehr Sonnenwärme aufnimmt. Und noch einer: Wo sollen die riesigen Wälder entstehen? Vielerorts müssen Wälder schon jetzt der Landwirtschaft weichen. Andernorts wachsen kaum Bäume. Es braucht also mehr als zusätzlichen Wald. Pflanzen können dabei eine Rolle spielen.
Aus Pflanzenresten werden Möbel, die CO2 speichern
Werden Pflanzen verbrannt oder verrotten sie, entweicht das von ihnen gebundene Kohlendioxid wieder in die Luft. In lebendigen Wäldern wird das überkompensiert. Anders sieht es oft in der Land- oder Forstwirtschaft aus, wo viele Reste von Holz und Pflanzen übrigbleiben. Diese Abfälle sind ein Rohstoff, der bisher nicht ausreichend genutzt wird.
Erhitzt man solche Biomasse in speziellen Öfen ohne Luftzufuhr, wird das in ihr enthaltene Wasser abgespalten. Übrig bleibt Pflanzenkohle, die das in den Pflanzen eingeschlossene CO2 über Jahrhunderte speichern und zum Beispiel in Ackerböden eingebracht werden kann. Oder man macht daraus ein neues Material, aus dem Möbel, Sonnenbrillen oder Häuserfassaden hergestellt werden können. Genau darauf hat sich das Berliner Start-up Made of Air spezialisiert.
„Wir haben uns angesichts der Klimakrise vorgenommen, alle möglichen Produkte, die hergestellt werden, in CO2-Speicher zu verwandeln“, sagt Allison Dring, die Mitgründerin und Geschäftsführerin der Firma. Für sie ist das überschüssige Kohlendioxid in der Atmosphäre ein Rohstoff, der genutzt werden sollte. Made of Air will das erreichen, indem es aus der Pflanzenkohle ein Thermoplastik herstellt, dass ganz ähnliche Eigenschaften aufweist wie herkömmliches Plastik und ebenfalls in Form von Granulat oder Pellets verkauft werden kann. Die Produkte, die daraus geformt werden, haben laut dem Start-up einen negativen CO2-Fußabdruck. Oder in anderen Worten: Sie sind klimapositiv.
Erste Pilotprojekte mit großen Konzernen laufen bereits. H&M hat eine Sonnenbrille aus dem Made-of-Air-Material designt. Audi die Fassade einer E-Auto-Ladestation damit verkleidet. Was den großen Durchbruch des klimapositiven Plastiks bisher verhindert ist allerdings sein Preis. Normales Plastik, das aus fossilem Öl, Gas oder aus Kohle hergestellt wird, ist deutlich billiger.
Erste CO2-Sauger stehen schon
CO2 lässt sich nicht nur indirekt über Pflanzen, sondern – unter Einsatz von nicht unerheblichen Mengen an Energie und Wasser – auch direkt aus der Luft ziehen, durch CO2-Abscheidung. Direct Air Capture nennt sich das.
Ein Vorreiter auf dem Gebiet ist das Schweizer Unternehmen Climeworks, das 2009 als Ausgründung der ETH Zürich entstand. 14 DAC-Anlagen hat die Firma nach eigenen Angaben schon in Betrieb. Mit großen Ventilatoren wird dort Luft eingesaugt. Das darin enthaltene CO2 bleibt an speziellen Filtern hängen. Ist ein Filter voll, wird das Kohlendioxid durch Erhitzen herausgelöst und kann in seiner Reinform entweder unterirdisch gespeichert werden oder, wie schon bei Made of Air, weiterverarbeitet werden.
Coca-Cola, zum Beispiel, bezieht das CO2 für die Kohlensäure eines Mineralwassers von Climeworks. Auch synthetische Kraftstoffe lassen sich aus dem Kohlendioxid herstellen. Wird es allerdings für so kurzlebige Dinge verwendet, gelangt es danach wieder in die Luft. Die Produkte sind also bestenfalls klimaneutral. Was in vielen Fällen zwar eine ziemliche Verbesserung darstellt, aber nicht dauerhaft die CO2-Menge in der Atmosphäre verringert. Das gelingt nur, wenn es für sehr langlebige Güter verwendet oder unterirdisch gespeichert wird.
Im Umfang von 4.000 Tonnen CO2 pro Jahr soll das mit der neuesten Anlage von Climeworks passieren, die derzeit in Island entsteht – in Zusammenarbeit mit Carbfix. Die Tochtergesellschaft von Reykjavik Energy hat sich auf das Speichern von CO2 spezialisiert. Nachdem es in den Untergrund gepumpt wird, soll es sich durch das Carbfix-Verfahren in Stein verwandeln. Die ganze Anlage wird mit Ökostrom betrieben, anders ergäbe das Vorhaben keinen Sinn.
Bis 2025 will Climeworks ein Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen aus der Luft saugen. Das sind rund 300 Millionen Tonnen pro Jahr. 250.000 Anlagen müssten dafür installiert werden. Ein ambitioniertes Ziel. „Wir sind bereit, zu skalieren“, sagt Christoph Beuttler, CDR-Manager bei Climeworks. „Was die Technologie angeht, können wir loslegen. Was uns derzeit noch zurückhält, ist der fehlende Markt.“
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Jetzt Mitglied werden!Noch kostet es mehrere Hundert Dollar, eine Tonne CO2 aus der Luft zu bekommen. Das ist im Vergleich zu fossilen Rohstoffen zu teuer. Es braucht also größere Anlagen, die zu fallenden Kosten führen. Außerdem ist es für Unternehmen derzeit noch deutlich günstiger, Emissionsrechte zu kaufen und weiter Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pumpen, als spezialisierte Firmen wie Climeworks dafür zu bezahlen, CO2 wieder herauszusaugen.
Die EU hat CDR auf dem Schirm
Ganz ohne politische Unterstützung, zum Beispiel durch finanzielle Anreize, Subventionen oder neue Vorschriften, werden es die meisten technischen Verfahren, mit denen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden kann, nicht schaffen. Selbst wenn ihre Kosten in Zukunft sinken sollten. Auch sind sie auf erneuerbare Energien angewiesen. Sonst könnten sie wegen ihres Stromverbrauchs dem Klima schlimmstenfalls mehr schaden als nutzen. Manche Methoden, die diskutiert werden, wurden bisher auch nicht im großen Stil erprobt.
Doch es kommt Bewegung in die Sache. Für Länder wie Großbritannien oder Norwegen gehört Carbon Dioxide Removal schon länger zu ihrer Klimastrategie. Die Europäische Kommission legte 2018 erstmals einen Entwurf vor, in dem CO2-Entnahme tatsächlich eingeplant war, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik in ihrer Studie erklärt. Und im Zuge ihres European Green Deal hat sie sich nun auch vorgenommen, einen rechtlichen Rahmen dafür zu entwickeln. Von den Mitgliedstaaten der EU hat bisher allerdings nur Frankreich explizit erklärt, auf technische CDR-Lösungen setzen zu wollen. Doch das dürfte sich ändern.
Dennoch warnen Wissenschaftler, wie jüngst ein Team der University of Virginia, davor, sich zu sehr auf die Negative Emissions Technologies zu verlassen, also auf die Technologien, die mehr CO2 aus der Atmosphäre holen als sie hineinblasen. Ihr Ausbau wird noch dauern, sie brauchen Strom, sie brauchen Wasser, sie brauchen – insbesondere, wenn es dafür Pflanzen braucht – Platz. Sie könnten daher nur ein Teil der Lösung sein.
So sieht das auch Daniela Jacob vom Climate Service Center Germany. „Wir brauchen alles, was wir tun können“, sagt sie. Energie und Ressourcen einsparen, auf erneuerbare Energien umsteigen, unseren Konsum verändern – und aktiv CO2 aus der Luft saugen.
Titelbild: Climeworks