Eine Firma will CO2 aus den Ozeanen filtern, damit diese noch mehr Kohlendioxid absorbieren können

Der Kampf gegen den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre geht nur langsam voran – zu langsam. Ein US-Unternehmen will daher den größten CO2-Fänger der Erde entlasten: die Ozeane. Es will daraus Treibhausgas filtern und speichern. Dadurch könnten die Ozeane zu einem effektiveren CO2-Fänger werden als sie es sowieso schon sind.

Von Michael Förtsch

Weithin zieht sich der Ozean. In der Ferne sind riesige Frachtschiffe und eine Windfarm zu sehen. Nah an der Kamera hingegen baut sich eine künstliche Insel auf. Sie besteht aus einem breiten Ring aus Pontons, die über und über mit Hunderten von Solarpanelen gespickt sind. Im Zentrum des Rings befindet sich eine kreisrunde Plattform, die von einer geodätischen Kuppel überdacht ist. Unter dieser verbirgt sich eine gigantische Maschinerie aus Rohren, Generatoren, Druckbehältern und vielem mehr. Es ist eine ebenso moderne wie teure Anlage, die den menschverursachten Schaden am Klima bremsen oder sogar rückgängig machen soll.

„Bei Captura scherzen wir immer wieder, dass sich unsere Ingenieure diese künstlerischen Interpretationen unserer Idee lieber nicht ansehen sollten“, sagt Captura-Chef Steve Oldham im Interview mit 1E9. Dann dämpft er die Erwartung, dass schon bald genau solche Anlagen rund um die Welt auf den Ozeanen schwimmen werden. Eine reine Fantasievorstellung seien sie allerdings auch nicht. „Wir wissen, dass es nicht ganz so wahrscheinlich ist, dass eines unserer Systeme genauso aussehen wird“, fährt Oldham fort. „Dennoch sind solche großen, selbsttätig laufenden Anlagen definitiv etwas, auf das wir hinarbeiten.“

Was diese futuristischen Maschinen eigentlich tun sollen? Sie sollen Kohlenstoffdioxid aus dem Wasser der Meere saugen. Dadurch sollen die Ozeane wieder mehr CO2 aufnehmen können, dass dadurch nicht in die Atmosphäre gelangt und den Planeten nicht zusätzlich aufheizen kann. Ganz wie Papiertücher auf das Wasser aus einem umgekippten Glas geworfen werden, damit es nicht vom Tisch fließt. „Die Weltmeere leisten bereits einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels, indem sie etwa 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen absorbieren“, sagt Oldham. „Und sie fangen etwa 90 Prozent der durch diese Emissionen erzeugten überschüssigen Wärme ein.“

Die Weltmeere leisten bereits einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels, indem sie etwa 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen absorbieren.

Steve Oldham

Wenn man die Ozeane aktiv unterstützen beziehungsweise entlasten würde, könnten sie einen noch größeren Beitrag leisten, glauben viele Klimaforscher. Und ohnehin ist es unumgänglich, die Last für die Weltmeere langfristig abzufedern. Denn der steigende CO2-Gehalt führt zu einer Versauerung der Ozeane, die die marine Flora und Fauna gefährdet.

Grund ist ein Prinzip namens Henry’s Law, wonach CO2 nach einer gleichgewichtigen Verteilung strebt, weshalb esvon einem Ort mit vergleichsweise hoher Konzentration zu einem mit niedriger strömt. Eine höhere CO2-Konzentration in der Atmosphäre führt also zu einer stärkeren Aufnahme durch die weltweiten Wasserflächen – oder dazu, dass das CO2, das für das Blubbern in der Cola sorgt, in die Luft entweicht und die Cola letztlich schal wird.

Aber das ist nicht das einzige Problem. Der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur verringert gleichzeitig die Fähigkeit der Wasserflächen, Kohlenstoffdioxid zu absorbieren, was über Jahrzehnte dazu führten könnte, dass sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zusätzlich verstärkt. Etwas, das wiederum den Kampf gegen die globale Erwärmung erschwert. Genau hier will Captura angreifen.

Bipolare Membran-Elektrodialyse

Hinter der Technologie von Capture steht ein Team von Forschern des California Institute of Technology, kurz: Caltech. Sie ist bereits seit mehreren Jahren in der Entwicklung. Deren Prinzip ist in den Grundzügen simpel, aber in der Umsetzung dennoch eine Herausforderung, wie Oldham sagt. Denn Captura will das Meerwasser dazu bringen, das gebundene Kohlenstoffdioxid abzustoßen, so „dass es von uns dauerhaft gespeichert oder weiterverarbeitet werden kann“.

Um das zu ermöglichen, sollen von den Captura-Anlagen große Mengen an Wasser aufgenommen werden. Ein kleiner Anteil davon, weniger als ein Prozent, soll dann wiederum durch ein Verfahren namens „bipolare Membran-Elektrodialyse“ bearbeitet werden. Dabei wird das Wasser unter Strom gesetzt, um enthaltene Moleküle in Säuren und Basen umzuwandeln. Die Säuren werden daraufhin wieder in das andere Wasser in der Anlage eingeleitet. „Dadurch entsteht dann eine Reaktion, die das CO2 [aus dem Meerwasser] herauslöst“, sagt Oldham. Das könne dann einfach abgepumpt und in Tanks gesammelt werden. Am Ende werden dem entkarbonisierten Wasser wieder Basen zugefügt, um es zu neutralisieren und wieder in das Meer pumpen zu können, wo es jetzt wieder CO2 aufnehmen kann.

Das alles klingt nach einem langwierigen Prozess. Aber laut Oldham könnten mit Hilfe von Vakuumpumpen und Turbinen riesige Mengen verarbeitet werden. Und das alles mit grünem Ökostrom, der auf Wind-, Solarfarmen oder direkt vor Ort erzeugt werden kann. In der Theorie jedenfalls. „Unser Verfahren wurde speziell entwickelt, um hochgradig skalierbar und kosteneffizient zu sein“, sagt er. „Gleichzeitig hat es minimale bis gar keine Auswirkungen auf das Ökosystem des Ozeans.“ Denn es gebe keine Nebenprodukte – nur das Wasser. Wobei Meeresforscher und Naturschützer dennoch warnen, dass die massive Wasserumwälzung und der Lärm durchaus Nebenwirkungen haben könnten.

Die Hoffnung von Captura, aber auch anderer Firmen und Forschern ist es, dass das eingefangene CO2 nicht zwangsweise irgendwo unter die Erde gepumpt oder in künstlichen Speichern gelagert werden muss. Stattdessen könnte es weiterverwendet werden. Es könne beispielsweise durch die Fischer-Tropsch-Synthese für die Erzeugung von Ölen oder Kraftstoffen eingesetzt werden. Ebenso könne das Kohlenstoffdioxid bei der Herstellung von Kunststoffen und Kohlefaser verwendet werden.

Geld von Elon Musk

Das Team hinter Captura ist von seiner Technologie überzeugt und hat damit 2021 beim von Elon Musk kuratierten X-Prize-Wettbewerb zur Reduktion von CO2 in der Erdatmosphäre eine Förderung von einer Million US-Dollar gewonnen. Mit dieser wurde unter anderem eine Pilotanlage konstruiert, die die grundlegende Funktionsweise beweisen soll. Seit August 2022 arbeitet diese CO2-Filteranlage am Newport Beach in Kalifornien. „Das Pilotsystem ist in der Lage, eine Tonne CO2 pro Jahr abzuscheiden“, sagt Oldham. Der Nachfolger steht schon bereit und soll rund 100-mal größer und leistungsfähiger sein. Noch in diesem Jahr soll er im Hafen von Los Angeles den Betrieb aufnehmen.

Das Pilotsystem ist in der Lage, eine Tonne CO2 pro Jahr abzuscheiden.

Steve Oldham

Wann das erste kommerzielle Captura-Werk einsatzbereit sein wird, da ist sich Oldham noch nicht sicher. Allerdings gebe es schon Gespräche mit potentiellen Kunden und Partnern. Denn natürlich will Captura das CO2 nicht aus reiner Güte aus den Ozeanen filtern, sondern möchte daran verdienen. Für die Handelsplattform Shopify und den Bezahldienstleister Stripe soll Captura etwa carbon removal betreiben. Das würde wohl nicht über eine futuristische Kunstinsel wie auf der Website geschehen, sondern eher über eine aufgegebene Bohrinsel, die zur Filteranlage umgerüstet wird. Derartige Installationen sollen dann bis zu einer Million Tonnen CO2 pro Jahr einfangen. Außerdem könne die Captura-Technologie in bestehende Systeme wie Meerwasserentsalzungsanlagen integriert werden, glauben die Entwickler.

Langfristig will Captura seine Technologie dann lizenzieren, um diese im großen Maßstab weltweit auszurollen. Alleine könne das Unternehmen keinen großen Unterschied machen, räumt Oldham ein. Dafür müssten Milliarden von Tonnen CO2 beseitigt werden. „Keine einzelne Lösung, kein einzelnes Unternehmen kann das alleine schaffen“, sagt er. Daher sei er auch froh, dass es neben Captura auch andere Firmen wie etwa Climeworks, Running Tide oder Brilliant Planet gibt, die andere Prozesse zum carbon capture entwickeln. „Wir alle versuchen, die Welt ein Stück zu retten“, sagt er.

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Captura ist, wie auch andere Start-ups, die versprechen, CO2 einzufangen und damit den Klimawandel zu bremsen, nicht unumstritten. Wie energieeffizient, nachhaltig und nebenwirkungsfrei das Prinzip wirklich ist, lässt sich bislang nicht genau sagen. Außerdem kritisieren Klima- und Umwelt-NGOs wie das Center for Biological Diversity die Finanziers von Captura. Diese kommen unter anderem aus dem Bereich der Öl- und Gasindustrie, zum Beispiel Southern California Gas und Aramco, der saudi-arabische Öl-Gigant. Shaye Wolf vom Center for Biological Diversity sieht in Investitionen in Firmen wie Captura ein potentielles „Ablenkungsmanöver“, das die Öl- und Gasindustrie vorschiebt, um „echte Klimaschutzmaßnahmen“ zu vermeiden.

Nicht wenige Klimawissenschaftler sehen das aktive Entziehen von CO2 zusätzlich zur Vermeidung weiterer Emissionen aber als unumgänglich an. Und damit auch Konzepte, wie sie Captura vorschlägt. Zu massiv sei die Masse an Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre und zu langsam der Kampf gegen den weiteren Ausstoß von Klimagasen. Damit argumentiert natürlich auch Oldham. Die Ozeane seien die besten CO2-Fänger, die es gibt: Sie sind groß, haben sich bewiesen und stehen bereit. Mit Technologien wie Captura könnten noch besser genutzt werden.

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