Von Wolfgang Kerler und Jan Goetz
Es gibt viele Artikel, die versprechen, sie würden Quantencomputer so erklären, dass alle Leser sie einfach verstehen können. Doch bleiben wir realistisch: Das ist kaum möglich, wenn man nicht gerade für eine Physik-Fachzeitschrift schreibt. Quantencomputer sind eben kompliziert. Macht aber nichts. Oder wisst ihr, wie eure Smartphones technisch funktionieren? Wahrscheinlich nicht. Aber ihr wisst, was man damit anstellen kann. Genauso gehen wir die Sache mit den Quantencomputern an.
Wir haben uns vorgenommen, euch bei 1E9 Neuigkeiten aus der Quantenwelt zu liefern. Bevor wir aber damit loslegen, werden wir grundsätzlich. Dieser Einstiegstext beantwortet euch zentrale Fragen: Was können Quantencomputer, was „normale“ Rechner nicht können? Woran hapert es derzeit noch? Und wann können wir mit den ersten Modellen rechnen, die einen wirklichen Mehrwert liefern?
Zum Glück haben wir in der 1E9-Community auch Quantencomputer-Experten, zum Beispiel Jan Goetz, alias @jannemann. Er hat nicht nur einen Doktortitel in Physik, er ist auch Gründer und Chef des finnischen Start-ups IQM, das Hardware für Quantencomputer entwickelt – und von dem wir noch viel hören werden. Er lässt uns an seinem Wissen teilhaben. Legen wir los.
Was können Quantencomputer, was „normale“ Computer nicht können?
Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir eine kleine theoretische Grundlage. Denn Quantencomputer können nur deshalb Dinge, die bisherige Rechner nicht können, weil sie zwei Phänomene ausnutzen. Diese sind nur in der mikroskopisch kleinen Welt der Quanten zu beobachten: die Superposition und die Verschränkung. Keine Sorge! Wenn ihr das nicht komplett versteht, seid ihr in guter Gesellschaft. Selbst Albert Einstein kam einiges davon „spukhaft“ vor.
Die kleinste Speichereinheit traditioneller Computer ist das Bit. Das kann nur zwei Werte annehmen: 0 oder 1. Quantencomputer dagegen operieren mit Quantenbits, kurz Qubits. Diese können nicht nur 0 oder 1 darstellen, sondern auch jeglichen Überlagerungszustand dazwischen. Zumindest so lange wir nicht hinsehen. Man spricht hier von der Quantensuperposition. Hinzu kommt, dass die Zustände einzelner Quanten miteinander verschränkt sein können, obwohl sie räumlich getrennt sind. Auf fast schon magische oder eben „spukhafte“ Weise bleiben sie selbst über große Distanzen verbunden.
So weit, so kompliziert. Entscheidend ist für interessierte Nicht-Physiker der Effekt, der sich aus diesen beiden Phänomenen ergibt: Quantencomputer können dadurch eine viel höhere Rechenleistung erzielen und viel schneller riesige Datenmengen verarbeiten als „herkömmliche“ Rechner. Genau dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten.
„Quantencomputer könnten Probleme lösen, mit denen selbst unsere aktuellen Hochleistungsrechner ziemlich überfordert sind“, erklärt Jan Goetz. Doch was für Probleme könnten das sein? „Sie könnten beispielsweise Simulationen von sehr komplexen Molekülen möglich machen, was die Entwicklung neuer Medikamente deutlich beschleunigen würde.“
Um die Schwierigkeit dahinter zu verdeutlichen, hier ein kleines Beispiel: Ein klassischer Computer bräuchte, um das ziemlich simple Molekül von Penicil zu simulieren, 10 hoch 86 Bits. Besser gesagt: Er bräuchte genauso viele Transistoren, die den Informationsgehalt der Bits speichern. Dummerweise besteht das uns bekannte Universum nur aus etwa 10 hoch 82 Atomen. Der Bau eines solchen Rechners ist also schon deshalb unmöglich, weil wir gar nicht genügend Atome beschaffen könnten. Ein Quantencomputer dagegen könnte das Penicilin-Molekül schon mit etwa 300 Qubits simulieren.
Davon könnte nicht nur die Pharmaindustrie profitieren, sondern auch die Biotechnologie. Erst kürzlich haben wir hier über ein Start-up berichtet, das durch gentechnische Manipulationen Hefezellen dazu bringt, Collagen zu produzieren. Daraus kann Leder im Labor hergestellt werden, ohne dass Tiere sterben müssen. Doch die Suche nach der perfekten Hefezelle dauert Jahre. Unzählige Varianten haben die Entwickler hergestellt und untersucht. Der Grund: Kein klassisch operierender Computer kann die möglichen Varianten der Hefezellen vorab simulieren. Ein Quantencomputer könnte das schaffen und jahrelange, teure Forschung im Labor überflüssig machen.
Jan kann sich noch viele andere Einsatzmöglichkeiten vorstellen: Quantencomputer könnten den Verkehr in Großstädten in Echtzeit überwachen und steuern. Oder die Terminalbelegung an Flughäfen so optimieren, dass Flugzeuge möglichst kurz herumstehen. Oder Design- und Entwicklungsprozesse in der Industrie revolutionieren. Oder die Finanzmärkte durchschauen. Oder einfach nur viel schneller als heutige Rechner riesige Datenbanken durchforsten. Aufgaben, für die aktuelle Supercomputer Jahre brauchen würden, könnten Quantencomputer in Stunden oder sogar Minuten lösen.
Woran hapert es derzeit noch?
Ihr habt es vielleicht schon bemerkt. Das Wort „könnte“ kommt in diesem Text ziemlich häufig vor. Das liegt daran, dass heutige Quantencomputer die erhoffte und theoretisch mögliche Leistung noch nicht bringen. Denn sie arbeiten mit recht wenig Qubits. Die zurzeit vielversprechendste Technologie für die Konstruktion der Prozessoren sind supraleitende Schaltkreise. Hier liegt momentan IBM vorne. Der Konzern stellt der Quanten-Community eine 20 Qubit -Maschine zur Verfügung.
Derzeitige Schätzungen gehen davon aus, dass es mehr als 50 Qubits bräuchte, um die Rechenleistung eines herkömmlichen Supercomputers zu übertreffen. Wo genau die Grenze liegt, ist allerdings schwer zu sagen. Schließlich werden auch Hochleistungsrechner immer besser. Fest steht, dass spätestens ab etwa 100 Qubits kein normaler Rechner mehr mithalten kann.
Doch es gibt da noch ein zweites grundsätzliche Problem: Quantencomputer machen Fehler. Um überhaupt von den Effekten im winzigen Quantenbereich zu profitieren, müssen die Prozessoren im luftleeren Raum stark gekühlt werden. Denn je höher die Temperatur, umso größer die Wechselwirkung der Teilchen mit der Umwelt, umso ungenauer die Ergebnisse. Die Qubits sind extrem scheu und wollen niemals von ihrer Umgebung beobachtet werden. Das würde ihren Zustand zerstören. „Einflüsse von außen machen die Quantenphänomene kaputt“, sagt Jan. „Jede noch so kleine Interaktion mit den Qubits zerstört die Informationen ein bisschen und verschlechtert das Ergebnis. Das ist fundamentale Physik. Wenn ich hingucke, verändere ich.“
Ein Prozessor, mit dem man nicht interagieren kann, bringt aber nicht viel. Wie will man ihm sonst Aufgaben zuweisen oder Ergebnisse abrufen? Dieses Dilemma führt dazu, dass heutige Quantencomputer nur für Mikrosekunden korrekt arbeiten. Nur bessere Hardware, an der auch Jan arbeitet, könnte das ändern.
Außerdem wird es neue Software brauchen, um klassische Hochleistungsrechner vom Thron zu stoßen. „Es gibt zwar diese große Zahl von Problemen, die Quantencomputer theoretisch lösen könnten,“ sagt Jan. „Die Frage zurzeit ist nur: Wie können wir diese Probleme in Quanten-Algorithmen übertragen.“ Das Karlsruhers Start-up Heisenberg Quantum Simulations ist gerade dabei, diese Frage für die Berechnung von Molekülen zu klären. Das junge Unternehmen JoS QUANTUM aus Frankfurt entwickelt Lösungen für den Finanzsektor. Sein Gründer @Markus_Braun ist übrigens auch in der 1E9-Community.
Wann können wir mit den ersten Modellen rechnen, die einen wirklichen Mehrwert liefern?
Bis im größeren Stil Quantencomputer auf dem Markt sind, die sich kommerziell wirklich rechnen, dürfte es mindestens noch fünf, eher zehn oder noch mehr Jahre dauern. Ohnehin geht Jan davon aus, dass hybride Systeme den Anfang machen werden – also Mischungen aus Quanten- und Supercomputern. Er hat auch eine sehr anschauliche Erklärung, was die bringen könnten.
„Stell dir vor, du willst die Nadel in einem Heuhaufen suchen, einem sehr großen Heuhaufen“, fängt er an. „Aber du hast keine Ahnung wo sie sein könnte. Ein normaler Computer müsste jeden einzelnen Halm umdrehen, um die Nadel zu finden. Das dauert sehr lange. Ein Quantencomputer kann den ganzen Haufen gleichzeitig durchsuchen. Zwar wird er sich noch schwer damit tun, den Standort der Nadel ganz genau zu identifizieren. Aber er kann dir zumindest sagen, dass sie hinten rechts in der Scheune versteckt ist. Dort kann dann der klassische Computer weitersuchen.“
Diese Art der hybriden Nadelsuche wird in den nächsten Jahren nur relevant sein, um ganz spezifische Probleme zu lösen. Das dürfte für die Wissenschaft und manche Unternehmen interessant sein, unser alltägliches Leben aber kaum beeinflussen. Bis wir mit Quantenlaptops arbeiten – falls das überhaupt notwendig wird – dürften noch viele, viele Jahre vergehen. Wer Angst hat, dann den Umgang mit Computern völlig neu lernen zu müssen, kann aber beruhigt sein. „Auch in Quantencomputer werde ich irgendetwas hineintippen“, sagt Jan. „Und dann machen sie etwas.“
Ihr wollt mehr über die Welt der Quantencomputer erfahren und wissen, welche Rolle Europa bei der Entwicklung dieser Technologie spielt? Oder ihr wollt in einem Workshop selbst einmal Hand anlegen? Dann kommt am 11. Juli zu 1E9 THE_CONFERENCE, hört euch die Keynote von Jan Goetz von IQM an und nehmt am Workshop von JoS QUANTUM teil.
Teaser-Bild: Getty Images