Während Google oder IBM an universellen Quantencomputern forschen, die vielleicht irgendwann eine Vielzahl von Aufgaben lösen können, arbeitet das finnische Start-up IQM an spezialisierten Quantenrechnern, die schon bald in der Industrie zum Einsatz kommen könnten. Dafür sollen Hardware und Software gemeinsam entwickelt werden – insbesondere in einer neuen IQM-Tochterfirma in München. Für die bayerische Landeshauptstadt sprachen bei der Standortsuche gleich mehrere Faktoren.
Von Wolfgang Kerler
Obwohl Quantencomputer noch weit vom Mainstream entfernt sind, hat sich eine ganz bestimmte Vorstellung davon durchgesetzt, was Quantencomputer sind. Das beobachtet jedenfalls Enrique Solano. „Wenn heute in der Presse und sogar auf Konferenzen von ‚Quantencomputern‘ gesprochen wird“, sagt der Experte, „dann sind fast immer Quantencomputer gemeint, die ganz ähnlich eingesetzt werden können wie unsere heutigen digitalen Computer, nämlich: universell. Man kann auf ihnen alles rechnen.“ Genau genommen handele es sich dabei also um universelle Quantencomputer. „Und das ist genau die Art von Quantencomputern, an denen wir momentan weniger interessiert sind“, ergänzt Solano.
Als international anerkannter Forscher für Quantencomputing, Quantensimulation und künstliche Quantenintelligenz fungierte er als wissenschaftlicher Direktor in Instituten in Bilbao und Shanghai. Jetzt meint er mit „wir“ allerdings das im Juli 2019 gestartete finnische Start-up IQM, dessen neue Tochtergesellschaft in München er als CEO leiten wird. Im Gespräch mit 1E9 erklärt er, warum sich IQM – anders als Google oder IBM – derzeit nicht auf die Entwicklung von universellen Quantencomputern konzentriert, sondern einen anderen Weg geht.
„Aus meiner Sicht könnte es noch ein Jahrhundert dauern, bis wir mit der Architektur, auf die für universelle Quantencomputer gesetzt wird, hilfreiche Anwendungen für Unternehmen oder Nutzer umsetzen können“, sagt er. Dafür brauche man Millionen von Quantenbits, kurz: Qubits. Derzeit hält Googles Quantenchip Sycamore mit 53 Qubits den Rekord. „Doch zum Glück gibt es Alternativen zum Paradigma des universellen Quantencomputers“, meint Solano.
Quantensoftware soll durch die Hardware „atmen“
IQM, das in Finnland bereits drei Dutzend Mitarbeiter hat, setzt für seine Quantenchips auf eine andere Architektur als Google oder IBM – und konzentriert sich für seine Computer auf die Entwicklung von skalierbaren supraleitenden Quantenprozessoren. Am Standort München soll das Hardware-Software-Co-Design vorangetrieben werden. „Das Ziel von IQM ist es, so schnell wie möglich nützliche Quantenalgorithmen zu entwickeln, die auf nützlichen Quantencomputern laufen“, sagt Enrique Solano. „Die Hardware wird dabei nicht einfach ‚blind‘ gestaltet, sondern mit Blick auf die Algorithmen, die darauf laufen sollen. Die Software muss durch die Hardware atmen.“
Denkbar sei es, Hard- und Softwarekombinationen zu entwickeln, die auf spezielle Aufgaben ausgerichtet sind – etwa für die Berechnung von Finanzmarktmodellen oder Molekülstrukturen für Medikamente, auf Prognosen für Autohersteller sowie Modelle für das Wirkstoffdesign, das Materialdesign und vieles mehr. „Wir opfern mit unserem Ansatz die Universalität, könnten aber schneller die Quantenüberlegenheit bei echten Use-Cases für die Industrie erreichen“, meint Solano, der CEO von IQM Germany in München.
Bayern will einen Quantencomputer
Für München als zweiten Standort sprachen aus Sicht von IQM gleich mehrere Gründe, erklärt Jan Goetz, Firmengründer und Chef von IQM in Finnland. „In München gibt es eine sehr starke Community von Quantenwissenschaftlern“, sagt er zu 1E9 – und zählt eine ganze Reihe von Einrichtungen auf, die in relevanten Themenbereichen aktiv sind: das Max-Planck-Institut für Quantenoptik, das Walter-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung der Technischen Universität, verschiedene Lehrstühle der Ludwigs-Maximilians-Universität sowie das Munich Center for Quantum Science and Technology.
„Außerdem sind Deutschland und Europa der größte Markt für Quantencomputer – und München ein zentraler Standort“, ergänzt Jan Goetz. Einige Konzerne, die potenzielle Nutzer von Quantenhardware und -software sind und selbst die Technologie erforschen, haben ihre Zentralen oder entscheidende Zweigstellen in und um München: BMW, Volkswagen oder Airbus, aber auch Versicherungen sowie Google, IBM und Microsoft. Hinzu komme die attraktive Investorenlandschaft in München sowie die hohe Aktivität im Patentwesen, sagt Goetz.
Von besonderer Bedeutung ist für IQM zusätzlich das ebenfalls im Raum München ansässige Leibniz-Rechenzentrum, kurz: LRZ, das auch in der High-Tech-Agenda der bayerischen Staatsregierung eine wichtige Rolle spielt. Als Ministerpräsident Markus Söder, CSU, im Oktober 2019 die Pläne vorstellte, sagte er über das LRZ, in dem mit dem SuperMUC einer der stärksten Supercomputer der Welt steht: „Das ist unsere IT-Kathedrale!“ Das LRZ solle zum Mittelpunkt des bayerischen Quantennetzwerks werden, in das der Freistaat insgesamt 70 Millionen Euro investieren will – auch, um den ersten bayerischen Quantencomputer zu planen. „Der Quantencomputer ist der Supercomputer der Zukunft“, so Söder.
Dass Bayern Pläne für einen eigenen Quantencomputer am LRZ hat, passt zur Strategie von IQM. „Wir wollen Quantencomputer als Komplettsysteme verkaufen“, sagt Jan Goetz. „Wir entwickeln Computer, die vor Ort stehen können und auf die sowohl die Wissenschaftscommunity als auch die Industrie zugreifen kann.“
Du willst wissen, wie Quantencomputer funktionieren und was sie möglicherweise besser können als klassische Rechner? Dann findest du hier mehr Informationen. Dich interessiert, was es mit der „Quantenüberlegenheit“ auf sich hat – und wo die Entwicklung derzeit steht? Kein Problem, auch dazu haben wir weitere Informationen.
Titelbild: Der Quantencomputer von IQM, IQM