„In Zukunft werden wir unterschiedliche Computing-Methoden nebeneinander nutzen“

Mehr als 400 Teilnehmende von 135 Forschungsinstituten oder Unternehmen, 106 Präsentations-Poster und jede Menge Diskussionen, Vorträge, Workshops: Anfang September fand im Forschungszentrum Garching die Superconducting Qubits and Algorithms (SQA) statt. Diese Konferenz präsentiert Hard- und Software, Tools und viele Möglichkeiten für das Quantencomputing auf Basis von Supraleiter-Technologien und zeigt, dass diese allmählich im Alltag von Forschung und Unternehmen ankommt. „Schön zu sehen, dass sehr viele, sehr schlaue Köpfe gemeinsam an einem Ziel arbeiten, das schätze ich sehr“, sagt Jan Goetz im Interview. Er ist Mitgründer des finnisch-deutschen Startups IQM Quantum Computers, setzt auf ganzheitliches Wissen rund um das Computing der Zukunft und bei der Optimierung auf Co-Design.

Warum brauchen wir die Superconducting Qubits and Algorithms Conference?
Dr. Jan Goetz: Das Quantencomputing ist relativ jung, allmählich entwickelt sich eine Industrie. Daher ist es wichtig, dass sich Startups, Tech-Unternehmen, Rechenzentren sowie Forschende und Wissenschaft intensiv austauschen. So können wir die Technologie beschleunigen. Der Quantenvorteil ist noch nicht bewiesen, dazu braucht es noch große Anstrengungen. Die SQA bietet eine Plattform auf fachlichem Niveau. Schön zu sehen, dass sehr viele, sehr schlaue Köpfe gemeinsam an einem Ziel arbeiten, das schätze ich sehr. An der SQA nehmen viele Wettbewerber teil und reden offen miteinander. Wir brauchen diesen Austausch. Letztes Jahr fand die SQA in Helsinki statt, dieses Mal in München, nächstes Jahr wird die SQA in Delft organisiert, wo es ebenfalls ein lebendiges Entwicklungszentrum für Quantentechnologien gibt.

Das Themenspektrum der SQA ist ganz schön breit.
Goetz: Wir diskutieren hier über den ganzen Computing Stack, also angefangen bei der Hardware, über verschiedene Layer, die Qualität von Qubits bis hin zur Software und zu Algorithmen. In diesem Stadium brauchen wir ganzheitliches Wissen, um Ideen und Entwicklungen verzahnen und die Performance von Technik verbessern zu können.

IQM entwickelt Prozessoren – Sie müssten doch vor allem an Hardware interessiert sein.
Goetz: Wir verstehen uns als Full Stack Provider von Quantencomputern und Software. Die Frage ist aber, was wir dafür selbst entwickeln und welche Komponenten wir integrieren. Die Kernkompetenz von IQM liegt klar bei Prozessoren, aber wir sehen, dass wir im Co-Design und in Partnerschaften noch mehr Leistung rausholen, etwa wenn Algorithmen auf Prozessoren abgestimmt werden und umgekehrt. Darum sind wir in fast allen Bereichen des Quantencomputings aktiv, im Münchner Team verfügen wir über viel Expertise auf der Algorithmus- und Anwendungsseite. In der Frühphase einer neuen Technologie sollten Unternehmen ganzheitliches Wissen aufbauen – wir sind noch nicht so weit wie die Halbleiterindustrie, die sich ausdifferenziert hat.

Was beschäftigt die Community?
Goetz: Wer auf supraleitende Technologien setzt, arbeitet seine Entwicklungs-Roadmap ab. Das ist nicht überraschend, aber wichtig. Durch konstanten Fortschritt kann das Ökosystem Vertrauen aufbauen. Klassische Chiphersteller legen alle zwölf, 18 Monate eine neue Prozessoren-Generation vor, das schaffen wir im Prinzip auch schon. Bei IQM haben wir mit 5 Qubits auf einem Chip angefangen, jetzt laufen auch bei Wettbewerbern Prozessoren mit 20 Qubits, überall wird an 54 Qubits gearbeitet und werden Prozessoren mit mehr als 100 Qubits vorbereitet. Diese Schritte zeigen, dass die Anzahl der Qubits sowie deren Qualität zu steigern ist, und das ist wiederum für sinnvolle Algorithmen notwendig. Auf Algorithmus-Seite wird sichtbar, dass mathematische Tricks und Codierung die Perfomance der Prozessoren verbessern können. So entstehen jetzt erste Chips, die stark genug für sinnvolle Anwendungen sind. Das alles stimmt zuversichtlich.

Welche Vorteile bietet die Supraleiter-Technologie im Vergleich zu anderen Verfahren?
Goetz: Sie funktioniert, wir können damit Quantencomputing verfügbar machen und als Proof of Concept erste Anwendungen laufen lassen. Weitere Technologien wie etwa Ionenfallen funktionieren ebenfalls, andere noch nicht. Die Supraleiter-Technologien beruhen auf Herstellungsweisen, die aus der Halbleiterindustrie bekannt sind und die sich sehr schön auf die Produktion von Qubits übertragen lassen. Diese müssen zwar stark heruntergekühlt werden, aber heute ist das kein Problem mehr, für die notwendigen Kältemaschinen gibt es Anbieterfirmen. Klar - Kühlung braucht Energie, allerdings arbeiten Quantencomputer im Bereich High Performance Computing mit Großrechnern wie sie beispielsweise das Leibniz-Rechenzentrum für die Wissenschaft betreibt. Beim HPC arbeitet man im Megawattbereich – ein Kryostat verbraucht dagegen in der Regel ein paar Kilowatt und liegt daher weit unter der Stromaufnahme dieser großen Rechneranlagen.

IQM Quantum Computers arbeitet für die Entwicklung von Quantenprozessoren eng mit Wissenschaft und Forschung, etwa mit der TUM oder dem Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) zusammen: Warum?
Goetz: Die Zusammenarbeit bringt extrem viel. Um stärkere oder bessere Quantencomputer zu bauen, müssen Technologien und Prozessoren weiterentwickelt und optimiert werden. Dabei hilft Wissenstransfer – mit akademischen Partner:innen bringen wir Forschungsergebnisse in Wirtschaft und Unternehmen. Mit dem LRZ sind wir eine besonders starke Innovationspartnerschaft eingegangen, um hybride Systeme zu entwickeln, in denen Quantencomputer ins HPC eingebunden sind. Dabei wollen wir gemeinsam herausfinden, wie ein Quanten- mit einem Supercomputer zusammenarbeitet, welche Schnittstellen nötig sind, um die Technologien zu integrieren oder wie sich dadurch Software verändert, eventuell auch die Hardware oder Prozessoren. Dafür müssen wir Technologien und Abläufe ausprobieren, Quantencomputer liefen bislang weitgehend in Laboren, wo andere Bedingungen herrschen als in einem Hoch- und Höchstleistungsrechenzentrum. Die Partnerschaft mit dem LRZ ist außerdem wichtig, weil sie uns erste Schritte auf den Markt ermöglichte – Forschende können bald nutzen, was wir entwickeln. Für diesen Zugang sorgt das LRZ. Das ist Pionierarbeit, die wir zusammen leisten.

spark
IQM Spark enthält Prozessoren mit 5 und 10 Qubits, ist gedacht als Quantensystem für Ausbildung und erste Forschungsaufgaben und ist dre erste Quantencomputer, der weniger als 1 Million Euro kostet.

Wie sieht die Zukunft aus – werden wir einmal eigenständige Quantencomputer nutzen oder braucht das Quantencomputing die klassische Technik?
Goetz: Meiner Meinung nach braucht es immer beides. Quantencomputing ist ja nicht bei allen Problemen der Welt oder Rechenoperationen effizienter, sondern nur bei gewissen komplexen Fragen, die man mathematisch klassifizieren kann und die beschleunigt werden können. Weil die Prozessoren noch keinen großen Datendurchsatz erlauben und es noch keine funktionierenden, stabilen Speicher dafür gibt, eignen sich Quantencomputer zumindest heute noch nicht für Aufgaben rund um die Verarbeitung und Analyse von Big Data. Fürs reine Rechnen, also um Zahlen zu knacken oder um Daten vorzubereiten, brauchen wir Supercomputer. Kristallisieren sich so die eigentlichen Probleme heraus, etwa komplexere Rechnungen oder Strukturen, kann der Quantencomputer als eine Art Beschleuniger zugeschaltet werden.

Also nutzen wir Quantencomputing ähnlich wie Künstliche Intelligenz (KI) als Accelerator?
Goetz: Wie KI bietet uns das Quantencomputing außerdem neue Computingmethoden, man kann damit extrem komplexe Rechenprobleme besser lösen. Fürs Quantencomputing wird nichts trainiert, da wird ad hoc gerechnet. KI ermöglicht fundamental andere Verfahren zur Datenverarbeitung, die auf Statistik und Modellen basieren, mit deren Hilfe Systeme trainiert werden. KI und Quantencomputer können sehr gut zusammenspielen. Denkbar ist ein klassisches Computersystem mit integrierter KI und daneben ein Quantencomputer, Teile eines Problems können wechselseitig auf der einen oder anderen Seite gelöst werden. In Zukunft werden wir unterschiedliche Computing-Methoden nebeneinander nutzen.

IQM stabilisiert 5, 20 oder 54 Qubits auf einem Prozessor, IBM setzt ebenfalls auf Supraleiter-Technologie, schafft schon weit über 400 Qubits und will bis Ende 2024 die 1000-Qubits-Marke knacken: Ist diese Konkurrenz zu groß?
Goetz: Das sind verschiedene Vorgehensweisen. IQM fokussiert sehr stark auf die Qualität der Qubits. Natürlich braucht man fürs Quantencomputing eine gewisse Grundzahl an Qubits – kann man aber mit denen keine ausreichende Qualität in den Rechenoperationen herstellen, bringt die Zahl gar nichts. Ein Prozessor mit vielen Qubits hat keinen Vorteil, wenn Informationen nicht ohne Fehler transportiert werden können. Stimmt die Qualität nicht, sind die meisten Qubits schon wieder verfallen, bis die Information beim letzten Qubit angekommen ist. Darum setzen wir darauf, ein sehr ausgewogenes Verhältnis aus Anzahl und Qualität zu schaffen, so dass man die Prozesse komplett nutzen und die aus wissenschaftlicher Sicht interessanten Algorithmen laufen lassen kann.

Trotzdem scheinen Unternehmen aus Asien und den USA weiter zu sein im Quantencomputing als Deutschland und Europa – verlieren wir wieder den Anschluss?
Goetz: Wir sind nicht hintendran. Der Wettbewerb weltweit ist sehr stark, bekannte Unternehmen aus Amerika und Asien sind dabei. Aber in Sachen Qualität und Stabilität der Qubits ist das Rennen noch lange nicht entschieden, dazu müssen wir noch viele Entwicklungsschritte machen. Dabei kommt es auch auf Tempo und Effizienz an, Disziplinen, in denen Startups oft agiler sind als große Unternehmen. Für IQM gesprochen haben wir ein bisschen später angefangen als viele unserer Wettbewerber, in den USA ging es früher los mit der Entwicklung des Quantencomputings. Aber obwohl wir in Europa später eingestiegen sind, halten wir mit, von der Entwicklungsgeschwindigkeit liegen wir mindestens gleich auf, wenn wir nicht sogar besser sind. Insofern ist Europa sehr gut aufgestellt.

Was sind die nächsten Pläne von IQM?
Goetz: Wir nehmen gerade die nächste Generation von Prozessoren mit 100 Qubits und mehr in Angriff, versuchen gleichzeitig, die 54-Qubit-Chips in Rechenzentren wie dem LRZ und anderen in Betrieb zu nehmen, damit die Forschungs-Community davon profitieren kann. Diese Systeme nennen wir Flagship-Systeme, mit ihnen sind wir im Wettbewerb ganz vorne dabei. Gerade haben wir IQM Spark gestartet, die Vermarktung von Education Systemen mit unseren 5 Qubits-Prozessoren zu einem erschwinglichen Preis. Diese sind bestimmt für Universitäten, Forschungs- und Ausbildungszentren, auf ihnen können erste Proof of Concept-Algorithmen laufen. Wir sollten schließlich auch an die die Quantenspezialist:innen von Morgen denken.

Und welche Unternehmen kaufen jetzt schon Quantencomputer?
Goetz: Mit Unternehmen arbeiten wir zurzeit eher auf Basis von Anwendungspartnerschaften zusammen. Sie haben ihre Use Cases, etwa die Simulation physikalischer, oft auch chemischer Prozesse, die Batterieentwicklung, die Entwicklung neuer Medikamente oder Optimierungsprobleme, auch Differenzial-Gleichungen, die man überall in der Industrie braucht. Die meisten Branchen wollen jetzt Quantencomputer austesten und bereiten sich auf die Zukunftstechnologie vor. Noch werden Quantencomputer nicht im großen Stil angeschafft. (Interview: vs/LRZ)

Die Streams von Vorträgen während der SQA finden sich hier: https://www.youtube.com/@sqaconference/streams

Jan
Dr. Jan Goetz ist Mitgründer von IQM Quantum Computers. Er promovierte in München und leitet den deutschen Standort des Startups

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