Leder ohne tote Tiere: Gentechnik und Hefe sollen es möglich machen

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Nicht nur Fleisch könnte in Zukunft aus dem Reagenzglas kommen, sondern auch Leder. Daran arbeitet das amerikanische Biotech-Unternehmen Modern Meadow. Mithilfe von Gentechnik will es grausame Tierhaltung und schmutzige Gerbereien überflüssig machen.

Von Wolfgang Kerler

Die Kleinstadt Nutley ist nur eine halbe Stunde von den Luxusboutiquen der 5th Avenue in New York City entfernt. Doch nach Prada, Gucci oder Louis Vuitton sieht das Gewerbegebiet nicht aus, in dem sich Modern Meadow niedergelassen hat. Muss es auch nicht. In dem nüchternen Gebäude aus Beton und Glas arbeiten schließlich keine abgefahrenen Kreativen an der Mode der Zukunft, sondern ein Forscherteam in dunklen Kitteln.

David Williamson, genannt Dave, gibt eine Tour durch die Labore des Biotech-Start-ups. Er ist Chef-Techniker Firma, die vor gut sieben Jahren gegründet wurde. Gleich im ersten Raum, der voller Reagenzgläser und technischem Equipment ist, passiert Entscheidendes: „Hier entwickeln wir unsere Hefezellen“, sagt Dave. „Wir haben DNA-Sequenzen von Kühen synthetisch nachgebaut und diese ins Genom von Hefezellen eingesetzt. Damit bringen wir sie dazu, Kollagen zu produzieren.“

Genau deshalb ist das von Modern Meadow entwickelte Verfahren ein echter Durchbruch. Denn das Protein Kollagen ist der entscheidende Bestandteil des Bindegewebes in der Haut von Menschen und Tieren. Ohne Kollagen gäbe es überhaupt kein Leder. Seine Moleküle, die sich zu einem dreidimensionalen Geflecht verbinden, sorgen für seine charakteristischen Eigenschaften, zum Beispiel die Strapazierfähigkeit.

Hefezelle ist nicht gleich Hefezelle

Mit CRISPR, also der „Gen-Schere“, und anderen Techniken der Genmanipulation verfeinert Modern Meadow seine Super-Hefe immer weiter. „Die genauen Eigenschaften des Kollagens, das am Ende herauskommt, hängen von winzigen Veränderungen in der Zelle ab“, sagt Dave. An die tausend verschiedene Varianten der genmanipulierten Hefe screent sein Team jede Woche. Diese sind zwar zu gut 99 Prozent identisch, aber eben nicht zu 100 Prozent. „Wir suchen immer noch nach der Hefezelle, die das ideale Ergebnis liefert.“

Nach der komplizierten Gentechnik folgt der etwas einfachere Part: die Gärung. Den Raum dafür würde man auch ohne Wegbeschreibung finden. Denn er verströmt den angenehm süßen Geruch einer Bäckerei. Für Dave eine Selbstverständlichkeit. „Wir vermehren schließlich Hefe.“ Eine ganze Reihe von gläsernen Bioreaktoren sind auf Laborarbeitsplatten aufgestellt. „Es ist fast wie beim Bierbrauen“, sagt Dave. Die Hefe wird warmgehalten, mit Zucker, Vitaminen und anderen Zutaten gefüttert – und dann vermehrt sie sich und produziert Kollagen.

Noch ist es nur ein Versuchslabor. Doch Modern Meadow arbeitet mit dem deutschen Chemie-Konzern Evonik zusammen, um eine industrielle Produktionsanlage aufzustellen. „Wir sprechen von 50.000 Litern“, sagt Dave. „Es wird echt groß.“

Kollagen + Geheimzutaten = lederartiges Biomaterial

In den Bioreaktoren verzwanzigfachen sich die Hefezellen und werden zu einer zähen Masse. Dann, gut sieben Tagen nach ihrer Kreation im Reagenzglas, endet ihr Lebenszyklus. Die Zellen werden aufgebrochen und das Kollagen von den übrigen Bestandteilen getrennt. Es folgt der Arbeitsschritt, über den Modern Meadow am wenigsten verraten will – außer, dass er eine weitere Woche dauert. „Sonst kann ich leider keine Details nennen“, sagt Dave. Wie aus dem reinen Protein, stabile Fasern und schließlich das fertige Biomaterial wird, bleibt ein Betriebsgeheimnis.

Das Endprodukt, von dem bisher nur kleine Probemuster gezeigt wurden, sieht sehr ähnlich aus wie Leder, fühlt sich sehr ähnlich an wie Leder und riecht fast wie Leder. Doch Modern Meadow nennt es nicht Leder, sondern hat einen eigenen Namen dafür erfunden: Zoa. Warum? Das erklärt Andras Forgacs, der Chef und Gründer des Start-ups: „Zoa hat die Eigenschaften, die wir an Leder so lieben, lässt sich aber wesentlich vielseitiger einsetzen.“

Die Idee einer Lederjacke oder einer Handtasche aus Zoa reizt ihn deswegen gar nicht. „Wir sind nicht durch die Maße von Tieren eingeschränkt, wir brauchen viel weniger Nähte, wir können Zoa dicker, dünner oder sogar in flüssiger Form herstellen“, sagt Andras. Dadurch seien neue Designs, neue Formen und neue Applikationen möglich. Kurzum: Innovation. Das erste Kleidungsstück mit Zoa-Bestandteilen war dann auch ein futuristisches, schwarz-weißes T-Shirt, das im Museum of Modern Art in New York ausgestellt wurde.

Bis Zoa in den Schaufenstern landet, dauert es noch

In nur zwei Wochen macht Modern Meadow mit einfachen Hefezellen ein vielseitig einsetzbares, lederartiges Material – ganz ohne tote Tiere, aggressive Chemikalien zum Gerben oder menschenverachtende Arbeitsbedingungen. Der Haken: Bisher funktioniert das nur unter Laborbedingungen. Die Produktion in größeren Mengen verzögert sich.

Ursprünglich sollte Zoa 2018 in die Läden kommen. Jetzt gibt Andras vage an, es werde „in den nächsten ein oder zwei Jahren“ soweit sein. Gespräche mit Luxus-Modemarken, aber auch Firmen aus anderen Branchen liefen aber schon. „Unsere Vision ist es, die Welt der Materialien umzukrempeln“, sagt Andras. „Wir wollen die Stärken der Natur nutzen, um neue Designs zu ermöglichen, und den Planeten gesünder zu machen.“

Was meint ihr? Kann Leder aus dem Reagenzglas ein Beitrag sein, um Tierleid zu verhindern? Oder wäre es schlauer, gleich ganz auf umweltfreundlichere Materialien umzusteigen?

Teaser-Bild: Sara Kinney/Modern Meadows

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Nun ich denke es ist eine Frage ob man das „echte“ Leder braucht oder nicht… Wieso soll man Tiere töten? Wieso nicht Stoffe benutzen die zwar syntetisch hergestellt wurden aber prakitscher sind? Es ist einfach so, dass der Mensch oft ein Statussymbol haben möchte und „echtes“ Leder ist ein solches.

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Sehen durfte ich den gesamten Bereich leider gar nicht, wo aus dem Biomaterial das Kollagen extrahiert wird. Die Entsorgung wird - vermutlich - genauso ablaufen wie bei echtem Leder, vermute ich, da die Materialien ähnlich sind.

Auf die Nahrungskette sollte das ganze keine Auswirkungen haben. Modern Meadows hat zuerst an Laborfleisch gearbeitet, aber sich dann bewusst dagegen entschieden, da Nahrung in Verbindung mit Gentechnik gesellschaftlich höchst umstritten ist.

Sollten die Informationen, die ich vor Ort bekommen habe, stimmen, arbeiten sie nicht mit gefährlichen Chemikalien oder Ähnlichem, sondern mit gentechnischen Verfahren. Das Material bleibt aber Hefe. Insofern sollte zumindest kein Giftmüll entstehen. Aber wie gesagt: Sehen durfte ich die Bereiche leider nicht. Werde aber versuchen, am Thema dran zu bleiben!

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Ah, sorry, dann hab ich das falsch verstanden. Ist eine gute Frage. Hab ich notiert, eine Antwort habe ich nämlich leider noch nicht darauf. Werde nachfragen!