Quantencomputer: Von der Zukunftsmusik zum Alltagsrhythmus


Kryostat am LRZ.Foto: V. Hohenegger

Wie das Leibniz-Rechenzentrum das Quantencomputing orchestriert und in den Alltag von Wissenschaft und Forschung bringt.

Im Sommer 2022 wurde der erste Kryostat im Quanten Integrations Centre (QIC) des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) installiert. Viele der Ehrengäste, die zur 60-Jahr-Feier des LRZ gekommen waren, wollten wie Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume einen Blick auf das golden glänzende Gerät und damit auf die Zukunft der Computertechnik werfen. Kryostate unterstützen das Quantencomputing und kühlen die in ihnen enthaltenen Quantenprozessoren. Der erste Quantenprozessor (Quantum Processing Unit, QPU) auf Basis von supraleitender Technologie ist im LRZ eingetroffen und steht für Experimente und Tests bereit. Dem Ziel, Quantencomputing in den Alltag von Wissenschaft und Forschung zu bringen, ist das LRZ ein großes Stück nähergekommen: „Wir haben uns zunächst mit der neuen Technologie vertraut gemacht und Wissen für ihren Betrieb gesammelt“, berichtet Prof. Dieter Kranzlmüller, Leiter des LRZ. „2023 wird das Jahr der Informatik-Forschung und Entwicklungen zum Quantencomputing werden.“ Gemeinsam mit Partnern aus dem Munich Quantum Valley (MQV), Universitäten und weiteren Forschungsinstituten wird das LRZ Hardware und Komponenten, Software und Anwendungen für die neue Technologie realisieren und eine Infrastruktur für dessen Nutzung aufbauen. Dabei auch auf der Agenda: die Integration von Quantenprozessoren in Supercomputer.

Einzug der Systeme

In den nächsten Monaten wird ein weiterer Kryostat ans LRZ geliefert und installiert. Im Rahmen von Projekt Q-Exa, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), wird dieser den ersten Quantendemonstrator Deutschlands mit 20 Qubits aufnehmen, der Forschenden Anfang 2024 zur Verfügung stehen wird. Darüber hinaus läuft gerade eine Ausschreibung für ein drittes, nicht supraleitendes System, für das QIC. Nicht zuletzt wird gerade noch das Quantensystem des EuroHPC Joint Undertaking vorbereitet, das mittelfristig am LRZ installiert wird. Einige der Systeme werden zunächst exklusiv für die Forschung von Projektpartnern zur Verfügung stehen und für intensive Entwicklungsarbeiten genutzt, etwa zur Erstellung von Systemsoftware und Applikationen sowie zur Integration von Quantenprozessoren als Beschleuniger der aktuellen und künftigen Supercomputer des LRZ. Die Q-Exa- und die kommenden Euro-Q-Exa-Systeme werden als Arbeitspferde für Forschende in den Bereichen Quanten- und High-Performance Computing (HPC) konzipiert, wobei die aus dem F&E-Programm gewonnenen Methoden und Werkzeuge in den Produktionssystemen zum Einsatz kommen. Begleitet werden diese Aufgaben von der Erkundung und Evaluierung neuer Quantentechnologien. Ziel dabei ist, das Angebot stetig zu erweitern und zu ergänzen. Vom Testbed bis zum Betriebssystem – mit dieser Vielfalt kann das LRZ und das Team Quantencomputing und -Technologien (QCT) ein breites Serviceangebot für Forschende aus vielen Disziplinen und mit unterschiedlichen Arbeitsweisen entwickeln. Während die physikalischen Quantensysteme installiert und in Betrieb genommen werden, entwickelt das Team parallel die Zugangsmöglichkeiten zu den Systemen. Ein Tool ist das Bavarian Quantum Portal (BQP). Damit können Nutzer:innen flexibel auf mehrere Arten von Systemen zugreifen. Neben Hardware macht BQP auch Simulatoren, etwa die Atos Quantum Learning Machine (QLM) zugänglich, außerdem verschiedene bekannte Frameworks wie QisKit oder Cirq. BQP soll so diverse Technologien einfach und komfortabel für eine diverse Forschungscommunity bereitstellen.

Bessere Ergebnisse durch Verschränkung von Projektarbeit

„Unsere Strategie, Projekt- und Förderanträge so auszuwählen und zu strukturieren, dass sie aufeinander aufbauen und parallel arbeiten, hat sich im vergangenen Jahr bestätigt“, sagt Laura Schulz, Leiterin QCT am LRZ. „Das hat uns geholfen, Kräfte zu bündeln und unsere Ziele zu beschleunigen.“ Das LRZ hat sich an fast einem Dutzend Ausschreibungen und Initiativen beteiligt, die auf den Ausbau des Quantencomputings in Bayern, Deutschland und Europa fokussieren. Die meisten Projekte zielen darauf ab, in Partnerschaften eine Infrastruktur für den einfachen Zugang zur Zukunftstechnologie aufzubauen, Komponenten, Betriebssoftware und Anwendungen zu entwickeln und das Quanten- in das Supercomputing zu integrieren. „Nach den ersten Vorarbeiten konzentrieren wir uns jetzt auf die Anbindung und die Integration ins HPC“, so Schulz weiter. „Wir arbeiten gerade daran, die erste Quanteneinheit für den LRZ-Supercomputer zugänglich zu machen, und wir experimentieren mit Möglichkeiten, Quantenprozessoren tiefer mit HPC-Ressourcen zu verzahnen. Die Idee dabei ist, die Fähigkeiten von Quantenprozessoren als Beschleuniger beim Aufbau der nächsten Hochleistungsrechner voll auszuschöpfen.“ Dreh- und Angelpunkt der Aktivitäten des LRZ sind das Munich Quantum Valley (MQV) und die BMBF-Projekte DAQC sowie „Extending Quantum Computing through Exascale HPC“ (Q-Exa). Mit DAQC förderte das BMBF die Anschaffung eines ersten Quantenprozessors und den Startschuss für die Entwicklung eines Hybridsystems. Dieses System ist die Keimzelle für den Aufbau des Quantenprogramms am LRZ und für die Vorbereitung von Q-Exa, einem größeren Quantendemonstrator, der für die Forschung zur Verfügung gestellt und enger mit dem nächsten am LRZ geplanten Supercomputer verzahnt werden soll. Die Erfahrungen aus beiden Projekten fließen wiederum in die Vorbereitungen für einen europäischen Quantencomputer ein, den das LRZ im Auftrag des European HPC Joint Undertaking (EuroHPC-JU) hosten und betreiben wird. Das bayerische Quantenportal wird ebenfalls mit Blick auf europäische Bedürfnisse konzipiert und arbeitet mit anderen, in Entwicklung befindlichen Zugangsportalen in Europa zusammen.

Ausbildung und Training gehören zum LRZ-Programm

In Zusammenarbeit mit dem MQV wird das LRZ in nationalen und europäischen Partnerschaften seinen Beitrag zur Entwicklung von Betriebs- und Anwendungssoftware leisten. Mit der BAdW-Schwester, dem Walther-Meissner-Institut in Garching, verfügt das LRZ außerdem über eine Partnerin in unmittelbarer Nachbarschaft, die weltweit anerkannt ist im Bereich Tiefentemperaturkühlung und Quantensysteme. Neu im Portfolio des LRZ sind die europäischen Projekte OpenSuperQPlus und Millenion. Beide zielen auf die Entwicklung von Quantentechnologien und -Software mit Prozessoren in bahnbrechenden Größenordnungen. Alle Akquisitionen und Projekte des LRZ konzentrieren sich auf die Nutzung, in enger Zusammenarbeit mit Anwender:innen und Forscher:innen erarbeitet das Rechenzentrum Grundlagen fürs Quantencomputing. Im Rahmen von MQV- und BMBF-Projekten kooperiert das LRZ bei der Realisierung von Software und Applikationen etwa mit dem Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme (IKS) in München. Dr. Jeanette Lorenz, die dort die Abteilung „Quantum Enhanced AI“ leitet, und ihr Team liefern bereits Anwendungsfälle und Bedarfsanforderungen für Software aus ihrer Community. „Solche Partnerschaften helfen uns, die Bedürfnisse und Probleme der Nutzer zu identifizieren und zu priorisieren, worauf wir Technologie und Software weiter anpassen und optimieren können“, beschreibt Dr. Luigi Iapichino, Leiter des Teams User Enablement and Applications im QCT, die Synergieeffekte. Auch die Ausbildung künftiger Quanten- und Hybridspezialisten steht auf der Agenda des LRZ: Bis Ende 2023 wird das QCT-Team auf rund 40 Mitarbeitende wachsen. Zusammen mit bayerischen Hochschulen, mit der Technischen Hochschule Deggendorf, außerdem mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) qualifiziert das QCT-Team Spezialist:innen fürs Quanten- und fürs hybride HPCQ-Computing: „Als führendes Supercomputing-Zentrum sehen wir Ausbildung als eine Verpflichtung, außerdem mögen wir es, junge Leute im Umgang mit und für die Nutzung von Zukunftstechnologien zu trainieren,“ sagt Kranzlmüller. „Wir sind beeindruckt vom Engagement und Wissen der Kandidat:innen. So gesehen haben Quantencomputing und integriertes HPCQC eine große Zukunft vor sich.“

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