Vor zehn Jahren ist Satoshi Nakamoto abgetaucht. Seitdem rätselt die Welt, wer der mysteriöse Erfinder von Bitcoin sein könnte und wie er wohl beurteilt, was aus seiner Kryptowährung und der Blockchain erwachsen ist. Theorien, wer das Gesicht hinter Bitcoin ist, gibt es viele. Dass es jemals Gewissheit geben wird, ist aber unwahrscheinlich.
Von Michael Förtsch
Es war eine ebenso klare wie kurze E-Mail, die Satoshi Nakamoto am 26. April 2011 an seine virtuellen Freunde und digitalen Mitstreiter sendete. Er schrieb, dass er sich nach mehreren Jahren nun „anderen Projekten“ zuwenden wolle. Es war eines der letzten Lebenszeichen, das es von Satoshi Nakamoto gibt. Er gab die Weiterentwicklung von und die Hoheit über Bitcoin damit komplett an diejenigen ab, die die Kryptowährung schätzten und ihr Weiterbestehen richtig und wichtig fanden. Er entfernte sogar sein Pseudonym aus der Bitcoin-Software bevor er ging. Einige waren bestürzt, dass das „ genious mastermind behind Bitcoin “ einfach so verschwinden wollte.
Was Nakamoto getan hatte, war schließlich nicht weniger, als Geld neu zu denken – und damit einen Weg aufzuzeigen, mit dem diejenigen entmachtet werden könnten, die die Welt im Jahr 2008 in eine erschütternde Finanzkrise gestürzt hatten. Satoshi Nakamoto war nach Meinung seiner Anhänger ein selbstloser und machtvoller Geist, der mit Bitcoin eine Blaupause für eine selbstbestimmte und futuristische Zukunft skizzierte.
Andere waren froh über den Abschied. Nicht wenige Mitglieder der zu dieser Zeit noch homogenen Bitcoin-Gemeinschaft aus Cypherpunks, IT-Entwicklern und Nerds sahen Satoshi Nakamoto als selbstherrlichen Diktator, der sich nur im offiziellen Bitcoin Forum – bis heute der zentrale Debattenraum zu Bitcoin – blicken ließ, wenn es ihm passte. Dessen Ansichten oft unklar und Abneigung gegen einen „kollaborativen Entwicklungsansatz“ aus ihrer Sicht schädlich für das „höhere Gut“ waren – wie immer das auch aussehen mochte. Bereits 2010, ein Jahr nachdem offiziellen Start von Bitcoin, gab es Mitglieder, die Satoshi Nakamoto vorwarfen, er würde das wahre Potential seiner Schöpfung nicht erkennen oder erkennen wollen.
[Bitcoin] ist eher wie ein Gehirn, in dem ein einzelner Mensch nur eine Zelle ist.
Andere drohten ganz offen, Bitcoin einfach zu forken – also, eine Kopie abzuspalten – und ohne ihn weiterzuentwickeln, falls er sich nicht einreihen würde. Bitcoin als Projekt sei „wie ein Gehirn, in dem ein einzelner Mensch nur eine Zelle ist“, schrieb ein Nutzer des Bitcoin Forum. Satoshi Nakamoto und seine Meinung sei also weder mehr, noch weniger wert als die jedes anderen. So mancher, der sich in diesen Tagen im Bitcoin Forum herumtrieb, die Entwicklung und Ausbreitung von Bitcoin verfolgte, glaubt, dass es diese Gedanken waren, die Satoshi Nakamoto dazu bewegten, Bitcoin und die Community sich selbst zu überlassen. Sei es, weil er glaubte, dass etwas Wahres dran ist. Oder einfach, weil er sich brüskiert und nicht geschätzt fühlte.
Wieso auch immer. Er war weg.
Wertvoll und befreiend?
Seit dem 26. April 2011 hat sich vieles getan. War ein Bitcoin Ende April 2011 nur knapp zwei Euro wert, liegt der Preis heute [Stand 5. Mai 2021] bei seinerzeit unvorstellbaren 46.500 Euro. Bezahlt wird mit Bitcoin eher selten. Vielmehr werden Bitcoin in der Erwartung, dass sie noch weiter im Wert steigen, als dauerhafte Wertanlage oder zumindest als Spekulationsobjekt gekauft und in virtuellen Brieftauschen oder Krypto-Börsen wie Coinbase, Kraken und Binance verwahrt. Zahlreich sind mittlerweile die Geschichten von Menschen, die vor Jahren etwa 10.000 Bitcoin für zwei Pizzen bezahlten, Bitcoin einfach freigiebig verschenkten oder ihre digitale Brieftasche verloren, die Bitcoin im heutigen Wert von mehreren Millionen Euro enthielt.
Jedoch ist Bitcoin bei weitem nicht mehr die einzige Kryptowährung. Ganz und gar nicht. Der Kryptowährungsindex CoinMarketCap alleine zählt über 4.900 verschiedene Kryptowährungen – geben dürfte es aber wohl noch deutlich mehr. Viele davon sind unbedeutend. Aber viele auch nicht. Mit Ethereum, Litecoin, Dash, Monero, Tezos, Neo, IOTA, Cardano und weiteren hat sich ein vielschichtiges und für viele ziemlich undurchschaubares Ökosystem gebildet. Eines, mit dem tagtäglich Summen im Wert von Milliarden von Euro um die Welt bewegt werden.
Für viele Entwickler war jedoch weniger Bitcoin der Geniestreich von Satoshi Nakamoto. Sondern die Blockchain, also die Datenbanktechnologie auf der Bitcoin aufgebaut. Sie wurde zunächst zur Faszination und dann zum viel gehypten Heilsbringer. Denn sie zeigte eine neue Möglichkeit auf, Daten sicher und schwer – wenn auch nicht unmöglich – manipulierbar aufzuzeichnen und zu speichern. Dabei ist ihre grundlegende Funktionsweise vergleichsweise einfach. Datensätze wie Transaktionen werden in gewissen zeitlichen Abständen zusammengefasst und als Blöcke aneinandergereiht. Wobei jeder neue Block einen Zahlenwert enthält, der auch aus den Inhalten des vorherigen Blocks generiert wird.
Wird ein Block verändert, ändert sich sein ursprünglicher Wert. Dadurch wird er vom nachfolgenden Block als ‚manipuliert‘ delegitimiert. Da eine Blockchain nicht nur auf einem einzigen Rechner, sondern Dutzenden, Hunderten oder sogar Abertausenden von Computern läuft, kann eine manipulierte Blockchain-Kopie unmittelbar ausgeschlossen werden und das System unkompromittiert weiterlaufen. Eine geniale Methode, die aber nicht nur taugt, um Überweisungen festzuhalten. Davon war allen voran Vitalik Buterin überzeugt.
Buterin ist der Gründer von Ethereum, das mit sogenannten Smart Contracts kleine Programme in der eigenen Blockchain ermöglichte. Mit diesen automatisierten Verträgen wurden plötzlich komplexe Dienste auf und mit der Blockchain machbar. Etwa in Form von Abrechnungs-, Darlehens-, Transportverfolgungs-, Protokollierungs-, Versicherungs-, Archivierungs- und Datenaustausch-Systemen. Außerdem ließen sich damit Token realisieren, die selbst wie eigene Kryptowährungen funktionieren und gehandelt werden können – wie Tether, Dai, VeChain oder The Basic Attention Token. Ebenso wurden NFTs machbar, digitale Echtheitszertifikate.
Das Konzept der Smart Contracts wurde wiederum von zahlreichen weiteren Blockchain-Ökosystemen aufgegriffen und weitergedacht und weiterentwickelt. Sei es von Tezos, IOTA oder Ripple. Diese Systeme und Möglichkeiten, davon sind einige Kryptoenthusiasten und Entwickler überzeugt, könnten über kurz oder lang weite Teile der Bürokratie ersetzen oder sogar gesamte Staatsapparate automatisieren. Die Blockchain könnte also die Art und Weise, wie unsere Welt funktioniert, auf den Kopf stellen. Auch daher sind immer mehr Länder hinterher, Kryptowährungen und Blockchain-Projekte zu regulieren, Grenzen oder zumindest Leitplanken zu setzen.
Es lässt sich nicht sagen, ob Satoshi Nakamoto ein Mann ist oder eine Frau. Ob er oder sie noch lebt, oder schon verstorben ist.
Andere sehen die Blockchain zwar als faszinierende Technologie, aber auch als eine Lösung, für die sich einfach kein passendes Problem finden lässt.Als eine Technik also, die abseits von Kryptowährungen und anderen Finanzdiensten vollkommen nutzlos und überflüssig ist.
Wer ist dieser Satoshi?
Wie wohl Satoshi Nakamoto heute auf seine Entscheidung und den weiteren Werdegang von Bitcoin zurückschaut? Wie er wohl bewertet, welche Abzweigungen und Wege die Blockchain und die Kryptowährungen genommen haben? Das lässt sich nicht sagen. Denn bis heute ist unklar, wer oder was sich hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto verbirgt. Es lässt sich nicht sagen, ob Satoshi Nakamoto ein Mann ist oder eine Frau. Ob er oder sie noch lebt, oder schon verstorben ist. Oder ob sich hinter dem Namen nicht vielleicht sogar eine Gruppe von Menschen versteckte. Oder vielleicht eine Institution wie der Geheimdienst CIA oder eine außerirdische Künstliche Intelligenz. Absurde Theorien und wilde Spekulationen gibt es viele.
Über die Jahre gerieten vor allem Einzelpersonen in Verdacht, Satoshi Nakamoto zu sein. Darunter der 2014 verstorbene Kryptograph Hal Finney, der jedoch auch unter seinem eigenen Namen an der Entstehung von Bitcoin mitgewirkt hatte. Immer wieder zeigten Finger auch auf den Computerwissenschaftler Nick Szabo, auf den das Konzept der Smart Contracts zurückgeht und der bereits 1998 mit Bit Gold auf dem Papier eine Art Bitcoin-Vorläufer ausgearbeitet hatte. Ebenso wird Adam Back als aussichtsreicher Kandidat gehandelt, der Hashcash entwickelt hatte, das essentieller Teil des Mining-Algorithmus von Bitcoin ist, und mit seinem Unternehmen Blockstream zahlreiche Software-Produkte für und rund um Bitcoin anbietet.
Aber auch der Ökonom Vili Lehdonvirta, der IT-Forensiker Dave Kleiman, der Mathematiker Shinichi Mochizuki, der Programmierer und Drogenboss Paul Le Roux und sogar Elon Musk wurden als Satoshi-Kandidaten gehandelt. Einer, der wiederholt selbst behauptete Satoshi zu sein, ist der australische Programmierer und Unternehmer Craig Steven Wright, der 2014 plante, mit der Denariuz Bank die erste Krypto-Bank der Welt zu starten, aber an rechtlichen Hürden scheiterte. Belegen konnte er seine außergewöhnliche Behauptung bis heute nicht. Er gilt als Betrüger und Opportunist, der sich Ansehen, Einfluss und wohl Geld für seine unternehmerischen Ausflüge beschaffen wollte.
Dabei hätte, wer auch immer Satoshi Nakamoto ist, es wohl nicht nötig, um Investmentkapital zu betteln. Die genaue Zahl lässt sich nicht beziffern, aber der Bitcoin-Schöpfer hält wohl 1,1 Millionen Bitcoin. Das entspräche [Stand 5. Mai 2021] einem Vermögen von über 50 Milliarden Euro. Damit würde Satoshi Nakamoto zu den 30 reichsten Menschen der Welt zählen – und könnte bei einem Kursanstieg mit Leichtigkeit in die Top 10 aufsteigen.
Würde Satoshi Nakamoto sich entscheiden, seine Bitcoins zu verkaufen, würde seine Kryptowährungen wohl implodieren und ihr Wert zusammenfallen.
Jedoch ist es gerade einer der Satoshi-Kandidaten, nämlich Adam Back, der 2020 auf Twitter schrieb, dass Satoshi „wohl weniger Coins besitzt, als die Leute denken“. Grund für die Klarstellung war, dass am 20. Mai 2020 ganze 40 Bitcoin bewegt wurden, die seit dem 9. Februar 2009 – und damit nur ein Monat nach dem Start von Bitcoin – nicht angerührt worden waren. Ein Indiz, dass sie Satoshi gehören könnten und er sich selbst „auszahlte“. Aber vielleicht auch nicht. Beck und andere Kryptoexperten argumentierten, dass diese Bitcoins wohl auch einfach einem frühen Bitcoin-Enthusiasten oder einem anderem Mitentwickler gehören könnten. Arm dürfte Satoshi Nakamoto aber wohl trotzdem nicht sein.
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Jetzt Mitglied werden!Könnte er zurückkehren?
Dass sich Satoshi Nakamoto irgendwann zurückmelden oder sogar selbst outen könnte, ist unwahrscheinlich. Aber ausgeschlossen ist es nicht. Würde es passieren, würde es die Welt der Kryptowährungen wohl ziemlich erschüttern. Denn schließlich wäre Satoshi Nakamoto eine Instanz und Leitfigur, deren Worte und Taten immensen Einfluss hätten. Würde der pseudonyme Programmierer die Entwicklungen, die die Blockchain- und Krypto-Welt genommen hat, offen verdammen, könnte das Krypto-Projekte kollabieren und Kurze stürzen lassen. Würde Satoshi Nakamoto sich entscheiden, seine Bitcoins zu verkaufen, würde seine Kryptowährungen wohl implodieren und ihr Wert zusammenfallen – vor diesem Risiko warnte etwa die Kryptobörse Coinbase vor ihrem Börsengang. Schließlich wären plötzlich immense Mengen an zusätzlichen Bitcoin im Umlauf, die zuvor in seinen digitalen Brieftaschen lagerten.
Genau daher wird Satoshi Nakamoto wohl nicht ins Rampenlicht treten, selbst wenn er es könnte. Aber vielleicht ist es ihm auch einfach egal und er hat tatsächlich Besseres und Interessanteres zu tun, wie er es einst in seiner E-Mail schrieb.
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