Er wird bereit seit Jahren erwartet, nun soll es endlich soweit sein. Am 6. September beginnt der sogenannte Merge der Ethereum-Blockchain. Es soll das Ökosystem und die zweitwichtigste Kryptowährung neben Bitcoin modernisieren – und damit nach und nach einige der größten Kritikpunkte adressieren. Aber was ist der Merge eigentlich?
Von Michael Förtsch
Es hat alles etwas länger gedauert als gedacht. Bereits seit Jahren arbeiteten Entwickler rund um die Welt an Ethereum 2.0. Es sollte ein Update werden, das das 2015 gestartete Ethereum zugänglicher, schneller und effizienter machen sollte. Denn als Ethereum-Erfinder Vitalik Buterin und zahlreiche Kollaborateure diese Blockchain als eine smarte und programmierbare Fortentwicklung der Idee hinter Bitcoin auf die Welt losließen, hatten sie nicht damit gerechnet, dass sich daraus so schnell ein derart großes Netz entwickelt. Keiner hatte vorausgesehen, dass die Ethereum-Blockchain nur wenige Jahre nach ihrem Start digitale Werte in Milliardenhöhe abbilden würde; sie genutzt wird, um virtuelle Welten zu bauen, CO2-Zertifikate zu handeln oder Millionen-Euro-teure Affen-Bilder zu verkaufen. Und es hatte wohl keiner damit gerechnet, dass das Aufrechterhalten und Absichern des Ethereum-Netzwerks so viel Energie fressen würde wie ein Nationalstaat.
Es musste und muss also einiges anders werden. Ideen dafür gab es im Laufe der Zeit genug. Mit einem Prozess namens Sharding soll die Ethereum-Blockchain effektiv in 64 separate Blockchains – sogenannte shard chains – aufgeteilt werden, die getragen von einer darüber liegenden Blockchain allerdings als eine funktionieren. Schneller, flexibler und günstiger soll Ethereum dadurch werden – und dezentraler, da jeder User eine Schnittstelle zur Blockchain betreiben können soll. Andere Konzepte wie etwa zero-knowledge proofs sollen Transaktionen und Geschäfte auf der Blockchain privater machen. Der wichtigste Vorschlag allerdings: Ethereum soll von einem Proof-of-Work- auf einen Proof-of-Stake-Konsensmechanismus umgezogen werden. Bereits seit 2016 haben Buterin und seine Mitentwickler einen Umstieg öffentlich debattiert und wenig später angekündigt. Der droht nun einen ganzen Industriezweig zu erschüttern.
Das Proof-of-Work-Prinzip ist die Absicherung, die einst der mysteriöse Satoshi Nakamoto für Bitcoin auserkoren hatte – und die nicht nur von Ethereum, sondern auch vielen anderen Kryptowährungen adaptiert wurde. Hierbei müssen Computer um die Wette rechnen, um neue Blöcke mit Transaktionen zu bestätigen und in die Blockchain einzusetzen. Dadurch beweisen sie, dass sie bereits sind, etwas zu investieren, um am Netzwerk teilzunehmen. Der Computer- oder der Computerverband, der es zuerst schafft, wird mit neu erzeugten Einheiten der jeweiligen Kryptowährung belohnt – mining, oder Schürfen wird das genannt. Das ist auch heute noch für viele ein durchaus lukratives Geschäft. Und lohnt sich noch mehr, falls die Werte von Kryptowährungen wieder steigen. Daher gibt es mittlerweile Abertausende von selbstständigen Minern, aber auch ganze Firmen, die dafür Lagerhallen voller spezialisierter Rechner betreiben.
Was ist Proof of Stake?
Das Proof-of-Stake-Prinzip funktioniert anders als Proof of Work. Statt Rechenkraft investieren die Teilnehmer des Blockchain-Netzwerks hier Geld. Die Computer müssen Einlagen der Währung des Netzwerkes als Sicherheit oder Pfand hinterlegen – und damit versichern, dass sie ein Interesse daran haben, dem Netzwerk nicht zu schaden. Sollten sie dem Netzwerk schaden, können diese Einlagen verbrannt – also teilweise oder gänzlich gelöscht – werden. Je höher die Einlage ist, desto größer ist die Chance der entsprechenden Rechner, den nächsten Block zu bestätigen und eine Belohnung zu erhalten. Jedoch müssen im Fall von Ethereum mindestens 32 Ether – zur Zeit der Veröffentlichung sind das rund 51.000 Euro – als Sicherheit bereitgestellt werden. In den meisten Fällen tun sich Nutzer daher in sogenannten Pools zusammen, um mit ihrem gemeinsamen Vermögen mehr Gewicht zu erlangen und die Renditen dann aufzuteilen. Rechenstarke Computer braucht es dafür nicht, schon ein kleiner Server mit einer stabilen Internetverbindung kann als sogenannte validator node funktionieren.
Der Energieverbrauch der Ethereum-Blockchain soll durch die Umstellung um 99,95 Prozent reduziert werden. Schätzungen zufolge lag dieser Ende 2021 bei etwa 93 Terawattstunden im Jahr, das ist etwas mehr als der Strombedarf von Belgien oder Kroatien. Nach der Umstellung würde der Verbrauch also bei rund 0,046 Terawattstunden liegen – immer noch so viel Strom wie 11.500 Vier-Personen-Haushalte im Jahr verbrauchen, aber dennoch dramatisch weniger.
Der Merge kommt
Die Technologie und Blockchain-Infrastruktur für den Umbau existiert seit einer ganzen Weile. Die 2020 für das Proof-of-Stake-Verfahren gestartete Beacon Chain läuft bereits parallel zum sogenanten Mainnet von Ethereum. Hier staken Nutzer bereits ihr Ether, es gibt über 400.000 Rechner, die als validator nodes für die Umstellung bereitstehen. Echte Transaktionen finden aber noch nicht statt. Denn die Umstellung eines so stark genutzten Netzwerks wie Ethereum auf eine neue Konsensmethode ist riskant. Deswegen wurde die Umstellung des Ethereum-Netzwerks mehrfach verschoben und mit den sogenannten Testnets – Kiln, Ropsten, Sepolia und zuletzt Goerli – erprobt. „Was noch passieren muss, das sind Sicherheitsüberprüfungen und mehrere Tests“, sagte Vitalik Buterin bei der 1E9 Konferenz im Jahr 2021 dazu. Ein Datum müsse noch festgelegt werden, hieß es damals noch. Genau das ist mittlerweile geschehen.
Am 6. September um 12:34 Uhr deutscher Zeit – oder mit Epoche 144.896, eine spezifisches Zeitintervall, das bei Ethereum den Zeitraum umfasst, in dem 30.000 Blöcke verarbeitet werden – soll die Beacon Chain eine Erweiterung erfahren, die sie auf die Verschmelzung mit dem Mainnet vorbereitet. Die Verschmelzung der beiden Blockchains soll dann durch ein Update namens Paris erfolgen, das aber nicht zu einem bestimmten Datum und einer Uhrzeit ausgelöst wird, sondern durch ein Ereignis namens Terminal Total Difficulty. Das findet statt, wenn die Schwierigkeit der Aufgaben, die die Miner lösen müssen, den Wert 58.750.000.000.000.000.000.000 erreicht. Berechnungen zufolge dürfte das am 15. September soweit sein.
Die Nutzer von Ethereum werden von diesem Prozess, wenn alles glatt läuft, absolut nichts mitbekommen. Jedoch werden Betreiber von Mining-Rechnern ab diesem Zeitpunkt keine neuen Ether mehr ausgezahlt bekommen. Außerdem sollen an die neuen Proof-of-Stake-Validatoren weniger neue Einheiten der Kryptowährung ausgezahlt werden – bis zu 90 Prozent weniger, wie einige Kryptoenthusiasten berechnet haben. Dadurch könnte Ether womöglich zu einem deflationären Wert werden. Denn die Summe der im freien Umlauf befindlichen Einheiten der Kryptowährungen wird dadurch knapper.
Aber was ist mit dem Rest von Ethereum 2.0 oder Eth2? Der soll nach dem erfolgreichen Merge in kleinen Schritten folgen. „Als die Arbeit an der Beacon Chain begann, wurde klar, dass die schrittweise Umsetzung der Ethereum 2.0-Roadmap mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde“, heißt es bei den Ethereum-Entwicklern. Der Name Ethereum 2.0 sei daher nicht mehr passend – und wird von den Entwicklern auch nicht mehr genutzt. Denn es ist eben kein ein einziges großes Update, das Ethereum modernisiert, es entsteht kein neues Netzwerk oder eine neue Währung. Es handelt sich stattdessen um zahlreiche kleinere und größere Erweiterungen, die nun unter den Namen Surge, Verge, Purge und Splurge gruppiert werden.
Zu diesen gehören die oben schon beschriebenen Ideen: das die Ethereum-Blockchain skalierende und beschleunigende Sharding, das derzeitigen Schätzungen zufolge gegen 2023 implementiert werden kann. Damit soll Ethereum wie bisher 30 Transaktionen pro Sekunde in Zukunft bis zu 100.000 pro Sekunde schaffen. In den Jahren darauf soll außerdem eine Bereinigung der Ethereum-Blockchain von „historischen Daten und technischen Ballast“ folgen. Vorgesehen sind zusätzliche neue Methoden, die mehr Datenschutz, Privatsphäre, Zuverlässigkeit und eine Härtung der Blockchain gegen Angriffe mit Quantencomputern mitbringen.
Mögliche Probleme
Der bevorstehende Merge und damit die Umstellung auf das energiesparendere Proof of Stake ist nicht frei von Kritik. Nicht wenige machen sich Sorgen. Manche Investoren und Spekulanten fürchten, dass während der Verschmelzung Fehler auftreten könnten, die digitale Verträge beschädigen, Wallets oder Einlagen auslöschen. Dass es zu Problemen kommen könnte und wohl sicher auch kommt, das räumen sogar Ethereum-Etnwickler ein – aber nicht in diesen Bereichen. Die Umstellung auf die Beacon-Blockchain bedeutet grundsätzlich nur, dass die Computer im Ethereum-Netzwerk beschließen, Blöcke auf Basis eines neuen Konsensmechanismus zu erstellen. Sämtliche Token und Verträge auf der Blockchain bleiben davon vollkommen unberührt.
Auch vorhanden ist die Sorge, dass die Umstellung auf Proof of Stake eine Machtverschiebung innerhalb des Ethereum-Ökosystems zur Folge hat: von den Minern hin zu jenen, die massenhaft Ether besitzen – oder für andere verwalten. Und das sind vor allem große Unternehmen. Laut Analysen des Daten-Start-ups Messari liegen beim Staking-Provider Lido Finance ganze 31,2 Prozent aller bereits als Staking-Einlagen eingeschriebenen Ether. Bei bei den Kryptobörsen Coinbase und Kraken 14,7 respektive 8,5 Prozent. Zwar bewahren diese drei Unternehmen die Digitalgelder nur für Tausende kleine Anleger nur auf, die Zahlen schüren dennoch Angst vor einer ungesunden Zentralisierung des Kryptovermögens.
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Jetzt Mitglied werden!Laut Buterin sei es jedoch sehr wahrscheinlich, dass ein Unternehmen, das mit den Sicherheiten seiner Kunden Schindluder treibt – etwa Zensur und Überwachung –, von der Ethereum-Gemeinschaft abgestraft wird, indem die Einlagen verbrannt werden. Außerdem könnte die Konzentration der Vermögen diese Unternehmen und ihre Netzwerke auch zu einem attraktiven Ziel für Angreifer machen. Beispielsweise, um eine sogenannte 51-Prozent-Attacke auszuführen. Würde es Hackern gelingen, die Staking-Server von Lido, Coinbase und Kraken gleichzeitig zu kapern, könnten sie die Hälfte der Mitbestimmungsrechte im Netzwerk delegieren, dadurch illegitime und falsche Transaktionen autorisieren und die Blockchain umschreiben. Ein solches Szenario ist unwahrscheinlich, aber dennoch denkbar.
Ein neues Ethereum für Miner?
Massive Kritik gibt es vor allem von jenen, die das Ethereum-Netzwerk seit Jahren mit ihren teuren Mining-Rechnern am Leben erhalten. Während viele Miner und Mining-Unternehmen nach dem Merge einfach auf alternative Proof-of-Work-Währungen umschwenken wollen, sehen sich andere von den Ethereum-Entwicklern hintergangen – und wollen eigentlich weiterhin Ethereum schürfen. Das können sie zwar, aber nicht mehr direkt für Ethereum mit seinem großen Handelsvolumen. Stattdessen gibt es etwa Ethereum Classic, das sich vor sechs Jahre von Ethereum abgespalten hat. Andere wie der Miner Chandler Guo wollen hingegen eine dedizierte Blockchain vom aktuellen Ethereum forken, die sie ETHPoW – oder kurz: ETHW – nennen wollen.
Für solch eine weitere Kryptowährung braucht es jedoch viel Unterstützung aus der Community rund um Ethereum. Denn auch wenn Miner zunächst einmal nur das Paris-Update ignorieren müssen, um eine parallele Blockchain im Proof-of-Work-Verfahren weiterzuschreiben, müsste das neu entstehende Netzwerk sowohl technisch als auch wirtschaftlich gepflegt und ausgebaut werden. Denn sonst ist es ohne Nutzen und ohne viel Wert – und damit auch die mit ETHPoW verbundene Kryptowährung, die geschürft wird.
Der Merge ist allerdings auch für das bestehende Ethereum-Netzwerk ein Moment, der über die zukünftige Relevanz entscheidet. Denn ob und wie gut das Ökosystem den Transfer hin zu einer nachhaltigeren und energiesparenderen Konsensmethode schafft, entscheidet über das Vertrauen, das der Blockchain und seinen Entwicklern entgegengebracht wird. Und es dürfte beeinflussen, wie Kryptowährungen und Web3-Umgebungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Daher sehen viele den September als einen potentiellen Markstein in der Geschichte des Web3.
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