Die Blockchain ist eine Technologie, die gefeiert, kritisiert und beschmunzelt wird. Derzeit wird sie vor allem genutzt, um virtuelle Währungen zu handeln und Affenbilder zu tauschen. Viele andere Anwendungsversuche sind bislang gescheitert. Doch ein aus Deutschland stammendes Projekt soll zeigen, dass die Blockchain in der Wissenschaft ein Zuhause und eine sinnvolle Anwendung finden kann.
Von Michael Förtsch
Wofür taugt eigentlich die Blockchain? Für die Transaktion von digitalen Werten wie Kryptowährungen und NFTs, das hat sich in den vergangenen Jahren bereits gezeigt. Aber sonst haben sich die Träume von anderen Anwendungsfeldern immer wieder in Luft aufgelöst – oder haben zumindest nicht wirklich abgehoben. Erst im November 2022 wurde TradeLens eingestellt, das Blockchain-Projekt des Frachtmultis Maersk, der den globalen Handel in das dezentrale Datenbanksystem überführen wollte. Bereits zuvor gingen Initiativen unter, um Kunst und seltene Erden auf die Blockchain zu hieven. Daher wird seit Jahren immer wieder gescherzt, die Blockchain sei eine Lösung auf der dauerhaften Suche nach einem Problem. Doch geht es nach den Machern der Initiative Bloxberg ist das so nicht richtig. Sie haben in der Blockchain eine echte Lösung für echte Probleme in der Welt der Wissenschaft erkannt – und diese Lösung wird von immer mehr Forscherinnen und Forschern genutzt.
„Wir waren gar nicht heiß darauf, jetzt unbedingt die Blockchain einzusetzen“, sagt Friederike Kleinfercher im Gespräch mit 1E9. Sie ist Informatikerin, ehemalige Software-Entwicklerin und eine der Gründerinnen des Digital Labs der Max-Planck-Gesellschaft, das neue Technologien und Anwendungen erkunden sollen. „Wir forschen nicht an diesen Dingen, sondern wir schauen, ob sich etwa das Internet of Things, Tablets oder auch die Blockchain für die Wissenschaft nutz- und gewinnbringend einsetzen lassen“, sagt Kleinfercher. Denn die Institute der Max-Planck-Gesellschaft und ihre Partner seien sehr vielfältig, sehr breit verteilt und es gebe immer Möglichkeiten, die Effizienz und Zusammenarbeit zu verbessern.
„Daher fragen wir unsere Wissenschaftler auch immer wieder, was sie vermissen oder was sie bräuchten“, so Kleinfercher. „Wir haben immer wieder von unseren Wissenschaftlern gehört, sie wären gerne bereit, Forschungsdaten schneller zu teilen, wenn sie diese für sich sicher und nachweisbar registrieren könnten.“ Oft würden Hypothesen aufgestellt und Experimente durchgeführt, die interessante Ergebnisse produzieren, aber natürlich nicht sofort in einer ausführlichen Studie publiziert werden können. „Oder die Wissenschaftler wollen einfach vermerkt wissen, dass ein Versuch zu diesem oder jenem Zeitpunkt abgelaufen ist“, meint Kleinfercher. „Einfach damit andere Forscher informiert sind und sich auf kommende Ergebnisse vorbereiten können.“
Die Forscher wünschten sich also ein System oder eine Datenbank, in der sie Ereignisse mit einem Zeitstempel und einem Identifikator hinterlegen könnten, einen Proof of Existence quasi – möglichst nachhaltig und manipulationssicher. Zwar verfügt die Max-Planck-Gesellschaft über ein System für die Ausstellungen von Zertifikaten für Forschungsergebnisse. Aber diese haben primär innerhalb der Forschungsgemeinschaft einen Wert – und nur begrenzt darüber hinaus. „Daher dachten wir, ein dezentrales System wie die Blockchain könnte die Lösung sein“, sagt Kleinfercher. „Wir sind von der Seite des Problems herangegangen – und sahen da: Das wäre etwas.“
Skepsis und Zweifel
Das Team hinter der Bloxberg-Initiative begann mit einem kleinen Experiment: einem Eintrag, der in die Bitcoin-Blockchain geschrieben wurde. Ein Machbarkeitsbeweis und ein Beispiel, wie Einträge für die Forschung gesichert werden könnten. Die dazu befragten Wissenschaftler waren zu Beginn nicht wirklich überzeugt. „Sie sagten: Bitcoin, das ist Geldwäsche, das ist Darkweb, das ist Umweltverschmutzung, damit wollen wir nichts zu tun haben“, erinnert sich Kleinfercher. Sie und ihr Team nahmen die Bedenken durchaus ernst. Außerdem erkannten sie, dass die Bitcoin-Blockchain ganz handfeste Probleme hat – sie ist vergleichsweise langsam und für eine wissenschaftliche Nutzung zu teuer, was Transaktionsgebühren betrifft.
„Wir schauten uns also um, ob es vielleicht schon Blockchains aus dem wissenschaftlichen Bereich gibt“, so die Informatikerin. „Das gab es damals aber nicht wirklich.“ Das Team habe nur einige Projekte ausmachen können, die zwischen einzelnen Forschungseinrichtungen oder auf nationaler Basis stattfanden. „Eine globale Blockchain für die Wissenschaft hat es nicht gegeben“, so Kleinfercher. „Also dachten wir: Na gut, dann müssen wir das eben selbst machen.“ 2018 habe ihr Team daher begonnen, andere Forschungseinrichtungen aus aller Welt abzutelefonieren, um Kollaborateure zu finden. „Wir haben ihnen den use case erklärt“, beschreibt die Informatikerin. „Den hat sofort jeder verstanden; sie wussten, dass das für sie Sinn macht.“
Eine globale Blockchain für die Wissenschaft hat es nicht gegeben. Also dachten wir: Na gut, dann müssen wir das eben selbst machen.
Friederike Kleinfercher
Ganze elf Forschungseinrichtungen sagten sofort zu, bei dieser zu dieser Zeit noch namenlosen Blockchain für die Wissenschaft mitzumachen. Darunter Universitäten wie die Carnegie Mellon, die Universität Kassel, die ETH Zürich, die IT University of Copenhagen und die University of Sarajevo. Nun musste die Blockchain nur noch entwickelt werden. Von Null anfangen musste und wollte die Entwicklergruppe aber nicht. Blockchains, die quelloffen waren und dadurch adaptiert und den eigenen Wünschen angepasst werden konnten, gab es zu dieser Zeit schließlich bereits zuhauf. Da entschied sich das Team für eine der bewährtesten und meistgenutzten Blockchains.
„Bloxberg ist ein Fork von Ethereum“, erklärt Kleinfercher. „Das heißt, wir haben den Ethereum-Code genommen und selbst genutzt – und das, weil darauf schon viele Anwendungen laufen, die uns auch wichtig waren.“ Allzu große Anpassungen seien nicht nötig gewesen, denn Ethereum sei bereits stabil und zuverlässig gelaufen. Lediglich ein Aspekt musste dringend abgewandelt werden. Und zwar der sogenannte Konsensmechanismus, der bestimmt, wer die Transaktionen auf der Blockchain bestätigen kann. Das waren bei Ethereum durch den Mechanismus Proof of Work um 2018 noch die Miner, die mit starken Computern um die Wette rechneten. Erst 2022 hat sich das durch den sogenannten Merge geändert.
Bei Bloxberg wurde hingegen ein Proof-of-Authority-Verfahren einprogrammiert, durch das lediglich lizenzierte Computer der Konsortiumsmitglieder auf der Blockchain das Sagen haben. Derzeit hat die Bloxberg-Blockchain 42 sogenannte Knotenpunkte, die das Netzwerk am Leben erhalten. „Was sie einbringen, das ist keine Rechenpower und sind keine Coins, sondern das ist die Reputation der Forschungseinrichtungen“, sagt Kleinfercher. „Es ist immer und zu jedem Zeitpunkt klar, wer welche Transaktion validiert hat – im Klartext mit Universität und Namen.“
Eine Blockchain mit Potential
Mitte 2018 wurde die Bloxberg-Blockchain implementiert und startklar gemacht. Im Frühling 2019 einigten sich die Teilnehmer der Blockchain auf ein gemeinsames Konzept, auf die Verwaltung der Blockchain und ließen den ersten Block schreiben. Seitdem läuft die wissenschaftliche Blockchain ohne größere Probleme oder Herausforderungen, wie Friederike Kleinfercher beschreibt. Denn sie funktioniert tatsächlich nicht so viel anders als die Ethereum-Blockchain selbst. Auch bei Bloxberg gibt es eine digitale Währung, die Bergs. Diese haben aber keinen Geldwert und werden nicht geschürft, sondern über eine digitale Ausgabestelle in kleinen Chargen einfach erzeugt, wo sich die Teilnehmer des Netzwerks jeden Tag eine gewisse Menge abheben können.
Bloxberg ist ein Fork von Ethereum.
Friederike Kleinfercher
Die Bergs werden an das Netzwerk gezahlt, um Transaktionen durchzuführen. Die können sehr vielfältig sein. Es gibt Anwendungen, um Forschungsergebnisse und Hypothesen auf der Blockchain zu zertifizieren oder um diese durch die Blockchain zu verifizieren. Dabei werden diese Ereignisse oder Daten in einen einmaligen Code, einen sogenannten Hash, umgewandelt und durch einen Smart Contract hineingeschrieben. „Man kann auch Titel, Autorenname, Forschungseinrichtung hineinschreiben, muss und braucht das aber nicht“, so Kleinfercher. Wenn ein Forscher belegen will, dass er als erster ein Ergebnis erzielt oder ein Experiment durchgeführt hat, kann er dies durch einen Abgleich seiner Dokumente mit dem Eintrag auf der Blockchain tun. Bei der Max-Planck-Gesellschaft ist diese Funktion direkt in ein Keeper getauftes Werkzeug integriert. Andere Forschungseinrichtungen nutzen eigene Tools, die jedoch genau die gleiche Funktion erfüllen. Außerdem hat das für seine Mathematik-Software bekannte Unternehmen Wolfram Research eine Bloxberg-Anbindung in sein Mathematika-Programm eingebaut.
Die Mechanik wird mittlerweile von vielen Forscher aktiv genutzt, auch weil die Hürde sehr niedrig ist. Aber es geht noch deutlich mehr. Auch Analysen von Daten lassen sich durch Cloud-Rechner in der Blockchain abstempeln. Es können Diplom- und Doktorarbeiten eintragen werden. Forscher können abzeichnen, dass sie an einem Peer-Review für eine Studie teilgenommen haben und hierfür auch Token einsammeln. „Es gibt wirklich viele unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten“, sagt Kleinfercher. Viele seien derzeit noch Theorie oder eine Idee, aber die Zahl der Entwickler, die diese aufgreifen und umsetzen könnten, wachse. Denn obschon hinter Bloxberg ein Konsortium samt einem verwaltenden Verein steht, ist die Datenbank public – und damit für jeden offen und nutzbar, der auf diese aufbauen möchte.
Machbar wäre es beispielsweise, dass Wissenschaftler und Institute ihre Forschungsdaten als NFTs in die Blockchain schreiben, die gehandelt, getauscht oder übertragen werden können. Infolgedessen wäre eine Börse nach dem Vorbild von OpenSea machbar, die aber nicht für Affenbilder, sondern für Rohdaten aus Versuchen und Studien genutzt wird. Das gleiche wäre für teures oder seltenes Equipment wie spezielle Mikroskope, Sende- und Empfangsanlagen und anderes machbar, die auf diese Weise nachvollziehbar unter den Einrichtungen angefragt und verliehen werden könnten. Ebenso könnte deren Versand und Empfang mit Einträgen auf der Blockchain protokolliert werden.
„Hier macht eine Tokenisierung wirklich Sinn“, sagt Kleinfercher. Auch könnte die Bloxberg-Blockchain dedizierten Science-DAOs ein Zuhause bieten, wie sie in den vergangenen Jahren entstanden sind. Das sind virtuelle Organisationen, die sich der Initiierung oder Förderung von Forschungsprojekten verschrieben haben, sich über auf einer Blockchain ablaufenden Abstimmungssystemen organisieren und auch Crowdfunding betreiben. „Es geht da nicht darum, die herkömmlichen Organisationen zu ersetzen“, sagt Kleinfercher. „Aber sie können den Markt bereichern, sie können etwas beitragen.“ Und da gebe es Bedarf in der Wissenschaft.
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Dass die Bloxberg-Blockchain die Welt der Wissenschaft jetzt grundlegend verändert, das glauben die Macher nicht. Sie sehen die Blockchain jedoch als digitalen Baustein in der Wissenschaft, der in den kommenden Jahren die Zusammenarbeit über verschiedene Institute, Länder und Kontinente hinweg einfacher, transparenter und sicherer gestalten könnte – und mit einer neuen Form der Kooperation kompatibel ist. Die Bloxberg-Blockchain soll daher auch für Experimente genutzt werden. Gerne auch für wagemutige Versuche. „Was uns [von Bloxberg] zusammenhält, ist der Glaube, dass die Blockchain-Technologie in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird“, sagt Kleinfercher. „Nicht nur im Wissenschaftsbereich, aber eben auch dort.“
Die Blochchain sei keine Technologie, die nur dazu dienen kann, virtuelle Währungen hin- und herzuschieben, oder virtuelle Kunstwerke zu handeln. Das lasse sich mit der Bloxberg-Blockchain beweisen und der Nutzen der Technologie abseits von Bitcoin und Dogecoin demonstrieren. Die Blockchain, sagt Kleinfercher, „ist eben nicht nur DeFi“. Nicht zuletzt sei die Blockchain eine Technologie, die auch die Entwicklung in der physischen Welt der Wissenschaft widerspiegelt und daher einfach perfekt passe. „Die Welt wird zunehmend dezentraler“, sagt Friederike Kleinfercher. „Wir haben immer öfter Kooperationen, wir arbeiten mit mehr Institutionen und Partnern zusammen.“ Die Blockchain sei eine Plattform, auf die gemeinsam aufgebaut und mit der ein Ökosystem geschaffen werden könnte, das möglichst allen zuträglich ist.
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