Blockchains wie die von Bitcoin gelten wegen ihres hohen Energieverbrauchs als Klimakiller. Trotzdem könnte die Krypto-Welt, auch genannt Web3, zur Rettung des Planeten beitragen. Das ist zumindest die große Vision einer gerade entstehenden Bewegung namens Regenerative Finance, kurz ReFi. Wir stellen deren Ideen, ihre Chancen und unerwünschten Nebenwirkungen vor.
Von Christiane Miethge
Die Natur hat aus kapitalistischer Sicht einen großen Fehler gemacht: Sie kostet nichts. Im Gegenteil, Gewinn macht, wer ihre Schönheit, ihre Diversität, ihre Ressourcen ausbeutet. Unser System incentiviert die Zerstörung unserer Lebensgrundlage.
Menschen wie Kevin Owocki möchten das gerne ändern. Der Gründer von Gitcoin, einer Finanzierungsplattform für gemeinwohl-orientierte Web3-Projekte, ist so etwas wie der Pate der ReFi-Bewegung. Er sitzt in seiner Hängematte in Colorado und ist kaum zu stoppen: „Das Problem ist doch, dass wir Gewinne privatisieren und die Kosten sozialisieren“, sagt er im Gespräch mit 1E9. „Wenn ich in den Supermarkt fahre oder zu dir nach Deutschland fliege, dann stoße ich CO2 aus und schade damit allen. Gleichzeitig habe ich einen persönlichen Vorteil.“
Blockchain als Anreiz-Maschine für eine bessere Welt
Für Owocki ein "Koordinationsproblem“, das gelöst werden kann – mit der Blockchain. Für ihn ist Web3 eine globale Infrastruktur, die transparent und unveränderbar das schaffen kann, woran internationale Organisationen sich bislang die Zähne ausbeißen: ein System, das alle Menschen und Unternehmen dazu incentiviert, gemeinsam den Planeten zu retten.
Das klingt nach einer Utopie – und nach einem Widerspruch. Nach Berechnungen der Cambridge University verbraucht die Blockchain der Kryptowährung Bitcoin jährlich fast so viel Energie wie Österreich und die Schweiz zusammen. Ob das viel oder wenig ist, bleibt jedoch eine Frage des Blickwinkels. Erst kürzlich veröffentlichte die Beratungsfirma Valuechain eine Studie, dass Bitcoin 56-mal weniger Energie benötigt als das traditionelle Bankensystem, jedenfalls wenn man offline Handlungen wie Geldtransport und Bankautomaten zum Geldabheben einberechnet.
Zudem steigen immer mehr öffentliche Blockchains, inklusive Ethereum, in deren Ökosystem viele ReFI Projekte starten, auf eine Validierungsmethode namens Proof-of-Stake um. Sie soll über 99 Prozent der Energiekosten einsparen. Damit sollte eine Blockchain Transaktion nicht mehr Energie verbrauchen als alle anderen Online-Aktivitäten auch: Googeln, eine E-Mail schicken, Geld per Paypal transferieren. ReFI, also Regenerative Finance, will diesem Nachhaltigkeit-Trend des Web3 noch eines oben draufsetzen. Das Web3 soll klimapositiv werden, also aktiv dabei helfen, den Planeten zu retten.
ReFI – der nächste Web3 Trend
In der Praxis wird mit Ideen dieser Art gerade viel experimentiert. Der Markt ist dynamisch, fast wöchentlich entstehen neue Projekte. Von tokenisiertem Müllsammeln im Ozean über NFT-Kunst für den Regenwald bis hin zum ESG-Score auf der Blockchain, die Vielfalt der Ideen ist groß. Im Fokus: der freiwillige Handel mit CO2-Zertifikaten.
Ein bisher eher unbekanntes, aber besonders interessantes Projekt am Markt ist Rebalance Earth. Einer seiner Gründer ist Walid Al Saqqaf. Wenn er auf Zoom spricht, grasen virtuelle Elefanten in seinem Hintergrund. Er deutet auf einen von ihnen. Tot bringe ein solcher Elefant heute 30.000 Dollar wegen seines Elfenbeins. Lebendig sei er rund zwei Millionen Dollar wert, wenn man bepreise, wie viel CO2 ein solcher Elefant einspare. Die Berechnung geht so: Waldelefanten düngen den Regenwald mit ihren Ausscheidungen, „mähen“ ihn mit ihren Rüsseln und sorgen so für seine Prosperität. Regenwälder mit Waldelefanten können rund sieben Prozent mehr CO2 aufnehmen als Wälder ohne, so eine Studie des Internationalen Währungsfonds.
Diese Kohlendioxid-Einsparungen könnten in Form von CO2-Zertifikaten zu Geld gemacht werden. Das wiederum kann an die verteilt werden, die sich für das Wohl der Elefanten einsetzen: die Ranger, die Bauern, die lokale Bevölkerung. Und all das, so Walid Al Saqqaf, gehe am besten mit der Blockchain.
Bisher hat im System Waldelefanten niemand ein persönliches Interesse daran, dass sie leben. Die Ranger, die eigentlich die Elefanten beschützen sollten, sind unterbezahlt. Sie haben weder die nötige Ausbildung noch die Ausrüstung, um die Elefanten effektiv vor Wilderern zu schützen. Lokale Bauern haben die Waldelefanten auf der Abschussliste, weil die Tiere ihre Ernte zertrampeln oder auffressen. Unternehmen und Individuen in anderen Teilen der Welt haben zwar in der Theorie ein Interesse an lebenden Elefanten, praktisch aber keinerlei Handhabung, sie zu schützen. Die Blockchain bringe nun alle diese verschiedenen Player an einem Lagerfeuer zusammen, so Al Saqqaf. „Die Technologie zwingt sie, sich auf bestimmte Regeln zu einigen. Diese Regeln werden dann in einem Smart Contract festgeschrieben."
Konkret funktioniert das so: Die Elefanten werden mit Hilfe von Bewegungs-Kameras und anderen Sensoren getrackt. Diese dienen der Wissenschaft, senden aber auch ein Signal an die Blockchain. Pro Tag generiert jeder lebende Elefant damit einen sogenannten „Ecosystem Service Token“, kurz Eco-Token. Diese kosten je 40 Dollar und können von Unternehmen und in der Zukunft auch von Privatpersonen gekauft werden. Automatisiert werden fünf Prozent an die Ranger verteilt. 70 bis 75 Prozent gehen an lokale Communitys und ihre Bauern. Sie können sich damit ein neues Krankenhaus oder eine Schule bauen. Sie können auch in Bienenstöcke und Chili-Pflanzen investieren, die dafür sorgen, dass die Elefanten von ihren Feldern fernbleiben. Der Rest fließt an das Projekt Rebalance Earth, das einen Großteil in wissenschaftliche Projekte stecken will, um weitere CO2-sparende Tiere wie Wale oder Orang-Utans vor dem Aussterben zu retten.
Die Blockchain soll Vertrauen schaffen
Alle Parteien – Ranger, Bauern, Token-Käufer – können sich dank der Blockchain gegenseitig vertrauen. „Im klassischen Handel mit CO2-Zertifikaten geht das nicht", so Al Saqqaf. „Die Zertifikate können zweimal verkauft werden. Und es gibt viele Mittelsmänner, die sich ihren Anteil nehmen. Man nennt sie auch CO2-Cowboys. Sie wollen schnell Geld machen und hauen dann ab.“ Die Blockchain mache nun für alle transparent, wer wofür etwas bekommt. Dieses Vertrauen funktioniere in alle Richtungen, denn auch die lokalen Communitys können darauf vertrauen, dass sich ihr Minister mit dem Geld keine Luxusvilla baut. Läuft das Projekt einmal, wird das Geld direkt in ihrem digitalen Wallet landen und sie werden es sich in ihrer eigenen Währung auszahlen lassen können.
Am Markt muss sich Rebalance Earth noch beweisen. Gerade wird das System mit einigen Pilot-Kunden getestet. Zudem finden Konsultationen mit den Communitys statt, wie das Incentivierungs-Modell genau gebaut werden muss, um keine ungewollten Nebenwirkungen zu haben. Der offizielle Start erfolgt Ende dieses Jahres. Die große Vision: ein Marktplatz für Eco-Tokens, der hilft CO2 einzusparen und gleichzeitig in Biodiversität investiert, um gefährdete Arten zu schützen.
Andere Projekte sind hier schon weiter. Der Platzhirsch am Markt ist die Klima DAO – eine Dezentrale Autonome Organisation (DAO), bei der viele Menschen verteilt in der ganzen Welt gemeinsam ein Projekt verfolgen. Während Rebalance Earth auf Mikro-Ebene die Blockchain einsetzt, um CO2 einzusparen, geht es bei der Klima DAO gleich um die ganz große Bühne. Die rund 70.000 Mitglieder haben sich gemeinsam das Ziel gesetzt, den freiwilligen CO2-Markt auf die Blockchain zu heben. Dabei haben sie die Kryptowährung Klima geschaffen – eine der ersten Klima-positiven Währungen. Jeder Klima ist mit einem CO2-Zertifikat hinterlegt. Das soll locker sitzendes Kryptogeld in den Markt spülen und Projekte finanzieren, die unseren Planeten retten.
Das System funktioniert so: Gemeinsam mit Partnern wie dem Toucan Protocol wandelt die Klima DAO CO2-Zertifikate auf dem herkömmlichen Markt in Tokens um. Um die Qualität zu sichern, arbeiten sie mit Unternehmen wie Verra zusammen, die Projekte für den CO2-Handel zertifizieren. Firmen oder auch Privatpersonen können die Klima Tokens einkaufen, sie weiter handeln oder damit ihren CO2-Ausstoß ausgleichen. „Wir haben Tools, mit denen man als Individuum oder auch Unternehmen seinen CO2-Ausstoß berechnen kann“, erklärt Andrew Bonneau, der bei der Klima DAO für strategische Partnerschaften zuständig ist.
„Danach kannst du dir überlegen, wie du damit umgehen willst. Möchtest du ein Projekt unterstützen, das Windturbinen in einem Entwicklungsland baut oder lieber den Regenwald schützen? Unsere Tools geben dir Zugriff zum ganzen Spektrum der CO2-Zertifikate.“ Damit will die Klima DAO einen transparenten Marktplatz für CO2-Kredite schaffen, der zunehmend auch herkömmliche Unternehmen anlocken soll.
Im Hinblick auf die Quantität passiert das schon jetzt mit großem Erfolg. Obwohl sie erst 10 Monate alt ist, hält die Klima DAO nach eigenen Angaben über 18,5 Millionen Tonnen an CO2-Zertifikaten. Das ist mehr als der jährliche CO2-Ausstoß kleinerer Staaten wie Kroatien.
Was tun gegen ungewollte Nebenwirkungen?
Ein Volumen, das auf dem Markt deutlich zu spüren war – allerdings nicht nur mit positiven Auswirkungen. Die Klima DAO nutzt für die Tokenisierung von CO2-Zertifikaten unter anderem die „Toucan Bridge“ als eine Art technischer Zwischenhändler. Diese hat die NGO Carbonplan sich genauer angesehen und herausgefunden, dass viele der von Toucan auf die Blockchain gehobenen Zertifikate sehr alt sind und auf dem off-chain Markt schon länger nicht mehr oder noch nie gehandelt wurden – alles Hinweise auf schlechte Qualität.
Als Beispiel nennt Carbonplan ein Wasserkraftwerk in Yunnan, China. Dieses hat Ende 2021 seine ersten CO2-Zertifikate verkauft – an die Toucan Bridge. Zu diesem Zeitpunkt war es jedoch bereits fast fünf Jahre am Laufen. Zusätzliches CO2 wurde durch den Handel somit nicht eingespart. Laut Carbonplan hat die hohe Nachfrage aus der Krypto-Welt nun dazu geführt, dass viele solcher sogenannter „Zombie-Projekte“ zu neuem Leben erwachen und sich frisches Geld aus dem CO2-Handel holen, ohne damit zusätzliches Kohlendioxid einzusparen.
Klima DAO sieht das Problem daran am traditionellen CO2-Markt und der Validierung der dort gehandelten Zertifikate. „Weil die Blockchain so transparent ist, können solche Analysen überhaupt erst gemacht werden“, so Bonneau zu 1E9. Er verweist auf eigene Analysen von Toucan und Klima DAO, die einige der Angaben von Carbonplan korrigieren und zeigen, dass der Großteil der tokenisierten CO2-Kredite von Toucan und der Klima DAO auch auf dem klassischen Markt gehandelt werden. „Über die klassischen Broker, die damit handeln, wird nicht geschrieben. Weil wir transparent sind, ist diese Information überhaupt erst ans Licht gekommen.“
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Jetzt Mitglied werden!Die Klima DAO sieht sich nicht in der Rolle, selbst für die Qualität der CO2-Kredite zu sorgen. Dafür gebe es ja Institutionen wie Verra, die hohes Ansehen auf dem Markt genießen. Die Klima DAO wolle aber daran arbeiten, übersichtliche Interfaces zu gestalten, bei dem jeder Käufer von CO2-Krediten nach eigenen Kriterien filtern und somit selbst entscheiden kann, welche Qualitätsstandards angesetzt werden sollten. Trotzdem hat Verra im Mai dieses Jahres vorerst die Tokenisierung von CO2-Zertifikaten aus Verra-Registern verboten.
Derzeit findet eine öffentliche Anhörung statt, danach wird entschieden, ob und wie es mit CO2-Zertifikaten auf öffentlichen Blockchains weitergehen kann. Für Bonneau kein Grund zur Sorge. Er ist sich sicher, dass Verra sich die Innovationskraft der Web3-Welt nicht entgehen lassen wird: „Wir haben Hunderte von Mitwirkenden aus der ganzen Welt, die mit uns bauen, und alles, was wir machen, ist Open Source. Dieses wachsende Netzwerk können wir nutzen, um Lösungen für die seit Langem bestehenden Probleme des CO2-Markts zu finden.“
„Eine Explosion an verschiedenen Experimenten“
Genau darin liegt die große Chance, aber auch die Herausforderung der ReFi-Bewegung. Das Tempo des Experimentierens ist hoch. Dank des vielen Kryptogeldes wachsen einige Projekte rasant. Nicht ganz zu Ende gedachte Konzepte erzielen dann schnell ungewollte Nebenwirkungen. Gleichzeitig haben gerade DAOs mit vielen Mitwirkenden das Potenzial, schnell Lösungen für solche plötzlich auftauchende Stolpersteine zu finden, zumindest in der Theorie.
„Wir sehen eine Explosion an verschiedenen Experimenten“, meint auch Kevin Owocki in seiner Hängematte. „Die meisten von ihnen werden wahrscheinlich auf die lange Sicht nicht überleben, aber ein Prozent, vielleicht sogar zehn Prozent, haben das große Potenzial, die Welt grundlegend zu verbessern. Wir können gerade einen Mechanismus kollektiver Intelligenz in Echtzeit beobachten, der entscheidet, welche Projekte die Gewinner und welche die Verlierer sein werden."
Es bleibt zu hoffen, dass am Ende die Natur und ihre Artenvielfalt die großen Gewinner sein werden. Ohne die Elefanten, Wale, Orang-Utans und all die anderen Tiere und Pflanzen dieser Welt können auch wir Menschen auf Dauer nicht überleben.
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Titelbild: Unsplash: Kaffeebart, Nick Sarvari, Michael Förtsch / Komposition: Michael Förtsch
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