Blockchain-Entwickler Vitalik Buterin sieht Ethereum als „dezentralisiertes Metaversum“ – und rechnete nicht mit NFTs

Der Ethereum-Erfinder Vitalik Buterin war als Speaker bei 1E9 THE_CONFERENCE 2021 dabei. Einst ersann er die heute wichtigste Blockchain und entwickelte sie dann mit einem Team. Auf der Konferenz enthüllte er, was er von NFTs hält, wie er zum Umgang mit dem Energieverbrauch von Ethereum steht und wieso er glaubt, dass er wohl nicht auf Ewig „das Gesicht von Krypto“ sein wird.

Von Michael Förtsch

Ein Weltcomputer sollte es werden, das war die Grundidee hinter Ethereum. Mit kleinen Protokollen und Programmen, die direkt in die Blockchain hineingeschrieben werden können, sollte die Technologie, die schon vorher Bitcoin möglich machte, programmierbar und vielseitiger werden. Das war es, was der russisch-kanadische Entwickler Vitalik Buterin in einem sogenannten Whitepaper niederschrieb und dann mit einem Team von acht Co-Gründern und einem weit in der Welt verstreuten Entwicklerteam umsetzte. Heute ist Ethereum die wohl wichtigste Blockchain und die Ethereum-eigene Kryptowährung Ether eine der wertvollsten Kryptowährungen. Aber vor allem: Auf und um Ethereum hat sich ein riesiges und stetig wachsendes Ökosystem von Anwendungen entwickelt. Aber selbst Vitalik Buterin ist überrascht, wie einflussreich seine Vision wurde und auf welche Weisen sie heute genutzt wird. Das verriet er auf einem Panel bei 1E9 THE_CONFERENCE 2021.

Wie Buterin sagt, habe er Ethereum als ein „öffentliches Projekt“ gesehen, das „zum Wohle der Welt beitragen“ soll, in dem es eine Alternative zu den Rechner- und Dienstleistungsstrukturen der großen Internetfirmen bildet. Es solle eine Möglichkeit schaffen, auch neue und bis dato unbekannte Koordinations- und Verwaltungssysteme aufzubauen. Bereits im Whitepaper wurde die Möglichkeit zu sogenannten DAOs skizziert, voll-virtualisierten Unternehmen, die nicht mit menschlichen Mitarbeiter funktionieren, sondern über vorprogrammierte Regeln und Abstimmungssysteme gelenkt werden. DAO, das steht für Dezentralisierte Autonome Organisation. „Ich habe das Gefühl, dass [im Whitepaper] fast alle der großen Anwendungskategorien ausgelegt waren“, sagt Buterin. „Im Dokument stand etwas von Domainnamen und nun haben wir ENS. Im Dokument stand etwas von verschiedenen Finanzverträgen, und viele Leute haben das gemacht, es hatte aber keinen Namen, aber nun heißt es DeFi.“

Das Team von Ethereum, meint der Entwickler, habe grundsätzlich eine sehr klare Vorstellung gehabt, was sich mit der Blockchain anstellen lasse und welches die logischen Nutzungsmöglichkeiten wären. „Aber was wir nicht vorhergesehen haben: NFTs! Ich hätte das nicht vorhersagen können. Die haben mich wirklich total überrascht“, sagt Buterin. Dass die Ethereum-Nutzer die auf der Blockchain möglichen Smart Contracts irgendwann nutzen würden, um Einträge in das digitale Kassenbuch zu schreiben, die Kunst, digitale Güter oder sogar stoffliche Werte repräsentieren, habe er nicht geahnt. Es sei daher ein „sehr spaßiger Bereich“, den er mit großer Faszination verfolge. Schon zuvor hatte Buterin kommentiert, dass NFTs eine interessante Technologie darstellen, weil sie neue Konzepte provozieren und „die normalen Leute“ in die Krypto-Welt holen.

Buterin hofft, dass sich NFTs in ein „nachhaltiges Werkzeug“ verwandeln. Es sei beeindruckend zu sehen, wie Entwickler und Künstler versuchen würden, NFTs „irgendeine echte Bedeutung zu verleihen“, so dass sie nicht nur „glänzende Steine darstellen, die auf Auktionen gekauft und verkauft werden“. Er schaue sich mit viel Interesse an, wie NFTs an echte Güter wie Häuser gekoppelt werden. Er sei auch spannend, wie Entwickler vorhandene NFTs nutzen, um eigene Projekte auf diesen aufzubauen – vor allem im Hinblick auf Games. Ein Spieler hat beispielsweise ein NFT in seiner digitalen Brieftasche, das eigentlich in einem Fantasy-Videospiel ein Schwert darstellt. Aber ein vollkommen unabhängiger Entwickler entwickelt nun ein Videospiel, in dem dieses NFT beispielsweise ein Rennauto freischaltet. „Es gibt da heute so viel verrückten Kram“, sagt Buterin. „Das zu sehen ist wirklich aufregend.“

Der Überraschungserfolg

Die Ethereum-Blockchain zählt mittlerweile zu den wertvollsten digitalen Infrastrukturen. Tagtäglich werden mit über einer Million Transaktionen mehrere Milliarden Euro im dezentralisierten Ökosystem bewegt. Alleine die im Umlauf befindlichen Einheiten der Kryptowährung Ether sind über 490 Milliarden Euro wert. Dazu kommen zahlreiche Token-Währungen, die auf der Ethereum-Blockchain laufen. Darunter Satire-Währungen wie Shiba Inu, die zusätzliche Milliarden repräsentieren. „Was überraschend ist, ist einfach die schiere Größe, die das alles angenommen hat – und was es für eine Aufmerksamkeit auf sich zieht“, sagt Buterin daher im Panel-Gespräch auf der 1E9 THE_CONFERENCE 2021.

Im Jahr 2014 hätte er sich nicht vorstellen können, dass der Krypto-Raum so schnell solche Ausmaße annimmt – und insbesondere nicht Ethereum. „Als wir angefangen haben, dachte ich, dass Ethereum für mich ein zeitweiliges Projekt wird, das ich für einige Monate mache – und dann geht’s zurück an die Universität“, meint Buterin. „Aber dann ist das eben doch nicht so passiert.“ Das rapide Wachstum und die Goldgräberstimmung, die Ethereum auslöste, habe auch für einiges an Sorge und Unmut gesorgt. Nicht zuletzt die von 2016 bis 2018 andauernde Phase in der unzählige Projekte sogenannte ICOs starteten – Crowdfunding-Initiativen, bei denen Geld eingesammelt und Token an Teilnehmer ausgezahlt werden, um ein Krypto-Start-up zu finanzieren. Nicht wenige davon waren Betrügereien oder scheiterten glorios.

Als wir angefangen haben, dachte ich, dass Ethereum für mich ein zeitweiliges Projekt wird, das ich für einige Monate mache.

Vitalik Buterin

„Das fühlte sich irgendwie alles nicht wie der Ethereum-Weg an“, so Buterin. „Da war viel von einer Werde-schnell-reich-Mentalität. […] Einiges davon hat mich sehr enttäuscht. […] Das war nicht, wofür ich Ethereum gebaut habe.“ Heute sei die Lage aber eine andere. In den letzten zwei bis drei Jahren sieht der junge Entwickler einen Wandel hin zu einem „bedachteren Denken“, was die Nutzung von Ethereum betrifft. Zahlreiche Menschen würden Smart Contracts und DAO-Konstrukte verspielter, aber auch ernsthafter nutzen, um Projekte zu organisieren, zu kollaborieren und Gemeinschaftsgüter zu verwalten. Buterin hat unter anderem beobachtet, wie sich mit ConstitutionDAO eine Community fand, um eine seltene Kopie der US-Verfassung zu kaufen. „Das war ein wirklich spaßiges Experiment“, urteilt Vitalik Buteirn. „Das wäre vor fünf Jahren so nicht vorstellbar gewesen.“ Derartige Bewegungen seien „wirklich interessant“ und daher bewahre er sich „einen treibenden Optimismus“, was Ethereum angehe.

Ethereum als Metaverse?

Dass das Ethereum-Ökosystem heute diese riesige Digitalmaschine darstellt, das sei, meint Buterin, nicht ihm selbst zu verdanken. Die Anerkennung gebühre all den Entwicklern, die sich Ethereum angenommen haben. „Es gibt zahlreiche Menschen, die in Ethereum reingehen und einfach Applikationen bauen“, so der Ethereum-Erfinder. Die Blockchain sei auch genau dafür da gewesen. Aber Ethereum entwickele sich mittlerweile über eine reine Plattform für Applikationen hinaus. „Jetzt wird langsam klar, was hier passiert: Es entsteht eine Art dezentralisiertes und sich ständig wandelndes Metaverse“, sagt Buterin. „[Ethereum] ist eine digitale Welt, Menschen können Dinge in dieser Welt tun, sie können sich in diesen Inseln aufhalten [die all die Dienste darstellen], sie können zwischen ihnen hin- und herreisen, sie können miteinander reden, Dinge besitzen und Dinge handeln. All das geschieht schon jetzt.“

Es entsteht eine Art dezentralisiertes und sich ständig wandelndes Metaverse.

Vitalik Buterin

Ethereum sei heute noch nicht an dem Punkt angekommen, den sich Buterin wünschte, als er das Whitepaper schrieb. Aber „es entwickelt sich langsam in diese Richtung, in eine kohärente Vision davon, von dem ich mir erhofft hatte, was es den Menschen bringt“. Genau dafür müsse sich Ethereum aber auch selbst ändern. Es müsse von der großen Maschine, die derzeit immense Mengen an Energie verbraucht, zu einem effizienten Netzwerk umgebaut werden. Und das soll bald mit dem Update Ethereum 2.0 passieren, das das Proof of Work genannte Modell, bei dem Computer um die Wette rechnen, um neue Blöcke mit Transaktionen in die Blockchain einzustapeln, durch eine Alternative namens Proof of Stake ersetzt.

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Die Technologie und Blockchain-Infrastruktur für den Umbau existiert schon. Verschmelzungen des aktuellen Ethereum mit Ethereum 2.0 wurden bereits simuliert. „Was noch passieren muss, das sind Sicherheitsüberprüfungen und mehrere Tests“, sagt Buterin. Viele würden den Start des neuen und energiesparenden Ethereum bis Mitte 2022 erwarten. Aber: „Wir müssen noch ein Datum festlegen“, sagt er und mag daher noch keinen ungefähren Termin nennen.

Angesprochen auf den schon durch Ethereum verursachten CO2-Ausstoß sagt Buterin, dass er sich dessen durchaus bewusst sei. Buterin sieht viele Ansatzpunkte, wie Ethereum aber auch zu positiven Entwicklungen und einer Energiewende beitragen könne. Beispielsweise mit DAOs und Initiativen, die erneuerbare Energien fördern. Die Blockchain biete Möglichkeiten für Menschen jenseits von Hedgefonds und Energiekonzernen in saubere Stromerzeugungsprojekte zu investieren oder einen alternativen Strommarkt aufzubauen. Es könnten sich Menschen zusammenfinden und organisieren, um Solar- und Windparks zu finanzieren oder städtische Projekte anzustoßen. Auch die Ethereum Foundation, die die Entwicklung von Ethereum verwaltet, „schaut sich an, wie wir derartiges aktiver fördern können“.

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