Blockchain könnte Videospiele zu digitalen Parallelwelten mit eigener Ökonomie und Politik machen

Kryptowährungen wirbeln die Finanzwelt kräftig durcheinander. Die dahinterstehende Blockchain-Technologie soll nun auch die Welt der Videospiele verändern. Sie soll dafür sorgen, dass Spieler digitale Gegenstände wirklich besitzen, mit ihnen handeln und Geld verdienen können. Das soll irgendwann digitale Parallelwelten mit eigenen Wirtschaftskreisläufen und Regierungen ermöglichen. Ganz ohne Probleme ist all das aber nicht.

Von Michael Förtsch

Es ist schon überwältigend. Was moderne Videospiele heute leisten, wäre vor 15 Jahren für viele noch vollkommen undenkbar gewesen. Red Dead Redemption, Horizon: Zero Dawn und Assassin’s Creed: Valhalla lassen die Spieler Dutzende von Quadratkilometern große Welten erkunden, die mit Menschen und Tieren bevölkert sind. Games wie No Man’s Sky und Elite Dangerous: Odyssey simulieren ganze Galaxien und Universen voller verschiedenster Planeten. Project Cars 3 und Death Stranding zeichnen beeindruckend glaubwürdige und in Teilen sogar fotorealistische Umgebungen auf die Bildschirme. Das Battle-Royale-Game Scavengers lässt bis zu 9.000 Spieler gleichzeitig in einer Welt miteinander kämpfen. Und Dual Universe schafft es sogar, bis zu 30.000 Spieler zur selben Zeit in einem gemeinsamen Sonnensystem spielen und Planeten besiedeln und umgestalten zu lassen. Es sind komplexe Grafik-Motoren und Server-Systeme, die das erlauben.

Das alles ist äußerst imposant. So sehr sogar, dass die Technik mancher Videospiele bereits Einzug in die Welt von Film und Fernsehen hält. Oder in der Wissenschaft zum Einsatz kommt. Einen richtigen Umbruch oder gar eine Revolution in der Videospielwelt gab es trotzdem seit langem nicht mehr. Eher eine stete Evolution von bereits seit über einem Jahrzehnt und länger etablierten und gut bekannten Konzepten. Allerdings scheint gerade langsam und von vielen Spielerinnen und Spieler noch unbemerkt eine Technologie in das Universum der Games Einzug zu halten, die die kommenden Generationen der digitalen Unterhaltung prägen könnte: die Blockchain. Die Technik also, die Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum, Cardano, Tezos erst sicher und vertrauenswürdig macht. Sie könnte die Zukunft der Videospiele sowohl auf positive als auch auf eher fragwürdige Weise beeinflussen.

Ein Eintrag in der Blockchain

Es lässt sich immer noch nicht sagen, wer der Mensch mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ist. Doch wer auch immer es ist – oder war –, er hat nicht nur Bitcoin in die Welt entlassen, sondern mit der Blockchain auch eine Technologie, die langfristig wohl noch deutlich bedeutender sein wird als die Kryptowährung. Die Blockchain ist kompliziert und simpel zugleich. Sie ist eine Datenbank, bei der Einträge nicht einfach linear hintereinander weg geschrieben, sondern in Blöcken zusammengefasst und von Computern verifiziert und aneinandergereiht werden. Dabei wird bei jedem Anlegen eines neuen Blocks aus dem Inhalt des vorherigen eine einzigartige Zahl generiert, mit der der neue Block beginnt.

Findet irgendwo in der langen Kette der Blöcke eine Manipulation statt, passen die Blöcke nicht mehr zueinander. Und da die Blockchain nicht nur auf einem Computer, sondern Dutzenden, Hunderten, Tausenden oder sogar Millionen läuft, fällt das auf – wodurch die korrumpierte Blockchain ausgeschlossen wird. Eine Blockchain ist dadurch sicher, zumindest sicherer als alle zentralen Datenbank-Modelle, die es bisher gibt. Aber nicht nur das. Mit Weiterentwicklungen wie der Ethereum-Blockchain wurde es möglich, auf Blockchains auch kleine Programme wie selbst ablaufende Verträge zu speichern. Und auch andere und verschiedene Daten- und Währungseinheiten neben der Hauptwährung – sogenannte Token, von denen besonders die non-fungible token, die NFTs, mittlerweile große Bekanntheit erlangt haben.

„Ich begann mich zu fragen, wie all das das Gaming irgendwie beeinflussen oder verändern könnte“, sagt Sergey Kopov im Gespräch mit 1E9. Er ist ein langjähriger Spieleentwickler und Gründer von 0xGames, einem der ersten dezidierten Blockchain-Gaming-Studios. Wann er genau das erste Mal von Blockchain hörte, daran kann sich Kopov nicht mehr erinnern. Aber sein spielerisches Interesse sei mit dem Start von CryptoPunks geweckt worden. Bei diesem Projekt des Start-ups Larva Labs wurden von einem Algorithmus 10.000 Gesichter im Stile früher Adventure-Spiele generiert. Das Unternehmen hat sie dann als einzigartige NFT-Sammelobjekte herausgegeben. Wenig später folgte CryptoKitties von Dapper Labs bei dem statt Pixel-Gesichtern nun Comic-Katzen als NFTs generiert wurden, die von den Sammlern jedoch gepaart werden können, um neue und ebenso einzigartige Katzen zu erschaffen.

Beides waren technisch spannende Projekte. Aber: „Es sind halt nur bunte Bilder, die getauscht und kombiniert werden“, kritisiert Sergey Kopov. „Ich dachte mir, dass es doch machbar sein müsste, ein eher klassisches Videospiel mit diesen [Blockchain-]Prinzipien umzusetzen.“ Gemeinsam mit einem kleinen Team startete er 0xGames und entwickelte 0xUniverse , ein Browser- und Mobile-Game, bei dem Spieler seit 2018 drei virtuelle Universen mit jeweils einer Million Planeten erobern – zunächst auf der Ethereum- und heute auch auf der Polygon-Blockchain. Sie kaufen sich mit der Kryptowährung Ether beziehungsweise mit MATIC zunächst einen Heimatplaneten, bauen dann Raketen, nehmen neue Planeten in Besitz, fördern deren Rohstoffe oder verkaufen sie auf einem Marktplatz, dringen weiter ins All vor, finden Artefakte und gehen Allianzen ein – oder beginnen auch Kriege.

„Es passieren dabei viele komplizierte Dinge und entspinnen sich komplexe Situationen “, erklärt Kopov. Und die Blockchain sei prädestiniert, um „solche komplexen sozioökonomische Beziehungen unter verschiedenen Teilnehmern abzubilden“. Denn es wird nahezu alles im 0x-Universum als ein digitaler Eintrag auf der Blockchain – also als ein handelbarer Token oder als einzigartiger NFT-Eintrag – gespeichert. Ebenso wird nahezu jede Entscheidung, die ein Spieler trifft, als eine Traktion und Signatur verzeichnet. Dadurch wird ganz automatisch eine digitale Historie des Spielgeschehens mitgeschrieben, die sogar das Spiel selbst in der Datenbank überleben könnte. „Es wäre tatsächlich irre schwer, das ohne eine Blockchain umzusetzen“, sagt Kopov.

Ich dachte mir, dass es doch machbar sein müsste, ein eher klassisches Videospiel mit diesen [Blockchain-]Prinzipien umzusetzen.

Sergey Kopov

Zusätzlich mache es die Blockchain auch den Spielern selbst einfacher, komplexe und vielschichtige Spielerfahrungen zu machen. Beispielweise, wenn sie sich in 0xUniverse zu einer Corporation genannten Allianz zusammenfinden. „Die Corporations im Spiel funktionieren wie Börsenunternehmen. Die Spieler halten Anteile daran, die unter ihnen aufgeteilt sind“, erklärt Kopov. „Dadurch können die Spieler [basierend auf ihrem Anteil am Unternehmen] Entscheidungen darüber treffen, in welche Richtung sich das Tun der Firma entwickelt, welche Ziele sie verfolgt und was als nächstes ansteht. Außerdem werden die Gewinne der Unternehmen unter den Anteilseignern fair aufgeteilt.“ Es braucht dafür keinen Spielcode. Denn all das wird vollautomatisch über digitale Verträge auf der Blockchain geregelt.

Mit 0xUniverse ist eine Blockchain also durchaus funktional und ebenso erfolgreich im Spieleinsatz. Auch wenn das Studio 0xGames, wie der Gründer eingesteht, aufgrund einiger falscher Entscheidungen schließen musste. Da es so beliebt ist, wird 0xUniverse mit der Unterstützung der Spieler bis heute weiterentwickelt. „0xUniverse ist heute unter den Top-3-Spielen auf Polygon“, sagt Kopov. Bald soll es daher mit einer weiteren Galaxie auch auf die FreeTON-Blockchain gebracht werden. Darauf ist der Entwickler, der mit seinem neuen Studio Sunday Games derzeit an einem neuen Projekt arbeitet, durchaus stolz. Wirklich interessant werde es aber erst, glaubt er, wenn die ersten „größeren Games“ erscheinen, die auf die Blockchain setzen. Und die sind bereits auf dem Weg.

Triple-A-Blockchain

„Ich bin fest überzeugt, dass wir die Blockchain in der Zukunft in vielen großen Games sehen werden“, sagt Sébastien Borget. Er ist Spieleentwickler, aber auch Leiter der Non-Profit-Organisation Blockchain Game Alliance, die die Nutzung der Blockchain in der Spieleindustrie fördern will. „Denn wir glauben, dass wir hier eine Technologie mit gigantischem Potential haben, die viele neue Möglichkeiten für Spieler, aber auch Entwickler bereithält, die neue Optionen bietet, um Spiele zu finanzieren und die Spieler gleichzeitig zu belohnen“, sagt Borget. „Natürlich braucht es eine gewisse Zeit für eine Annäherung, ein Forschen und Experimentieren, um herauszufinden, wie sich die Blockchain-Technologie und alles, was damit möglich ist, gut in bekannte Spielkonzepte integrieren lässt – oder wie damit ganz neue Spielmöglichkeiten schaffbar werden.“

Auf ein ziemlich bekanntes und vor allem beliebtes Konzept setzt Age of Rust des Studios SpacePirate Games, das eines der ersten größeren Blockchain-Games werden soll. Die Macher entwickeln damit einen aufwendigen Ego-Shooter, der in einem finsteren Science-Fiction-Kosmos mit Raumstationen und zerstörten Planeten angesiedelt ist, in dem ein Krieg zwischen Menschen und Maschinen stattgefunden hat. Dessen Auslöser soll der Spieler herausfinden – als eine über Jahrhunderte im Kryoschlaf befindliche Cyber-Kriegerin. Immer wieder stellen sich ihr Roboterkrieger, Weltraumpiraten und Banditen in den Weg, die mit High-Tech-Schwertern, Laser- und Plasmawaffen besiegt werden müssen.

Dabei werden neue Ausrüstungsgegenstände erspielt. Doch die landen nicht nur in einem Spielinventar, sondern werden ad hoc auch als NFT in einer digitalen Brieftasche gespeichert – genauer: einer Wallet der Blockchain-Plattform Enjin. Will man einen der Ausrüstungsgegenstände nicht nutzen oder weiß nichts damit anzufangen, kann dieser in Form des NFT direkt im Spiel gegen die Kryptowährung Enjin eingeschmolzen oder auf einer NFT-Plattform versteigert werden. Die Kryptowährung Enjin kann dann genutzt werden, um einen passenderen Gegenstand zu ersteigern. Oder sie kann bei einer Kryptobörse einfach gegen eine andere Kryptowährung wie Bitcoin, Ether oder auch echtes Geld getauscht werden.

In aktuellen Online-Rollenspielen zum Beispiel, wenn du da ein Schwert oder eine Rüstung bekommst, besitzt du die nicht. Es entscheidet ein Eintrag auf einem Server, ob die Gegenstände in deinem Inventar liegen. Aber mit NFTs hast du deine Gegenstände wirklich.

Sébastien Borget

„Es ist ganz einfach“, sagt Sébastien Borget, der nicht an der Entwicklung von Age of Rust beteiligt ist. „In aktuellen Online-Rollenspielen zum Beispiel, wenn du da ein Schwert oder eine Rüstung bekommst, besitzt du die nicht. Es entscheidet ein Eintrag auf einem Server, ob die Gegenstände in deinem Inventar liegen. Aber mit NFTs hast du deine Gegenstände wirklich. Es steht in der Blockchain, du hast sie in deiner Wallet – auch, wenn das Videospiel irgendwann verschwinden sollte oder dein Spiel-Account gelöscht wird. Du hast die NFTs und kannst damit machen, was du willst.“

Die Zeit und die Mühe, die ein Spieler dadurch in dieses oder ein anderes Blockchain-Game investiert, soll dadurch bares Geld wert sein. Ganz ähnlich bei Taurion , einem Science-Fiction-Strategie-Online-Videospiel in einer Dune-gleichen Welt, das auf das Spielprinzip von Klassikern wie Battle Isle aufsetzt. Drei verfeindete Fraktionen kämpfen darin in strategischen Schlachten um einen öden Planeten, der reich an Ressourcen ist. Jeder einzelne Zug des Spielers soll in der eigens für Gaming-Zwecke entwickelten Xaya-Blockchain verzeichnet werden – genau wie auch Rohstoffe und Blaupausen für Kriegsgerät, die mit anderen Spielern gehandelt werden können. Sei es direkt im Spiel oder aber auf vollkommen unabhängigen Marktplätzen oder Auktionshäusern.

Wird ein NFT verkauft, verdient der Entwickler oder Ersteller selbst mit. Denn wie auch bei den NFTs von Kunstwerken, kann auch bei virtuellen Rüstungen, Laserwaffen oder Gebäude eine Weiterverkaufsbeteiligung von einigen Prozent für den Ersteller einprogrammiert werden. Das würde Spielemachern erlauben, ganz nebenbei und basierend auf dem Erfolg ihrer Games mitzuverdienen. Seien es unabhängige Entwickler oder auch die etablierten Größen der Branche.

Tatsächlich beginnen auch zunehmend bekannte und etablierte Studios und Spielehersteller die Blockchain und ihre Möglichkeiten zu erforschen. Darunter etwa Assassin’s-Creed-Macher Ubisoft. Das französische Unternehmen hat sich erst zu Beginn des Jahres 2021 als Unterstützer der Tezos-Blockchain präsentiert, mit Rabbids Token bereits ein NFT-Sammelkartenspiel zu den Studio-Maskottchen Rabbids entwickelt und unterstützt mit seinem Strategic Innovation Lab verschiedene Blockchain-Initiativen und Entwickler, darunter etwa die von Taurion oder auch von Nine Chronicles , einem Fantasy-Rollenspiel.

„Bei Ubisoft glauben wir, dass die Blockchain-Technologie viel Potential für die Zukunft des Gaming bereithält“, lässt uns ein Sprecher von Ubisofts Innovationslabor wissen. Das Strategic Innovation Lab würde daher auch verschiedene Blockchain-Protokolle neben Tezos auskundschafteten und deren Möglichkeiten für zukünftige Projekte erforschen – auch für mögliche Games, die direkt in den Studios von Ubisoft entstehen könnten. Trotzdem, glauben die Ubisoft-Entscheider, sei die Technologie noch vergleichsweise jung und ihre Anwendung momentan noch in der Nische verhaftet. Aber sie wachse und entwickle sich in eine Richtung, die sie letztlich auch für Nicht-Krypto-Kenner zugänglich, bedienbar und verständlich machen würde.

Bei Ubisoft glauben wir, dass die Blockchain-Technologie viel Potential für die Zukunft des Gaming bereithält.

Ubisoft

Auch andere Größen der Gaming-Branche haben einen Blick auf die Blockchain geworfen. Der Fortnite-Entwickler Epic Games experimentierte bereits 2018 kurzzeitig mit der Kryptowährung Monero. Und laut Epic-Gründer Tim Sweeney wären „viele von uns bei Epic große Fans von dezentralisierter Computertechnologie, die Kryptowährungen ermöglicht“ und „wir lesen viele Studien und sprechen mit vielen klugen Leuten, um mehr über die möglichen Implikationen zu lernen.“ Weitere Studios und Hersteller sollen bereits an konkreten Ideen für Games mit bekannten Namen arbeiten, bei denen die Technologie in einigen Jahren eingesetzt werden könnte.

Ein namhaftes Studio arbeite Gerüchten zufolge zumindest an einem Konzept für einen Online-Shooter ähnlich Destiny und Warframe bei dem sich Spieler in einer Zukunftswelt als Söldner im Kampf zwischen großen Firmen verdingen, die um die Vorherrschaft kämpfen. Als mögliche Spielwährung wird eine Kryptowährung debattiert, die in Ausrüstung, Aktienanteile an den fiktiven Firmen oder für die Unterstützung von anderen Söldnern ausgegeben – oder auch gegen Euro, Dollar und andere Echtwelt-Devisen getaucht – werden könnte.

Digitale Welten

Mit Blockchain-Games könnten Spieler tatsächlich reales Geld verdienen. Sie könnten sich, sollte das Game populär genug und dadurch die entsprechenden Kryptowährungen und NFTs hoch genug bewertet sein, damit vielleicht sogar ihren Lebensunterhalt verdienen. Dieser Gedanke scheint aus Science-Fiction-Romanen wie Ready Player One oder Snow Crash zu stammen, ist aber eigentlich alles andere als futuristisch oder abwegig. Denn es gibt durchaus Menschen, die bereits mit Blockchain-Games das Brot auf den Tisch bringen. Zumindest auf den Philippinen, wo unzählige Leute in Folge der Corona-Pandemie ihre Anstellung verloren. Für mehrere Tausende Menschen wurde dort das populäre Play-to-Earn-Mobile-Game Axie Infinity zu einer Einnahmequelle.

Bei Axie Infinity kaufen Spieler zunächst als NFT existierende Mini-Monster, die sie ähnlich wie bei CryptoKitties miteinander kreuzen und handeln können. Aber sie können sie auch gegen die Mini-Monster anderer Spieler antreten lassen, ganz ähnlich wie bei den Pokémon-Videospielen. Dabei gibt es die Chance, eine Kryptowährung zu gewinnen – Small Love Potion, oder SLP –, die je nach Kurs und je nach Spieleinsatz bei einem Tausch gegen Echtgeld im Monat bis zu 350 Euro bringen kann. Alleine Ende 2020 verzeichnet das Blockchain-Game in den Philippinen dadurch fast 20.000 Spieler. Andere Blockchain-Games wie CityStates: Medieval und Lightnite mit vergleichbaren Möglichkeiten erfahren zunehmend eine ähnliche Aufmerksamkeit.

„Es sollte nicht der Hauptgrund sein, aus dem du spielst“, sagt Sébastien Borget dazu. „Aber du kannst dadurch deine Spielzeit in einen Gewinn verwandeln. Zeit in ein solches Spiel zu stecken, lernen, besser zu werden, kann eine echte Investition werden.“ Geht es nach Sébastien Borget von der Blockchain Game Alliance ist das aber eigentlich erst der Anfang. Er glaubt, dass durch die Verbindung von Blockchains und Games ganz neue Welten entstehen könnten, ja, sogar regelrechte Universen und Metaversen. Denn Sébastien Borget ist auch Co-Gründer des Studios Pixowl und Entwicklungsleiter von The Sandbox , einem 3D-Universen-Projekt, das auf die Blockchain setzt.

The Sandbox gleicht optisch einer Mixtur aus Minecraft und Roblox und soll seine Spieler in eine riesige Welt aus Abertausenden von kleinen Parzellen entlassen, die sie frei erkunden können. Die sollen sie selbst mitgestalten, ausbauen und dadurch ihre eigenen Mini-Welten erschaffen. Das Land in der virtuellen Welt wird dafür in wiederkehrenden Auktionen nach und nach versteigert. Einzelne Spieler und Gruppen von Spielerinnen und Spielern haben sich bereits Parzellen gesichert. Genau wie große Unternehmen und Investoren. Mehrere breite Flecken gehören den Krypto-Börsen Binance und Coincheck, dem Krypto-Nachrichtendienst CoinMarketCap, dem Spielemacher Atari oder auch dem Investmentunternehmen der Winklevoss-Zwillinge.

Wir glauben, dass es einen Anreiz gibt, wirklich etwas mit diesem Land anzustellen; die Leute zu begeistern und wiederkommen zu lassen.

Sébastien Borget

„Sie können auf diesem Land bauen – sie können dort Spiele erschaffen und Attraktionen, die sie besuchenswert machen“, sagt Borget. Wie der Entwickler gesteht, gebe es natürlich viele, die das Land derzeit als Spekulationsobjekt halten. Aber: „Wir glauben, dass es einen Anreiz gibt, wirklich etwas mit diesem Land anzustellen; die Leute zu begeistern und wiederkommen zu lassen“, sagt Borget. Das Land habe letztlich nur einen Wert, wenn es auch genutzt und gebraucht wird, um eine echte Präsenz und Erfahrung in The Sandbox zu begründen.

Beispielsweise ließen sich auf dem Land die Welten aus anderen Videospielen oder Comics nachbauen. Es könnten aber auch virtuelle Museen, Arcade-Hallen oder Veranstaltungsräume für Konferenzen, Ausstellungen oder Konzerte errichtet werden. Oder auch Läden, in denen virtuelle T-Shirts oder Fahrzeuge verkauft werden. Mit einem Editor können Nutzer schon jetzt eigene Kreaturen, Fahrzeuge, Kostüme, Einrichtungsgegenstände und vieles mehr erschaffen – und diese als Einzelexemplare oder in begrenzter Auflage als NFT registrieren und auf einem Markt an andere Nutzer verkaufen. „Es ist eigentlich nicht anders als in der echten Welt“, sagt Sébastien Borget. „Du kannst in der echten Welt als Designer oder Architekt arbeiten, du kannst das aber auch in The Sandbox.“

The Sandbox ist nicht das erste und nicht das einzige virtuelle Universum, das diesen Weg gehen soll. Bereits 2015 startete die Entwicklung von Decentraland , das von der Non-Profit-Organisation Decentraland Foundation auf- und ausgebaut wird und seit Februar 2020 für jeden zugänglich ist. Auch dessen Landstriche wurden verkauft. Dabei taten sich vor allem zahlreiche Kollektive aus interessierten Spielern zusammen, um gemeinsam große Landstriche zu erwerben und mit einem umfangreichen Editor-Programm zu bebauen. Eine der Gruppen hat vor, mit Aetheria eine virtuelle Cyberpunk-Stadt zu konstruieren, die von Blade Runner, Tron und Neuromancer inspiriert sein soll.

Du kannst in der echten Welt als Designer oder Architekt arbeiten, du kannst das aber auch in The Sandbox.

Sébastien Borget

Die Planer von Aetheria wollen mit Fractus einen Club in Pyramidenform eröffnen, in dem die Spieler tanzen gehen können. Es soll eine Arena geben, in der sich Spieler duellieren, eine Spielhalle, ein Kasino, Bühnen für Musiker und Kinos für Filme und eSport-Streams sollen ebenfalls nicht fehlen. Eine dicht bepackte Einkaufsstraße ist angedacht, in denen Spieler Läden mieten und dort eigene digitale Kreationen verkaufen können. Verwaltet werden soll die Stadt irgendwann von einer Dezentralisierten Autonomen Organisation, also Protokollen, die Geschäfte und Entscheidungen über Smart Contracts auf der Blockchain abwickeln. Die DAO soll dafür sorgen, dass alle, die an Aetheria mitwirken, fair und gerecht daran mitverdienen, wenn jemand in Bars virtuelle Drinks ordert, auf den Ausgang eines Kampfes wettet oder Spieler die Tickets zu virtuellen Konzerten kaufen.

Erst im Juni 2021 kaufte das Blockchain-Start-up Boson für 600.000 Euro einen Landstrich in Decentraland , um dort eine digitale Mall zu bauen, ein riesiges Einkaufsparadies, wo „einige der bekanntesten Marken“ digitale Fassungen ihrer Produkte anbieten können. Die virtuellen Areale in den digitalen Blockchain-Welten sollen dadurch funktionieren wie kleine autonome Staaten – die aber durch die Blockchain verbunden sind. Letztlich könnte es sogar dazu kommen, dass sich diese virtuellen Welten zu einem gemeinsamen Multiverse verbinden, zwischen denen die Nutzer nahtlos hin- und herwechseln können. Ein NFT, das im einem Digitalreich eine Ritterrüstung darstellt, könne in einem anderem eine vergleichbar wertvolles Science-Fiction-Exoskellet repräsentieren.

Diese Welten könnten zu echten Parallelwelten heranwachsen, in denen eigene Wirtschaftskreisläufe und Arbeitsmärkte entstehen. Und dadurch womöglich auch ganz neue Berufe, Hobbies und Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Wie Sébastien Borget gesteht, klinge das alles derzeit noch sehr schräg und in Teilen sicher für viele schwer verständlich. „Aber wenn wir erstmal eine Generation haben, die mit diesen Welten aufgewachsen ist, die Blockchain und NFTs einfach kennen: für sie wird das alles ganz natürlich sein“, meint er. Das werde vielleicht noch nicht in diesem Jahrzehnt so kommen. Aber wohl im kommenden. Dann könne man bereits Blockchain- und NFT-Natives haben, die solche Welten ganz normal besuchen.

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Schöne neue Blockchain-Welt?

Die Blockchain ermöglicht große Visionen in der Welt der Videospiele. Aber ganz so problemfrei ist die Verschmelzung der beiden Welten nicht, wie Sergey Kopov von 0xGames erklärt. Das Team um den Entwickler startete die Entwicklung seines Games 0xUniverse auf der Ethereum-Blockchain, musste aber nach gewisser Zeit feststellen, dass diese Blockchain „für Spiele eher nicht so gut tauglich ist“. Denn bei dem Netzwerk werden für Transaktionen bestimmte Gebühren fällig, die auf Basis der Last und der für die Transaktion nötigen Rechenleistung kalkuliert werden. Die muss gewöhnlich der Nutzer zahlen. „Es gab einen Punkt, an dem die Transaktionskosten bei Ethereum einfach zu hoch wurden“, sagt Kopov – und führt an, dass es zum Start der Entwicklung von 0xUniverse noch nicht allzu viele Alternativen gab.

Je nach Spielerzahl und der Art des Videospiels muss die zugrundeliegende Blockchain womöglich Tausende Transaktionen pro Minute verarbeiten und mitschreiben – und möglichst schnell und sicher bestätigen – können. Die Ethereum-Blockchain stemmt derzeit rund 1.500 pro Minute – aber soll irgendwann mehrere Millionen schaffen können. Als CryptoKitties abrupt zum Phänomen wurde, wurde es zeitweise zur meistgenutzten Anwendung auf der Ethereum-Blockchain und sorgte für eine Last, die Ethereum durch gestiegene Transaktionskosten und verzögerte Transaktionsbestätigungen zum Teil unbenutzbar machte. Die virtuellen Katzen zu verkaufen und zu kreuzen wurde zu einer Investition an sich. Und zu einem lästigen Bremsblock.

Die Entwickler von Kryptowährungen wie Cardano, MATIC, EOS, Algorand und Solana behaupten, dass das bei ihren Blockchain-Systemen anders wäre. Sie sollen schon jetzt deutlich schneller, flexibler und resilienter als Ethereum sein. Doch auch diese Blockchains haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile – insbesondere, da sie möglichst vielfältig und für alle möglichen Dienste nutzbar sein sollen. Sei es für Geldtransfers, die Nutzung als Ticketsystem, als Datenbank für Gesundheits-, Bürger- und Schuldaten und vieles mehr. Daher arbeiten einige Start-ups an Blockchain-Ökosystemen wie Flow oder Xaya die ganz spezifisch auf NFTs und Games zugeschnitten sind. Jedoch müssen auch die erst beweisen, dass sie skalieren können, also wachsen und unter großer Last funktionieren.

Sébastien Borget räumt ebenfalls ein, dass Blockchain und Games nicht immer eine einfache Kombination sind. Aber das wäre bei klassischen Spieleentwicklungen und etablierten Technologien nicht gerade anders. „Es ist, als ob du dich für eine Grafik-Engine für ein Videospiel entscheiden musst“, sagt Borget. „Du musst wissen, was du für ein Videospiel entwickelst, was du dafür brauchst. Ist dafür die Unreal Engine die beste Entscheidung? Oder vielleicht die Unity Engine? Jede hat ihre Eigenheiten, die, je nachdem, ein Vor- oder Nachteil sein können.“ Es gäbe nicht die generell richtige oder falsche Blockchain. Nur die richtige und falsche Blockchain für ein jeweiliges Game.

Doch Blockchain-Videospiele offenbaren noch eine ganz andere Herausforderung. Nämlich die des Kapitalismus. Games, die auf Blockchain-Datenbanken setzen, bauen dadurch unmittelbar auf Transaktions- und Eigentumsmechaniken auf. Das Handeln, Besitzen und Transferieren von Geldeinheiten ist fest eingebaut. Es ist der Kern der Blockchain-Mechanik. Wie bereit sind Spieler in einem Online-Rollenspiel, einem anderen Spieler bei einer Mission zu helfen, wenn sie in der selben Zeit selbst Fortschritte machen könnten, die sich in echten Euros auszahlen könnten? Ist jemand bereit, eine Rüstung zu verschenken, wenn sie plötzlich nicht mehr nur digitales Gold wert ist, sondern jemand auf einem Marktplatz womöglich Kryptowährung im Gegenwert von 160 Euro dafür bezahlen würde?

Du musst wissen, was du für ein Videospiel entwickelst, was du dafür brauchst.

Sébastien Borget

Und vor allem: Wie fair wären solche Spiele noch für jemanden mit einem kleinen Geldbeutel, fragt etwa der Krypto-Entwickler Jonathan Sterling, wenn sich jemand mit einem dicken Geldbeutel einfach seine ideale Spielausrüstung auf einem Marktplatz zusammensuchen oder das schickste Appartement in einer virtuellen Welt kaufen kann? Einen möglichen Ausblick darauf geben etwa Romane wie 88 Names und Ready Player One , in denen wohlhabende Spieler die ultimative Freiheit genießen, während andere und ärmere Spieler ihnen als Lakaien und Wegführer in den digitalen Welten dienen. Oder in denen sozial Schwächere ihr digitales Leben riskieren, um Gegenstände zu ergattern, die sie dann gleich wieder verkaufen müssen, um ihre ganz reale Strom- und Internetrechnung begleichen zu können.

Könnte es am Ende vielleicht auch ganz anders kommen? Könnten Designer von virtuellen Kleidern, Fahrzeugen und Städten zu echten Stars und großen Namen werden, die dann in einem Atemzug mit Ralph Lauren, Elon Musk und Bjarke Ingels genannt werden? Könnten passionierte Gamer unabhängig von ihrer Herkunft in kommenden Blockchain-Videospielen zu Heroen werden, die sich nicht nur einen digitalen, sondern ganz realen Wohlstand erkämpfen können? Tatsächlich lässt sich bisher lediglich darüber spekulieren. Sicher ist allerdings: Die Blockchain Games sind bereits da, wenn auch noch unter dem Radar vieler Spieler. In den kommenden Jahren dürften sie bekannter, größer und deutlich einflussreicher werden – und womöglich einen ebensolchen Eindruck hinterlassen wie Kryptowährungen wie Bitcoin, Ether und andere.

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