Deutschland will für seine Stromversorgung unabhängig von Gas werden. Vor allem von russischem Gas. Und das schneller als ursprünglich geplant. Allein durch den Ausbau von Wind- und Solarkraft wird das nicht gelingen. Zusätzlich braucht es Energiespeicher. Doch Lithium-Ionen-Akkus sind dafür nur bedingt geeignet. Firmen wie VoltStorage aus Deutschland oder ESS aus den USA setzen daher auf Eisen-Salz-Batterien. Warum, das haben sie 1E9 erklärt.
Von Wolfgang Kerler
Bei der Energiewende geht es jetzt nicht mehr nur um Klimaschutz. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine dienen Erneuerbare auch „der öffentlichen Sicherheit“. So verkündete es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als er Anfang April sein Osterpaket vorlegte. Darin stecken etliche Maßnahmen, um Deutschland schneller unabhängig von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas zu machen. Das Paket schaffe die „Voraussetzungen für die Energiesicherheit und die Energiesouveränität Deutschlands“, so Habeck.
Die Ausgangslage könnte besser sein, wie das Beispiel Erdgas zeigt. Vor dem Ukraine-Krieg lag der Anteil der Importe aus Russland für die EU bei etwa 40 Prozent, für Deutschland schwankte er sogar um 50 Prozent. Bis Jahresende soll er zwar auf 35 Prozent sinken, unter anderem durch den Ankauf von Liquefied Natural Gas – kurz LNG –, also verflüssigtem Gas, aus anderen Ländern. Das verlagert die Abhängigkeit allerdings nur. Beenden kann sie nur der Ausbau von Wind- und Sonnenkraft, der durch das Osterpaket beschleunigt werden soll. Heute decken Erneuerbare etwa 40 Prozent des deutschen Strombedarfs. Bis 2030 sollen es 80 Prozent werden, bis 2035 nahezu 100 Prozent.
Ohne den zusätzlichen Bau von Stromspeichern wird das aus Sicht vieler Experten allerdings nicht gelingen. Denn die langen Genehmigungsverfahren, Sonderregeln einzelner Bundesländer und Bürgerinitiativen gegen den Bau neuer Wind- und Solarparks sind nicht die einzigen Hürden für die Energiewende. Erschwerend kommt nämlich hinzu, dass zusätzliche Windräder oder Photovoltaikanlagen immer weniger bringen, je höher der Anteil der Erneuerbaren schon ist.
„Für die ersten 50 bis 60 Prozent Erneuerbare im Netz braucht man kaum Speicher, weil der Markt sie so aufnimmt, aber ab etwa 85 Prozent Erneuerbaren schnellt der Speicherbedarf exponentiell in die Höhe“, sagte etwa Michael Sterner, Professor für Energiespeicher und Energiesysteme in Regensburg, dazu erst kürzlich der WirtschaftsWoche.
Ein oft diskutierter Grund: Der Wind weht und die Sonne scheint immer dann nicht, wenn der Strombedarf am höchsten ist. Der grüne Strom muss also in Speichern zwischengeparkt werden für windstille, dunkle Zeiten, in denen bisher Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke einspringen. Für mehrere Stunden, manchmal auch Tage. Außerdem braucht es die Speicher, damit die Stabilisierung des Stromnetzes bei kurzfristigen Schwankungen ohne konventionelle Kraftwerke gelingt.
In einer Studie kamen McKinsey und der Wirtschaftsverband LDES Council, in dem sich Produzenten von Langzeitstromspeichern zusammengeschlossen haben, zum Ergebnis, dass bis 2040 weltweit 85 bis 140 Terrawattstunden an zusätzlicher Speicherkapazität benötigt werden, um das Ziel einer klimaneutralen Stromversorgung zu erreichen. Zum Vergleich: Belgien verbraucht 82 und Polen 140 Terawattstunden im Jahr. Auch das amerikanische Energieministerium sieht den Speicherbedarf – und will mit der Energy Earthshots Initiative Technologien unterstützen, die es schaffen, die Kosten für Langzeitspeicher bis Ende des Jahrzehnts um 90 Prozent zu drücken.
Redox-Flow-Batterien eignen sich besonders für Langzeitspeicher
Doch welche Stromspeicher sind die richtigen für welche Aufgabe? Am bekanntesten sind wohl Lithium-Ionen-Batterien, die in Smartphones und Laptops genauso stecken wie in Elektroautos. Tesla verbaut sie auch in seinen Großspeichern, wie sie zum Beispiel in Australien entstanden sind. Dennoch ist die Technologie eher dafür geeignet, kurzfristige Spannungs- oder Frequenzschwankungen im Netz auszugleichen als die manchmal stundenlangen Flauten bei Wind und Sonne zu überbrücken.
„Lithium-Ionen-Batterien sind ein riesiger Erfolg“, sagt Alan Greenshields im Gespräch mit 1E9, „aber es gab nie die Absicht, damit riesige Mengen an Energie über viele Stunden zu speichern.“ Der Batterie-Experte Greenshields leitet das Europageschäft des US-Stromspeicher-Herstellers ESS, der unter anderem von Bill Gates‘ Fonds Breakthrough Energy Ventures finanziert wird. „Will man in einer Lithium-Ionen-Batterie die Speicherzeit verdoppeln, muss man auch die Anzahl der Batteriezellen verdoppeln“, erklärt Greenshields. Das treibe die Kosten in die Höhe. Ein Zwölf-Stunden-Speicher hätte den dreifachen Preis eines Vier-Stunden-Speichers. „Das ergibt wirtschaftlich keinen Sinn.“
Als Langzeitspeicher gelten Batterien, die Energie für zehn bis 100 Stunden speichern können. Für diesen Einsatz gelten Speicher auf Basis der Redox-Flow-Technologie seit Jahren als günstige Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien, deren höherer Wirkungsgrad für Langzeitspeicher weniger entscheidend. In Redox-Flow-Systemen wird der Strom nicht in der Energieumwandlungseinheit selbst gespeichert, sondern in externen Speichern – genauer gesagt in Tanks mit flüssigen Elektrolytlösungen.
Der entscheidende Vorteil: Anders als bei Lithium-Ionen-Speichern lassen sich bei Redox-Flow-Batterien Leistung und Kapazität unabhängig voneinander vergrößern. Um von vier auf zwölf Stunden zu kommen, braucht es also nicht dreimal so viele – teure – Zellen, sondern nur dreimal so große Tanks mit – vergleichsweise günstigen – Elektrolyten. Hinzu kommt, dass Redox-Flow-Batterien deutlich langlebiger als Lithium-Ionen-Systeme sind. Und sie sind nicht entflammbar.
Eisen als günstige Alternative zu Vanadium
Kein Wunder also, dass für einen der größten Energiespeicher der Welt im Nordosten Chinas bereits die Redox-Flow-Technologie gewählt wurde. Allerdings eines, das auf Vanadium als Elektrolyt setzt. Das ist zwar günstiger als Lithium, aber nicht die günstigste Wahl für ein derartiges System. „Redox-Flow-Batterien mit Vanadium funktionieren technisch hervorragend“, meint Alan Greenshields von ESS, „Vanadium ist aber ein relativ teures Material.“ ESS arbeitet deshalb seit Jahren an einer anderen Lösung: „Unsere Batterie verwendet Eisen, Salz und Wasser“, sagt Greenshields. Teure Materialien brauche es nicht.
Der spanische Energieversorger ENEL hat bereits 17 Anlagen bei ESS bestellt, um sie in einen Solarpark zu integrieren. Die Hitze dort ist kein Problem, denn die Eisen-Salz-Batterien – auch Iron-Salt- oder Iron-Flow-Batterien genannt – müssen im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Speichern nicht gekühlt werden. Obendrein ist ihr Elektrolyt ungiftig und ihre Herstellung deutlich klimafreundlicher.
Auch das Münchner Start-up VoltStorage, das ursprünglich Redox-Flow-Heimspeicher mit Vanadium herstellte, entwickelt inzwischen Eisen-Salz-Großspeicher. Jakob Bitner, der Firmenchef, nennt einen weiteren entscheidenden Grund dafür: „Die Rohstoffe für unsere Speicher könnten wir aus dem Erzgebirge beziehen“, sagt er zu 1E9. „Eisen ist das am meisten vorkommende Element der Erde, auch die Salze kriegt man überall her.“ Es brauche daher keine Konfliktmaterialien, die teils unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert werden, und es drohe keine Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern.
„Das ist wichtig, denn die Anzahl an Stromspeichern, die wir weltweit benötigen, ist enorm“, sagt Bitner. „Wir werden unfassbar viele Speicher brauchen, um die Energiewende hinzubekommen.“
Deutschland hat bei Stromspeichern Nachholbedarf
Die Politik in Deutschland, da sind sich Alan Greenshields und Jakob Bitner einig, hat den Ausbau der Speicherkapazität bisher etwas verschlafen. „Historisch gesehen ist Deutschland ein Schlusslicht bei Energiespeichern im Stromnetz“, sagt Greenshields. Der Plan sei gewesen, die Erneuerbaren auszubauen, das Netz derweil mit Gaskraftwerken zu stabilisieren – und dann das Gas irgendwann mit grünem Wasserstoff zu ersetzen. Der eignet sich zwar ebenfalls dafür, überschüssigen Ökostrom zu speichern – und das sogar über deutlich längere Zeiträume in Energien. Jedoch geht bei seiner Gewinnung per Elektrolyse und der späteren Verstromung sehr viel der ursprünglichen Energie verloren.
Nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund der neuen politischen Situation durch den russischen Einmarsch in der Ukraine, findet Greenshields die bisherige deutsche Strategie daher problematisch. „Selbst wenn man das Effizienzproblem lösen könnte, hat man jetzt nicht mehr die zehn bis 15 Jahre, die es braucht, um diesen Wasserstoffkreislauf aufzubauen.“
Jakob Bitner schätzt die Lage ähnlich ein. „Momentan wird sehr viel über Wasserstoff gesprochen und warum wir eine Wasserstoffwirtschaft brauchen. Und auch das ist wichtig, weil wir bei vielen Technologien Gas durch Wasserstoff ersetzen können. Aber Wasserstoff löst nicht alle Probleme.“ Gerade mit Großspeichern wie den Eisen-Salz-Batterien ließe sich die Energiewende massiv beschleunigen, meint Jakob Bitner. „Weil wir dann weniger Wind- und Solarkraftanlagen brauchen und die Energie, die wir produzieren, sehr viel effizienter nutzen können.“
Daher müsse jetzt auch Deutschland, wenn es klimaneutral und unabhängig werden wolle, über andere Energiespeicher nachdenken – was sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag zumindest vorgenommen hat.
Die deutsche Regulierung sieht Speicher überhaupt nicht vor
Die größte Hürde für den Ausbau ist, dass Speicher in der Regulierung des deutschen Stromnetzes bisher überhaupt nicht vorgesehen sind. Sie passen nicht in die Logik aus Stromproduktion, Stromtransport und Stromverbrauch – und werden deshalb doppelt mit Gebühren belastet: Einmal fällt ein Übertragungsnetzentgelt an, wenn überschüssiger Ökostrom über die Stromleitung in den Speicher fließt, das zweite Mal, wenn der Strom wieder aus der Batterie ins Stromnetz eingespeist wird. Bis sich daran etwas ändert, lohnen sich Anlagen wie die von ESS oder VoltStorage nur für einen bestimmten Kundenkreis: die Betreiber von Wind- und Solarkraftanlagen.
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Jetzt Mitglied werden!„Würden wir unsere Speicher, sagen wir, auf das Gelände eines alten Atomkraftwerks stellen, hätten wir zwar genug Platz und alle Anschlüsse, die wir brauchen“, sagt Jakob Bitner. „Aber wir müssten die Übertragungsnetzentgelte doppelt bezahlen. Das wäre total unwirtschaftlich.“ Stehe der Speicher aber direkt auf dem Gelände der Wind- und Solarparks entfielen die Netzentgelte. „Deshalb werden deren Betreiber unsere ersten Kunden sein.“
Neben Eisen-Salz-Großbatterien wird es für das Erreichen der Klimaziele auch andere Energiespeicher brauchen – von gewaltigen Hubspeichern aus Beton bis zum Wasserstoff. Doch gerade, weil es inzwischen so viele verschiedene Technologien gibt, die eine klimaneutrale Energieversorgung möglich machen sollen, sind Alan Greenshields und Jakob Bitner trotz aller Widrigkeiten optimistisch, dass die Energiewende gelingen kann. „Die Menschheit hat schon viele Dinge hinbekommen“, sagt Bitner, „und das Tempo, mit dem dieses Bewusstsein jetzt geschärft wird, macht mich zuversichtlich, dass wir es schaffen können.“
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Titelbild: ESS
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