Für eine sichere Zukunft mit erneuerbaren Energien braucht es zuverlässige Methoden, um den elektrischen Strom zu speichern. Das geht mit Batterien. Aber die müssen nicht unbedingt mit Chemikalien und Metallen funktionieren. Auch mit Gewichten, Winden und Wasser ist das möglich.
Von Cathleen O’Grady
Entlang des kühlen, stahlgrauen Wassers der Docks von Edinburgh steht etwas, das an den im Rohbau befindlichen Aufzugsschacht eines Hochhauses denken lässt. Nur, dass dort, wo sich die Aufzugkabine befinden sollte, ein 50 Tonnen schweres und mit giftgrüner Farbe bepinseltes Eisengewicht an dicken Stahlseilen hängt. Nach und nach heben Elektromotoren das Gewicht auf halbe Höhe des Schachts an; es ist nun eine riesige, von der Schwerkraft getriebene Batterie, die keine elektrische, sondern potenzielle Energie speichert, die bei Bedarf freigesetzt werden kann.
Und dieser Moment kommt jetzt: Mit einem metallischen Grollen bewegt sich das Gewicht nun wieder im Schacht hinab. Die Motoren funktionieren in dieser umgekehrten Richtung als Stromgeneratoren, die bis zu 250 Kilowatt an elektrischem Strom ins Netz speisen. Für die Spitzenleistung kann das Gewicht in elf Sekunden hinabgelassen werden. Zu Testzwecken bewegt es sich derzeit aber nur ein paar Meter im „Kriechgang“, wie Douglas Hitchcock sagt. Er ist der Projektingenieur beim schottischen Start-up Gravitricity, das diesen Turm gebaut hat, der wahlweise als Hubspeicherkraftwerk, Lageenergiespeicher, Schwerkraft- oder auch Graviationsbatterie bezeichnet werden kann.
Das Unternehmen gab Mitte April 2021 bekannt, dass dieser kleiner Demonstrator nun betriebsbereit und in der Lage ist, in Sekundenschnelle zwischen der Aufnahme von Energie aus dem Netz und der Abgabe von Energie hin- und herzuschalten. Gedacht ist der Turm als eine Alternative zu elektro-chemischen Batterien, die den globalen Energiespeichermarkt dominieren – ein Markt, der im Gleichschritt mit der zunehmenden Wichtigkeit von erneuerbaren Energien wächst. Denn diese liefern nun mal Energie, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Daher muss sie zwischengespeichert werden, um genutzt werden zu können, wenn der Bedarf da ist: nämlich, wenn kein Strom erzeugt werden kann.
Günstiger als traditionelle Batterien?
Gravitricity ist eines von einer Handvoll Unternehmen, die versuchen, eine eigentlich sehr alte Idee neu und weiter zu denken: die Speicherung von Energie mittels Wasser und Pumpe. Klassischerweise errichten Ingenieure dafür Reservoirs auf Hügeln. Wenn der Strombedarf niedrig ist, wird er verwendet, um Wasser nach oben zu pumpen. Wird Strom gebraucht, fließt das Wasser nach unten und treibt Generatoren an, die Strom erzeugen – so wird die Energie wieder frei. Diese Systeme erfordern aber ein spezielles Terrain, teure Infrastruktur und weitreichende Baugenehmigungen, die immer schwerer zu bekommen sind. Daher ist es vielfach einfacher, Strom aus erneuerbaren Quellen mit riesigen elektro-chemischen Batterien zu speichern.
Die Schwerkraftspeicher, wie Gravitricity sie baut, funktionieren im Prinzip nicht so viel anders wie ein Wasserkraftwerk. Nur ohne Wasser und mit einem Eisengewicht. Auch hier wird potentielle Energie gespeichert. Aber im Gegensatz zu Wasserkraftwerken hat es gegenüber traditionellen Batterien eher Vorteile, sagt Oliver Schmidt, Berater für saubere Energien und Gastforscher am Imperial College London. Lithium-Ionen-Batterien, die Technologie der Wahl für die Stromspeicherung im industriellen Maßstab, können nur eine bestimmte Anzahl von Lade- und Entladevorgängen durchgehen, bevor sie ihre Kapazität verlieren – normalerweise innerhalb weniger Jahre. Aber die Komponenten der Schwerkraftspeicher – Winden, Stahlseile und schwere Gewichte – können Jahrzehnte lang halten. Und noch ein Vorteil: „Das ist Maschinenbau“, sagt Schmidt. „Es ist relativ billig.“ Während der Abbau der seltenen Erden für Lithium-Ionen-Batterien gerne Umweltprobleme mit sich bringt und das Recyclen der Batterien sehr aufwendig ist, ist beispielsweise ein Eisengewicht ziemlich schnell gefertigt und kann leicht weiter verwertet werden, sagt zudem Miles Franklin, der Leitende Ingenieur von Gravitricity.
Zumindest laut einer Berechnung des Forschers Oliver Schmidt wären die Gravitationsspeicher – einschließlich Bau, Betriebskosten und Wartung – günstiger als Lithium-Ionen-Batterien mit gleicher Energiedichte. Angesetzt auf eine Nutzung von 25 Jahren, meint Schmidt, würde das System von Gravitricity 171 US-Dollar pro Megawattstunde kosten. Die von Schmidt berechneten Lebensdauerkosten pro Megawattstunde für Lithium-Ionen-Batterien sind mit 367 US-Dollar jedoch mehr als doppelt so hoch. Redox-Flow-Batterien, eine vielversprechende Technologie für den Netzbetrieb, die Energie in großen Tanks mit flüssigem Elektrolyt speichert, liegen bei 274 Dollar pro Megawattstunde. Bei seiner Berechnung stützte Schmidt sich auf Zahlen und Kostenschätzungen von Gravitricity selbst, daher sind diese nicht unumstritten. Jessika Trancik, eine Forscherin für Energiespeicher am Massachusetts Institute of Technology, nennt das Ergebnis zumindest „ambitioniert“.
Gleiche Idee, anderes Konzept
Gravitricity ist nicht das einzige Unternehmen, das an Schwerkraftspeichern forscht. Andere Unternehmen haben ihre ganz eigenen Ideen zur Umsetzung des Grundprinzips. Das kalifornischen Unternehmen Gravity Power arbeitet beispielsweise an einem Konzept, das einem klassischen Pumpspeicherwerk sehr nahe kommt. Es nutzt Strom aus erneuerbaren Energien, um Wasser unter einen schweren Kolben zu pumpen, der in einem Schacht liegt. Der Kolben wird dadurch angehoben. Wird ein Ventil geöffnet, drückt der Kolben das Wasser durch einen Generator und erzeugt auf diese Weise elektrischen Strom. Das deutsche Unternehmen New Energy Let’s Go nutzt ein ganz ähnliches Konzept. Das schweizerische Unternehmen Energy Vault arbeitet hingegen an einem Kransystem, das große und mehrere Tonnen schwere Betonblöcke aufeinander stapelt. Werden die wieder abgeseilt, geben sie ihre potentielle Energie ab.
Verglichen mit diesen Konzepten hält Gravitricity seine Konstruktion einfach. Wobei das Unternehmen Schächte plant, in denen irgendwann bis zu 500 Tonnen an Gewicht gehoben werden sollen, wofür enorme Fundamente nötig wären. Daher sei es die beste Idee, diese Batterien in den Untergrund zu verlegen, sagt Ruth Apps von Gravitricity. Das Unternehmen schaue sich daher aufgegebene Minen in der Tschechischen Republik, Polen und Südafrika als Standort für ein erstes kommerzielles System.
Der Cambridge-Forscher Schmidt gibt zu bedenken, dass die Technologie derzeit noch vergleichsweise „unausgereift“ ist. Während die Preise für traditionelle Batterien weiterhin fallen und die Kapazitäten immer größer werden, hätten die Schwerkraftspeicherunternehmen eher marginale Fortschritte gemacht. Energy Vault, das als aussichtsreichster Kandidat in dem Feld gilt, gab 2019 an, Investitionen von 110 Millionen US-Dollar eingesammelt zu haben. In diesem Jahr soll damit begonnen werden, die Idee für den Kranturm in Richtung eines marktreifen Produktes zu entwickeln.
Laut Rebecca Willis, einer Forscherin für Umweltpolitik an der Lancaster University, würden es die Schwerkraftspeicher wohl nicht allzu leicht haben. Sie würden untergehen, wenn im Rahmen von Klimagesetzen oder CO2-Regularien keine Anreize geschaffen werden, sie zu nutzen. In den meisten Regionen, sagt sie, blieben kleine Erdgasanlagen, die leicht ein- und ausgeschaltet werden können, wohl langfristig der billigste Weg, um Nachfrageschwankungen zu bewältigen.
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Jetzt Mitglied werden!Das nur 14 Köpfe kleine Team von Gravitricity macht sich keine Illusionen bezüglich der Hürden und Probleme, die es zu überspringen und zu bewältigen hat. Bereits während der ersten Tests mit dem kleine Demonstrator stieß es auf unerwartete Schwierigkeiten beim Aufrollen der genutzten Stahlseilen. Aber wenn diese und andere Kinderkrankheiten ausgemerzt sind, will das Unternehmen bereits 2023 eine vollwertige Anlage bauen. Bei der sollen schwere Gewichte in einen bis zu einem Kilometer tiefen Schacht hinein gelassen werden – wodurch bis zu vier Megawatt an Strom abgerufen werden könnten.
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Von Cathleen O’Grady via The Story Market . Dieser Artikel erschien zuerst bei Science und wurde von 1E9 ins Deutsche übersetzt. Titelbild: Gravitricity