Beim Internet aus dem All will die EU aufholen, aber Start-ups zweifeln an ihrer Strategie


Konstellationen aus Tausenden von Satelliten könnten die Erde mit Breitbandinternet versorgen. SpaceX und Amazon arbeiten mit Hochdruck daran. Jetzt möchte auch die Europäische Union mitmischen – mit einer eigenen Infrastruktur im Weltraum. Doch deutsche Start-ups, die Satelliten-Technologie liefern, fürchten ein zu langsames, planwirtschaftliches und bürokratisches Vorgehen der EU.

Von Wolfgang Kerler

„Die EU muss endlich aufwachen“, verlangt Bulent Altan im Gespräch mit 1E9. Er ist Chef von Mynaric, einer Firma, die Lasertechnologie entwickelt, mit der große Datenmengen zwischen Satelliten sowie Bodenstationen übertragen werden können. Das oberbayerische Start-up liefert damit einen wichtigen Baustein für die riesigen Satellitennetzwerke, die den Planeten in Zukunft mit schnellem Internet versorgen sollen. Doch Bulent Altan sieht „dringenden Handlungsbedarf“. Er befürchtet, dass Europa beim Aufbau der Infrastruktur ins Hintertreffen geraten könnte. Und er kennt die Branche wie kaum ein anderer. Jahrelang arbeitete er als Chefingenieur der Satellitensparte von SpaceX. Für Airbus war er als Vice President tätig.

„Europa ist ein Technologieführer. Man schaue nur zu Jena Optronik, Isar Aerospace, Mynaric oder vielen anderen erfolgreichen Raumfahrtfirmen“, sagt er. Viele Einzelteile, die man für den Aufbau von Satellitenkonstellationen brauche, kämen aus Europa. „Aber an was es Europa fehlt, das sind Unternehmer und ein Ökosystem, das diese Unternehmer unterstützt, um die Einzelstücke zu ambitionierten Gesamtsystemen zusammenzufügen.“

Sieht die EU-Kommission in Brüssel dieses Problem auch? Inzwischen geht sie jedenfalls davon aus, dass Glasfaser und 5G-Sendemasten nicht reichen werden, um für Europa eine flächendeckende Versorgung mit Breitbandinternet sicherzustellen. Das stellte Thierry Breton klar, der EU-Kommissar für den Binnenmarkt – immerhin einer der wichtigsten Vertreter der Europäischen Kommission. Schon Mitte Juli sagte er anlässlich der Hannover Messe Digital Days: „Es findet ein globaler Wettlauf um sichere Kommunikationsinfrastruktur mit Satelliten statt. Auch hier können wir Europa eine Führungsposition verschaffen.“ Seine Vision: Bereits in fünf bis sieben Jahren könnte die EU über eine eigene, autonome Infrastruktur verfügen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie oder auch das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB begrüßen diese Pläne, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich berichtete. „Nun könnte Europa gegenüber Projekten wie dem Starlink und Oneweb aufschließen“, zitiert sie OHB-Chef Marco Fuchs. Und zu 1E9 sagt auch Daniel Bock, CEO und Mitgründer des Dresdner Start-ups Morpheus Space, dass die EU das globale Rennen „um eine der zukünftig wichtigsten Infrastrukturen“ richtig erkannt habe. Diese Erkenntnis sei aber „viel zu spät“ erfolgt.

USA und China interessieren sich für Technologie aus Deutschland

„Wer die Kommunikationsinfrastruktur im All kontrolliert oder im großen Maßstab beeinflussen kann, wird sich in Zukunft globalen Machtanspruch und Einfluss sichern“, sagt Daniel Bock. „Aus diesem Grund sind auch die USA, China, Russland, Großbritannien und Indien, um nur die wichtigsten zu nennen, bereits in das Rennen um die Kontrolle des Weltraums eingestiegen.“

Morpheus Space hat kompakte und kostengünstige Ionenantriebe für kleine Satelliten entwickelt, die beim Aufbau und bei der Steuerung der Konstellationen zum Einsatz kommen sollen. Für Daniel Bocks Unternehmen könnte die Errichtung der Konstellationen daher so oder so zum Geschäft werden.

Doch die Frage, wie lange junge Unternehmen und ihre Technologie in Deutschland und Europa bleiben, wenn der Kontinent beim Aufbau der Konstellationen und generell bei New Space ein untergeordneter Markt ist, stellt sich schon jetzt. Sowohl die USA als auch China interessieren sich für deutsche Firmen, sogar vor einem Ausverkauf wird gewarnt.

SpaceX, Oneweb und Amazon sind schon weiter

Die ambitioniertesten Pläne verfolgt bisher SpaceX mit seinem Projekt Starlink. Dafür will die Firma von Elon Musk 12.000 kleine Satelliten in den Erdorbit bringen. 600 davon sind schon im Weltraum und inzwischen – nach Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe – kann SpaceX nach eigenen Angaben 120 neue Minisatelliten pro Monat herstellen. Nach Fertigstellung der Konstellation soll sie jeden Winkel der Erde ans schnelle Internet anschließen können.

Der Internetkonzern Amazon ist mit seinem Projekt Kuiper noch nicht ganz so weit, hat aber inzwischen von den US-Behörden die Genehmigung erhalten, eine Konstellation aus 3.236 Satelliten aufzubauen. Bis 2026 muss demnach die erste Hälfte der Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn sein, für die zweite Hälfte bleibt bis 2029 Zeit.

Weil zu Beginn der Corona-Krise Investoren wie Softbank aus Japan absprangen, musste das britische Unternehmen OneWeb im März Insolvenz anmelden. Zu diesem Zeitpunkt waren erst 74 der geplanten 648 Satelliten, die am Ende eine Konstellation zur Internetversorgung bilden sollten, im Orbit. Doch die Firma wurde gerettet – von der britischen Regierung, die wegen des Brexits ohnehin von allen EU-Satellitenplänen abgeschnitten ist. Für rund 550 Millionen Euro steigt Großbritannien bei OneWeb ein.

Will die EU mit einem eigenen Projekt eine Führungsrolle einnehmen, bleibt angesichts dieser Konkurrenz also wenig Zeit. In der SZ kündigte die Telekommunikations-Direktorin der europäischen Raumfahrtagentur ESA, Magali Vaissière, nun eine Studie zusammen mit der Industrie an. Bis Ende Februar 2021 solle geklärt werden, wie das mögliche Satellitennetz aussehen könnte und welche Wettbewerbschancen es überhaupt hätte. Die Kosten für die Konstellation schätzt die ESA auf zwei bis fünf Milliarden Euro.

Ist die Studie „verschenkte Zeit“?

Für Daniel Bock von Morpheus Space verheißt die Studie nichts Gutes. „Ich halte von dieser Studie relativ wenig“, sagt er. Für ihn ist sie ein Indiz dafür, dass EU und ESA ihren „bürokratischen Weg“ beibehalten werden. Wenn sich daran nichts ändert, glaubt er nicht, dass Europa „international konkurrenzfähig gegenüber agilen New-Space-Unternehmen wie SpaceX, OneWeb oder Amazon“ sein kann.

Bulent Altan beurteilt die Pläne sogar noch kritischer. Die EU müsse aufhören „geradezu planwirtschaftlich zukünftige Geschäftsmodelle vorzugeben und deren Implementierung zu kontrollieren“, findet er. „Wir sehen mittlerweile einen weltweiten Wandel hin zu einem unternehmerisch getriebenen und Wagniskapital-gestützten Raumfahrtsektor, der kommerziell denkt und profit- und marktgetrieben handelt. Europa sollte genau dies auch endlich unterstützen. In diesem Sinne ist es verschenkte Zeit mittels einer Studie herauszufinden, ob und wie ein europäisches Satellitennetzwerk gebaut werden könnte, während der Rest der Welt bereits hunderte Satelliten ins All geschickt hat und bis zur Fertigstellung der Studie viele weitere hundert Satelliten ins All schicken wird.“

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Die einzige Chance für die EU, im selbst gesteckten Zeitrahmen eine Konstellation zu errichten, sieht Daniel Bock in einer Zusammenarbeit mit den, insbesondere in Deutschland vorhandenen, Raumfahrt-Start-ups. Nur die brächten die nötige Agilität und Innovationskraft mit. „Die europäischen New-Space-Unternehmen müssen von Beginn an eingebunden sein und auch hauptsächlich mit der Umsetzung der EU-Pläne beauftragt werden, wenn man es wirklich ernst meint“, sagt er – und warnt: „Ansonsten wird ein solches Vorhaben aufgrund von enormen zeitlichen Verzögerungen, den 10-fachen Kosten und an der allgemeinen Unwirtschaftlichkeit zum Scheitern verurteilt sein.“

Bulent Altans Forderungen gehen in eine ähnliche Richtung. Europa müsse selbst zum „Ankerkunden“ einer europäischen Satellitenkonstellation werden, entsprechende Dienstleistungen einkaufen und diese teilweise vorab bezahlen, um den Aufbau zu ermöglichen. „Es sollte der Industrie und Start-ups überlassen werden, das Design und die Fähigkeiten eines solchen Satellitennetzwerks zu definieren“, sagt Altan.

Eine funktionierende Kommunikationsinfrastruktur im Weltraum dürfte in Zukunft für deutsche und europäische Unternehmen aus verschiedenen Branchen eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehört die Autoindustrie, die an selbstfahrenden Autos arbeitet. Denn die dürften auf eine stabile Internetverbindung angewiesen sein. Dass die mit Internet aus dem All gewährleistet werden könnte, zeigte gerade erst ein Test, den BMW zusammen mit OneWeb absolvierte. Doch den Zugriff auf OneWeb hat sich die britische Regierung gesichert.

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spannendes Thema, aber ist „Bis Ende Februar 2021“ wirklich so viel verschenkte Zeit?

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Würde sagen der planwirtschaftliche Ansatz bringt’s einfach nicht. Wenn ich zB lese dass die neue Ariane, die für den heutigen Markt wettbewerbsfähig ist erst 2030 nach Plan kommen könnte dann glaub ich sollte man übliche Vergaben und Vorgehensweisen überdenken. Ein Papier das den Status quo zeichnet sollte kein halbes Jahr dauern sondern schon vor 3 Jahren vorgelegen haben. Man sollte sich mM jetzt eher damit beschäftigen wie man tatsächlich in 5-7 Jahren eine eigene autonome Infrastruktur am laufen hat. 6-9 Monate sind in dem Kontext über 10% der Zeit. Darin wird gewiss eher gegen 0% Wertschöpfung passieren…

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Ich erlaube mir mal zu sagen, dass der Weg, den Elon Musk und jetzt auch Amazon gehen wollen falsch und nicht nachhaltig ist. Die Diskussion um die Satelliten, die den Nachthimmel hell machen sind ja inzwischen bekannt und immerhin - SpaceX arbeitet an einer Lösung die bereits beim letzten Start eingesetzt wurde: drehbare Satelliten, die ihr dunkles Gesicht der Erde zuweisen.
Schwieriger ist das Thema von möglichen Zusammenstössen. Wenn dann mal wie geplant zigtausende Satelliten da oben rum schwirren wird die Gefahr von zusammenstössen immer grösser und dann reicht ein Zusammenstoss (bei 28000km/h) um die beteiligten Satelliten zu zerfetzen und dann sehr viele schnelle Müllteilchen in der Umlaufbahn zu haben. Bis die alle wieder verglüht sind kann es Jahre dauern und evtl weitere (insbesondere bemannte) Starts und Landungen unmöglich machen.
Eine Alternative wird in Braunschweig entwickelt: Hoch fliegende (18 km) Leichtbaudrohnen, die alle Anforderungen an ein Flugzeug erfüllen und nicht gut mit Internet versorgte Gebiete abdecken können. Das ist ähnlich wie bei Google’s LOON, aber ohne die Nachteile durch die schwierige Steuerung von Ballons.

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Das klingt spannend. Hast du dazu noch ein paar mehr Infos?

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Hab ich zwar, muesste es aber vorab absprechen. Soll ich?

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Gerne doch! Klingt nach einer guten Ergänzung für diese Story – und nach Stoff für einen weiteren Artikel :slight_smile: Danke dir.

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Airborne networks sind auch spannend. Denke aber dennoch, dass wir das Internet aus dem All demnächst erleben werden.

Das von dir angesprochene Problem ist gigantisch. Insbesondere deshalb, weil nicht nur Kommunikationssatelliten in unterschiedlichen Orbits rum schwirren werden, sondern auch noch andere Konstellationen. Hab kürzlich gelesen, dass Versicherungen Konstellationen nicht versichern wollen, da das Risiko von Kollisionen so hoch sei (inkl erhöhten Risiken für Folge-Kollisionen), dass eine Versicherungspolice einfach zu teuer wäre und es sich schlicht nicht lohnen könnte.

Allerdings schreit dieses Problem auch nach neuen Lösungen. Der Luft- und Schiffsverkehr wird dynamisch geregelt, so dass Kollisionen vermieden werden können. Ähnliches braucht es eben auch für Satelliten. Wenn das einer kostengünstig und einfach schafft und der Markt das annimmt, dann werden sich schnell neue Industrien im Space-Business wiederfinden, zB Versicherungen…, und diese Ökonomie beschleunigt sich nochmals.

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