Wer bringt das erste Elektroflugzeug – und wird zum Tesla der Luftfahrt?


Der internationale Flugverkehr bläst riesige Mengen CO2 in die Atmosphäre. Elektroflugzeuge, die das ändern könnten, lassen aber auf sich warten. Noch. Inzwischen schicken sich einige Start-ups an, Boeing und Airbus mit elektrischen Modellen aufzumischen – mit ganz unterschiedlichen Ideen.

Von Michael Förtsch

Fliegen ist immer noch verdammt praktisch. In wenigen Stunden von einem Kontinent zum nächsten? Das geht nur mit dem Flugzeug. Leider ist inzwischen das schlechte Gewissen oft mit an Bord. Das Klimagewissen. Und das schreibt jemand, der selbst regelmäßig fliegt: nach New York, Los Angeles, Paris, Singapur, London. Zweimal sogar von München nach Berlin.

Zwar ist der Flugverkehr mit rund zwei Prozent insgesamt für einen recht kleinen Anteil der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich – vor allem verglichen mit dem Straßenverkehr, der rund 18 Prozent ausmacht. Doch schon diese zwei Prozent bedeuteten 2017 einen Ausstoß von 859 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid. Pro Passagier und Kilometer fällt deutlich mehr CO2 an als bei einer Fahrt mit dem privaten PKW. Und weil zusätzlich die Zahl der Fluggäste steigt und steigt, besteht Handlungsbedarf.

Hybrid-Flieger dürften keine Lösung sein

Die vom Luftverkehr unmittelbar verursachte Mengen an CO2 würden sich drastisch verringern, wenn die Branche von Kerosin- auf Elektromotoren umschwenkt. Hybridkonzepte dagegen, das hat die Forschungseinrichtung Bauhaus Luftfahrt ausgerechnet, wären nur eine Scheinlösung, die langfristig kaum eine sichtliche Verbesserung mit sich bringt.

Einzelne Nationen machen deswegen bereits kräftig Druck, um die elektrische Alternative zu fördern: In Norwegen sollen Kurzstreckenflüge ab 2040 nur noch mit emissionsfreien Maschinen erlaubt sein. Schon 2025 könnte eine erste kommerzielle Inlands-Teststrecke für Elektroflieger eingerichtet werden. Bis dahin müssen aber noch passende Jets her. Noch sind diese Mangelware.

Denn bei Flugzeugen sieht die Lage ganz anders aus als bei Autos, bei denen sich in den letzten paar Jahren viel getan hat. Tesla stieg zum Milliardenkonzern auf. Dutzende Start-ups kündigten eigene Elektrofahrzeuge an: Byton, Rivian, Polestar, Nio oder SF Motors. Große Autobauer wie BMW, VW oder General Motors müssen mit einem Schwung eigener Modelle nachziehen. Bei Flugzeugbauern fehlt diese Dynamik bisher. Was ist los in der Branche?

Eviation will zum Tesla der Luftfahrt werden

„Die Luftfahrtindustrie tut sich leider sehr schwer, wenn es darum geht, neue Technologien anzunehmen“, sagt Omer Bar-Yohay zu 1E9. Er ist Chef und Co-Gründer des Luftfahrt-Start-ups Eviation. „Das ist auch so, weil die Entscheider nur widerwillig Geld in etwas investieren, das momentan noch sehr futuristisch erscheint.“

Allen voran die Giganten der Luftfahrt, seien es Boeing, Airbus oder Zulieferer wie Rolls Royce, verfeinern ihre Methoden, Technologien und Antriebssystemen seit Jahrzehnten – und halten deswegen an ihnen fest. Einerseits, weil ihre Entwicklung Milliarden verschlang. Andererseits, weil diese erprobt und berechenbar sind. Daher dürften es, wie zuvor bei Autos, Start-ups sein, die die Elektrifizierung der Luftfahrt vorantreiben.

Der Gründer Omer Bar-Yohay glaubt fest daran, dass der Markt reif für Flugzeuge mit Elektroantrieb ist. „Eviation soll für die Luftfahrtindustrie das sein, was Tesla für die Automobilindustrie war“, kündigt er schon einmal an. „Die Technologie war noch nicht durchkommerzialisiert. Aber Tesla hat gezeigt, dass sie sicher und zuverlässig ist und Nachfrage danach besteht. Das wollen wir auch für die Luftfahrt erreichen.“

Um 2022 soll der elektrische Alice kommerziell zum Einsatz kommen

Eviation gibt es seit 2015. Die Firma hat ihren Sitz im israelischen Qadima, ist mit einer Zweigstelle samt Forschungs- und Entwicklungsteam aber auch in Prescott, USA, zu Hause. Vor zwei Jahren kündigte das Start-up seine Pläne für den Alice Commuter an: ein Elektroflugzeug von der Größe eines Learjets mit einer Reichweite von knapp über 1000 Kilometern. Seine drei Elektromotoren und Propeller sollen die schlanke Maschine mit neun Passagieren durch die Lüfte tragen und eine Geschwindigkeit von bis zu 445 Kilometern pro Stunde schaffen.

Zur Zeit der Ankündigung existierte das Flugzeug lediglich als digitale Blaupause. Inzwischen gibt es zumindest einen Prototypen. „Den ersten vollends kompletten elektrischen Alice werden wir dann im Juni auf der Paris Air Show ausstellen“, verspricht Omer Bar-Yohay. „Wir warten nicht länger.“ Erste Testflüge soll die Maschine Ende des Jahres absolvieren. Geht dabei alles nach Plan, „erwarten wir den kommerziellen Einsatz um 2022,“, sagt der Start-up Gründer.

Der Zeitplan ist eine Herausforderung. Zwar sei die Technologie zur Konstruktion eines Elektroflugzeugs im Prinzip vorhanden. Batterien und Elektromotoren würden schon jetzt ausreichend Leistung und Zuverlässigkeit liefern. „Es ist also möglich, ein Elektroflugzeug mit der heutigen Technik zu bauen.“ Das Problem, erklärt Omer Bar-Yohay, ist das Gewicht.

Wer das leichteste Flugzeug konstruiert, wird Erfolg haben

„Wir müssen eine Batterie verbauen, die halb so viel wiegt wie das gesamte Flugzeug“, sagt Omer Bar-Yohay. Nur mit so einer Riesenbatterie lasse sich mit den derzeitigen Energiedichten eine vernünftige Reichweite garantieren. Die Masse der Batterie muss dann aber an anderer Stelle eingespart werden. Daher suche Eviation nach Materialien, die leicht sind, aber dennoch eine gute Aerodynamik liefern . Das sei der Faktor, der über den Erfolg eines Elektroflugzeugs entscheide, sagt Omer Bar-Yohay – eine Herausforderungen, mit der sich auch andere Luftfahrt-Start-up herumschlagen müssen.

Wir müssen eine Batterie verbauen, die halb so viel wiegt wie das gesamte Flugzeug.

Omer Bar-Yohay, Gründer von Eviation

Die Gründer und Ingenieure von Ampaire, einem Start-up aus Los Angeles, arbeiten an einem futuristischen Flieger, den sie TailWind-E getauft haben. Der gleicht einem Torpedo mit Flügeln. Mit neun Sitzen hat er ähnliche Maße wie der Alice Commuter von Eviation, soll aber mit nur einem zentralen Heckrotor über 950 Kilometer weit kommen. Wann der TailWind-E auf den Markt kommt, lässt die Firma noch offen. Es ist noch einiges an Forschung und Entwicklung nötig.

Eine umgebaute Cessna soll die Vorzüge der Technik demonstrieren

Als Vorgeschmack haben die US-Ingenieure allerdings schon eine Cessna mit einem Elektroantrieb ausgerüstet, die nun erste Tests absolviert. Später, nach einer Prüfung der US-Luftfahrtbehörde, soll sie von der hawaiianischen Fluglinie Mokulele Airlines eingesetzt werden. Ab 2021 könne die Maschine regelmäßig zwischen den Inseln pendeln, kündigt Ampaire an. So ließe sich die Vision vom elektrischen Fliegen schneller verwirklichen. „Man nutzt ein Flugzeug, das eigentlich schon geprüft und abgesegnet ist“, sagt Kevin Noertker, der Gründer des Start-ups, „und modifiziert nur einige Kernelemente.“ Verbrennungsmotor und alles, was unnötiges Gewicht bedeutet, raus. Elektromotor und Batteriespeicher rein.

Die umgerüstete Cessna soll die Zuverlässigkeit der neuen Technik und ihre breiten Einsatzmöglichkeiten demonstrieren. Vor allem kleine Fluglinien will Ampaire außerdem vom Einsparpotenzial durch die Technologie überzeugen. Laut Kevin Noertker könnten die Energiekosten schon bei diesen kleinen Flugzeugen um 75 bis 90 Prozent gegenüber Maschinen mit Verbrennungsmotoren gesenkt werden. „Und je schneller wir das mit diesen Flugzeugen zeigen können, umso schneller wird das dann bei unseren eigenen und größeren Maschinen gehen“, sagt er. „Letztlich muss sich jede große Veränderung in der Luftfahrt erst im Kleinen bewähren.“

Wright Electric arbeitet an E-Flieger im A320-Format

Das vor drei Jahren in Los Angeles gegründete Unternehmen Wright Electric denkt schon jetzt in anderen Dimensionen. Geht es nach Firmengründer Jeff Engler und der Billigfluglinie EasyJet, die mit dem Start-up kooperiert, dann hebt schon 2027 ein elektrisches Flugzeug mit 180 Sitzplätzen ab. Das wären fast die Ausmaße eines Airbus A320. Ein Mini-Prototyp für neun Passagiere soll dieses Jahre starten und 500 Kilometer schaffen. Von diesem könne man sich dann zum 50-Sitzer und letztlich zur großen Maschine vorarbeiten, meinen die Wright-Electric-Ingenieure.

Für theoretisch machbar hält das auch Omer Bar-Yohay vom Konkurrenten Eviation. Den Zeitplan von Wright Electric schätzt er allerdings als zu optimistisch an. Denn um diesen einzuhalten, müsste die Batterietechnologie binnen weniger Jahre einige Sprünge machen, die die Energiedichte erhöhen und die Masse der Akkumulatoren reduzieren. „Derzeit fehlt uns die Technologie ,um ein Flugzeug vom Schlag einer 747 oder anderen große Passagiermaschinen anzutreiben“, sagt Omer Bar-Yohay. „Aber, ja, auch das ist eigentlich nur eine Frage der Zeit.“

Doch selbst wenn schon in der nächsten Dekade erste rein elektrische Flieger mit über 100 Sitzplätzen abheben – allzu schnell werden sie nicht auf allen Flughäfen dieser Welt zu sehen sein.

Denn die Maschinen, die den Himmel in den nächsten Jahrzehnte dominieren werden, sind diejenigen, die schon seit Jahren bestellt sind und nach und nach an die großen Fluglinien ausgeliefert werden: der A320 und der A321 von Airbus sowie die Boeing 737 und ihre aktuelle Varianten. Deren Kaufpreise liegen zwischen 70 und 135 Millionen US-Dollar. Einmal angeschafft sind sie im Dauereinsatz für 30, 35 oder noch mehr Jahre. Bis sich die Kosten amortisiert haben.

Fliegen könnte günstiger werden

Elektroflieger könnten die Kerosinfresser also nur langsam ablösen. Aber letztlich werden sie es tun, versichert jedenfalls Omer Bar-Yohay. In 10 oder 15 Jahren könnte der Wandel auf Kurzstrecken beginnen und zwei Dekaden später allmählich die Langstrecke erreichen. Denn die Vorteile der E-Flieger seien einfach zu verlockend für Fluglinien und Fluggäste, sagt Omer Bar-Yohay. „Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die sich mit und durch elektrische Flugzeuge verändern. Elektrizität statt Treibstoff zu nutzen sorgt für günstigere Pro-Sitz-Transportkosten. Ganz einfach, weil Strom billiger ist.“ Auch die Wartung eines Stromflieger wäre einfacher. Denn wie ein Elektroauto hat auch ein elektrisches Flugzeug weniger bewegliche und verschleißende Teile.

„Die Instandhaltung der Triebwerke alleine sorgt für fast ein Drittel der Kosten, die ein Flugreisender zahlt. Das ist echt viel“, sagt Omer Bar-Yohay.

Noch ein Vorteil aus seiner Sicht: Flugzeuge, die von Beginn an für einen Elektroantrieb optimiert werden, ließen sich deutlich aerodynamischer designen. Sie wären dann effizienter, leiser und schneller unterwegs. Letztlich könnte das Fliegen nicht also nur ökologisch verträglicher, sondern sogar günstiger und ruhiger für uns alle werden. Bis das schlechte Klimagewissen am Boden bleiben kann, könnte es aber noch 40 oder 50 Jahre dauern.

Teaser-Bild: Eviation

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Hey @Michael , kennst du André Borschberg? http://www.andreborschberg.com/

Er ist gemeinsam mit Bertrand Piccard im Solar-Gleiter um die Erde geflogen und kommerzialisiert jetzt über H55 http://www.h55.ch/ electric propulsion tech für sicheres und sauberes elektro-Fliegen :slight_smile:

Kann dir vielleicht einen Kontakt machen. Evtl gibts gut Stoff für eine Serie zum Thema!

Super-Caps scheinen hierfür ja auch nicht unwesentlich zu sein… wäre auch spannend darüber mehr zu erfahren #nextlevel #electrification

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Hi : ) Immer her mit dem Kontakt. Hatte ihn letztes Jahr auch schonmal für eine Geschichte auf WIRED im Auge …

kann ich den artikel mit ihm teilen, damit er weiss worum es geht?

Klaro. Tu das.

Hi @Michael,

super Artikel! Das Ziel bis 2027 elektrisches Flugzeug mit 180 Sitzplätzen in die Luft zu bekommen klingt sehr ambitioniert. Weißt du welche Annahmen zur Entwicklung der Energiedichte von Akkus dem zugrunde liegen?

Hier noch eine interessante theoretische Aufbereitung des Themas Elektroflugzeuge vom YouTube-Channel Real Engineering: Are Electric Planes Possible?

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Vielen Dank. Das Team von Eviation lässt momentan eine neue interne Studien anfertigen in welcher Weise sich die Akku-Technologie in den kommenden Jahren entwickel wird – leider werden solche Papers nur selten veröffentlicht, weil sie auch Teil der Unternehmensstrategie sind.

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