Der ehemalige Militäringenieur William Otto will die Luftfahrt revolutionieren. Er hat ein Flugzeug konstruiert, das aussieht wie ein Torpedo und acht Mal weniger Treibstoff verbrauchen soll als andere Flieger. Dadurch soll es bis zu 80 Prozent weniger CO2-Emissionen verursachen – und das Fliegen günstiger machen.
Von Michael Förtsch
Sich in ein Flugzeug zu setzen, ist eine angenehme Art zu reisen. Doch leider ist es auch die klimaschädlichste. Dabei ließen sich viele Flüge vermeiden – vor allem im Inland. Das hat die Coronakrise gezeigt. Die hat den Flugverkehr hart getroffen. Zuvor waren aber alleine rund 47 Millionen Menschen innerhalb von Deutschland unterwegs. In den USA sind es um die 800 Millionen gewesen. Diese verursachen zwar nur einen Teil des weltweiten CO2-Ausstoßes – aber einen, der in der Masse signifikant ausfällt. Geht es nach dem US-amerikanischen Physiker und Luftfahrtingenieur William Otto braucht es für eine Reduzierung jedoch kein Verbot von Kurzstrecken und Inlandsflügen, sondern einfach effizientere und weniger klimaschädliche Flugzeuge. Genau so eines entwickelt er mit seinem Start-up Otto Aviation in Kalifornien.
Die Celera 500L sieht auf den ersten Blick weniger aus wie ein klassisches Flugzeug. Vielmehr erinnert sie an eine Rakete oder einen Torpedo mit Flügeln – oder das experimentelle Überschallflugzeug Bell X-1. Entsprechend wild waren die Gerüchte als es vor drei Jahren erstmals auf einem Logistik-Flughafen bei Victorville gesichtet und fotografiert wurde. Journalisten und Luftfahrtexperten spekulierten, es handle sich um ein Militärprojekt oder einen Elektroprototypen von Airbus. Einige waren sogar überzeugt, dass es kein echtes Fluggerät sei, sondern die Requisite für einen Science-Fiction-Thriller.
Das einzigartige Design des Fliegers, der Ende August erstmals offiziell enthüllt wurde, kommt nicht von ungefähr. Denn William Otto arbeitete einst im Los Alamos National Laboratory und bei North American Aviation an Nuklear- und den Minuteman-Raketen, Strahltriebwerken, Torpedos und dem Überschallbomber B-1 Lancer. Die Celera 500L soll dennoch erst einmal die zivile Luftfahrt revolutionieren. Laut ihrem Entwickler sei der Flieger nämlich das „treibstoffeffizienteste, kommerziell rentabelste Flugzeug, das es gibt“.
Deutlich günstiger – auch dank deutschem Motor
Vor rund zwölf Jahren soll Otto Nachforschungen über erschwingliche Geschäfts- und Privatflugzeuge angestellt haben. Aber er habe kein Modell gefunden, das er zufriedenstellen fand. Also habe er sich entschlossen, selbst eines zu bauen – und sich dabei auf seine Militärforschung zu stützen. Die Chance, ein Flugzeug effizienter und damit günstiger zu machen, sah er in einer möglichst ungebrochenen Laminarströmung. Sprich: Das Flugzeug sollte so designt werden, dass die Luft in einzelnen, übereinander gelagerten Schichten das Flugzeug ohne Turbulenzen umströmt. Dadurch wird, so die Theorie, weniger Energie für den Vortrieb benötigt und eine höhere Geschwindigkeit erreicht.
Natürlich werden alle Flugzeuge auf Laminarströmung hin optimiert – aber meist fokussiert auf die Flügel und das Heck. Otto wollte das gesamte Flugzeug optimieren. Und hat das auch getan. Der für sechs Passagiere ausgelegte Flieger soll bis zu 740 Kilometer pro Stunde schnell fliegen, bis zu 8.300 Kilometer weit kommen und dabei achtmal weniger Treibstoff verbrauchen als ein normales Flugzeug vergleichbarer Größe. Der CO2-Ausstoß soll dadurch um 80 Prozent niedriger ausfallen. Das sagen zumindest die Zahlen, die Otto Aviation präsentiert. Über 30 Testflüge sollen belegen, dass zumindest die Werte zur aerodynamischen Effizienz der Realität nahekommen.
Der niedrige Verbrauch soll aber nicht nur dem einzigartigen Design geschuldet sein. Zudem besteht das Flugzeug fast vollständig aus kohlefaserverstärktem Kunststoff, was zu einem niedrigen Gewicht führt. In die Luft getragen wird es von einem einzigen Propeller am Heck. Angetrieben wird der von einem mit Kerosin, Diesel oder Bio-Diesel betreibbaren V-12-Kolbenmotor namens RED A03, der von RED Aircraft in Deutschland gefertigt wird. Der bringt mit mehrstufigen Turboladen 550 PS und ist auf Reisen in großen Höhen optimiert. Die Betriebskosten pro Stunde sollen für den Flieger damit bei nur 328 US-Dollar liegen. Privatjets mit ähnlicher Reitweite und Geschwindigkeit kosten hingegen 2.100 Dollar pro Flugstunde und eine deutlich kleinere Cessna 174 Dollar.
Fragen und Konkurrenz
Der niedrige CO2-Fußbadruck und der ebenso niedrige Flugpreis sollen die Celera 500L zum „Besten machen, was der Luftfahrtindustrie“ in den letzten Jahrzehnten passiert ist, heißt es von Otto. Ein Flugzeug für eine Reisegruppe zu chartern soll dadurch nicht mehr nur den Reichen vorbehalten sein, sondern so erschwinglich werden, dass es fast jeder machen kann. Insbesondere in einer Zeit, in der vollgepackte Flugzeuge zum Ansteckungsherd werden können. Auch als ad hoc über Ride-Sharing buchbares Mitflug-Taxi könnte der Mini-Flieger taugen. Außerdem soll es eine Frachtversion geben. Beim Militär wiederum könnte die Celera 500L als unbemannte Überwachungsdrohne dienen.
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Jetzt Mitglied werden!Bis zum Jahr 2023, heißt es von Otto Aviation, soll das Flugzeug von der US-Flugsicherheitsbehörde FAA zertifiziert werden. Spätestens zwei Jahre darauf könnten die ersten Passagiere dann von ganz normalen Flughäfen abheben. Ganz ohne Kritik lief die Vorstellung der Celera 500L aber nicht. Unter anderem kam die Frage auf, warum das Flugzeug nicht gleich ohne Verbrennungsmotor entwickelt wurde. Das Unternehmen sagte dazu, dass der Verbrennermotor nur der erste Schritt sei: „Wenn die Batterietechnologie für Flugzeuge rentabel wird, können Hybrid- und Elektroantriebssysteme die Effizienz der Celera 500L Flugzeugzelle weiter verbessern.“
Darüber hinaus hinterfragen Luftfahrtexperten aber auch das Design und die Behauptungen von Otto Aviation – vor allem was Höchstgeschwindigkeit und Reichweite betrifft. Denn hier fehlen bislang Belege und belastbare Zahlen, die abschätzen lassen, wie konkurrenzfähig, effizienter und grüner das Flugzeug wirklich sein kann. „Ich glaube, sie überschätzen die Leistung“, sagt etwa der renommierte Flugzeugkonstrukteur Jon Sharp. Er geht davon aus, dass es erhebliche Differenzen zwischen den Daten auf dem Papier und der Nutzung im Alltag geben wird. Ähnliche Zweifel äußerten auch erste Luftfahrtanalysten.
Um diese zu widerlegen, müsste die Celera 500L wohl zunächst auf den Markt kommen. Bislang existiert nämlich nur ein Prototyp. Otto Aviation sucht derzeit Investoren, die an das günstige Flugzeug mit dem merkwürdigen Aussehen glauben – und an die Zahlen, die dessen Überlegenheit belegen soll. Mit frischem Geld könnte der Prototyp perfektioniert und die Serienfertigung begonnen werden. Nach Partnern für die Produktion wird auch bereits gesucht. Wobei das Unternehmen nicht ausschließt, die Flugzeuge möglicherweise einfach selbst zu bauen.
Mit seinen Plänen für ein kleineres, effizienteres und klimafreundlicheres Flugzeug steht Otto Aviation übrigens nicht alleine da, sondern hat durchaus Mitbewerber. Beispielsweise arbeitet das israelische Start-up Eviation mit Alice an einem elektrischen Flieger, der ähnlich kompakt wie die Celera 500L ausfallen soll. Es soll 2022 an erste Kunden geliefert werden. Das US-Unternehmen Ampaire arbeitet mit dem Tailwind sowohl an einem voll elektrischen Kurzstreckenflieger als auch an der Umrüstung bereits im Einsatz befindlicher Flugzeuge auf Elektroantriebe. Und auch in Deutschland wird geforscht. Ein Team um den StreetScooter-Entwickler Günther Schuh arbeitet mit dem Silent Air Taxi an einem Hybridflugzeug mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern für bis zu vier Passagiere. Im Jahr 2022 soll es das erste Mal abheben.
Teaser-Bild: Otto Aviation