Im Kampf gegen den Klimawandel darf die nächste Regierung nicht auf Wundermaschinen hoffen!

Fast alle Parteien, die zur Wahl antreten, behaupten von sich, das beste und sinnigste Klimaschutz-Konzept zu haben. Dabei wird jedoch oft beschworen, dass irgendeine Art von „Innovation“ oder eine neue Erfindung den Planeten und die bestehenden Verhältnisse schon irgendwie retten wird. Doch das ist blauäugig. Denn die Erfinder haben längst Lösungen geliefert – die müssten jetzt nur endlich auch im großen Stil umgesetzt werden.

Ein Kommentar von Michael Förtsch

Bald wissen wir, wer der neue Bundeskanzler oder die nächste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wird. Wer es auch wird, er oder sie wird sich sehr schnell der größten Herausforderungen der Geschichte stellen müssen: dem Klimawandel. Die Wissenschaft sagte ihn bereits vor Jahrzehnten vorher – wurde aber lange ignoriert oder sogar zensiert . Doch in den letzten Jahren wurde die Klimakatastrophe von einer abstrakten zu einer spür- und sichtbaren Gefahr. Rund um die Welt kommt es immer häufiger zu Waldbränden, Dürren, Wirbel- und Tropenstürmen oder Starkregenereignissen, die nicht nur Menschenleben kosten, sondern auch die Lebensqualität und den Wohlstand kommender Generationen bedrohen.

Macht die Menschheit weiter wie bisher, das halten Klimaforscher für realistisch, dann wird die globale Temperatur ab dem Jahr 2100 zwischen 3,5 und knapp über vier Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. Es lässt sich nicht bis in Detail vorhersagen, wie unser Planet dann ausschauen wird. Aber so lebenswert wie heute dürfte er dann definitiv nicht mehr sein, schreiben etwa die Forscher David Spratt und Ian Dunlop. Rund 35 Prozent der bewohnbaren Landstriche der Welt würden 20 Tage pro Jahr tödlicher Hitze ausgesetzt sein. Teile Afrikas und Südamerikas würden aufgrund von Dauerhitze sogar unbewohnbar. Dürren und Missernten wären die Regel, nicht die Ausnahme. Nahrungsmittel und Wasser würden knapp und teuer werden. Millionen Menschen würden an Hunger, Durst und Hitzschlägen sterben. Manche Prognosen prophezeien sogar den Kollaps von Ländern oder gleich das Verschwinden der menschlichen Zivilisation – sei es nun früher oder später.

Der Klimawandel ist also eine existenzielle Bedrohung. Das erkennen fast alle Parteien, die sich zur Wahl stellen, an. Dennoch tut sich die Politik schwer, nicht nur Pläne zu machen, sondern tatsächlich zu handeln. Knapp die Hälfte aller Länder hält ihre Versprechen aus dem Paris-Abkommen bislang nicht ein. Und: Die Klimaziele von Deutschland werden von Experten als „ungenügend“ bewertet. Es wird wenig bis nichts getan, um die knapp 100 Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, die für ganze 71 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Dafür ist offenbar auch die Hoffnung mitverantwortlich, dass Innovation zumindest die großen Industriestaaten schon irgendwie vor allzu drastischen Umbauten und Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft retten kann; dass mit einer Wundermaschine oder Wundertechnologie, auf die man nur warten muss, irgendwie doch ein Weiter so! oder Jetzt mal ganz langsam! zu rechtfertigen ist. Aber diese Hoffnung ist nicht nur verantwortungslos, sondern auch gefährlich.

Jetzt, nicht erst morgen

Dass Innovation und Erfindergeist mit die wichtigsten Mittel im Kampf gegen den Klimawandel sind, ja, das stimmt. Falsch ist allerdings die Annahme, man müsste noch auf irgendwelche revolutionären Entwicklungen warten. Denn die sind schon da – und das seit Jahren, werden sogar immer besser und effektiver. Sie müssen nur endlich mehr genutzt und eingesetzt werden. Zum Beispiel Photovoltaik und Windkraftanlagen. Schon heute wäre es machbar, den Strombedarf von ganz Deutschland damit zu decken – und das auch noch deutlich günstiger als viele vermuten würden. Gerade erst zeigte eine Studie von Oxford-Wissenschaftlern und eine Analyse von BloombergNEF, dass das Bauen von Kraftwerken, die erneuerbare Energie nutzen, erschwinglicher ist als weiterhin fossile Energieträger zu verbrennen.

„Im Vergleich zur Fortführung eines auf fossilen Brennstoffen basierenden Systems wird eine rasche Umstellung auf grüne Energie wahrscheinlich zu Nettoeinsparungen in Höhe von mehreren Billionen Dollar führen“, heißt es in der Oxford-Studie. Die Einsparungen, die durch das Ausbleiben oder Reduzieren von Klimawandel-bedingten Schäden dazukämen, sind da nicht mal mit eingerechnet. Ein kompletter Schwenk zu erneuerbaren Energien wäre also nicht nur hinsichtlich des Klimas eine sinnvolle, sondern sogar eine wirtschaftlich vernünftige – wenn nicht sogar die einzig rationale und logische – Entscheidung, die beispielsweise der neue Bundeskanzler oder die neue Bundeskanzlerin in die Wege leiten könnte.

Das gilt jedoch nicht nur für die Erzeugung von unmittelbar im Haushalt nutzbarem Strom, sondern die Energieproduktion insgesamt. Mit Photovoltaik und Windkraft lässt sich Energie erzeugen, die den Verkehr und die Industrie antreiben kann. Direkt über Batterien oder in Form von Wasserstoff, der sich mittels Elektrolyse erzeugen und langfristig speichern lässt. Laut dem auf Umwelttechnik und Nachhaltigkeit spezialisierten Beratungsunternehmen Michael Liebreich ist grün gewonnener Wasserstoff für die Seefahrt, die Stahl-, Düngemittelproduktion und den Zugverkehr in Teilen die ökologisch und ökonomisch sinnigste Option – und in manchen Fällen sogar alternativlos. Dass die großangelegte Umstellung dieser Sektoren von fossilen Energielieferanten auf erneuerbare Energien nicht von heute auf morgen stattfinden kann, das ist klar. Aber es muss jetzt damit begonnen werden (naja, eigentlich schon gestern).

Ein solcher Prozess kommt natürlich nicht ohne Investitionen in ein flexibleres und intelligenteres Stromnetz aus; oder ohne Förderprogramme für Solar- und Windparks und private Photovoltaikanlagen und Heimspeichersysteme. Es geht auch nicht ohne Forderungen an und vielleicht auch nicht ohne Unterstützung für die energieintensiven Industrien und großen Kraftwerkbetreiber. Und es braucht wohl strenge Auflagen, vielleicht sogar Verbote und einen vorgezogenen Ausstieg aus der Öl- und Kohlekraft, um hier den nötigen Wandel zu forcieren.

Weniger Auto, mehr ÖPNV und Fahrrad

Auch in einem anderen Bereich braucht es Transformationen. Nämlich im Verkehrssektor. Alleine der Straßenverkehr machte 2018 ganze 18,17 Prozent an den globalen CO2-Emissionen aus. Langfristig wäre es wohl die sinnigste Option, den Straßenverkehr zu reduzieren. Natürlich kann nicht jeder auf ein Auto verzichten – und das ist okay. Aber auch die, die es könnten oder wollen würden, tun es nicht. Das hat einen Grund: Selbst in deutschen Großstädten sind Pendler mit Bus und Bahn mehr als doppelt so lange unterwegs wie mit dem Auto, berichtete Zeit Online erst Ende August 2021. Natürlich setzt man da lieber auf den PKW. Es braucht also mehr, besseren, zugänglicheren und einen schnelleren Öffentlichen Personennahverkehr. Die Technik … die Innovation? Die ist auch hier bereits da! S-Bahnen, U-Bahnen und Trambahnen. Es braucht nur kürzere Takte und mehr Ausbau. Wollen Städte mutig und edgy sein, gibt es auch andere Möglichkeiten. Sie können sie auf High-Tech-ÖPNV-Systeme wie die Ottobahn oder einen Mini-Transrapid setzen, um neue Strecken zu ziehen oder das Umland anzubinden.

Eine weitere innovative Technik, die CO2 einspart? Das Fahrrad – das wohl CO2-ärmste Verkehrsmittel überhaupt –, das viele Menschen während der Pandemie neu für sich entdeckt haben. Viele Städte sind aber nur bedingt fahruntauglich. Das zeigte sich dadurch, dass in vielen Metropolen in Deutschland und rund um die Welt erst (Pop-up-)Radwege für die plötzlich auftauchenden Radler angelegt werden mussten. Aber Radwege alleine machen eine Stadt nicht gleich radkompatibel. Es braucht mehr, um Menschen auch auf dem Rad zu halten. Städte müssen in Teilen neu gedacht werden, wie es in Paris gerade geschieht. Es braucht Fahrrad-Parkhäuser, überdachte Radwege, Fahrrad-Highways und auch (geradezu unverschämt simple) Optionen, um ein Rad für Teilstrecken im ÖPNV mitzunehmen, ohne anderen Passagieren unnötig Platz wegzunehmen.

Nicht auf den Hyperloop warten!

Aber nicht nur der nicht-individuelle Verkehr in und um die deutschen Städte kann und muss besser werden. Sondern auch der zwischen ihnen – vor allem wenn er mit Inlandsflügen konkurrieren sollen. Sicher, hier versprechen Konzepte wie der Hyperloop eine futuristische und womöglich konkurrenzlos schnelle Option. Auch wird an Flugzeugen gearbeitet, die wenig bis keine Emissionen verursachen. Aber es lässt sich nicht sagen, wann nun tatsächlich die erste Röhrenbahn für den Personentransport und Elektro- und Wasserstoff-Flugzeuge sicher und technisch ausgereift sind und in großer Breite eingesetzt werden können. Daher müssen wir auch hier jetzt auf Technologien und Konzepte setzen, die aktuell einsetzbar sind. Zum Beispiel auf Hochgeschwindigkeitszüge. Statt Strecken verwaisen zu lassen, müssten sie modernisiert und ausgebaut werden – und zwar so, dass Hochgeschwindigkeitszüge wie der ICE freie Fahrt haben.

Vor über 30 Jahren hatte Deutschland die schnellsten Züge der Welt! Mittlerweile wurde die Deutsche Bahn mehrfach überholt. Von Frankreich, von Japan, von China. Im Juli 2021 präsentierte die China Railway Rolling Stock Corporation einen Hochgeschwindigkeitszug, der bis zu 600 Kilometer pro Stunde erreichen soll. Eine Fahrt von Peking nach Schanghai soll damit in 2,5 Stunden machbar sein. Klar, Rekordfahrten und Höchstgeschwindigkeiten sagen nichts über die Praktikabilität aus, aber durchaus über Ambitionen. Und vor allem in Japan und China sind die, was den Bahnverkehr angeht, groß – während Deutschland lange zurückgefallen ist und erst sachte wieder anfährt.

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Das Schienennetz in Japan gehört heute zu den dichtesten der Welt. Es ist über 27.000 Kilometer lang – und wächst weiter. In China sind es derzeit 131.000 Kilometer – mehr als doppelt so viele wie vor 20 Jahren. In Deutschland hingegen war das Schienennetz 1994 rund 44.600 Kilometer lang. Heute sind es noch 33.400 Kilometer. Und gerade einmal 1.000 Kilometer davon sind nach Aussage von Bahn-Vorstand Ronald Pofalla sogenannte Hochgeschwindigkeitsstrecken. 500 Kilometer sollen in den kommenden Jahren dazu kommen – und das auch nur zwischen deutschen Großstädten wie Frankfurt, Mannheim, Hannover und Hamburg. Da kann und muss deutlich mehr gehen, um Menschen aus den Fliegern und dem Auto in die Bahn zu locken. Hier hätte die neue Bundesregierung als größter Anteilseigner der Deutschen Bahn einen Hebel.

Wer auch immer nach Angela Merkel ins Kanzleramt einzieht, hat also viel zu tun – und muss Reformen und Neuerungen anschieben. Denn viel zu lange wurde die Brisanz des Klimawandels verkannt und wurden Maßnahmen hinausgezögert. Und das mit fatalen Folgen, wie sich nun zeigt. Selbst vermeintlich radikale Beschlüsse sind nicht mehr genug, wie sogar das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum umstrittenen, weil viel zu unkonkreten und weichgespülten Klimaschutzgesetz feststellte. Die Zeit, um auf Wundermaschinen und Zaubertechnologien zu hoffen, ist daher längst abgelaufen. Doch glücklicherweise haben schlaue Köpfe längst die Innovationen, die wir brauchen. Wir müssen sie nur endlich nutzen.

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Teaser-Bild: Nicholas Doherty / Unsplash

6 „Gefällt mir“

Die ZDF Show die Anstalt hatte ja mal eindrucksvoll aufgezeigt wie die Bahn strategisch-systematisch von der Automobilindustrie unterwandert und jahrelang sabotiert wurde. https://www.claus-von-wagner.de/tv/anstalt/20190129-die-bahn-stuttgart-21 Eine Zukunft in der ich ganz gechillt, sicher, komfortabel und schnell in sympathischer Atmosphäre und pünktlich auch noch dazu, von A nach B befördert werden kann, ohne selbst im lebensbedrohlichen, abgasskandalösen Road Rage Verkehr auf deutschen Straßen unterwegs sein zu müssen, wäre eine Utopie hierzulande, für die es sich lohnt den Märtyrer Tod zu sterben (nee, nicht wirklich aber klingt so schön melodramatisch :sweat_smile:)

3 „Gefällt mir“

Es gibt Stand heute keine gute Möglichkeit, Energie
länger zu lagern. Zumindest dieser Teil ist falsch. Da müssen Technologien entwickelt werden oder man hätte Atomkraft weiter verwenden können.

1 „Gefällt mir“

Das hängt davon ab, was du unter „länger“ und einer „guten Möglichkeit“ verstehst.