Donald Trump hat seinen wichtigsten Kommunikationskanal verloren. Twitter sperrt seinen Account dauerhaft. Das ist einerseits richtig, weil der scheidende US-Präsident so weniger Schaden anrichten kann. Andererseits offenbart es die problematische Macht der Internetkonzerne – und gesellschaftliche Unwuchten, die sich nicht einfach wegzaubern lassen.
Ein Kommentar von Wolfgang Kerler
Nun ist es offiziell. Mark Zuckerberg und Jack Dorsey sind mächtiger als der amerikanische Präsident. Zack. Und schon hatten die Chefs von Facebook und Twitter seine Accounts vorübergehend oder sogar dauerhaft stillgelegt. Sie brauchten dafür keine Gerichtsurteile, keine Mehrheit im Parlament und mussten nicht einmal so tun, als würden sie sich auf irgendwelche stringenten internen Richtlinien berufen. Sie allein entscheiden, wer auf ihren Plattformen was sagen darf und was nicht.
Zugegeben, es hat gedauert, bis sie und andere soziale Netzwerke wie YouTube, Twitch oder Snapchat sich trauten, entschlossen gegen Donald Trump vorzugehen. Bevor das Ende seiner Amtszeit nahte, kam er mit seinen Lügen, Hetzkampagnen oder Verschwörungstheorien ungestraft davon. Erst mussten diese in einem bizarren und tödlichen Sturm aufs Kapitol in Washington münden. Und wer weiß, ob der gereicht hätte, wenn Trump noch Monate oder Jahre im Amt gehabt hätte, in denen er sich an den Internetkonzernen hätte rächen können?
Trotzdem ist der Schritt aus meiner Sicht richtig. Die politische Stimmung in den USA ist derart aufgeheizt, dass es fatal wäre, Trump über digitale Kanäle weiteres Öl ins Feuer gießen zu lassen. Viel mehr als Schadensbegrenzung stellt das Eingreifen von Zuckerberg, Dorsey & Co. aber auch nicht da. Zwei grundlegende Probleme werden dadurch nämlich nicht gelöst. Einerseits wird das Internet von Technologiekonzernen beherrscht, die ihre Marktmacht regelmäßig ausnutzen. Andererseits sind Millionen von Menschen für den Schwachsinn, den Populisten, Extremisten, Autokraten und Verschwörungspropheten von sich geben, empfänglich.
Die Herrscher des Internets sind schwer zu regulieren
Algorithmen von Facebook, Twitter und insbesondere auch von Google und Amazon entscheiden, was im Internet von wem wahrgenommen wird und was nicht. Große Teile der Medienbranche, alle Influencer, viele Politiker, aber auch der Onlinehandel müssen sich an ihre Spielregeln halten, wenn sie Erfolg haben wollen. Und um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, gehen die Internetkonzerne bei Bedarf recht brachial gegen mögliche Konkurrenten vor.
Damit nicht genug. Die digitale politische Debatte hängt von ihren intransparenten Richtlinien ab, die immer wieder so angepasst werden, dass sie selbst den Weg des geringsten Widerstands gehen können: Mal beugen sie sich autoritären Regimen in Wachstumsmärkten, mal dem öffentlichen Aufschrei in westlichen Demokratien, mal den Beschwerden ihrer Belegschaft. Mal nicht. Es scheint eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Oft wirkt es willkürlich, welche Posts oder Accounts gelöscht werden. Im Zweifel entscheiden die milliardenschweren Firmenchefs selbst. Siehe Trump oder auch Alex Jones.
Ihr Einfluss erstreckt sich sogar auf andere soziale Netzwerke. Das bekommt gerade Parler zu spüren. Die Plattform ist insbesondere für extreme Trump-Fans sowie Verschwörungsgläubige zum Rückzugsort geworden, weil Inhalte dort kaum moderiert oder gelöscht werden. Zuerst hat Google Parler aus seinem App-Store geworfen. Apple wenig später ebenso. Und nun hat Amazons Internetdienst AWS Parler den Hosting-Vertrag aufgekündigt. Auch das ist einerseits nachvollziehbar, demonstriert aber andererseits den außergewöhnlichen Einfluss der Firmen.
Immerhin: Gegen die übermäßige wirtschaftliche Machtkonzentration der Technologiekonzerne gehen Politiker und Kartellbehörden in den USA und Europa inzwischen vor. Das könnte für die Unternehmen gefährlich werden, zumal es Präzedenzfälle aus anderen Branchen gibt. Deutlich schwieriger dürfte es allerdings werden, ihre Kontrolle über die digitale Öffentlichkeit zu regulieren. Doch auch hier tut sich etwas.
Wie schon beim Datenschutz will die Europäische Union mit dem Digital Services Act voranschreiten. Der soll die Plattformbetreiber zu mehr Transparenz verpflichten, indem sie die User aufklären müssen, nach welchen Kriterien sie Posts oder Accounts löschen oder sperren. Ein richtiger Schritt. Allerdings muss in der Praxis beachtet werden, dass die Unternehmen nicht auf Uploadfilter oder die automatische Löschung von umstrittenen Inhalten setzen, um Bußgeldern zu entgehen. Sonst könnten auch legitime Debatten zensiert werden.
Manche Medienhäuser sind auch nicht viel besser
Immer wieder wird außerdem vorgeschlagen, die sozialen Netzwerke wie Medien zu behandeln. Sie wären dann nicht erst nach der Meldung von fragwürdigen Inhalten, sondern von vornherein für das verantwortlich, was auf ihren Plattformen veröffentlicht wird. Und sie müssten sich an Selbstverpflichtungen wie den Pressekodex halten. Das klingt gut, wird im Zweifel aber wenig bringen.
Gerade in den USA verbreiten TV-Sender wie Fox News oder Onlinemedien wie Breitbart die gleichen Lügen, Verschwörungstheorien oder Hasstiraden, die bei Facebook oder Twitter kursieren. Oft nur vor noch größerem Publikum. Auch hierzulande werden die Rügen des Presserats von führenden Boulevardmedien achselzuckend ignoriert und in Illustrierten werden seit Jahrzehnten Märchengeschichten über Adelige oder Prominente verbreitet. Will eine Gesellschaft Meinungsfreiheit, muss sie damit leben.
Und egal ob freiwilliger Kodex oder Gesetze – solche Regeln gelten nicht weltweit. Ein weltweiter Konsens über die Regulierung der Onlineplattformen ist sogar so gut wie ausgeschlossen. Auch damit werden wir uns abfinden müssen. Ohnehin bekämpfen alle Anstrengungen in diese Richtung nur Symptome des eigentlichen Problems. Bekämen wir das in den Griff, müssten wir die Rettung der Demokratie gar nicht erst Milliardären aus dem Silicon Valley überlassen.
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Jetzt Mitglied werden!Warum sind so viele Menschen für Lügen und Hass empfänglich?
Sollten wir nämlich meinen, durch die Löschung von Twitteraccounts oder die Regulierung von Internetkonzernen den nächsten Donald Trump verhindern zu können, dann irren wir uns. Davon gehe ich jedenfalls aus. Die Plattformen sind schließlich nur deshalb zum Problem geworden, weil in unseren angeblich aufgeklärten Gesellschaften Millionen von Menschen an lachhafte Verschwörungstheorien glauben, sich für Hass und Hetze begeistern lassen und durchschaubaren Populisten hinterherlaufen.
Zu viele sind davon überzeugt, dass Trump der Wahlsieg „gestohlen“ wurde, die biblische Schöpfungsgeschichte wörtlich zu nehmen ist, Globuli tatsächlich Krankheiten heilen oder die Bundeskanzlerin morgens bei der ARD anruft, um die Inhalte der abendlichen Tagesschau zu diktieren. Erstaunlicherweise betrifft das fast alle Schichten und fast alle westlichen Demokratien. Dagegen müssen wir etwas tun. Nur was?
Eine überzeugende Antwort habe ich selbst nicht. Bildung ist sicherlich entscheidend. Mehr soziale Gerechtigkeit, wie auch immer die definiert ist, vermutlich ebenfalls. Auch mehr Transparenz und Integrität in Politik, Medienhäusern und Unternehmen würde nicht schaden. Denn jede echte politische Mauschelei, erfundene Reportage oder technische Trickserei lässt die angebliche Weltverschwörung plausibler erscheinen. Mark Zuckerberg und Jack Dorsey sind jedenfalls nicht die Wurzel des Übels. Die müssen wir schon selbst finden.
Titelbild: Getty Images