Von Achim Fehrenbach
Es sind die Daniel-Düsentrieb-Maschinen, die am meisten Aufmerksamkeit bekommen. Das gilt auch für den Bereich Cleantech – also für Technologie, die Ressourcen und Energie spart oder Umweltzerstörung verhindert. Zu den prominenten Beispielen gehören zum Beispiel die futuristischen CO2-Filterkisten von Hypergiant Industries. Oder der Plastikmüllfänger von The Ocean Cleanup. Diese Projekte und ihre Erfindungen stehen sicherlich auch deshalb im Rampenlicht, weil sie drängende Probleme wie Klimaerwärmung oder Plastikmüll in den Weltmeeren bekämpfen sollen. Einen Teil der Beachtung bekommen sie aber bestimmt, weil sie so gut darstellbar sind. Geradezu „fotogen“.
Doch es gibt auch die weniger fotogenen Cleantech-Start-ups, die mehr um Aufmerksamkeit kämpfen müssen, zum Beispiel weil sie keine „Wundermaschinen“ bauen, sondern komplizierte Verfahren optimieren. Spannend sind sie trotzdem, auch aus technologischer Sicht. Weshalb wir einige davon vorstellen wollen.
Die Rettung des Klimas wird ziemlich kleinteilig
Es sind vor allem zwei Dinge, die in den Konzepten der Gründer immer wieder auftauchen: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und die Entwicklung klimafreundlicher Materialien, sei es nun zum Bauen, Speichern oder Konsumieren. Das wurde beim „Demo Day“ deutlich, den der Climate-KIC Accelerator kürzlich in Berlin-Neukölln veranstaltete. KIC ist die Knowledge and Innovation Community, die vom European Institute of Innovation and Technology (EIT) gefördert wird. Ihr Ziel ist der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft.
Der Climate-KIC Accelerator ist Europas größter Cleantech-Accelerator: Seit 2011 hat er mehr als 1.200 klimafreundliche Start-ups gefördert, die Investitionen in Höhe von über 950 Millionen Euro anziehen konnten. Zu den bekanntesten Absolventen des mehrstufigen Förderprogramms zählen – im deutschsprachigen Raum – die Firmen Lilium, tado, Volocopter, Climeworks, thermondo, Green City Solutions und emmy. Beim Berliner „Demo Day“ pitchten nun 16 weitere Start-ups ihre Konzepte. Und dabei wurde deutlich, dass die Rettung des Weltklimas ziemlich kleinteilig wird.
Jedes Jahr wird Beton von der Masse des Mount Everest verbaut
Ein wenig beachteter, aber ziemlich gewichtiger Klimafaktor ist die Produktion von Zement, der als Bindemittel für die Produktion von Beton benötigt wird. Die Zement- und Betonindustrie zählt zu den Hauptverursachern von Gasen, die den Treibhauseffekt verschärfen. Weltweit werden jährlich rund 4,5 Milliarden Tonnen Beton produziert, was für etwa acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Jedes Jahr wird Beton von der Masse des Mount Everest verbaut – und der Hunger der Menschheit nach diesem verlässlichen Baumaterial wird noch zunehmen: Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Nachfrage in den nächsten 40 Jahren verdoppelt. Was das für das Weltklima bedeuten würde, kann man sich ausmalen.
Der Grund für den enormen CO2-Ausstoß liegt in der Komplexität der Wertschöpfungskette. „Sie umfasst verschiedene Herstellstufen“, sagt Leopold Spenner zu 1E9. Der Ingenieur stand auch auf der Bühne des Betahauses Neukölln und pitchte die Geschäftsidee seines Start-ups Alcemy. „Am Ende jeder Stufe braucht es einen Monat, bis man überhaupt die Qualität kennt. Außerdem schwankt die Qualität stark, weil es sich um ein Naturprodukt handelt, das schwer zu bändigen ist.“
Spenner entstammt einem Familienunternehmen, das seit 91 Jahren Zement herstellt. „Mir wurde klar, dass die Zahnräder nicht ineinander greifen, dass der gesamte Produktionsprozess aus dem Takt ist“, sagt er. „Viele Leute wissen nicht, wie komplex die Produktion von Zement und Beton wirklich ist. Sie ist geprägt von extremen Schwankungen.“ Das liege an der Beschaffenheit von Kalkstein, der Grundzutat von Zement.
„Jeder Kubikmeter Kalkstein hat eine andere Chemie und Mineralogie“, erklärt Spenner. „Das führt zu Schwankungen in der Zementfestigkeit“. Und in der Betonherstellung wird es noch schwieriger: „Jede Lieferung Sand ist anders und führt zu weiteren Schwankungen in der Befonfestigkeit.“ Bis jetzt war das Testen der Festigkeit von Zement und Beton sehr aufwendig: Es dauerte sage und schreibe 28 Tage. „Bis dahin ist ein ganzer Produktionsmonat ausgeliefert“, sagt Spenner. „Wenn der Zement oder Beton dann nicht stark genug sind, hagelt es Reklamationen oder ganze Bauprojekte verzögern sich. Aufgrund dieser bereits bestehenden Qualitätsprobleme verzichten Betonhersteller auf die Nutzung von vorhandenen CO2-ärmeren Zementen. Das liegt daran, dass Betongemische mit CO2-armen Zementen nochmals deutlich komplexer sind. Die Angst vor einer steigenden Zahl von Reklamationen ist groß."
Mit Alcemy, besser gesagt: mit KI, will Spenner einen Ausweg aus dem Dilemma bieten. „Mittels Machine Learning und Regelungstechnik bestimmt unsere Software die Qualität des Zement bereits binnen 40 Minuten“, sagt er stolz. Die KI macht genaue Vorschläge, wie sich der Produktionsprozess on the fly im Zementwerk nachjustieren lässt: Die Qualität wird besser und es wird weniger Material verbraucht, was die Gewinnspanne steigert. „Im nächsten Schritt wollen wir unsere Software jetzt ins Betonwerk bringen, um so die verlässliche Nutzung von CO2-armen Zementen zu ermöglichen. So ließe sich jährlich so viel CO2 einsparen, wie halb Europa heute verbraucht“, prognostiziert der Ingenieur.
Der Beton darf nicht zu schwach sein
Laut McKinsey zählt die Betonproduktion derzeit noch zu den am schwächsten digitalisierten Industriezweigen überhaupt . Was spricht also dagegen, die Software von Alcemy großflächig einzusetzen? Laut Spenner gibt es diverse Hindernisse: Erstens gibt es in den Normen verankerte Mindestzementgehalte, die in früheren Zeiten den Absatz der Zementhersteller sicherten, nun aber CO2-ärmeren Betonen im Wege stehen. Zweitens fürchten Betonhersteller, dass schwächerer Beton aus Versehen in Bauteilen landet, die starken Beton benötigen. Und: Vielen Baufirmen sei gar nicht bewusst, wie CO2-intensiv es bei der Betonproduktion zugehe, und selbst öffentliche Bauherren fragen in Deutschland noch keinen CO2-armen Beton nach, sagt Spenner.
Beim „Demo Day“ in Berlin sucht er deshalb nach Verbündeten für die politische Einflussnahme. „Wir wollen prädiktive Qualitätssteuerung in Normen und technischen Vertragsbedingungen bringen“, sagt er. „Wir wollen transparent machen, wie viel CO2 in der Betonproduktion entsteht.“ Ziel sei, die Politik von einer Durchsetzung bestimmter Grenzwerte zu überzeugen, so Spenner. Denn dann steige die Chance, dass der Markt neue Verfahren wie das von Alcemy übernehmen wird.
Alcemy ist nicht das einzige Start-up beim „Demo Day“, das sich der Suche nach neuen Betonmischungen verschrieben hat. Auch die Wiener Firma Mixteresting nutzt eine eigens entwickelte KI, um die Betonproduktion zu optimieren. Die Software schlägt ganz neue, aber den Anforderungen entsprechende Betonmischungen vor, die Ressourcen und Energie sparen könnten. „So reduzieren wir den zeitlichen und finanziellen Aufwand um bis zu 90 Prozent,“ erläutert Firmengründer Franz Haller. Das Geschäftsmodell von Mixteresting sei simpel, so Haller: „Unsere Kunden bezahlen eine monatliche Service-Gebühr.“ Falls Mixteresting eine neue, leistungsstarke Betonmischung findet, können Firmen auch ein ausschließliches Nutzungsrecht erwerben. Für Haller sind die bewährten Zutaten jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss: „Wir hoffen, neue Mischungen zu finden, in denen zum Beispiel recyceltes Plastik oder sogar Wüstensand zum Einsatz kommt“, sagt er.
KI soll das Klima schützen
Die Beispiele aus der Zement- und Betonproduktion zeigen: KI kann bei der Suche nach Materialien, die zum Klimaschutz beitragen, eine entscheidende Rolle spielen. Den Start-ups des „Demo Day“ hilft sie noch bei vielen anderen Herausforderungen, etwa beim Handel mit Plastik-Rezyklat (CirPlus), beim Energiemanagement von Gebäuden (Dabbel), der Steuerung von Wasserkraftwerken (Hydrogrid) und der Instandhaltung öffentlicher Stadtentwässerungssysteme (Hades). Einen Überblick aller Cleantech-Start-ups vom „Demo Day 2019“ findet ihr übrigens hier.
Teaser-Bild: Terroa / Getty Images
Hinweis: In einer vorherigen Version des Artikels wurde beim Bericht über Alcemy erwähnt, dass Beton oft stärker ist als notwendig. Neue Erkenntnisse von Alcemy haben gezeigt, dass Beton zwar in der Tat mehr CO2-reichen Klinker enthält als notwendig, dass aber nicht darin resultiert, dass er zu stark ist. Daher wurde der Artikel nachträglich korrigiert