Auch Häuser lassen sich recyceln. Theoretisch zumindest. In der Praxis spielt die Wiederverwendung von Baumaterialien allerdings kaum eine Rolle, obwohl sich dadurch das Klima schützen ließe. Den Firmen ist die Sache bisher oft zu kompliziert. Das Start-up Concular mit Sitz in Stuttgart und Berlin will das nun ändern – und die Bauwirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft verwandeln.
Von Wolfgang Kerler
Für unser Interview sitzen wir in einem Hinterhof in Berlin-Friedrichshain und blicken auf einen alten Ziegelbau, der umgeben von Wohn- und Bürohäusern überlebt hat. Nach seiner Errichtung im späten 19. Jahrhundert waren darin zunächst Stallungen untergebracht. Heute beherbergt er Start-ups wie Concular, das Dominik Campanella mitgegründet hat und dessen Co-Geschäftsführer er ist.
Gerade errichten zwei Bauarbeiter eine kniehohe Mauer um das Gebäude, ebenfalls aus rotem Ziegelstein. „Die verwenden historische Steine aus Brandenburg“, sagt Dominik, „sogenannte Reichsformat Ziegel, die vor 1945 benutzt und noch per Hand geformt wurden.“ Eigentlich freut es ihn, dass hier Steine verbaut werden, die ursprünglich in einem anderen Haus steckten. Denn darum geht es auch bei Concular: Hochwertige Baumaterialien, die sich wiedernutzen lassen, vor dem derzeit üblichen Ende auf einer Deponie oder als billiges Füllmaterial beim Straßenbau zu bewahren. „Aber leider wird das wohl das letzte Mal sein, dass diese Ziegel eingebracht werden.“
Denn heute werde meist gar nicht daran gedacht, was mit Baustoffen passiert, wenn ein Gebäude irgendwann abgerissen wird. Früher sei das anders gewesen. „Damals wurde mit Lehmmörtel gebaut“, erklärt Dominik. „Das hatte den Vorteil, dass man die Steine beim Abriss einfach wieder herausklopfen und dann sofort wiederverwenden konnte.“ Heute dagegen werden Ziegelschichten – so wie bei der Mauer in Friedrichshain – mit Zementmörtel verbunden, der sehr stark haftet. „Man bekommt die Steine dann nie mehr auseinander.“
Bauen ist – noch – ziemlich klimaschädlich
Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist für etwa 40 Prozent der deutschen CO2-Emmissionen verantwortlich. Zwar wird der Großteil davon noch immer durch die Nutzung der Gebäude verursacht, durch das Heizen zum Beispiel. Doch schon jetzt macht die „graue Energie“ 25 bis 40 Prozent der Emissionen aus – die Energie also, die in den Bau von Häusern gesteckt wird, zum Beispiel in die Produktion des nötigen Zements. Der Anteil der grauen Energie steigt immer weiter, da Gebäude im Betrieb zwar immer energieeffizienter werden, sich am Standardvorgehen bei Bau und Abriss aber wenig ändert.
Obwohl gerade die Herstellung von Zement und Beton als klimaschädlich gilt, die für acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes sorgt, spielt das wirkliche Recycling von Baustoffen und das Denken in Materialkreisläufen kaum eine Rolle. Fast immer, wenn alte Gebäude abgerissen werden, landet der Schutt auf einer Deponie oder er wird zermahlen und als einfaches Füllmaterial verwendet – Downcycling statt Recycling also. An derselben Stelle wird dann eine neue Immobilie aus neuen Baustoffen errichtet. „Die Wiedernutzungsquote von Material liegt in Deutschland aktuell bei einem Prozent“, sagt Dominik Campanella. „Sie ist also nahezu nicht existent.“ Sein Start-up Concular soll das ändern.
Der gesamten Baubranche zu unterstellen, sie habe keine Lust alte Materialien wieder zu nutzen, wäre falsch. Das stellte das spätere Concular-Team bei Gesprächen mit hundert verschiedenen professionellen Akteuren fest – zum Beispiel Architekten, Baufirmen, Abrissunternehmen. Es war bisher nur zu kompliziert und teuer, sich um die Weiterverwendung von Material zu kümmern. „Die meisten Immobilienbesitzer wissen gar nicht, welche Materialien überhaupt in ihren Gebäuden stecken“, erklärt Dominik. „Deshalb wird erst beim Abriss realisiert, dass da vielleicht wertvolle Dinge drin sind.“ Dann allerdings sei es zu spät. Denn ein Abriss müsse schnell gehen. Zwei Wochen im Schnitt. „Aber in dieser kurzen Zeit kann man keine Käufer finden. Und Material einzulagern wäre zu teuer.“ Also werde es weggeschmissen.
Um das zukünftig zu verhindern, hat Concular eine Software entwickelt, mit der sich die Materialien in einem Gebäude vor dem Abriss digital erfassen lassen. Idealerweise etwa ein Jahr davor. Die Häuser bekommen dann einen „Digitalpass“. Noch sind bei dieser Erfassung Mitarbeiter von Concular dabei, doch in Zukunft soll die Software so einfach zu bedienen sein und mit Hilfe von Bilderkennungs-Algorithmen so schlau sein, dass im Prinzip jeder in der Lage sein soll, einen Digitalpass zu erstellen – einfach, in dem er Fotos aufnimmt, die dann analysiert werden können, und in der App einige Informationen ergänzt.
Nun wissen die Immobilienbesitzer zwar, was in ihrem Abrissgebäude steckt. Doch wo sollen sie Käufer finden? Auch dafür bietet Concular eine Lösung an. „Wir arbeiten mit vielen Architekten und Immobilienentwicklern zusammen“, erklärt Dominik Campanella. „Die haben Zugang zu unserer Software, können dort ihre Entwürfe hochladen und damit wissen wir automatisch, welche Materialien sie brauchen.“ Durch die Erstellung der Digitalpässe weiß Concular außerdem, wann welche Abbruchmaterialien zur Verfügung stehen – und kann per Algorithmus Angebot und Nachfrage matchen . Auch um Wiederaufbereitung, Zertifizierung und den Transport kümmern sich Concular und seine Partner.
„Die Materialien, die wir schon vermittelt haben, sind super individuell – je nach Gebäude“, sagt Dominik. „Steine, Holz, Glas, Metall. Von den Fassadenelementen aus Aluminium über Ziegelsteine und Holzbalken bis zu Teppichfließen oder Systemtreppen. Manchmal lassen sich sogar ganze Außentreppen, die feuerverzinkt sind, komplett wiederverwenden.“ Mehrere Dutzend Projekte hat Concular schon durchgeführt. So wurden Bauteile aus einem alten Supermarkt weitervermittelt, ein Wohngebäude digital erfasst, aber auch große und bekannte Objekte: die Mercedes Benz Arena in Stuttgart oder der Karstadt Hermannplatz in Berlin. Beim Umbau beider Immobilien sollen Baustoffe aus dem bestehenden Gebäude wiederverwendet werden.
Finanziell, sagt Dominik, lohne sich die Wiedereinbringung durchaus. „Der aktuelle Gebäudebesitzer kriegt Geld für Material, das er dann nicht mehr deponieren muss, was ihm wiederum Geld spart. Das Rückbauunternehmen verdient mehr, weil sie mehr Zeit in den Abriss stecken müssen. Und die Käufer bekommen das wiedergewonnene Material zum gleichen Preis wie neues Material.“ Das sei für sie zwar kein ökonomischer Gewinn, aber ein ökologischer.
Immer mehr Recyclinghäuser
Dass sich ganze Häuser aus wiedergewonnenen, recycelten oder recycelbaren Materialien errichten lassen, beweisen Modellprojekte, die in verschiedenen Ländern entstehen. In Hannover, zum Beispiel, wurde im Sommer 2019 Deutschlands erstes Recyclinghaus fertig. Zu über 50 Prozent besteht es aus recycelten Materialien: von Sichtholzwänden aus alten Saunabänken über die Fassadendämmung aus alten Jutesäcken bis zu Treppengeländern aus einem alten Freizeitheim. Das ursprüngliche Ziel, komplett auf recycelte Baustoffe zu setzen, wurde allerdings verfehlt – etwa, weil gebrauchte Fenster nicht mehr den gängigen Vorgaben entsprechen. Dafür kamen für das Wohngebäude nur Materialien zum Einsatz, die wiederverwendet werden können. Um das zu erleichtern, wurde beim Bau des Holzhauses auf Leim verzichtet.
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Jetzt Mitglied werden!In der Schweiz steht mit der Urban Mining and Recycling Unit, kurz: UMAR, ein Gebäude, das ebenfalls recyclinggerecht gebaut wurde. Es besteht vollständig aus wiederverwendbaren, wiederverwertbaren oder kompostierbaren Ressourcen. In München wiederum wurde vor wenigen Wochen ein Mustertpavillon eingeweiht, der komplett aus Recyclingbeton besteht, der aus dem Abrissmaterial der Bayernkaserne hergestellt wurde, die früher auf dem Areal stand. Der Pavillon soll die Einsatzmöglichkeiten des Materials demonstrieren.
Eines haben diese Projekte bisher gemeinsam: ihren Idealismus. Damit die ganze Bauwirtschaft zu einer Circular Economy – einer Kreislaufwirtschaft – wird, müssten sich erst die politischen Rahmenbedingungen ändern, meint Dominik Campanella von Concular. „Bisher war es einfach günstiger, abzureißen und mit neuen Materialien neu zu bauen – auch, wenn das ökologisch überhaupt keinen Sinn ergibt. Die Politik müsste es also schaffen, ökologisches Bauen ökonomisch zu incentivieren, zum Beispiel durch einen CO2-Preis auf neue Baustoffe oder die Abschaffung der Mehrwertsteuer für Recyclingmaterialien.“ Und auch die Bauordnungen müssten sich ändern. Denn: „Die Zulassung von wiedergewonnenen Materialien ist schwierig, sehr schwierig.“
Und noch eine Forderung hat der Gründer: Wenn der Staat selbst eines seiner Gebäude abreißen lässt, solle er die digitale Erfassung der Materialien anordnen. Wenn er baut, dann solle er vorscheiben, dass zu einem bestimmten Anteil auf recycelte Baustoffe zum Einsatz kommen. „Der Staat ist der größte Auftraggeber für Neubauten in Deutschland“, sagt Dominik. „Diesen Hebel muss er einfach nutzen.“
Event zur Circular Economy am 9. September um 18 Uhr!
Am 9. September ab 18 Uhr geht es in der nächsten Ausgabe von Reclaim the Future!, der digitalen Eventreihe von 1E9 und dem FUTURE FORUM by BMW Welt, um die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft. Der Titel: Let’s close the loop: Creating a circular economy. Wir stellen konkrete Lösungen vor, um Plastik und Bauschutt wiederzuverwenden, diskutieren, wie man Städte in Circular Cities verwandeln kann, und wollen herausfinden, welche Rolle Industriekonzerne und die Politik spielen müssen. Schaltet ein und stellt eure Fragen! Hier gibt’s alle Infos und am 9. September auch den Livestream und das Chattool.
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Titelbild: Getty Images