Ziegelsteine aus Plastikmüll: Die Erfolgsgeschichte des Start-ups Gjenge Makers aus Kenia

Eigene Technologie, ein lokales Gründerteam und ein günstiges Produkt für den regionalen Markt: Das kenianische Start-up Gjenge Makers bringt alles mit, was es für Arbeitsplätze und Wachstum braucht – und löst echte gesellschaftliche Probleme. Bisher fällt es in Afrika ausgerechnet Start-ups wie diesem schwer, genügend Kapital aufzutreiben. Hier setzt der deutsch-afrikanische Non-Profit-Investor Impacc an.

Von Wolfgang Kerler

Nzambi Matee spricht von ihrem „anderen Leben“, wenn sie von der Zeit vor ihrem Start-up Gjenge Makers erzählt. In diesem anderen Leben arbeitete sie mit Mitte 20, nachdem sie Materialwissenschaften und Geophysik studiert hatte, in der Öl- und Gasindustrie. Sie verdiente gut, hätte eigentlich zufrieden sein können. Doch ihr Job erfüllte sie nicht. „Ich wollte etwas nachhaltigeres machen“, sagt sie im Gespräch mit 1E9. „Denn ich wollte in die Fußstapfen von Wangari Maathai treten.“

Keine kleinen Fußstapfen. Die 2011 verstorbene Umweltaktivistin Wangari Maathai startete Ende der 1970er das Green Belt Movement – ein gigantische Aufforstungsprojekt, in dessen Rahmen seitdem allein in Kenia über 50 Millionen Bäume gepflanzt wurden. Später kämpfte Maathai als Politikerin für den Schutz der Umwelt, setzte sich zeitlebens für Frauenrechte ein. Als erste Afrikanerin wurde sie für ihr Engagement 2004 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

„Ihr Beispiel motivierte mich“, sagt Nzambi, „auch wenn mir schnell klar war, dass ich meinen Beitrag nicht durch Aktivismus, sondern durch Wissenschaft und Ingenieurskunst leisten will.“ 2016 folgte sie dieser Leidenschaft. Sie kündigte ihren sicheren Job und investierte ihre ganzen Ersparnisse, um nach einer Lösung für gleich zwei Probleme zu suchen: den Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die Beseitigung des allgegenwärtigen Plastikmülls.

Über zwei Millionen fehlende Wohnungen – und tägliche Hunderte Tonnen Plastikmüll

„In Kenia fehlen zwei Millionen bezahlbare Wohnungen – und jedes Jahr steigt dieses Defizit um 200.000 Einheiten“, erklärt Nzambi. In anderen afrikanischen Staaten sei die Situation ähnlich dramatisch. Die Folgen? „Gerade in urbanen Gegenden entstehen informelle Siedlungen.“ Millionen von Menschen leben also in notdürftig errichteten Wellblechhütten. Keine festen Straßen, keine Kanalisation, keine Sicherheit. „Dabei ist es ein menschliches Grundbedürfnis, ein Haus oder eine Wohnung zu haben.“

Nzambi und ihre Mitstreiter wollten herausfinden, was die Preise für Häuser so hoch treibt, dass sich so viele Menschen keinen Wohnraum leisten können. Das Ergebnis fiel eindeutig aus. „Schuld sind vor allem die hohen Kosten für Baumaterialien“, sagt Firmenchefin Nzambi. Bei einfachen, aber soliden Häusern entfielen etwa 60 Prozent der Kosten nur auf Materialien wie Beton. „Also habe ich mir gedacht: Setzen wir doch hier an!“

Womit sie ansetzen wollten, wusste Nzambi schon. Denn das zweite Problem, das sie lösen wollte, stand schon fest: der Plastikmüll, von dem allein in Kenia täglich mehr als 500 Tonnen anfallen. „Kenia verfügt noch nicht über ein funktionierendes Müllentsorgungssystem“, sagt Nzambi. „Deswegen wird nur ein winziger Bruchteil des Plastiks recycelt.“ Viel zu viel lande in der Umwelt, in Gewässern oder auf riesigen Deponien. „Uns war also klar, dass wir Plastik recyceln wollen – allerdings so, dass es auch technisch und ökonomisch Sinn ergibt.“

Fast das ganze Jahr 2017 steckte sie in die Entwicklung eines günstigen Baustoffs aus recyceltem Plastik. Ihr Wissen aus dem Studium und der Öl- und Gasindustrie half ihr dabei, aber auch eine ganz andere Inspirationsquelle: „Einer unserer Stämme in Kenia, die Massai, errichten ihre Häuser mit einem Verbundmaterial aus Schlamm, Kuhdung und Gras“, erzählt sie. „Das Gras hält dabei den Schlamm und den Kuhdung zusammen.“

Statt Schlamm und Kuhdung nutzte Nzambi für ihren ersten Ziegel Sand, statt Gras nutzte sie zerkleinertes Plastik. Beide Materialien vermengte sie unter starker Hitze. Die dabei entstandene Masse, eine Art Polymer-Beton, presste sie in die gewünschte Form. „Für diesen ersten Ziegel brauchte ich neun Monate“, erinnert sich Nzambi. Ein Erfolg. Doch ihr war klar, dass sie für eine kommerziell erfolgreiche Firma entsprechende Maschinen zur Massenfertigung brauchte.

Von einem Ziegel in neun Monat zu 1.500 Ziegeln pro Tag

„Wir haben im Internet nach passenden Maschinen gesucht“, berichtet Nzambi. „Nicht nur in Afrika, auch in Europa oder Asien. Aber es gab nur Anlagen zur Betonproduktion oder zur Plastikverarbeitung, nichts dazwischen. Außerdem war alles viel zu teuer.“ Also suchten sie und ihre Unterstützer auf Schrottplätzen nach verwertbaren Teilen, um selbst die erste Fertigungslinie zu bauen. Über ein Jahr dauerte das, doch dann, Ende 2019, konnte das inzwischen gegründete Start-up Gjenge Makers endlich mit der Serienproduktion starten. Von Anfang an überstieg die Nachfrage nach den Gjenge-Ziegeln die Herstellungskapazitäten.

„Aktuell produzieren wir mit 26 von uns ausgebildeten Vollzeit-Angestellten täglich zwischen 1.000 und 1.500 Ziegel“, sagt Nzambi. Und das sind nicht die einzigen Arbeitsplätze, die sie in nur drei Jahren geschaffen hat. Denn die über 500 Kilogramm Plastikmüll, die täglich recycelt werden, werden nur zu einem kleinen Teil direkt von Fabriken angeliefert, wo überschüssiges Plastik anfällt. Vor allem stammt der Müll von einem Netzwerk aus über 110 freien Mitarbeitern – überwiegend Frauen und junge Menschen –, die in der ganzen Stadt Plastik einsammeln.

Dieses wird bei Gjenge Makers sortiert, damit die unterschiedlichen Plastiksorten – zum Beispiel Polyethylen, Polypropylen oder Polyethylenterephthalat, kurz PET – sortenrein zerkleinert und weiterverarbeitet werden können. Bei fast 400 Grad Celsius wird das Plastik dann mit Sand oder Glas und Farbpigmenten zu einer Verbundmasse verarbeitet, die anschließend mit hydraulischen Pressen in die gewünschte Form gepresst wird.

Bisher stellt Gjenge Makers vor allem Pflastersteine aus Polymer-Beton her, mit denen Parkplätze, Schulhöfe oder Gehwege befestigt werden. Das Ziel bleiben allerdings günstige Ziegel für den Bau von Häusern. Doch für deren finale Entwicklung und die Produktionsanlage fehlte dem Start-up zunächst das Geld.

Investitionen in Start-ups statt Entwicklungshilfe für Projekte

Das änderte sich kürzlich mit dem Einstieg von Impacc, einer Non-Profit-Organisation mit Sitz in Hamburg und der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Mit klassischer Entwicklungshilfe teilt Impacc die Gemeinnützigkeit und das Ziel, Menschen aus der Armut zu holen. Ansonsten agiert Impacc eher wie ein Wagniskapitalgeber, erklärt Mitgründer und Geschäftsführer Till Wahnbaeck, der früher die Entwicklungsorganisation Welthungerhilfe leitete.

„Das Problem an klassischer Entwicklungshilfe ist, dass sie mit ihren Spendengeldern fast nur Projekte finanziert“, sagt er zu 1E9. „Ist das Geld dafür aufgebraucht, enden die Projekte – und man kann wieder von vorne anfangen.“ Impacc sammelt zwar auch Spendengelder, investiert diese aber in afrikanische Start-ups. „Wir sind überzeugt davon, dass Jobs der beste Weg sind, um Menschen dauerhaft aus der Armut zu holen. Und in Afrika werden über 90 Prozent der Jobs von kleinen und mittleren Firmen in der Privatwirtschaft geschaffen.“

Impacc sucht also nach afrikanischen Start-ups, die bestimmte Kriterien erfüllen: Gründerteams aus der Region, die mit einer vor Ort entwickelten Lösung oder Technologie gesellschaftliche Probleme auf dem lokalen Markt lösen. „Gjenge Makers ist ein perfektes Beispiel dafür“, sagt Till. Allerdings sei Gjenge Makers auch ein Beispiel für eine Herausforderung, vor der gerade afrikanische Start-ups stehen.

„Firmen wie diese tun sich schwer, genug Geld zu bekommen“, erklärt der Non-Profit-Investor. „Für Bankkredite fehlt ihnen als Start-up die Sicherheit. Entwicklungshilfeorganisationen schrecken meistens davor zurück, privatwirtschaftliche Firmen zu unterstützen, weil sie um ihren Status der Gemeinnützigkeit fürchten. Und klassische Wagniskapitalgeber, deren Bedeutung in Afrika durchaus zugenommen hat, investieren lieber in Fintech-Unternehmen, die starkes Wachstum ohne viele Arbeitsplätze versprechen.“

Unternehmen wie Gjenge Makers fallen daher zu oft durchs Raster, obwohl ihr Finanzierungsbedarf überschaubar ist. Meistens geht es um fünfstellige oder niedrige sechsstellige Eurobeträge. „Die Weltbank spricht von der missing middle “, sagt Till. In der ist Impacc jetzt aktiv, denn der Organisation ist es gelungen, die deutschen Finanzbehörden davon zu überzeugen, dass auch Investitionen in Firmen, also das Kaufen von Anteilen, gemeinnützig sein können. „Auch wir dürfen keinen Gewinn machen. Aber wenn wir unsere Anteile an einem erfolgreichen Start-up bei einem Exit wieder verkaufen, investieren wir das Geld direkt in andere Start-ups.“

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Neun Firmen gehören inzwischen zum Portfolio von Impacc: neben Gjenge Makers beispielsweise Full Spoon, das nahrhafte Snacks aus Erdnüssen herstellt, die sich auch die Ärmsten leisten können, oder M-shamba, das einen handygestützten Marktplatz für lokale Kleinbauern inklusive Weiterbildungsangeboten betreibt, oder auch ACT, das das Sammeln, das Upcycling und den Weiterverkauf von gebrauchten Textilien organisiert.

Gjenge Makers will ab 2023 Gewinn machen

Um dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen und Menschen aus der Armut zu holen, müssen sich die von Impacc mitfinanzierten Start-ups nach wenigen Jahren aus eigener Kraft am Markt behaupten – und profitabel sein. Das hat sich auch Nzambi Matee für Gjenge Makers vorgenommen. „Wir sind absolut konkurrenzfähig, den unser Produkt ist stärker, günstiger und leichter als normaler Beton“, sagt sie. „Danke der Unterstützung von Impacc wollen wir 2023 mit der Produktion von Ziegeln für den Hausbau beginnen. Und wir wollen ab 2023 profitabel sein.“

Das Wort Gjenge im Firmennamen ihres Start-ups ist übrigens vom Kisuaheli-Wort jijenge abgeleitet, das „baue dich selbst auf“ bedeutet. „Uns geht es nämlich nicht nur darum, Häuser zu bauen, sondern gemeinsam eine nachhaltige Zukunft zu bauen.“

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