Warum wir negative Science-Fiction-Szenarien wie in „Don’t Look Up“ brauchen

Die Menschheit hat all ihre Gegensätze überwunden und erforscht gemeinsam den Weltraum: In Star Trek war die Welt noch in Ordnung. Aber was macht Science-Fiction heute? Sie verbreitet dystopische Zukunftsvisionen und konfrontiert uns mit unserer eigenen Auslöschung. Macht das alles nicht noch schlimmer? Nein, meint unsere Kolumnistin @Kryptomania, die nicht nur Datenschützerin ist, sondern auch Science-Fiction-Kennerin.

Eine Kolumne von Dr. Aleksandra Sowa

Worüber lacht ihr denn? Ihr lacht über euch selbst! - Nikolai Gogol

Er könne in seinen Büchern keinen Optimismus vortäuschen, sagte die Journalistin Karolina Lewestam in einem Interview zum kanadischen Meeresbiologen und Science-Fiction-Autor Peter Watts, das sie für die Zeitschrift Pismo (Sonderausgabe 1/2021) führte. Die Geschichten in seinen Büchern wirkten bedrückend, es fehle der Glaube an die Wirkkraft des Menschen, Entscheidungen zu treffen, mit denen er/sie (seine/ihre) Zukunft beeinflussen könnte. Anthropozentrismus? Fehlanzeige. Stattdessen sind Protagonisten in seinen Romanen Abgrund, Blindflug oder Echopraxia von Menschen geschaffene Monster, von Menschen zu Monstern gemacht worden oder vor zu Monstern gewordenen Menschen flüchtende Menschen… und damit eigentlich auch keine Menschen mehr.

Watts konterte die Kritik geschickt, indem er ausführte, warum optimistische Science-Fiction nicht immer angebracht sei: Früher glaubte man, junge Entwickler, Forscher und Innovatoren würden von Serien wie Star Trek inspiriert. Heute könnten sie nicht mehr mit Optimismus in die Sterne schauen – und schuld daran solle die (pessimistische) Science-Fiction sein, die nur noch schwarze Szenarien der Zukunft ausmalt.

Mit einem euphorischen Zukunftsoptimismus möchte man einen Kontrapunkt zu dieser Entwicklung setzen, so Watts. Nicht nur in der Science-Fiction, auch in der Klimapolitik, Energieforschung oder im Umweltschutz möchte man den Menschen unbedingt die Angst vor der Zukunft nehmen. Keine Dystopien mehr, plädieren etwa die Hopepunk- und Solarpunk-Autoren. Hoch lebe die Science-Fiction, die nur schöne und positive Zukünfte hervorbringen möchte. Doch das ist für Watts nicht ausreichend.

Angst, das wissen wir spätestens seit der Neuverfilmung von Dune, tötet den Verstand. Doch Angst, richtig dosiert, wirkt auf Menschen gerade angesichts von Gefahren, Krisen oder Katastrophen motivierend und mobilisierend. Wenn wir, auf einem Sofa sitzend, durch das Fenster eine Lawine auf uns zurollen sehen, dann bleiben wir nicht sitzen, sondern stehen auf und rennen weg, erklärt Watts. Das Problem allerdings sei, dass wir im Moment noch nicht glauben, dass diese Lawine wirklich existiert.

Nicht die Science-Fiction, sondern der Kapitalismus ist verantwortlich

Sowohl die Kritik der Journalistin Karolina Lewestam als auch die Argumente von Peter Watts sind nachvollziehbar: In den trüben pandemischen Zeiten sind positive Visionen und Szenarien unbedingt wichtig und richtig. Sie helfen über die dunkle Zeit hinweg. Doch die Pandemie lenkt zugleich von den Problemen ab, die sich schon lange zuspitzen. Beschäftigt mit existenziellen Problemen, dem Überleben und der Unfähigkeit, die nächsten Wochen, ja Tage, zu planen, haben Menschen andere Herausforderungen, wie Klimawandel, Erderwärmung, Wasserknappheit, Machtasymmetrien oder auch nur Politikverdrossenheit, Demokratiekrisen oder den hypertrophischen Techkapitalismus, in den Hintergrund geschoben.

Dabei ist es nicht die Science-Fiction, die schuld an der fehlenden Inspiration der Technologie-Experten oder Politiker ist. Peter Watts sieht beispielsweise die Ursache für die schwindende Bedeutung der NASA in Sachen Weltraumerkundung in der Tatsache, dass die Amerikaner das Wettrennen um den Mond mit den Russen gewonnen haben. Danach war es offenbar nicht mehr notwendig, weitere teure Weltraumprogramme zu finanzieren. Der Anthropologe David Graeber sah wiederum die Ursache dafür, dass nichts davon, was wir in Star Trek gesehen haben, zu unserer Lebzeit Wirklichkeit geworden ist, darin, dass sich relativ früh Industriekapitäne und Politiker einig waren, nur solche Technologien zu fördern, die der Aufrechterhaltung des Status quo dienen würden. Je mehr Kapitalismus, desto weniger Humanismus, lautet die Formel. Oder, mit den Worten des Futurologen Stanislaw Lem aus Cicero ausgedrückt: „Je mehr Kapitalismus, desto weniger Sachen packt eine Gesellschaft an, die gut sind für ihr Weiterbestehen.“

Außerdem seien die Menschen von Natur aus unbegründet optimistisch, so der Science-Fiction-Autor Peter Watts. Wenn sie an eine Klimakatastrophe denken, dann sehen sie sich danach eher in der Rolle von Mad Max (aus Mad Max) – und nicht als eines der am Straßenrand drapierten Skelette, an denen Mad Max (sobald er genug Treibstoff hat) vorbeifährt. Deswegen, und um die Gefahren, die fern scheinen, real wirken zu lassen, braucht man Science-Fiction, die weder gute Botschaften noch positive Szenarien vermittelt. So wie in den Romanen von Stanislaw Lem, dessen Wirken die Radiomacherin Claudia Friedrich in einer WDR-Radiosendung treffend pointierte: „Humor? Immer. Happy End? Nie.“

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Das trifft übrigens auch auf die neue Netflix-Science-Fiction-Produktion Don’t Look Up zu, mit Starbesetzung, darunter Meryl Streep, Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio. In dem Film gibt es auch kein Happy End. Thread – Achtung, Spoiler!: Auf die Erde rast ein Asteroid zu. Ein paar Wissenschaftler entdecken ihn und tragen die Information der US-Präsidentin vor (genau genommen zwei von Ihnen, Dr. Randall Mindy und Kate Dibiasky). Entweder werden sie nicht ernst genommen, oder es werden Quasimaßnahmen angeleitet, mit dem Ergebnis, das keine wirklich funktioniert. Es gibt kein Team der Superbohrer, das auf dem Asteroiden landen und ihn zersägen kann, wie in Armageddon, die Amerikaner retten nicht die Erde, wie in Independence Day, auch nicht die Medien oder die Journalisten, wie in Vaterland. Der Dibiasky-Komet widersetzt sich zudem wirksam den Plänen des Mega-Techkapitalisten, Peter Isherwell, zerstückelt auf die Erde zu fallen und sich zur Rohstoffgewinnung verwerten zu lassen. Am Ende sind (fast) alle Protagonisten tot. Vorher mussten einige von ihnen eine Verschwiegenheitserklärung beim FBI unterschreiben.

Dagegen, dass die Zuschauer deprimiert werden oder Suizidgedanken bekommen, hilft: Es ist eine Komödie. Eine Komödie ohne Happy End. Witzig. Man möchte es mit Nikolai Gogol halten, der in Der Revisor, einer Komödie von 1835, schreibt: „Worüber lacht ihr denn? Ihr lacht über euch selbst!“

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Science-Fiction mit oder ohne Lawine?

Dass man sich danach ein bisschen schlecht fühlt, ins Grübeln kommt oder sich gar ein wenig dumm vorkommt, ist nicht mal schlecht. Eine gute Story kann bewirken, dass wir die Lawine, von der Peter Watts im Interview sprach, die auf uns zurollt – wenn auch für einen kleinen Augenblick – für wahr und real halten.

Watts Empfehlung lautet daher: Wenn man auf positive Szenarien aus ist, sollte man weniger kanadische und vorrangig mehr amerikanische Science-Fiction à la Independence Day lesen oder schauen. In den amerikanischen Katastrophen-Blockbustern endet nämlich alles (fast) immer prima. Metaphorisch ausgedrückt: Entweder es gibt keine Lawine, oder sie ist nicht real.

Peter Watts selbst muss sich offenbar zurzeit ausgerechnet nicht von der Literatur, sondern hauptsächlich geografisch von den USA fernhalten. Nach einer Auseinandersetzung mit einem amerikanischen Zollbeamten darf er das Land nicht mehr betreten. Seine Bücher stehen, wie es scheint, noch nicht auf dem Index. Sollte man ein kleines bisschen Bedürfnis nach dunkler Science-Fiction verspüren: Einige seiner bisher veröffentlichten Romane, darunter Blindflug, stellte der Autor und Gewinner des Hugo-Awards unter eine freie Creative-Commons-Lizenz.

Dr. Aleksandra Sowa gründete und leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Sie ist zertifizierter Datenschutzauditor und IT-Compliance-Manager. Aleksandra ist Autorin diverser Bücher und Fachpublikationen. Sie war Mitglied des legendären Virtuellen Ortsvereins (VOV) der SPD, ist Mitglied der Grundwertekommission, trat als Sachverständige für IT-Sicherheit im Innenausschuss des Bundestages auf, war u.a. für den Vorstand Datenschutz, Recht und Compliance (DRC) der Deutsche Telekom AG tätig und ist aktuell für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Senior Manager und Prokurist aktiv. Außerdem kennt sie sich bestens mit Science Fiction aus und ist bei Twitter als @Kryptomania84 unterwegs.

Alle Folgen der Kolumne von @Kryptomania findest du hier .

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Dieser Film war so geil. Dermaßen gut einfach…

Wenn ich mit wenigen Worten diesen Film beschreiben soll, passt am besten der gute alte deutsche Spruch „Ich wusste nicht, ob ich lachen, oder weinen soll, oder beides!“
Ich habe den Film zusammen mit einem Freund geschaut und es war eine reine Zufallsauswahl, da wir nur wussten das wir was mit Sci-Fi wollten, und dann knallte ich einfach Don’t Look Up an. Das wars, danach folgte ein wirklich toller Film und ein echt großes Kino, fantastisch!

Zu der Diskussion um positive/negative SciFi, Star Trek ist eher die Ausnahme als die Regel. Star Trek war ja bei weitem nicht die erste SciFi da draußen, Metropolis von 1927 war z.B. einer der ersten Filme mit einer Dystopie. Dystopien sind deke ich ähnlich zu verstehen wie die alten Märchen-Geschichten. Die sollen einem Angst machen, damit wir uns davor hüten und es nicht dazu kommen lassen. Wie wahrscheinlich ist Terminator? Nicht sehr… aber möglich ist es das jemand Roboter/Androiden missbraucht, oder wir ihnen so viel Eigenständigkeit zugestehen das sie sich gegen uns wenden könnten, also halten wir Menschen uns damit an, vorsicht walten zu lassen. Eine Art gesellschafltiche Erziehung ?..

Ob wir da Kollektiv dran arbeiten macht eben den Unterschied.

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Don’t Look Up ist einer der Filme, den ich eher interessant als gut fand. Interessant weil er sehr viele ungewöhnliche Momente hat, bei denen Pacing, Schnitt und Kameraführung eigentlich nicht „gut“ sind – im Sinne der Filmkunst. Der Film stolpert dadurch etwas, bringt aus dem Trapp und reißt dann und wann auch aus der Handlung heraus. Aber ich bin nicht sicher, ob das nicht vielleicht sogar so gewollt ist, um die sehr angespannte, sehr nervenzehrende Atmosphäre zu unterstützen, die den Film in gewisser Weise einzigartig macht. Don’t Look Up ist ein extrem anstrengender Film, wie ich ihn zuvor noch nicht gesehen habe.

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Früher sprach man oft von einem pädagogischen oder Erziehungseffekt durch die Science-Fiction. So weit geht Peter Watts gar nicht. Es reicht, dass die Menschen für einen Moment realisieren, dass die Gefahr echt ist.

Das Problem mit „Don’t look Up“ ist, dass es noch oben drauf eine Metapher ist​:sunglasses: Man sieht einen Asteroiden auf die Erde fallen und sollte dekodieren: Real ist eine Umweltkatastrophe. OK. Immerhin läuft Ende nicht immer noch der Fernseher, wie in fast allen Katastrophen Filmen. Die Erde vereist, Zombies beherrschen die Straßen, der Erdkern bleibt stehen… der Fernseher läuft :wink:

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Lem hat einmal geklagt, das Problem der gegenwärtigen phantastischen Literatur sei, dass sie zu wenig phantastisch sei, im Gegensatz zu der uns umgebenden Wirklichkeit.

„Don’t look Up“ übertrifft imho die Realität in jedem Fall in puncto Absurdität :wink:

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Ich weiß genau was du meinst und du hast damit auch vollkommen recht, dieses unruhige, teilweiße „Fetzenhafte“ gefilme, habe ich ebenfalls bemerkt und ich würde mit ja antworten, zu der Frage ob das gewollt ist, ich glaube, damit sollte gewollt eine gewisse Unruhe in den Film gebracht werden. Bei mir hat das auch funktioniert, ich habe bestimmt noch einen Tag über all das nachgedacht.

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Ich habe ich gefreut über den Film und finde deine Herleitung @Kryptomania auch nachvollziehbar, das Ganze stilistisch einzuordnen. Ich habe mich im Anschluss gefragt, wie viele Menschen den Zusammenhang zur Klimakrise ziehen und darüber hinaus finde ich es mutig, mal vom Zeigefinger-Narrativ wegzugehen und eben fast satirisch über etwas einen Spielfilm zu machen, welches eigentlich bierernst ist.

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Sehr cooler und sehr balancierter Artikel! Die Headline hat mich direkt getriggert und der Text begeistert. Ich glaube es kommt wirklich auf die Dosierung und Aufbereitung der Warnung vor. Ein kurzer Impuls kann wachrütteln, eine Dauerbeschallung das Problem als unausweichliche Normalität erscheinen lassen. Im Extremfall wird das Problem durch die Warnung sogar erst erschaffen. Siehe z.B. Facial-Recognition-Technologie, die der CIA-Chef haben wollte, nachdem er sie bei James Bond gesehen hatte. Siehe z.B. als Spürhunde einsetzbare Honigbienen, die von KünstlerInnen als Warnung trainiert wurden, und dann dankbar von unserer deutschen Polizei übernommen wurde (die sich dann dafür feiern ließ, ohne einmal die KünstlerInnen zu erwähnen - armselig).

Warnungen dürfen nicht zu Manuals werden, und die Gefahr sehe ich bei technisch-detaillierter Science-Fiction weit mehr als in anderen Sparten. Wir sollten weniger vor bestimmten Technologien warnen, sondern mehr vor gefährlichen sozialen Konstellationen, die zum Missbrauch von Technologie führen. Am sichersten fährt man daher vermutlich mit den alten Griechen (z.B. Prometheus), weil dort genau die sozialen Probleme der Menschheit thematisiert werden, die uns Sci-Fi-AutorInnen an Hand von Tech-Beispielen demonstrieren.

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IMHO haben die Interviews mit den Hauptdarstellern die Zuschauer in Richtung dieser Interpretation „geschubst“. Eine Metapher wirkt sonst wie eine Metapher: sSie weckt unterschiedliche Konnotationen.

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Man könnte sich folgende Abstraktiosstufen vorstellen (angelehnt an Pyramide zur Vorgabedokumentation in IT-Sicherheitsmanagement):

  • strategisch (das höchste Abstraktionsniveau): Mythen, Märchen, Legenden
  • taktisch: Science-Fiction, die Gesellschaftliche Veränderungen thematisiert (Dune, Foundation, etc.)
  • operativ: Science-Fiction, die technische Entwicklungen in Fokus hat, hauptsächlich Kurzgeschichten (Robotergeschichten von Asimov, als Beispiel)
    Wie wäre es damit? :slight_smile:
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