Die Welt der Science Fiction ist bunt und vielfältig. Das zeigen Untergenres wie Cyberpunk und Steampunk – die mittlerweile weithin bekannt sind. Solarpunk ist hingegen nur wenigen ein Begriff. Dabei passt dieses Genre so gut in unsere Zeit wie kein anderes. Denn Solarpunk zeichnet eine Welt, in der wir unseren Planeten noch retten können.
Von Michael Förtsch
Junge Menschen gehen auf die Straße. Sie fordern eine saubere, ökologischere Zukunft, eine Wende der Energiegewinnung, eine 180-Grad-Drehung unserer Konsumkultur. Kurz gesagt: Sie fordern eine Zivilisation, die im Einklang mit der Natur existiert – und nicht gegen sie. Blickt man allerdings auf die Mehrheit der derzeit populären Science-Fiction-Visionen, scheint es, als wäre das ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Die porträtieren oftmals eine Menschheit, die erst den eigenen Planet zugrunde gerichtet hat, dann selbst zugrunde geht oder notgedrungen zu fremden Planeten aufgebrochen ist.
In Blade Runner, Ready Player One, Biokrieg oder Alle Vögel unter dem Himmel sind weite Teile der Erde verseucht, Kontinente untergegangen und Wälder zu Wüsten verdorrt. Diese Science-Fiction-Werke warnen eindringlich vor einer „Weiter so“-Mentalität und einer Handlungsunfähigkeit der Politik. Sie zeigen dramatisch die möglichen Folgen des steten Strebens nach Wachstum und sie kritisieren die Ausbeutermentalität von Großkonzernen. Erdrückend und schwer sollen sie auf der Seele liegen. Auch wenn diese Welten nicht immer völlig ohne Hoffnung sind – eine neue und bessere Welt, einen positiven Gegenentwurf zeichnen sie selten.
Jedoch existiert ein ganzes Untergenre der Science Fiction, das sich genau das zur Aufgabe gemacht hat. Neben dem bekannten Cyberpunk-Futurismus mit seinen biomechanisch verbesserten Menschen und allmächtigen Konzernen gibt es noch zahlreiche Derivate: den Steampunk, in dem die Dampfmaschine das Maß der Dinge ist, den Clockpunk, in dem selbst Raumschiffe mit Sprungfedern und Aufziehmechanik funktionieren oder den Atompunk, in dem die Begeisterung für Atomenergie nie abgeebbt ist. Der entscheidende Ableger aber, um den es hier gehen soll, ist der Solarpunk. Seit rund fünf Jahren weckt er eine langsam aber sicher wachsende Begeisterung.
Solarpunk postuliert und imaginiert Zukünfte, in denen es die Menschheit geschafft hat, all die Kern- und Kohlekraftwerke abzuschalten und zu einer harmonischeren Koexistenz mit der Umwelt zu finden. Strom wird per Solar-, Wind-, und Wasserkraft erzeugt und die Städte werden in grüne Metropolen verwandelt. Nicht immer ist dabei der Umschwung ganz geglückt, aber der Blick in die kommenden Jahre ist positiver. Der Klimawandel ist zwar nicht unbedingt abgewendet, aber keine solche Bedrohung mehr. Vor allem aber: Die Menschheit ist vernünftiger geworden. Sie versucht sich selbst, die Technologie und die Natur in Einklang zu bringen – jedenfalls, so gut es geht.
Visuell, narrativ, grün
Wer im Netz nach „solarpunk“ sucht, der stößt auf Zeichnungen und 3D-Renderbilder von grünen Hightech-Städten, die von den organischen Bauten der Zaha Hadid, den leichtgewichtigen Konstruktionen von Renzo Piano und einer mit asiatischen und afrikanischen Einschlägen vermischten Jugendstil-Architektur inspiriert sind. Kokon-artige Häuser drücken sich an Felswände, begrünte Wolkenkratzer schmiegen sich in Waldstücke und hyper-moderne Dorfhäuser gliedern sich zu idyllischen Gemeinden. Dazwischen finden sich Wind- und Solarkraftanlagen und kleine Bäche. Auch tauchen immer wieder Fotos des futuristischen Parkgeländes Gardens by the Bay in Singapur auf, das glatt aus einem Öko-Science-Fiction-Streifen stammen könnte.
Tatsächlich findet das Genre des Solarpunk bislang weniger in Roman- und Geschichtsform statt. Stattdessen lebt es vor allem in Online-Foren, auf Tumblr, Twitter und in Facebook-Gruppen, wo Ideen, Vorstellungen und solche Bilder geteilt und Diskussionen über hypothetische Solarpunk-Zukünfte angestoßen und ausgestaltet werden. Es ist also eine Science-Fiction-Vision, die mehrheitlich im Netz existiert und dort großgezogen wird. Erstmals erwähnt wurde Solarpunk als Titel einer brasilianischen Science-Fiction-Anthologie im Jahr 2013. Verbreitung fand Solarpunk als Genre allerdings erst durch einen Tumblr-Beitrag von Olivia Louise aus dem Jahr 2014, in dem sogar erste Leitlinien zur Ästhetik festgelegt wurden.
Kannst du dir vorstellen, wie schön es wäre, überall Buntglasfenster zu haben, die eigentlich Solarmodule sind? Die Technologie ist bereits auf dem Weg in diese Richtung! Oder wie wäre es mit breitkrempigen Hüten oder Sonnenschirmen, die mit dezenter Solarzellen-Technologie ausgestattet sind, vollends in das Design integriert, mit Anschlüssen, in die du dein Telefon einstöpseln kannst?
Olivia Louise
Realistisch oder naiv?
Die sonnengetriebenen Welten sind zwar keine finsteren und durchrüttelten Szenerien aber langweilig oder ohne Spannung sind sie dennoch nicht. Denn wo Menschen aufeinandertreffen und Technik ist, da existieren natürlich auch Konflikte und Reibungsflächen. In Kurzgeschichten und Erzählungen tun sich Intrigen, Verschwörungen, Machtkämpfe und Verständigungsprobleme auf. Denn ein Sonnenstaat kann freilich auch eine fehlgeleitete Diktatur oder eine rigurose Überwachungsdystopie sein. Menschen hadern mit Techniken wie Künstlicher Intelligenz, es gibt Machtblöcke, die zu Atomenergie und Kohle zurückwollen. Bürger streiten um Rechte und Pflichten. Denn es kann auch in der ökologischsten Zukunftswelt eine Klasse von Menschen existieren, die die unschönen Arbeiten verrichten muss oder von anderen aufgrund irrationaler Vorurteile und Ängste benachteiligt wird. Und natürlich kann eine grüne Welt auch einfach Kulisse für Liebes- und Kriminaldramen oder Alltagsprobleme sein.
Solarpunk ist für seine Anhänger jedoch nicht nur ein Science-Fiction-Genre, eine Kulisse für spannende Geschichten oder eine visuelle Ästhetik. Für sie ist es auch eine Bewegung, eine ökologische und kulturelle Einstellung, ein Lebensgefühl und ein Zivilisationsziel.
Denn die Szenarien des Solarpunk sind zwar fiktive, aber sehr praktische und teils erreichbare Visionen. Viele Technologien, die es für ihre Übersetzung in die Realität bräuchte, sind bereits da: Klar, erneuerbare Energien sorgen für Strom. Elektroautos und automatisierte Fahrzeuge halten die Menschen mobil – ebenso wie Fahrräder. Neue Wohnungen werden aus recyclebarem Material mit 3D-Druckern hochgezogen, Luftschiffe sorgen für einen nachhaltigen Warentransport, Kleidung wird aus Pflanzen gefertigt, Obst und Gemüse in vertikalen Farmen gezüchtet und Fleisch im Labor.
Machbar erscheint vieles davon jetzt schon – oder zumindest in greifbarer Nähe. Nur der kollektive Wille und einige Jahre der konzentrierten Fortentwicklung scheinen zu fehlen, um diese technologischen Ansätze umzusetzen. Aber nicht nur das: Auch gesellschaftlich und politisch wird aktiv zum Umdenken angeregt, wie Andrew Dana Hudson von der Arizona State Universety bereits vor vier Jahren aufschrieb.
Was auch immer Solarpunk ist, es ist zutiefst politisch. Politik ist die Kunst davon, wie wir festlegen, auf welche Weise wir Ressourcen verteilen und anderweitig miteinander in Beziehungen treten. Mit anderen Worten: wer das Zeug herstellt, wer das Zeug bekommt und wie wir Menschen und das Zeug verwalten.
Andrew Dana Hudson
Es geht also auch darum, die Art wie wir Menschen wohnen, konsumieren und existieren, neu zu denken; einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu wagen, sozioökonomische Prioritäten und Werte neu zu definieren. Und dabei auch, die Dinge und Dienste, die wir wirklich benötigen, erneut zu evaluieren. Und das subversiv und vielleicht auch gegen die Widerstände des Establishments. Heißt: Darunter sind nicht nur naive Öko-Utopien, sondern greifbare Visionen, die denkbar und möglich wären – oder im Kleinen sogar schon angegangen werden.
Genau wie die Neon-gespränkelten Straßen von Hong Kong und die Skyline von Shenzen total cyberpunk sind, so finden wir auch jetzt schon Projekte, die voll solarpunk sind: In den Niederlanden etwa wird von der Initiative ReGen ein nachhaltiges und sich selbstversorgendes Dorf geplant. In Brüssel könnte bald der Biocampus einstehen, ein Öko-Bezirk mit bewachsenen Gebäuden und nachhaltigen Bio-Wohnungen auf einer Industriebrache. Solarpunkt, das sind sonnige, grüne und vor allem naturverbundene Visionen.
Ursprung und Technik
Obwohl Solarpunk als Genre erst wenige Jahre existiert, ist nicht losgelöst von früheren Science-Fiction-Varianten. Viele Elemente finden sich bereits in Romanen wie Ökotopia von Ernest Callenbach, der darin schon 1975 von der Reise in eine von der Welt abgekapselten Ökonation erzählt, die sich nach langer Isolation nun zunehmend öffnet. Auch Eiland von Aldous Huxley ist eine Art Vorläufer. Erschienen bereits 1962 berichtet das Buch von einer Insel, deren Bewohner Wissenschaft und Spiritualität vereint haben und nach Selbstverwirklichung und Koexistenz mit der Natur streben.
Dennoch ist Solarpunk anders, moderner, politischer und idealistischer – und steht damit eben auch im Zeichen von Bewegungen wie Fridays for Future. Solarpunkt trifft den Zeitgeist und unterstreicht, dass es sich lohnt, für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen. Damit ist Solarpunk das Science-Fiction-Genre, das wir gerade brauchen. Denn so wichtig Warnungen vor einer völlig vermurksten Zukunft wie in Blade Runner 2049 oder Ready Player One sind, so ist doch das Entwerfen einer lebenswerten und optimistischen Zukunft unabdinglich. Worauf sollen wir sonst hinarbeiten? Solarpunkt befeuert die notwendige Debatte darüber.
Große Solarpunk-Romane sind noch Mangelware. Aber dennoch gibt es einiges an Lesestoff, der durchaus empfehlenswert ist – vor allem in Form von Kurzgeschichtensammlungen.
Solarpunk: Ecological and Fantastical Stories in a Sustainable World
Das brasilianische Original dieser Anthologie hat wohl den Begriff Solarpunk geprägt. Damit ist es auch der beste Einstieg in das Sience-Fiction-Genre. Der Autor André S. Silva träumt in der Geschichte Xibalba Dreams of the West beispielsweise ein modernes Inkareich herbei, das bis in die Jetztzeit überlebte, auf Solar- und Windkraft setzt aber seine Kultur erhalten hat. In Sun in the Heart von Roberta Spindler existieren Tattoos, die, wenn von der Sonne beschienen, den menschlichen Körper auftanken und ein langes Leben garantieren – aber nicht jeder kann sie sich leisten. In Escape von Gabriel Cantareira sind die fossilen Energieträger nach einem Krieg nahezu aufgebraucht. Große Solarsatelliten versprechen die Rettung. Doch die Mächtigen der Welt wollen sie verhindern.
Glass and Gardens: Solarpunk Summers
Gleich 17 Geschichten bündelt Glass and Gardens . Darunter Caught Root von Julia K. Patt, die von zwei Gemeinden erzählt, die jeweils auf ihre eigene Art eine neue Zivilisation aufbauen wollen aber zu scheitern drohen, wenn sie nicht zusammenfinden. The Heavenly Dreams of Mechanical Trees von Wendy Nikel berichtet von mechanischen Solarbäumen, die ein Bewusstsein entwickeln. In Cable Town Delivery von M. Lopez da Silva werden Städte in den Ruinen einer Wolkenkratzermetropole hochgezogen – was sie alle verbindet, ist dabei eine Bücherei. Nicht alle der Geschichten sind überragend aber durchaus ein Anlesen wert.
The Weight of Light: A Collection of Solar Futures
Das E-Book The Weight of Light ist wohl eine der besten Übersichten über Solarpunk. Denn das kostenlose Werk der Arizona State University umfasst nicht nur Kurzgeschichten, sondern auch Abhandlungen und Essays, die auf eine ökologische und vor allem saubere Zukunft schauen. Es geht um intelligente Stromnetze, technologische und gesellschaftliche Hürden einer Solarpunk-Zukunft, um die Konstruktion von Solarkraftwerken und so einiges mehr. Nein, das ist keine besonders leichte aber eine lohnenswerte Lektüre.
Biketopia: Feminist Bicycle Science Fiction Stories in Extreme Futures
Eigentlich sagt der Titel schon alles. Es geht in dieser Kurzgeschichtensammlungen nicht nur um Solarenergie und das Leben mit der Natur, sondern auch andere Umbrüche und den Kampf gegen Widerstände. In Taming the Beast von Robert Bose muss eine Radfahrerin ihr neues Rad unter Kontrolle bringen, das mit einem eigenen Bewusstsein ausgestattet ist. Sarena Ulibarri erzählt in Riding In Place wie Mensch und Maschine durch alltägliche Begegnungen langsam eine Beziehung aufbauen.
Teaserbild: Yeo Khee, Unsplash.com