Um das Altern zu stoppen, setzen Wissenschaft und Start-ups auch auf altbekannte Wirkstoffe

Weltweit suchen Forschungsinstitute und Start-ups nach Therapien, die das Altern aufhalten sollen. Ihre Hoffnungen ruhen dabei auch auf Metformin und Rapamycin – auf zwei Wirkstoffen, die seit Jahrzehnten bekannt sind. Was sie damit vorhaben, erklärt die Investorin Alexandra Sharon Bause von Apollo Health Ventures.

Von Wolfgang Kerler

Wer ohne pharmazeutisches Expertenwissen auf der der Webseite von Aeovian landet, wird kaum verstehen, wie das kalifornische Start-up gegen altersbedingte Krankheiten vorgehen will. Von mTORC 1 und mTORC 2 ist dort die Rede, von diversen molekularen Prozessen und von einem Wirkstoff namens Rapamycin. Schwere Kost für alle, die nicht vom Fach sind.

Hört man allerdings Alexandra Sharon Bause zu, klingt die Sache schon weniger kompliziert. Sie hat nicht nur einen Doktortitel in Pharmakologie, sondern ist auch Partnerin und Mitgründerin von Apollo Health Ventures. Das deutsche Investmentunternehmen hat ein eher seltenes Spezialgebiet: Es gründet und finanziert Firmen, die Therapien zur Bekämpfung des Alterns entwickeln. Dazu gehört auch Aeovian.

Vor drei Jahren war Apollo der erste Geldgeber, der an die Arbeit des Start-ups glaubte. Im vergangenen Jahr konnten weitere Investoren überzeugt werden. 37 Millionen Dollar sammelte die junge Firma, die ihren Sitz nördlich von San Francisco hat, ein. Doch wofür nun eigentlich? Um das zu verstehen, muss man zuerst Rapamycin verstehen.

Ein lebensverlängerndes Molekül mit Risiken und Nebenwirkungen

„Als Medikament, mit dem man das Immunsystem unterdrücken kann, ist Rapamycin schon lange zugelassen“, sagt Alexandra Bause. Zuletzt sei es vor allem Patienten verabreicht worden, denen eine Niere transplantiert wurde. „Es verhindert, dass das Spenderorgan vom Immunsystem abgestoßen wird.“ Doch der Wirkstoff hat noch einen anderen Effekt. Und der rückt jetzt in den Fokus der Longevity - und Rejuvenation -Forschung, also der Erforschung der Lebensverlängerung und der Verjüngung.

„In Studien mit Mäusen hat man herausgefunden, dass Rapamycin deren Lebenserwartung um etwa 20 Prozent verlängert“, sagt Alexandra Bause. „Bei keinem anderen lebensverlängernden Molekül ist die Studienlage so robust.“ Dennoch rät sie dringend davon ab, Rapamycin auf eigene Faust zu schlucken. Denn das könnte genauso gut einen lebensverkürzenden Effekt haben, trotz der Erfolge mit Mäusen. „Es ist nicht safe“, warnt die Investorin. Schließlich unterdrückt Rapamycin das menschliche Immunsystem, was ein gesundheitliches Risiko darstellt. Nur in Sonderfällen, wie nach einer Organtransplantation, verschreiben Ärzte daher Immunsuppressiva wie Rapamycin.

Hier kommt wieder Aeovian ins Spiel. „Das Biotech-Start-up entwickelt eine sichere Version von Rapamycin“, erklärt Alexandra Bause. Und das lässt sich auch verstehen, ohne genau zu wissen, was mTORC 1 und 2 bedeuten.

Gegen Diabetes – und altersbedingte Krankheiten?

Ein zweites, seit Jahrzehnten bekanntes Medikament, dem inzwischen auch eine lebensverlängernde Wirkung bei Mäusen attestiert wurde, heißt Metformin. „Das ist ein sehr altes Diabetes-Präparat“, sagt Alexandra Bause. „Es ist relativ sicher und wird oft als erstes verschrieben, sobald jemand Diabetes-Symptome hat. Dadurch ist es sehr weit verbreitet.“

In verschiedenen Studien im Menschen zeigte sich, dass Metformin die Entwicklung von altersbedingten Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Herzleiden verzögern könnte. Auch verlangsamte das Präparat in Versuchen die Alterung von Zellen und sorgte dafür, dass sich bei der Zellreproduktion weniger DNA-Fehler einschlichen. Viele, die im Bereich Longevity und Rejuvenation forschen, schlucken bereits Metformin, um sich jung und gesund zu halten.

Dazu gehört auch der Harvard-Professor David Sinclair, der zu den Pionieren des Fachs zählt und mit seiner Firma Life Biosciences und deren Tochtergesellschaften ebenfalls in den entstehenden Milliardenmarkt einsteigen will. Alexandra Bause forschte für ihre Doktorarbeit in Harvard übrigens im Nachbarlabor von David Sinclair.

Trotz seiner Verbreitung gibt es bisher noch keine großangelegten Untersuchungen, die belegen, dass Metformin tatsächlich die Lebenserwartung bei Menschen verlängert – und ihnen zusätzliche Jahrzehnte bei guter Gesundheit bescheren könnte. Doch das soll sich ändern. „Demnächst soll unter Federführung von Nir Barzilai eine umfassende und mehrjährige Studie starten, die testen wird, ob Metformin den Alterungsprozess aufhält“, sagt Alexandra Bause, die selbst übrigens kein Metformin einnimmt.

Der Wissenschaftler Nir Barzilai leitet das Institute for Aging Research am Albert Einstein College of Medicine in New York. Seit Jahren wirbt er auch bei privaten Geldgebern um die nötigen Mittel, um eine auf sechs Jahre angelegte klinische Studie zu starten, an der sich 14 Forschungseinrichtungen beteiligen – und 3.000 Testpersonen zwischen 65 und 79 Jahren. Inzwischen soll er die Mittel fast oder ganz beisammen haben.

Das ewige Leben?

Erste Therapien, die das Altern stoppen oder umkehren könnten, werden also schon aufgrund der vielen Tests, die notwendig sind, frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erwartet. Zumal Start-ups und Forscherteams, die daran arbeiten, nicht nur auf bereits bekannte Wirkstoffe, setzen sondern auch komplett neue Therapien entwickeln, die von klinischen Studien noch Jahre entfernt sind.

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Alexandra Bause ist dennoch zuversichtlich, dass sich schneller als gedacht funktionierende Therapien finden lassen. „Theoretisch ist alles möglich“, sagt sie. „auch die ewige Jugend oder das ewige Leben. Die Frage ist nur, wie schnell wir dorthin kommen. Ich glaube allerdings, dass wir oft unterschätzen, wie schnell technologischer Wandel passiert.“ Das Ziel von Apollo Health Ventures seien aber weder die ewige Jugend noch das ewige Leben, sondern die Verlängerung der gesunden Lebensspanne der Menschen – und das Verhindern altersbedingter Krankheiten.

Der Artikel ging aus einer 1E9-Session am 14. September 2020 mit Alexandra Bause hervor. Du willst bei weiteren digitalen Veranstaltungen dabei sein, bei unserer Konferenz und außerdem exklusive Newsletter beziehen? Dann werde 1E9-Mitglied.

Titelbild: Tashatuvango, Getty Images / Bild des Nacktmulls: GlobalIP, Getty Images

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In diesem Kontext gibt es eine weitere diskutierte Methode, die jeder ausprobieren kann: Fasten. Ist günstiger als Medikamente, macht aber dafür weniger Spaß.

Studie die dafür spricht: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMra1905136
Studie die dagegen spricht: https://www.nature.com/articles/s41467-017-00178-3

Oder man macht sich statt dessen Gedanken, was man mit der Zeit, die man jetzt hat, am besten macht. Am Ende lebt man länger und weiß nicht wofür. Who wants to live forever? :wink:

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Fasten löst ab einer gewissen Zeit den Autophagie-Prozess ein. Für die Aufklärung des Mechanismus auf Zellebene gab es 2016 den Medizin-Nobelpreis:

https://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2016/oeaez-20-25102016/medizin-nobelpreis-2016-yoshinori-ohsumi-zellforschung-autophagie.html

Aus der Preisverleihung zur Autophagie:

„Autophagie ist an einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt, zum Beispiel an der Zelldifferenzierung und Embryogenese, an Prozessen, welche den Abbau großer Bestandteile des Zellinneren notwendig machen. Das schnelle Herbeiführen der Autophagie stellt einen Schutzmechanismus für verschiedene Stressfaktoren dar und ist auch eine Abwehr bei einer Verletzung der Zelle oder von altersbedingten Krankheiten“

Wenn Fasten also den Autophagie-Prozess schnell herbeiführt, dann wird also ein Schutzmechanismus in den Zellen im Körper gestartet, der u.a. vor dem Altern (oder altersbedingten Krankheiten, wenn ich Altern also als solche auffasse) schützt.

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Nur als Kommentar hierzu: Eine Gruppe an einem Max Planck Institut in München beschäftigt sich mit Autophagie im Rahmen der Corona-Virus Bekämpfung im Körper. Dass dieser Prozess auch gegen Viren aktiv gesteuert und eingesetzt werden kann wäre glaube ich ein Novuum. Dass dieser in der Bekämpfung einiger Viren funktioniert, scheint jedoch so zu sein:

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Die Autophagie ist tatsächlich ein zentraler Mechanismus der die zelluläre Gesundheit beeinflusst. Nicht nur Fasten sondern auch Exercise aktivieren den Autophagie Prozess und auch Rapamycin ist ein bekannter „Autophagy Enhancer“. Daher arbeitet auch eine unserer Portfolio Firmen gezielt daran Autophagy Enhancer zu entwickeln um z.B. neurodegenerative und metabolische Krankheiten aufzuhalten.

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Das hat @alexandra auch als Möglichkeit vorgeschlagen, was man jetzt schon tun kann. Genauer: Intermittierendes Fasten. Aber, ja, klingt nicht nach Spaß für mich :wink: Wer das aber gut in den Lebensalltag integrieren kann, why not.

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Fasten ist ein sehr spannendes Thema, biologisch wie auch kulturell, in den meisten Kulturen und Religionen kommt es irgendwie vor. Dieses Video gibt einen schönen Überblick wie unterschiedlich die Effekte bei wenig vs. nichts essen sein können.

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Hab kürzlich auf Arte eine Doku zum Fasten gesehen:

Das interessante dabei ist der Teil wo es um Russland geht und welche Rolle dort mancherorts Fasten hatte. Durch den Ost-West Konflikt und Sprachbarrieren ist wie so oft wenig davon „wissenschaftlich“ übermittelt worden. Unglaublich wie lange zT Fasten als Therapie eingesetzt wurde und aber auch mit welchem Erfolg!

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