Von Wolfgang Kerler
Am 5. September veröffentlichte die amerikanische Fachzeitschrift Nature, der eher selten unseriöses Clickbaiting unterstellt wird, einen bemerkenswerten Artikel. Er könnte durchaus eine wissenschaftliche Zäsur markieren. Denn die Überschrift lautete: Erster Hinweis, dass das ‚biologische Alter‘ des Körpers umgekehrt werden kann.
In dem Text geht es um eine kleine Studie der University von Kalifornien in Los Angeles, deren Ergebnisse gerade in einem wissenschaftlichen Beitrag dokumentiert wurden. Ein Jahr lang wurde einer Gruppe von neun gesunden Männern im Alter zwischen 51 und 65 ein Wachstumshormon zusammen mit zwei Diabetesmedikamenten verabreicht. So sollte festgestellt werden, ob mithilfe des Hormons das Gewebe im Thymus wiederhergestellt werden kann. Der Thymus ist eine Drüse zwischen Brustbein und Lungenflügeln – und ein zentraler Baustein unseres Immunsystems. In ihm reifen weiße Blutkörperchen aus dem Knochenmark zu T-Zellen heran, die für unseren Körper gegen Infektionen oder Krebs kämpfen. Das Problem: Mit dem Älterwerden verkümmert der Thymus – und damit auch unser Immunsystem. Wir werden häufiger krank und sterben schließlich.
Das Kalkül der kalifornischen Wissenschaftler um den Humangenetiker Steve Horvath: Sollte es gelingen, den Thymus auf Vordermann zu bringen, ohne den Patienten anderweitig zu schaden, müsste sich ihr Alterungsprozess abbremsen lassen. Das Ergebnis der Studie fiel jedoch unerwartet aus. Die Probanden alterten nicht langsamer. Sie wurden sogar zweieinhalb Jahre jünger. Ihr biologisches Alter, das mit der epigenetischen Uhr gemessen wurde, sank während des einjährigen Versuchs im Schnitt um 2,5 Jahre!
Die Wissenschaftler selbst warnen davor, dass Ergebnis allzu euphorisch zu bewerten. Schließlich hätten sie auf eine Kontrollgruppe verzichtet und nur neun Testpersonen beobachtet. Trotzdem sagte Horvath zu Nature über die Beobachtung: „Es fühlte sich irgendwie futuristisch an.“
Kommen bald Medikamente, die uns jünger werden lassen?
Der derzeitige Star unter den Genetikern kommentierte das Ergebnis der Studie dagegen weniger überrascht. Der australische Harvard-Professor David Sinclair, dessen Buch Das Ende des Alterns erst kürzlich erschienen ist, sagte im Podcast von Joe Rogan: „Eines Tages könnten wir 80 sein – aber biologisch 30.“ Gegenüber einem Reporter von Mashable sagte er kürzlich ein enormes Ansteigen der Lebenserwartung vorher: „Zur Jahrhundertwende wird man sagen, dass ein Mensch, der am Tag seines Todes 122 Jahre alt ist, ein erfülltes, wenn auch nicht allzu langes Leben geführt hat.“ Er selbst will einen Beitrag dazu leisten, hat er sich doch der Longevity Science verschrieben, der Wissenschaft der Langlebigkeit.
Sinclair selbst konzentriert sich in seiner Forschung, die nicht nur an der Universität, sondern auch in seiner kommerziellen Firma Life Biosciences und deren Tochtergesellschaften stattfindet, unter anderem auf eine Gruppe von Enzymen: die Sirtuine. Diese sollen dazu beitragen, eine mögliche Ursache des Alterns zu bekämpfen: Je älter ein Mensch wird, desto mehr „Fehler“ passieren den Körperzellen, wenn sie sich selbst reproduzieren. Sinclair vergleicht das manchmal mit Musik-CDs, die mit der Zeit Kratzer bekommen und daher nicht mehr richtig abgespielt werden können. Mit den Sirtuinen will er die Kratzer wegpolieren.
Er will ausnutzen, dass das Molekül NAD die Sirtuine aktivieren kann – und sucht deshalb nach Möglichkeiten, für mehr NAD im Körper zu sorgen. Einige hat er schon entdeckt. Sie sind ziemlich alltäglich. Das Nahrungsergänzungsmittel NMN beziehungsweise Nicotinamid-Mononukleotid, das einfach online bestellt werden kann, gehört dazu. Aber auch Resveratrol, was in Rotwein gefunden wurde. Und Metformin, ein gängiges Diabetesmedikament.
Sinclair selbst nimmt jeden Tag eine Dosis aller drei Stoffe ein – und hat auch Freunde und Verwandte von ihrer Wirkung überzeugen können. Sein Vater soll sich dadurch, so berichtet es Sinclair immer wieder in Interviews oder Talks, vom eher gebrechlichen 70-Jährigen zum sportlich aktiven und reiselustigen 80-Jährigen entwickelt haben.
Viren könnten uns jünger machen
Medikamente haben Sinclairs Firma Life Biosciences und ihre Töchter zwar noch nicht auf den Markt gebracht, aber 75 Millionen Dollar Kapital eingesammelt. Doch Sinclair sagt bereits bahnbrechende Präparate voraus, die wir in den nächsten Jahrzehnten sehen werden. Dazu gehören zum Beispiel Designerviren, die unsere Gene umprogrammieren, damit wir wieder jung werden. Mit 30 würde man damit infiziert, was aber zunächst keinerlei Auswirkungen hätte. Denn es bräuchte einen „Schalter“, um die Umprogrammierung zu aktivieren – zum Beispiel in Form eines bestimmten Antibiotikums. Das könnte man mit Mitte 40 einnehmen.
„Wie Benjamin Button würden wir uns wieder wie fünfunddreißig fühlen. Dann wie dreißig. Dann wie fünfundzwanzig“, schreibt Sinclair dazu in seinem neuen Buch. „Aber anders als Benjamin Button würden wir an dieser Stelle stehen bleiben.“ Ganz einfach: durch das Absetzen des Antibiotikums. Das mag wie Science-Fiction klingen, gibt der Genetiker zu, aber das sei es nicht.
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Jetzt Mitglied werden!Er beruft sich bei seinen Prognosen auch auf die Forschung von Juan Carlos Izpisúa Belmonte, einem spanischen Genforscher am Salk Institute for Biological Studies in San Diego. Dem ist das genetische Umprogrammieren zur Körperverjüngung tatsächlich schon gelungen. An Mäusen zumindest – auch wenn diese nach ersten Experimenten innerhalb weniger Tage (verjüngt) starben oder später tödliche Tumore entwickelten. Doch die Ergebnisse verbesserten sich, so dass Belmonte und seine Kollegen in einer Studie von 2016 vermelden konnten, dass behandelte Mäuse im Schnitt 30 Prozent länger lebten.
„Ich glaube, das Kind, das bis 130 Jahre alt wird, ist bereits bei uns“, sagte Izpisúa Belmonte kürzlich zum MIT Technology Review . „Es ist bereits geboren worden. Ich bin überzeugt.“
Jetzt seid ihr dran, liebe Mitglieder: Es sieht aus, als wäre es in absehbarer Zeit kein Problem mehr, sich verjüngen zu lassen. Sei es durch Medikamente, Superviren oder andere Verfahren. Vielleicht könnten wir alle dadurch 120 Jahre und älter werden. Aber: Wollen wir das? Stimmt unten mit ab.
Teaser-Bild: Getty Images