Moderne Städte wurden über Jahrzehnte hinweg auf den Autoverkehr zugeschnitten. Weltweit fordern Menschen nun aber ein Umdenken. Sie wollen bessere Bedingungen für Radfahrer. Gründe dafür gibt es genug. Nur braucht es nun auch Ideen, um den Stadtdschungel radfahrfreundlicher zu machen.
Von Michael Förtsch
Die Coronapandemie ist noch nicht vorbei. Aber sie hat uns schon jetzt viel offenbart. Etwa, dass die Digitalisierung in den Schulen bei weitem nicht soweit ist, wie sie sein sollte. Oder, dass das Arbeiten im Home Office keine solche Unmöglichkeit darstellt, wie viele Unternehmen bisher behauptet haben. Vor allem aber hat sie demonstriert, dass es möglich ist, Städte fahrradfreundlicher zu gestalten. Denn durch Corona wurden Bus, Bahn und Trams zu potentiellen Ansteckungsherden. Das Fahrrad hingegen, das sagten Ärzte und Virologen, war und ist während der Pandemie eines der sichersten Verkehrsmittel.
Tatsächlich haben Städte weltweit reagiert und Pop-up-Radwege geschaffen, indem sie Fahrspuren, die vorher für Autos bestimmt waren, kurzerhand für Fahrräder reservierten. Und das mit Erfolg. In Berlin ist der Radverkehr um 25 Prozent gestiegen. In München sind seit Corona rund ein Fünftel mehr Radfahrer unterwegs als zuvor. In der französischen Hauptstadt Paris sind sogar 67 Prozent mehr Radler auf den Straßen als im Vorjahr. Daher sollen die eigentlich temporären Radwege vielerorts nun zu dauerhaften Einrichtungen werden – zumindest teilweise. Begründet wird das auch mit Umwelt- und Klimaschutz. Denn jeder, der vom Auto oder sogar von den Öffentlichen auf das Fahrrad oder E-Bike umsteigt, sei es dauerhaft oder auch nur zeitlich begrenzt, bedeutet weniger CO2 und weniger Luftverschmutzung.
Das Rad spart CO2 – und Zeit
In Deutschland liegt der Anteil des Fahrrads am Gesamtverkehr derzeit bei rund elf Prozent. Würde er auf 21 Prozent steigen, könnten bis zu 39 Millionen Autokilometer pro Tag ersetzt werden, berechnet das Umweltbundesamt in einer Studie. Hochgerechnet auf ein Jahr wären das 14 Milliarden Kilometer – was einer Einsparung von drei Millionen Tonnen CO2 entspräche. Auch die sogenannten Umweltkosten – also die in Cent umgerechneten Klimabelastungen für Herstellung, Betrieb, Wartung und Entsorgung – liegen beim Fahrrad und E-Bike am niedrigsten von allen Verkehrsmitteln: nämlich bei 0,36 Cent und 0,58 Cent. Bei einem PKW sind es 5,66 Cent und mehr. Und auch Straßenbahn, U-Bahn und S-Bahn kosten mit 2,03 Cent deutlich mehr.
Darüber hinaus wäre das Radeln nicht nur eine klimaschonende Maßnahme, sondern für viele Menschen sogar ein Zeitgewinn. „Nach Untersuchungen in deutschen Großstädten führen 40 bis 50 Prozent der Autofahrten über eine Strecke von weniger als fünf Kilometer Länge“, heißt es in einer Erhebung des Umweltbundesamt. „Sie liegen damit in einem Entfernungsbereich, in dem das Fahrrad sogar das schnellste Verkehrsmittel ist.“
Insgesamt, meint die Bundesbehörde, könnten „in Ballungsgebieten bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahrten auf den Radverkehr“ verlagert werden. Gelänge das, wäre das auch für die Gesellschaft ein Gewinn. Laut einer Studie des Bündnis Radentscheid kostet jeder Autokilometer die Gesellschaft 6,7 Cent. Jeder Radfahrkilometer spart ihr 24 Cent. Denn Radler bewegen sich gesünder, infrastrukturschonender und energiesparender fort. Eine dänische Studie kam 2015 zu ähnlichen Ergebnissen.
Jetzt fehlen nur noch die Ideen, um das Radfahren in den Städten so attraktiv und angenehm zu machen, dass möglichst viele Leute umsteigen. Hier kommen sieben davon.
Fahrrad-Highways
Genug Radwege in der Stadt sind für sich schon ein wichtiger Schritt, um eine Stadt für Radfahrer freundlicher und erschließbarer zu machen. Allerdings endet die Fahrt für viele Radler abrupt, wenn es in die Vorstädte oder Dörfer gehen soll. Wer von dort in die Stadt will, muss erstmal eine Durststrecke an schlecht ausgebauter Infrastruktur hinter sich bringen. Lösungen hierfür gäbe es: Radschnellwege – auch Fahrrad-Highways oder Velobahnen genannt. Es sind meist besonders breite, teils zweispurige und oft neben Bahnstrecken oder Schnellstraßen herführende Radwege, die gezielt das Umland untereinander und an die Großstädte anbinden.
In Dänemark und den Niederlanden werden sie beim Neubau von Wohn-, Gewerbe- und Industriegebieten oft von vornherein mitgedacht. Das Radschnellnetz in den Niederlanden zählt dadurch schon jetzt über 300 Kilometer. Allmählich kommt die Idee auch in Deutschland an. 2015 wurde in Göttingen der erste Radschnellweg Deutschlands eröffnet. In München wurde bereits seit Jahren ein Radschnellnetz debattiert – eine erste Strecke soll nun tatsächlich gebaut werden. Und auch in Berlin und Nürnberg sollen Radschnellwege zu den zukünftigen Verkehrskonzepten gehören.
Ladestation nicht nur für E-Autos, sondern auch E-Räder
Nicht nur der Autoverkehr wird immer elektrifizierter, sondern auch der Fahrradverkehr. Allein im Jahr 2019 wurden in Deutschland 1,3 Millionen E-Bikes verkauft – in diesem Jahr könnten es noch deutlich mehr werden. Denn E-Bikes haben dank effektiverer Batterietechnik immer höhere Reichweiten zu bieten, mit denen sie für viele Pendler zur ernsthaften Auto-Alternativen werden. Aber: Anders als bei den E-Autos gibt es bislang kaum öffentlich zugängliche Ladestationen für die Räder. Und wenn, dann liegen diese bei Restaurants, Museen und Touristen-Hotspots.
Da wäre mehr machbar. E-Bike-Ladestationen, die herkömmliche Schukostecker bieten, wären vor allem an S-Bahn-Stationen und Bahnhöfen für Pendler ein echter Mehrwert. Oder auch in Gewerbe- und Industriegebieten sowie den Einkaufsmeilen der Großstädte. Da E-Räder natürlich nicht so viel Strom brauchen wie ein E-Auto könnte das Laden sogar – wie schon jetzt bei manchen E-Fahrrad-Tankstellen – kostenfrei sein. Denn gewonnen werden könnte der Strom beispielsweise über Solardächer auf Radunterständen. Das wäre ein zusätzlicher Ansporn, das Rad zu nehmen statt das Auto.
Eine Rad-Kauf- und Wartungsprämie
In Deutschland sollen Autofahrer mit Prämien dazu gebracht werden, vom Benzin- und Dieselwagen auf Elektro- und Hybridautos umzusteigen. In Frankreich und Italien gibt es jedoch noch ganz andere Angebote der Regierung: Mit Zuschüssen soll zum Umstieg auf das Fahrrad gelockt werden. Die italienische Regierung steuert unter dem Buono mobilità – dem Mobilitäts-Bon – bis zu 60 Prozent des Kaufpreis und maximal bis zu 500 Euro beim Erwerb eines neues Fahrrads bei. Zwischen Juni und August gingen in einzelnen Städten den Radgeschäften daher die Fahrräder aus.
In Frankreich gibt es ein ähnliches Programm. Wer sich ein E-Bike zulegen will, kann bis zu 500 Euro an Zuschuss bekommen. Aber nicht nur das: Wer sein altes Fahrrad aus dem Keller holt und Instand setzen lässt, kann vom Staat 50 Euro an Zulage fordern. Ein solch staatliches Programm könnte in Deutschland viel bewirken. Aber: Was die Bundesregierung bisher nicht schafft, das versuchen manche kommunalen Regierungen. München bietet beispielsweise Förderungen für „Lastenpedelecs und Zwei- und dreirädrige Elektroleichtfahrzeuge“ und Tübingen belohnt diejenigen mit bis zu 500 Euro, die ihren alten Roller gegen einen E-Roller oder ein E-Bike eintauschen. Jedoch werden diese Maßnahmen bislang kaum beworben.
Mehr und vor allem cleverer Parkraum
Ausreichend Parkplätze für Autos sind in vielen Städten eine Selbstverständlichkeit. In München beispielsweise sind 12,15 Prozent der Verkehrsflächen und damit rund 5,3 Quadratkilometer als Parkraum ausgewiesen. Dedizierte Flächen, auf denen Fahrräder sicher und für andere nicht störend geparkt werden können, sind sowohl im öffentlichen Raum als auch in Wohnarealen oft eher spärlich gesät. Dabei können sie platzsparend und effektiv sein: Im niederländischen Utrecht gibt es das bislang größte Fahrradparkhaus der Welt. Auf 17.000 Quadratmetern gibt es Stellplätze für 12.500 Räder – ein Parkhaus für Autos würde auf ähnlicher Fläche 1.500 bis 1.600 PKW-Stellplätze bieten.
Ebenso gibt es clevere Parklösungen, die Fahrräder nicht nur platzsparend, sondern auch smart unterbringen lassen. Ein Schweizer Unternehmen bietet mit V-Locker etwa ein Radparkhaussystem für sechs bis 20 oder auch 120 bis 800 Räder. Die Parktürme funktionieren mit einem Hebebühnensystem. Einstellen und Abholen funktioniert via App oder Chip-Karte. Die spanische Firma Biceberg bietet ein ähnlich intelligentes Fahrradparksystem. Jedoch werden die Räder hier in einem Stausystem unter dem Asphalt untergebracht.
Das Wohnen mit dem Fahrrad neu denken
Wird ein neues Wohngebiet am Stadtrand, ein neuer Appartementkomplex in der City oder eine Reihenhaussiedlung in der Vorstadt geplant, dann wird das Auto natürlich mitgedacht. Beim Fahrrad ist das noch lange nicht so. Selbst Radschuppen und Radbügel vor dem Haus, um ein Fahrrad sicher abzustellen, sind keine Selbstverständlichkeit. Dabei entwickeln Architekten bereits seit Jahren einfache Konzepte und Ideen, um auch das Wohnen radfahrfreundlicher zu machen.
Das beginnt mit Schiebeschienen in Treppenhäusern, um die Räder bequem mit in die Wohnung oder den Keller zu bringen, und Wandhalterungen, um sie dort wegräumen zu können. Der Architekt Steven Fleming hat sogar Gebäude entworfen, die zumindest zum Teil speziell für Radfahrer konzipiert sind – mit Radwegen auf den Gängen, die vor die Wohnung rollen lassen. Oder auch Rampen, die vom Radweg vor dem Haus in die einzelnen Stockwerke führen.
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Jetzt Mitglied werden!Grüne Welle für Radfahrer
Wer mit dem Rad pendelt, hat es nicht immer einfach. Immer wieder muss an Ampeln angehalten werden. Während die Autofahrer bei Grün einfach wieder anstrengungsfrei anfahren können, heißt es für den Radler, Kraft aufwenden, in die Pedale treten und wieder Schwung aufnehmen – und das, um womöglich nur kurz darauf wieder stehen bleiben zu müssen. Die Lösung? Eine Grüne Welle für Radfahrer. In Städten wie Amsterdam ist die auf den Hauptstrecken in die Stadt bereits Alltag.
Insbesondere in Stoßzeiten werden Radler bevorzugt und können zum Teil über 20 Kilometer von der Vorstadt bis ins Zentrum ohne einen einzigen Stopp durchrollen. Auch in München gibt es seit letztem Jahr immerhin zwei Strecken, auf denen die Ampelschaltung die Radfahrer bevorzugt – zumindest, wenn sie weder zu langsam noch zu schnell unterwegs sind. Siemens arbeitet an einer smarteren Lösung . Eine SiBike genannte App auf dem Telefon von Radlern soll sie den Ampeln ankündigen, und so für eine Grüne Welle sorgen, wenn sie gebraucht wird. Dadurch sollen die Autofahrer nicht benachteiligt werden – ein Test hat gezeigt, dass das System funktionieren kann.
Auto und Radler besser trennen
Es ist eine Binsenweisheit, aber eine, an der einiges dran ist: Wenn Autofahrer und Radfahrer aufeinandertreffen, dann kann es krachen. Nicht nur verbal, sondern auch ganz physisch. Immer mehr Radfahrer sterben bei Unfällen – fast zwei Drittel aller Fahrradunfälle sind Kollisionen mit Autos. Das hat oft mit Unachtsamkeit zu tun – auf beiden Seiten. Aber auch unzureichender Infrastruktur.
Oft sind die Radler in Innenstädten gezwungen, mit auf der Straße zu fahren. Oder auf einem Radstreifen, der nur eine umgewidmete Teilspur der Autofahrbahn darstellt. Das ist gefährlich. Daher fordern Verkehrsexperten und viele Radler, die bauliche Abtrennung von Auto- und Radfahrbahnen – sei es mit Betonschwellen, Metallpollern, Bäumen oder Grünstreifen. Das würde nicht nur Radfahrer besser schützen, sondern wohl auch die emotionalen Reibungen zwischen Radlern und PKW-Fahrern entschärfen. Denn die entsteht vielfach erst durch die erzwungene Koexistenz auf den Straßen. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2019 ist mehr als die Hälfte der Verkehrsteilnehmer für eine Trennung von Radlern und Autofahrern.
Das sind unsere Ideen? Welche Vorschläge habt ihr, um eine Stadt fahrradfreundlicher zu machen? Oder habt ihr Argumente dafür, dass die Städte gut so sind, wie sie sind?
Teaser-Bild: Getty / Kiran Ridley / Freier Fotograf