Man kann sich kaum vorstellen, was da gerade abläuft: Tech-Milliardäre verkaufen ihre Twitter Tweets für fast 1.000 Dollar, die gute alte Nyan Cat wird für fast 600.000 USD verkauft und das Auktionshaus Christie’s akzeptiert zum ersten Mal Kryptowährungen zur Versteigerung des Werkes „Everydays. The First 5000 days“ des Digitalkünstlers Beeple. Während ich gerade schreibe steht der Preis bei 3 MIO. USD - zwei Wochen vor Auktionsende, „estimate unknown“.
Das krasseste ist, bei all den genannten Werken handelt es lediglich um digitale Dateien. Da wurde nicht etwa der Tweet ausgedruckt und unterschrieben. Nyan Cat und Beeples Grafik wurden auch nicht auf einen Massiv-Gold-PC gespielt und mit diamant-besetztem LED-Bildschirm zum Ausstellen geliefert. Nein, es ging wirklich nur um genau die gleiche Datei, die jeder besitzen kann, der die genannten Werke im Internet sucht und herunterlädt. Der einzige Unterschied zwischen den frei verfügbaren und den übertrieben wertvollen Dateien ist, dass Letztere als sogenannte Non-Fungible Tokens (NFT) auf einer Blockchain gespeichert sind. Diese Technologie ermöglicht es jedem dieser Werke eine eindeutige AutorIn und BesitzerIn zuzuordnen und die Herkunft lückenlos nachzuvollziehen.
NFT - alles nur Hype?
Community-Mitglied @Tiegenhof hat bereits ausführlich über den gerade entstehenden Hype um NFT-Kunstwerke berichtet mit der Überschrift „Es geschieht historisches […]“. Vielleicht sind die Geschehnisse der letzten Tage wirklich historisch. Historisch war aber auch die Tulpenmanie im 17. Jahrhundert, bei der plötzlich Tulpenzwiebeln zum Preis von Wohnhäusern gehandelt wurden. Ist und bleibt es nicht völlig absurd solche Unsummen für etwas zu zahlen, nur weil man auf einmal nachvollziehen kann, wer die AutorIn ist? Nun ja, die Frage könnte man vielleicht der Dame stellen, die ein schwarzes Quadrat für 250.000 USD gekauft hat. Ein schwarzes Quadrat, wie es jedes Kind hätte malen können. Es war aber nicht von irgendeinem Kind, sondern von Kazimir Malewitsch. Und weil das nachvollziehbar war, hat sie es später für 1.000.000 USD wieder versteigert….das schwarze Quadrat.
„Black Suprematic Square“ (1915) von Kazimir Malewitsch. Bild: Wikimedia
NFT-Kunst verkaufen auf opensea.io
Ich persönlich finde NFTs und den Hype sowohl historisch als auch hysterisch. Deshalb beschloss ich mitzumachen - mit unerwartetem Ergebnis. Vorgestern habe ich mich bei der NFT-Börse opensea.io angemeldet und ein Kunstwerk hochgeladen, das meine persönlichen Gedanken zum NFT-Hype auf den Punkt bringt. Es handelt sich um einen einzelnen Pixel. Die Datei des Kunstwerks ist gerademal 3 Kilobyte groß und der darin gespeicherte Pixel ist um ein vielfaches kleiner, als der Punkt am Ende dieses Satzes. Ich würde das Kunstwerk ja gerne in diesen Beitrag einbinden, aber der Pixel ist nicht nur verschwindend klein, sondern zusätzlich habe ich ihn auch noch transparent gefärbt. Es gibt wohl kaum ein Ding, das noch weniger existiert als dieser Pixel. Als Startpreis fand ich einen Etherium-Coin angemessen, was ungefähr 1.400 USD entspricht. Um es auf den Punkt zu bringen:
- Dieser kaum wahrnehmbare Pixel ist ein Kommentar zum aktuellen auseinanderklaffen finanzieller und fundamentaler Bewertungen. Seit gut einem Jahr explodieren die Kurse für Aktien und Kryptocoins, ohne das eine entsprechend fundamentale Wertsteigerung der Unternehmen bzw. Währungen feststellbar wäre.
- Die praktische Immaterialität des Pixels steht im absoluten Gegensatz zu seinem ökologischen Fußabdruck. Gemäß dem Online-Rechner des KI-Künstlers Memo Akten hat allein die Veröffentlichung der „Single Pixel“-Kollektion 125 Kg CO2-Ausstoß verursacht.
- Dieses süße kleine Nichts soll das neue Versprechen der digitalen Autorenschaft ad absurdum führen. Denn wie will man die ErschafferIn oder BesitzerIn von etwas sein, das praktisch keine wahrnehmbaren Eigenschaften hat?
Das magische Verhalten einzelner Pixel
Und während ich mich so in Rage dachte, was man mit diesem Pixel so alles anprangern könnte, erinnerte mich auf einmal daran, wie ich als kleines Kind in der Küche meiner Urgroßmutter vor ihrem alten Röhrenfernseher stand. Ich erinnerte mich, wie ich immer wieder ganz nah an den Bildschirm ging, bis sich die bunten Bilder in rote, grüne und blaue Pixel auflösten. Ich fand es total faszinierend, wie diese an sich bedeutungslosen Pixel die abenteuerlichsten Geschichten erzählen konnten, sobald sie auf einem Bildschirm zusammenkamen.
Tweet / Twitter
Ermuntert durch diese Kindheitserinnerungen begann ich noch weitere NFT-Kunstwerke zu erstellen. Einen roten Pixel, einen grünen Pixel, einen Blauen Pixel, und dann Kombinationen von mehreren. Diese habe ich in meiner Opensea-Sammlung für ein paar Euro zum Verkauf gestellt und war wieder fasziniert, wie unterschiedlich ein Webbrowser diese unendlich kleinen Pixel-Pärchen darstellt: Entweder werden sie auf die übliche Größe einer Bilder-Vorschau gestreckt, wobei der Browser Farbverläufe kreiert, die gar nicht existieren. Oder sie werden in der Originalgröße dargestellt, in der sie fast nicht mehr wahrnehmbar sind.
Vorschau des NFT-Kunstwerks „Single Red and Blue Pixels“ auf opensea.io. Bild: Max Haarich
Darstellung des NFT-Kunstwerks „Single Red and Blue Pixels Edgeways“ auf einem Full-HD-Bildschirm. Bild: Max Haarich
Ein NFT-Kunstwerk für das Guinness Buch der Rekorde?
Dabei wurde mir noch etwas anderes bewusst. Irgendwie ist der Pixel ein Gradmesser unseres technologischen Fortschritts. Er wird immer kleiner und kleiner mit der Weiterentwicklung unserer Bildschirme. Denn der Pixel selbst hat keine absolute Größe unabhängig von dem Display, der ihn zeigt. Je höher die Auflösung unserer Displays wird, umso kleiner wird der einzelne Pixel – bis wir ihn irgendwann gar nicht mehr sehen können.
Der Single Transparent Pixel in der Verkaufsverpackung. Bild: Max Haarich
Erst hat mich das etwas sentimental gemacht. Dann fragte ich mich: habe ich hier gerade ein Kunstwerk erschaffen, das theoretisch unendlich klein ist? Habe ich vielleicht das kleinste Kunstwerk der Welt erschaffen? kann ich selbst nicht beurteilen. Deshalb habe ich drei Anträge beim Guinness Buch der Rekorde gestellt und weiß in ca. 12 Wochen Bescheid.
Zusammenfassend kann ich sagen: auch mich hat die Begeisterung gepackt. Wenn nicht unbedingt für NFT-Kunst selbst, dann aber zumindest für Pixel. Mittlerweile habe ich 50 weitere Pixel-NFTs kreiert und habe die meisten davon zum symbolischen Preis von 0,001 Ethereum-Coins (ca. 1,4 USD) pro abgebildetem Pixel eingestellt. Gestern Nacht ging mein erstes NTF-Kunstwerk an eine SammlerIn aus Kalifornien, und vielleicht auch ein winziges Stückchen meiner Begeisterung für Pixel.
Tweet / Twitter