NFT-Zertifikate aus Užupis. Wie ich kein Krypto-Billionär werde und dabei fast einen Shitstorm kassierte

Jede InvestorIn kennt diese Angst. Du hast Dein Geld und Deine Hoffnung in ein Produkt gesteckt – egal ob Aktien, Kryptowährungen oder sogar ein Start-up. Du bist vollkommen überzeugt, dass das Ding früher oder später zum Mond geht. Aber dann siehst Du den Wert Deines Investments sinken. Mit jedem Aufwachen ist der Kurs Deines Investments weiter gesunken. Jeden Tag steigt dein Verlust. Gleichzeitig wachsen die Zweifel an Deinem Investment und an Dir selbst. Soll ich aussteigen, um den Schaden zu minimieren? Was, wenn ich aussteige und mein Invest einen Tag später durch die Decke geht? Was sage ich den Leuten, die mir genau dann zum vermeintlichen Erfolg gratulieren wollen?

Vor kurzem bin ich in den historischen und hysterischen Hype um Non-Fungible-Tokens (NFT) eingestiegen, wo sich manche InvestorInnen schon mit denselben Ängsten plagen. Meine gespaltene Meinung zu dem Thema NFT drücke ich selbst durch gleichermaßen schizophrene Kunstwerke aus - ich mache konzeptuelle NFT-Kunst über NFT-Kunst. Meine erste Collection bestand nur aus einzelnen Pixeln und war als satirischer Kommentar zum aktuellen NFT-Hype geplant. Entgegen meiner Absicht habe ich mich jedoch ganz unerwartet und bis über beide Ohren in Pixel verliebt, und nun auch ein bisschen in die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von NFTs.

Versteigerung eines einzelnen transparenten Pixels (linkes Quadrat, genau in der Mitte) auf opensea.io. Wie sie sehen, sehen Sie nichts. Bild: Max Haarich

Ich hatte anfangs eine klare Vorstellung davon, was mich an NFT-Kunst stört. Der wachsende NFT-Hype ist für mich exemplarisch für die zunehmende Entkopplung von Preis und Wert im Kryptomarkt. Angetrieben durch stimulus-bill-finanzierte Investoren steigt der Preis von Kryptowährungen kontinuierlich. Allerdings ist mir schleierhaft, wo eine entsprechende Produktionssteigerung liegen könnte, die diesen Wertanstieg begründen und absichern könnte. Um diese bubble-artige Entwicklung zu verdeutlichen, habe ich ein nun eine zweite NFT-Kunst-Serie erschaffen. Es handelt sich dabei um eine digitale Kopie meines bisher wichtigsten „Kunstwerks“, der Münchner Verfassung von Užupis. Dieses Werk stelle ich euch in Abschnitt „Wir lieben Paradoxie und 𝝅 vor, aber zum besseren Verständnis möchte ich noch ein paar Dinge über die originale Verfassung von Užupis erklären.


Papst Franziskus betet oder grübelt vor der lateinischen Version der Verfassung von Užupis 2019. Bild: Vatikan Media Service.

Eine Verfassung für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz

Die Verfassung von Užupis ist bereits über 20 Jahre alt und ist für mich die schönste Verfassung der Welt. Als einzige mir bekannte Verfassung gesteht sie auch Tieren und der Natur eigene Rechte zu und enthält das Wort „Liebe“. Eines aber fehlte für mich noch darin: ein Artikel zum Umgang mit Technologie. 2018 habe ich einen Antrag auf Verfassungsänderung gestellt und mir wurde nach etlichen Mails und Telefonaten erlaubt, eine eigene Version der Verfassung von Užupis mit einem zusätzlichen Artikel über Künstliche Intelligenz (KI) zu produzieren. Dieser KI-Artikel sollte an die Eigenverantwortung jedes Menschen im Umgang mit KI appellieren und war zur damaligen Zeit beinahe eine Umkehr der ethischen Debatte.

Diese bisher einzige Verfassungsänderung wurde mir schlussendlich unter zwei Auflagen gebilligt. Erstens musste der neue KI-Artikel optisch deutlich als nachträglicher Zusatz erkennbar sein. Daher wurde er nicht als 42. Artikel aufgenommen, sondern er wurde mit der irrationalen Kreiszahl 𝝅 (≈3.14159…) etwas unterhalb der ursprünglichen Verfassungsartikel gelistet. Zweitens dürfte von der auf hochglanzpoliertem Edelstahl gedruckten Verfassungstafel niemals mehr als ein Exemplar auf dieser Erde existieren. Das genehmigte Unikat wurde 2018 an der Außenfassade des Import-Export im Münchner Kreativquartier angebracht, da dort zunehmend freie Künstler und Tech-Startups zusammenkommen. Seitdem hat dieser KI-Artikel Nummer 𝝅 seine Runde (höhö) gemacht. Unter anderem wurde er im US Playboy erwähnt und im Juni dieses Jahres wird er im Rahmen der GLOBART Akademie im Wiener Parlament vorgestellt, als Inspiration zur Änderung der Österreichischen Verfassung.


Enthüllung der Münchner Version der Verfassung von Užupis im Münchner Import-Export am 18.12.2018 (v.l.n.r. Konsul RoboY, Außenminister Tomas Čepaitis, Interimskonsul Robaby, Botschafter Max Haarich). Bild: Harald Damskis

Wir lieben Paradoxie und 𝝅

Es war mir also untersagt worden, diese In München platzierte Verfassungstafel zu vervielfältigen. Die digitale Vervielfältigung dieser KI- bzw. 𝝅 -Verfassung war mir aber ausdrücklich gestattet worden. Zwei Verfassungskopien habe ich nun als NFT-Kunst zur Versteigerung angeboten. Zum einen eine Version der Verfassung in Weiß mit schwarzer Schrift zum anderen die invertierte Version mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund. Beide zusammen sollten den Charakter von Užupis symbolisieren, der oft widersprüchlich und paradox ist, aber gleichzeitig irgendwie zur Harmonie unter den Menschen führt – wie Yin und Yang.

Paradoxie und 𝝅 sollten sich auch im Format der Auktion wiederspiegeln. Daher habe ich das Format der Rückwärtsauktion gewählt, bei der der Preis kontinuierlich sinkt, bis jemand die digitalen Verfassungskopien kauft, oder eben nicht. Enddatum und Preis der beiden 𝝅-Verfassungen waren auch schnell gefunden: die Auktionen sollten „genau“ 𝝅 Jahre lang laufen und starteten bei 3.141.592.653.589,7932 ETH – mehr 𝝅 passte nicht in das Eingabefeld und diese Summe entspricht aktuell ca. 5 Billiarden USD. Der Joke ist jedoch; aktuell existieren nur ungefähr 120 Millionen ETH und auch nur 1,2 Billiarden USD. Das heißt alles Geld der Welt würde nicht ausreichen, um dieses Kunstwerk in den nächsten Wochen zu ersteigern. Aber der Preis sinkt ja.

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Sinkender Auktionspreis der KI-Verfassung. Bild: Max Haarich

Und wie schnell der Preis sinkt.

Als ich diese Auktion startete, war ich geschockt wie schnell die Zahlen runter ratterten. Pro Minute Sekunde sank der Preis mehrere Tausend ETH, also mehrere Milliarden USD. Und das geht nun 𝝅 Jahre lang so weiter, bis die NFT-Werke am 20.04.24 um 20:24 Uhr einfach nichts mehr wert sind. Da spürte ich sie selbst ein wenig, diese eingangs beschrieben Angst der InvestorIn: rein hypothetisch könnte jederzeit irgendjemand diese Verfassung zu einem absurd hohen Preis kaufen. Morgen früh könnte ich aufwachen und mir könnte irgendjemand mehr Geld schulden, als es überhaupt Geld auf dieser Erde gibt. Gleichzeitig sehe ich diesen möglichen Gewinn unfassbar schnell verschwinden. Das fühlt sich echt strange an.

Bis zum Start der Auktion, waren es nur Gedankenspiele, aber jetzt war es plötzlich so real: jederzeit könnte ich unfassbar reich werden. Das ist durchaus reizvoll, aber es bringt mich auch in einen Gewissenskonflikt. Denn der Versuch, die Verfassung von Užupis zu Geld zu machen ist absolut nicht im Sinne von Užupis. Aus Sicht von Užupis ist Geld und vor allem die Gier danach die Ursache vieler Probleme. Diese Überzeugung ist so zentral, dass sie sich im Staatswappen unserer kleinen Republik wiederfindet. Das Staatwappen von Užupis zeigt eine offene Hand mit einem Loch. Die Idee dahinter ist simpel: hätte jeder Mensch ein Loch in der Hand, wären wir gar nicht in der Lage nach dem Geld anderer zu gieren, weil es eh gleich durch die Löcher in unseren Händen fiele.


„Constitution Road“ in Užupis mit aktuell 38 Originalverfassungen in unterschiedlichen Sprachen und dem Staatswappen. Bild: Flickr/Erick Opena

Absicherung gegen Krypto-Billionen

Wie könnte ich also verhindern, dass ich völlig unverdient Krypto-Billionär werde? Ich könnte die rückwärtslaufende Auktion einfach für ein paar Dollar stornieren, aber dann müsste ich auf den hypnotisierenden Anblick der sekündlich schwindenden 𝝅 Billionen ETH verzichten. Stattdessen habe ich mich mit dem Kryptopionier Gleb Divov und seinen KollegInnen zusammengetan, die den CryptoArt Hub von Užupis namens „Digital/Kalnas“ betreiben. Gemeinsam haben wir NFT-basierte Mechanismen entwickelt, die InvestorInnen effektiv gegen Gewinne absichern – ganz im Sinne von Užupis. Dafür haben wir neue NFTs kreiert, die ähnlich den vom Aktienhandel bekannten Optionsscheinen eine Wette auf die Höhe meines Auktionserlöses erlauben. Wie jetzt?

Ein Beispiel: wir haben eine „LONG Certificate“ entwickelt, das man für 0,314 ETH (ca. 500 USD) kaufen kann. Mit diesem Zertifikat wettet man darauf, dass die schwarze Verfassungskopie bis zum Auktionsende in über drei Jahren ein Gebot von mindestens 314 ETH (ca. 5 Mio USD) erhält. Erreicht die Verfassung dieses Gebot nicht, erhält man auch nichts. Erreicht die Verfassung aber dieses Gebot, erhält man auch eine Prämie von perversen 314 ETH. Damit hätte man seinen Einsatz innerhalb von 𝝅 Jahren vertausendfacht (ja, vertausendfacht).


„LONG Certificate“ mit dem man auf die Höhe des Auktionserlöses der 𝝅-Verfassung wetten kann. Bild: Max Haarich

Mini-Shitstorm in der NFT-Community

Unser noch nicht öffentlich gelistetes Zertifikat haben wir bei Twitter gepostet und keine drei Minuten später meldete sich ein angeblicher NFT-Collector. Er gab an, die Zertifikate kaufen zu wollen und gerne auch mehr zu investieren. Da er unsere Gewinnversprechen aber nicht ganz glauben könne, würde er gerne mit mir telefonieren. Im Telefonat könnte ich ihn von unserem Produkt überzeugen, in dem ich ihm alle technischen Details erkläre und am besten gleich den Code rüber maile. Ich schrieb ihm, dass ich das nicht machen könne, woraufhin der Typ innerhalb von Atosekunden ausrastete. Er drohte damit, mich in der NFT-Community auf Discord zu blacklisten, wenn ich ihm nicht sofort beweisen würde, dass ich kein Scammer sei, indem ich ihm alles im Detail erkläre.

Statt der Zertifikate erklärte ich ihm lieber unsere mögliche „Kooperation“, und zwar für beendet. Daraufhin folgten weitere Direktnachrichten seinerseits, in denen es unter anderem um meine Mutter und die Rolle der Deutschen im zweiten Weltkrieg ging. Gleichzeitig gab er mehrere Scammer-Warnungen an seine Twitter-Follower raus, die schon nach wenigen Sekunden mehrfach geteilt wurden. Er fing an Screenshots von unseren privaten Direktnachrichten zu posten und mehrere seiner Follower schrieben mir ebenfalls beleidigende Direktnachrichten. Gleichzeitig fragte er immer wieder, ob wir nicht telefonieren könnten.


Aufruf zum Shitstorm gegen unser NFT-Zertifikat. Bild: Twitter

Ein wenig Verständnis hatte ich schon für das vorsorgliche Flagging durch den NFT-Troll mit der kurzen Zündschnur. Unser Angebot klang einfach zu gut. An der Börse gehandelte Hebelzertifikate versprechen normalerweise einen Gewinnfaktor von zwei bis maximal zehn, aber niemals das Tausendfache des Einsatzes. Aber dieses Twitter-HB-Männchen hatte wohl übersehen, dass wir sowohl das Zertifikat als auch das 𝝅-Billionen-ETH-Kunstwerk besitzen. Die Gewinnsumme wäre in jedem Fall gedeckt. Die Prämie des Zertifikats würde direkt aus dem Auktionserlös der Verfassungskopie bezahlt werden. Würden wir die Verfassung für die Unsumme von 314 ETH versteigern, würden wir die 314 ETH sofort wieder verlieren – ganz im Sinne von Užupis. Das haben wir dem Möchtegern-Scammer-Scammer dann doch noch erklärt, der danach seine Posts auch wieder gelöscht hat.

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Twitterkommentar zur Erklärung des Zertifikats. Bild: Twitter.

Was lernen wir daraus?

Erstens ist gerade mächtig Dampf im überhypten NFT-Kessel. Zweitens gibt es in der Nähe von zu viel Geld auch immer zu viel Gier. Drittens sind NFTs prima geeignet, um sie selbst zum Gegenstand künstlerischer Forschung zu machen, z.B. indem man das Investmentobjekt zum Investmentinstrument macht.

Ich konnte in diesem Beitrag leider nicht darauf eingehen, welchen Einfluss die Kursentwicklung des zugrundeliegenden ETH auf die Gewinnchance hat, und wieso selbst ein vertausandfachter Einsatz ein Verlust sein kann, wenn die zugrundeliegende Währung um das Tausendfache einkracht. Ich bin in diesem Beitrag auch nicht darauf eingegangen, welche lustigen Rückkopplungen entstehen könnten, wenn noch ein zweites Zertifikat auf den Ausgang des ersten wettet, oder wenn drei, vier, fünf Zertifikate aufeinander wetten, kreuz und quer und zirkulär. Daran forschen wir noch weiter, aber folgendes steht jetzt schon fest: Paradox starts with 𝝅 and the meta the better – Už!

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Wirklich schön!
Danke für diese Aktion und für den Artikel.

Pi lebe hoch.
Grüsse aus Hannover
Stefan

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Danke @Hacki, freut mich sehr :slight_smile:

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