Weltweit versuchen vor allem gut finanzierte Unternehmen die Vision des Vakuumröhrenzugs Hyperloop in die Realität umzusetzen. Ein Team geht jedoch einen anderen Weg: Die Entwickler von rLoop haben sich auf der Internetplattform Reddit zusammengefunden, die sonst eher für Memes und Frage-Antwort-Runden bekannt ist. Langfristig wollen sie nicht nur den Hyperloop verwirklichen, sondern gleich eine neue Form der Forschung und Arbeit ermöglichen.
Von Michael Förtsch
Die Corona-Pandemie hat für viele Menschen verändert, wie und wo sie arbeiten. Statt im Großraumbüro sitzen sie nun zu Hause am Laptop. Ihre Kollegen sehen sie nicht mehr in der Kaffeeküche oder wenn sie über ihren Bildschirm lugen, sondern als Namen und Avatare in Chatprogrammen. Oder als Stream in Videokonferenzdiensten. Für viele ist das eine ungewohnte Situation – ganz auf Distanz mit anderen Menschen zu kommunizieren, zu arbeiten und dabei dennoch Ergebnisse und Erfolge zu erzielen. Schon daran gewöhnt haben sich dagegen die Mitarbeiter von rLoop. Sie arbeiten von Anfang an auf Distanz. Und das obwohl sie sich Großes vorgenommen haben. Sie versuchen, die Zukunft der Mobilität mitzugestalten und Europa näher an den Fernen Osten heranrücken zu lassen. Denn rLoop ist eines jener Teams, die den ultra-schnellen Röhrenzug Hyperloop von der Vision zur Realität machen wollen.
Anders als für Millionen andere Menschen und wohl auch als für andere Hyperloop-Entwickler wie Hyperloop One, Hyperloop Transportation Technologies oder Hardt Hyperloop ist das permanente Home Office für die rLoop-Truppe also absolut nichts Neues. „Für uns war das quasi schon immer so“, erklärt Ilyas Vali gegenüber 1E9. Er ist Projektmanager bei rLoop und arbeitet von seiner Heimat Blackburn in England aus. Die anderen Teammitglieder sitzen anderswo in der Welt. Sie sind in den USA, in Australien, Kanada, Japan, Nigeria, Spanien, Hong Kongo, Indien, Frankreich, Polen oder auch Deutschland – und zahlreichen weiteren Ländern. Und die meisten von ihnen hat Ilyas Vali nie von Angesicht zu Angesicht gesehen. Denn rLoop existiert fast ausschließlich im Internet. Eben dort wurde die Gruppe auch gegründet.
Lasst uns einen Hyperloop bauen!
Gerade einmal sieben Jahre ist es her, dass Elon Musk das Wettrennen um den Hyperloop losgetreten hat. Damals stellte der Tesla- und SpaceX-Chef sein sogenanntes White Paper ins Internet. Das 57-Seiten umfassende PDF-Dokument beschreibt eine futuristische Bahn, die durch eine nahezu luftleere Röhre sausen soll – und dabei Geschwindigkeiten von über 1.000 Kilometern pro Stunde erreichen könnte. Das ist zwar keine wirklich neue Idee. Aber eine, die laut Musk und seinen Ingenieuren heute umgesetzt und sowohl effizient als auch energiesparend betrieben werden könnte. Da er selbst zu dieser Zeit schon genug um die Ohren hatte, gab er den Hyperloop als „offenes Entwicklungskonzept“ frei.
Noch bevor erste Zeitungen und Magazine darüber schrieben, wurde das White Paper auf Reddit geteilt. Das ist ein Ort im Netz, der bei den meisten eher für Katzenbilder, Eulen, Gruselgeschichten und Frage-Antwort-Runden bekannt ist. Doch in der Online-Community existieren auch sogenannte Subreddits, die technischen Spezialthemen gewidmet sind. Darunter r/spacex, wo hauptsächlich der Werdegang der Raketenfirma von Elon Musk verfolgt wird und das Hyperloop-Thema sehr schnell und detailliert debattiert wurde. Als Elon Musk später ankündigte, einen Wettbewerb zur Konstruktion einer Hyperloop-Kapsel im Miniformat abzuhalten, waren einige der Reddit-Mitglieder überzeugt, dass sie dort mitmachen sollten.
„Wir fanden uns nur wenige Momente nach der Ankündigung zusammen“, sagt Ilyas Vali. Und das zunächst nur, um aus Spaß an der Freude „zu versuchen, eine solche Kapsel zu konstruieren, um dabei zu sein und zu schauen, wie weit wir kommen“. In Anlehnung an Reddit, das sie zusammenbrachte, tauften sie ihr Team rLoop – eben für das kleine r , das in der URL jedem Themenressort auf Reddit vorangestellt ist. Auf Reddit selbst, mit Google Docs, Skype und Team-Werkzeugen wie Slack koordinierten und planten rund 140 Reddit-Mitglieder die Kapsel für den Wettbewerb. Die Bauteile fertigten einige ausgewählte Mitglieder bei sich zu Hause, in Mietwerkstätten oder auf ihrer Arbeit – und sendeten sie in die USA, wo die Kapsel zusammengesetzt wurde.
Sie opferten ihren Urlaub und Geld – und einige reisten sogar nach Sacramento, Kalifornien, wo die Kapsel montiert wurde. Tatsächlich schob dann im Januar 2017 eine Gruppe in schwarzen T-Shirts mit rLoop-Schriftzug diese Kapsel auf einen Parkplatz neben dem SpaceX-Hauptquartier in Los Angeles. Dort hatte Musk eigens für den Wettbewerb eine Hyperloop-Strecke im Kleinformat aufbauen lassen. Viele der Mitglieder des Teams trafen sich nun das erste Mal im real life.
Bei der Hyperloop Pod Competition qualifizierten sich nur die besten Kapseln für eine Fahrt in die Röhre. Der Pod von rLoop war nicht darunter. Immerhin: Das Team teilte sich letztlich mit der University of Wisconsin-Madison eine Auszeichnung für die innovativste Konstruktion. „Und das war“, wie Ilyas Vali sagt, „extrem wichtig für uns alle. Wir waren ein Team, das sich nur aus der schieren Leidenschaft für das Entwickeln und Erfinden zusammengetan und teilgenommen hat.“ Aber vor allem: „Dieser Erfolg zeigte uns, was rLoop bereits geworden war und was es sein könnte.“
Erst der Hyperloop Light, dann der Hyperloop
In den fast fünf Jahren seit der Gründung hat sich das auf Reddit gestartete Freizeitprojekt ziemlich weiterentwickelt. „Ich würde sagen, wir sind jetzt so etwas wie eine Crowdsourcing-Ingenieurs- und Innovationsplattform“, versucht Ilyas Vali das Selbstverständnis von rLoop gegenüber 1E9 zu umschreiben. Seit 2018 ist rLoop zudem ein echtes Start-up, das eine Hand voll Angestellter hat, die das Online-Kollektiv aus freiwilligen Enthusiasten verwalten. Dem gehören momentan 1.500 Mitglieder aus 59 Ländern an. Darunter sind Studierende, technische Autodidakten, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Ingenieure und Ingenieurinnen, Fachleute aus der Informations- und Automatisierungstechnologie – inklusive renommierter einiger großer Namen, die bei der NASA, Tesla, Honeywell, Airbus, Boeing und auch dem CERN arbeiten. „Sie opfern ihre Zeit ehrenamtlich, um an etwas mitzuarbeiten, an das sie glauben“, sagt Ilyas Vali. Aber sie hoffen auch, dass ihre Projekte vielleicht irgendwann Früchte tragen und groß rauskommen – siehe Kasten: Die Arbeit soll nicht umsonst sein – dank Blockchain . Und das soll allem voran der Hyperloop schaffen, als „Mobilitätsform der Zukunft“.
Dabei will rLoop jedoch kleinere Schritte gehen als die mit Millioneninvestitionen ausgestatteten Hyperloop-Start-ups. Statt gleich einen Hyperloop zu entwickeln, der mit Überschallgeschwindigkeit über hunderte Kilometer durch luftleere Röhren saust, will das Team zunächst eine „abgespeckte Variante“ konzipieren. „Wir brauchen erst die Technologie, um diese Light -Variante davon sicher und nutzbar zu machen“, sagt Ilyas Vali. Und schon die könne viel verändern – vor allem in den großen Städten. Was sich rLoop da vorstellt, das sind vergleichsweise kleine und weitestgehend autonome Fahrzeugen, die durch Hyperloop-artige Tunnel rauschen – über oder unter der Erde. Dieser Hyperloop Light soll sich weitaus leichter in eine bestehende Infrastruktur einfügen lassen, Straßen entlasten und flexibler sein als U- oder S-Bahnen.
Das ist keine vollkommen einzigartige Idee. Sie war auch Teil der Vision des Start-ups Arrivo, das vom Hyperloop-One-Mitgründer Brogan BamBrogan gestartet wurde. Er versprach, das Magnetschwebe-Prinzip des Hyperloop mit autonom fahrenden Schlitten zu verknüpfen, die Autos durch die Röhren transportieren könnten. Jedoch scheiterte Arrivo. Es fanden sich nicht genügend Investoren und das Unternehmen musste Insolvenz anmelden. Im Oktober 2019 kaufte rLoop dann überraschend die Reste von Arrivo. „Das war sehr aufregend für uns“, sagt Ilyas Vali, der jedoch keinen Kaufpreis nennen möchte.
Möglich war die Übernahme durch ein erst im Frühjahr 2019 geschlossenes Joint Venture mit dem chinesischen Hyperloop-Unternehmen China Hyperloop. rloop und China Hyperloop arbeiten nun also über ein gemeinsames Tochterunternehmen namens Hyperloop Technology Engineering zusammen, was Technologie und Konzepte für einen „großen Hyperloop“ angeht. Denn China Hyperloop soll mit chinesischen Staatsgeldern die Technik voranbringen, um der neuen Seidenstraße irgendwann eine ultra-schnelle Hyperloop-Strecke zu spendieren. „Es geht dabei darum, den fernen Osten mit Europa zu verbinden – und mit Großbritannien“, sagt Ilyas Vali, der betont, dass das aber noch so einige Jahre dauern dürfte. „Dieses Übereinkommen erlaubte uns, das Kapital aufzutreiben, um Arrivo zu kaufen.“
Mit dem Arrivo-Erwerb und einigen der ehemaligen Arrivo-Ingineure soll die Forschung und Entwicklung mehrerer Ansätze des gescheiterten Start-ups fortgeführt werden. Andere würden mit rLoop-Entwicklungen verknüpft. Vor allem die Technologie, um die Tunnelfahrzeuge selbstständig fahren zu lassen und zu koordinieren. „Wir wollen ein System, das feststellt, wo gerade Bedarf ist, wo Kapseln gebraucht werden“, sagt Ilyas Vali. „Das war einer Gründe, der uns dazu brachte, Arrivo zu übernehmen.“
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Während die Truppe und Vision von rLoop größer wurde, habe sich die grundsätzliche Arbeitsweise seit dem Bau der ersten Kapsel nicht groß verändert. „Wir sind immer noch total dezentralisiert“, sagt Vali. Nur seien in einigen Tools wie Slack, Google Docs, Google Drive, Trello und anderen die Kontaktlisten nun deutlich länger und die Anzahl der Avatare größer, wenn an einem gemeinsamen Dokument gearbeitet wird. „Das Projektmanagement ist dabei extrem wichtig“, sagt Ilyas Vali. „Wir haben dafür einen sehr schlanken und agilen Ansatz ausgetüftelt, der uns erlaubt, alles einigermaßen effizient zu koordinieren und abzuarbeiten.“
Alle Projekte werden von Vali und seinen Kollegen und Kolleginnen in Subsysteme zerlegt, die dann an Teamleiter aus dem entsprechenden Fachgebiet geschanzt werden, die diese wiederum an ihre Teammitglieder weitergeben. Von der Konzeption von Antriebssystemen oder des Magnetschwebe-Mechanismus bis hin zu Designentscheidungen wird alles im Internet ausgetüftelt – aber auch erprobt. „Viel von unserer Arbeit testen wir in Simulationen“, sagt Vali. „Aber wir haben in unserer Community auch viele Maker, die selbst Werkstätten und Fabrikationsmöglichkeiten haben, die über Möglichkeiten verfügen, sowohl Teile als auch Prototypen zu fabrizieren.“
Durch den schlanken Delegationsprozess werde alles immer dort gefertigt, „wo die Leute sind, die das am besten können“, erklärt Vali. Aber ganz ohne einen physischen Anlaufort geht es dann doch nicht. Und bei dem handelt es sich um eine Werkstatt in Fremont, unweit der Facebook-Zentrale in Menlo Park, Kalifornien, die vom Elektrogiganten TE Connectivity gesponsort wird. Dort werden Bauteile und Systeme zusammengesetzt, die sich in der Realität beweisen müssen und eventuell bald auch auf einer echten Teststrecke. „Wir wollen zumindest eine bauen“, sagt Vali. Einen Kilometer solle sie zunächst lang sein, „um unsere Technologie zu testen“. Später soll sie sich idealerweise auf drei Kilometer und mehr verlängern lassen.
Wie und wo diese Strecke gebaut werden könnte, soll noch ausgelotet werden. Darauf fahren soll dann ein erstes Modell, das Technologien von rLoop und Arrivo zusammenführt und „Aspekte dessen zeigt, was wir unter einem Hyperloop Light verstehen“, sagt Vali. „Das ist etwas, das wir definitiv bauen und auch herzeigen möchten.“ Damit soll dann auch klarer werden, wie und welche Probleme nun die Community von rLoop genau lösen will – und warum die Welt diese Technik braucht. „Wir wollen erfinden“, so Vali. „Uns geht es darum, die Technologie zu entwickeln, die dann auch jeder lizenzieren und nutzen kann.“
Neue Arbeitswelt
Dem Team von rLoop geht es aber nicht nur um den Hyperloop und andere Technologien (siehe Kasten: Abseits des Hyperloop ), sondern auch darum, eine neue Form der Zusammenarbeit zu ermöglichen. Und damit Chancen zu eröffnen – für Forscher, Entwicklerinnen und vielleicht sogar ganze Länder. Zahlreiche Mitglieder, die sich bei rLoop engagieren, hätten beispielsweise nach ihrem Universitätsabschluss gerne an High-Tech-Projekten oder bei einem Raumfahrtunternehmen gearbeitet, so Vali. Jedoch wäre das aufgrund ihrer Herkunft nicht möglich gewesen.
„Und selbst wenn sie einen Job bekommen hätten, hätten sie oft in ein komplett anderes Land gemusst“, sagt Vali. „Sie hätten ihre Familie zurücklassen müssen, hätten ein Visum bekommen müssen und all das.“ Solche Ungleichverteilung und Ungerechtigkeiten wolle rLoop langfristig tilgen. Jeder, der die Fähigkeiten und die Lust besitzt, soll an revolutionären Entwicklungen mitarbeiten können – egal, welchen Hintergrund er oder sie hat oder wo er oder sie herkommt. „Wenn es um Innovationen geht, dann gibt es diese Grenzen, die es echt nicht braucht“, beteuert Vali. „Wir sind offen für jeden, der etwas machen will, der eine neue Technologie oder neue Idee ausprobieren möchte.“
Das heißt für rLoop auch, dass jeder Ideen in die Community einbringen kann – und rLoop auch Forschungsaufträge von außen annimmt, seien es welche von anderen Unternehmen, Initiativen, Universitäten, Instituten oder auch Ländern. Selbst wenn rLoop derzeit nicht groß hausieren geht, geschieht das auch jetzt schon. „Wir arbeiten an Robotikprojekten für den Gesundheitssektor und sogar (Corona- und Pandemie-)Tracing-Apps, die Leute für das Zu-Hause-bleiben belohnen“, sagt Vali.
Mit rLoop könnten auch ärmere Länder in den Innovationswettlauf einsteigen, hofft die Gemeinschaft. Forschungs- und Entwicklungsprojekte die sonst Millionen von Euro kosten, ließen sich mit einem Heer an Freiwilligen aus aller Welt zu Beginn quasi umsonst bewerkstelligen. „Es geht wirklich auch darum, wie wir Länder, Wirtschaftszonen und einfach den Leuten helfen können“, sagt Vali. „Nur indem wir mit irgendwelchen Menschen kommunizieren, die wir als Avatar auf dem Bildschirm sehen, ohne wirklich zu wissen, wer das ist, wo er ist, was er tut.“ Die Methode mit einer Gemeinschaft von Freiwilligen zu arbeiten, die letztlich basierend auf ihrem Beitrag belohnt werden sollen, könnte sich laut Vali auch auf andere Bereichen umlegen lassen. Seien es die medizinische Forschung oder der Kunst- und Kulturbereich.
Vorerst will rLoop aber, trotz der Nebenprojekte, den Fokus auf seinem Erstlingsprojekt legen. Denn dieses „Hyperloop-Ding ist ein gigantisches Unterfangen, das ein gigantisches Problem lösen könnte“ und das die Zukunft der Mobilität in einer Weise prägen könnte, wie wenig anderes. Davon sind zumindest jene überzeugt, die tagtäglich bei rLoop ihre Zeit dafür opfern. Dennoch gebe es auch schon genügend Mitglieder, die schauen, was das nächste Großprojekt werden könnte. „Wir waren mal echt kurz davor, ein Projekt für eine Rakete zu starten“, verrät Vali. Wirklich vom Tisch sei die Idee eines Crowdsourcing-Raumschiffes aber nicht. Denn ein großer Teil der Community sei davon fasziniert. Und immer wieder gäbe es Ideen, die herumgehen. Damit sei es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis rLoop vielleicht auch ins All startet.