In Ottobrunn bei München wird Hyperloop-Geschichte geschrieben. Eine Forschungsgruppe der Technischen Universität nimmt dort die erste für den Passagierbetrieb zertifizierte Teststrecke Europas in Betrieb – mit einer Länge von 24 Metern und einer Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h. Eine deutlich längere Vakuumröhre ist schon geplant. In dieser sollen die Passagierkapseln dann schneller unterwegs sein.
Von Wolfgang Kerler
Der bayerische Ministerpräsident und sein Wissenschaftsminister sitzen im Innenraum der Passagierkapsel. Sie scherzen über die niedrigen Türen, an denen man sich den Kopf stoßen könnte. Draußen verfolgen per Videoübertragung Hunderte geladene Gäste – Familien und Freunde des TUM Hyperloop Teams, dazu Presse, Sponsoren und Politik –, was in der Röhre passiert. Besser gesagt: was nicht passiert. Denn die Kapsel bewegt sich nicht vom Fleck. Vorführeffekt. Ausgerechnet bei der offiziellen Vorstellung der Anlage. Erst beim zweiten Versuch schwebt das Gefährt los. Da ist der Ministerpräsident schon ausgestiegen und gibt Interviews.
Allzu schlimm ist die kleine Panne allerdings nicht. Denn die entscheidende Jungfernfahrt fand schon am 10. Juli statt – mit Gabriele Semino, dem Projektleiter von TUM Hyperloop, als einem der beiden Fahrgäste. „Ich arbeite seit fast sieben Jahren am Hyperloop-Projekt mit, endlich durfte ich mitfahren“, sagt er im Gespräch mit 1E9. „Das war wirklich sehr, sehr schön.“
In zehn Monaten vom ersten Spatenstich zur ersten Hyperloop-Teststrecke in Europa, die per TÜV-Zertifikat auch unter Vakuumbedingungen für den Transport von Passagieren zugelassen ist: ein Meilenstein für TUM Hyperloop. Aber bei weitem nicht der erste.
2015 als studentische Initiative gestartet, trat das Team vier Jahre in Folge beim Hyperloop-Wettbewerb von SpaceX und Elon Musk an und gewann jedes Mal. Zuletzt mit einem Pod, der eine Spitzengeschwindigkeit von 482 Stundenkilometer schaffte. Dann folgten die Beförderung von der Studierendeninitiative zur offiziellen Forschungsgruppe der Technischen Universität München, der Bau einer Miniaturstrecke und schließlich die jetzt vollendete Testanlage in Originalgröße.
Zugegeben: Von der Hyperloop-Vision, wie sie Elon Musk 2013 der Welt präsentierte, ist diese noch weit entfernt. Anstatt mit bis zu 900 Stundenkilometern über Hunderte von Kilometern ohne Luftwiderstand durch Vakuumröhren zu sausen, können Fahrgäste in ihr eine Strecke von 24 Metern zurücklegen. Die Spitzengeschwindigkeit des Pods bzw. des Passagiermoduls: 16 Stundenkilometer. Und dennoch markiert sie einen entscheidenden Fortschritt, meint Gabriele Semino.
„In den zehn Jahren, seit das Hyperloop-Konzept vorgestellt wurde, haben wir sehr viele Teststände für einzelne Technologien gesehen, zum Beispiel für das Schweben oder für Antriebssysteme. Auch wir haben solche Teststände gebaut“, sagt er. „Jetzt haben wir das alles in eine Anlage integriert, die für den Transport von Passagieren zugelassen ist. Das ist das Wichtigste, was wir hier geschafft haben.“ Und alles andere als einfach. Denn das System bestehe aus knapp 100.000 Teilen, erzählt Domenik Radeck, der Technische Leiter von TUM Hyperloop, im Gespräch mit 1E9. „Eigentlich macht jedes davon erstmal Probleme.“
Beton statt Stahl, Schwebesystem statt Räder – und ein Wohlfühlort
Die Teststrecke besteht aus der Röhre, die einen Durchmesser von rund vier Metern hat, dem voll ausgestatteten Pod bzw. Passagiermodul sowie einer Betriebsleitzentrale, die nicht nur die Steuerung des Systems, sondern auch die Vakuumpumpen beherbergt. Und obwohl die Anlage nur 24 Meter lang ist, erhofft sich TUM Hyperloop wichtige Erkenntnisse für seine Forschung. „Wir können mit unserer Anlage insbesondere den Antrieb, die Schwebetechnik, das Verhalten der Kapsel im Vakuum und Sicherheitsaspekte an einem vollwertigen Hyperloop-Segment untersuchen“, erklärt Gabriele Semino.
Das (Fast-)Vakuum in der Röhre ist zentral für jeden Hyperloop. Dadurch fällt der Luftwiderstand weg, der ansonsten hohe Geschwindigkeiten der Transportmodule verhindern würde. Allerdings gehört das Vakuum auch zu den größten Herausforderungen der Idee. Denn bisher gibt es kaum praktische Erfahrungen damit, wie man es in großen luftleeren Räumen am besten aufrechterhalten kann. Die ersten Ergebnisse aus München sind jedoch vielversprechend.
„Was wir mit der Röhre schon jetzt testen konnten, ist, dass ein gutes, aber noch relativ einfaches Dichtungssystem ausreicht. Man braucht also nur wenig Pumpleistung, um das Vakuum zu halten“, sagt der Projektleiter Gabriele Semino. „Wir können uns also durchaus vorstellen, das System zu skalieren und langfristig Hunderte Kilometer davon zu bauen.“
Obwohl alle bisherigen Projekte auf Stahl setzten, entschied sich TUM Hyperloop für Hochleistungsbeton als Material der Röhre – trotz des zunächst höheren Preises. „Für kurze Strecken ist Stahl günstiger, weil die Einmalkosten für eine Betonröhre hoch sind“, sagt Domenik Radeck. „Aber für lange Strecken ist Beton die günstigere Variante. Man hat eine Form, die man immer wieder verwenden kann.“
Dass die Transportkapsel schwebt und nicht auf Rädern über Schienen gleitet, ist einer simplen Erfahrung geschuldet: „Räder funktionieren zwar erstaunlich gut, selbst bei diesen hohen Geschwindigkeiten von 800 bis 900 km/h“, erklärt Domenik Radeck. „Allerdings nur ein-, zweimal.“ Das heißt: Sie müssten ständig gewartet werden, was wiederum die Kosten treiben würde. „Deswegen haben wir uns für ein elektromagnetisches Schwebesystem entschieden.“ Der Pod hat während der Fahrt also keinerlei Kontakt mit der Röhre und wird von einem wandernden Magnetfeld beschleunigt – schon in der 24-Meter-Teststrecke ähnlich stark wie heutige U-Bahnen. „Würde man das fortführen, käme man innerhalb von ein paar Minuten auf die 800 bis 900 km/h.“
Das Passagiermodul erinnert von außen an die Shuttles aus Star Trek. Das moderne Interieur wiederum könnte von der Deutschen Bahn oder der Lufthansa stammen. Helle Wände und grauer Teppichboden. Dazu ein bisschen Holz, ein paar Pflanzen und ein großer Bildschirm anstelle von Fenstern. Vorne gibt es zwei Plätze zum Arbeiten am Laptop, hinten können sich die Reisenden auf einer Eckbank zusammensetzen. Ein „Wohlfühlort“ soll die Transportkabine sein, sagt Domenik Radeck.
Schon 2025 könnte die Ein-Kilometer-Röhre fertig sein
Auch wenn der Betrieb mit der 24-Meter-Anlage gerade erst beginnt, hat TUM Hyperloop schon das nächste Ziel vor Augen: eine Testrecke von ein Kilometer Länge, auf der Regelbetrieb mit Passagieren stattfinden soll und deren Entwicklung „nach ein paar Wochen Urlaub“, wie Gabriele Semino sagt, startet. Für die Fertigstellung wird das Jahr 2025 angepeilt. „Es muss sich aber noch herausstellen, welche Fläche es dafür gibt.“ Die Unterstützung der bayerischen Regierung hat das Projekt jedenfalls, wie Ministerpräsident Markus Söder auf 1E9-Nachfrage bestätigt.
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Jetzt Mitglied werden!Technologisch muss TUM Hyperloop für die längere Röhre noch zwei Probleme lösen: Zum einen braucht es eine Schleuse, damit die Gäste im Vakuum einsteigen können. Bei der jetzigen Anlage ist das nicht möglich, weshalb die Passagiere für Fahrten im Vakuum nach dem Einsteigen erst einmal eine Stunde warten müssen, bis die Luft aus der Röhre abgepumpt ist. Zukünftig soll dieses Abpumpen nur vor der ersten Inbetriebnahme von Röhren notwendig sein, da das Vakuum danach gehalten wird.
Zum anderen hat sich das Team die Konstruktion einer Highspeed-Weiche vorgenommen, sagt Domenik Radeck. Denn: „Wenn man kleine Pods hat, muss es die Möglichkeit geben, bei hoher Geschwindigkeit abzubiegen und aus Konvois auszubrechen.“
Auch für die Zeit nach der Fertigstellung der längeren Probestrecke hat TUM Hyperloop schon Visionen: Die Konzepte wie ein Hyperloop Hub aussehen könnte, der in Städte integriert werden könnte, sind schon fertig. Doch passt das alles damit zusammen, dass andere Hyperloop-Projekte wie Hyperloop One ihre Pläne für Passagierstrecken inzwischen eingestampft haben und sich auch Geldgeber von den Röhrenzügen zurückziehen? Gabriele Semino lässt sich von solchen Nachfragen nicht die Laune verderben – und weist daraufhin, dass TUM Hyperloop in Gegensatz zu vielen anderen Projekten kein Start-up, sondern eine Forschungsgruppe ist.
„Als das Hyperloop-Konzept 2013 vorgestellt wurde, dachten manche, dass es in wenigen Jahren über Hunderte Kilometer gebaut wird“, sagt er. „Aber es geht hier um eine Technologie, die erforscht werden muss und Zeit braucht, um reifer zu werden.“ Deswegen wolle man die Systeme jetzt Schritt für Schritt weiterentwickeln – „und langfristig natürlich auch kommerzialisieren“.
Titelbild: TUM Hyperloop
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