Bis der erste Hyperloop Menschen zwischen zwei Städten befördert, werden noch Jahre vergehen. Ein polnisches Start-up-Unternehmen will die Technologie deshalb nutzen, um bestehende Schienennetze mit der Magnetschwebetechnik aufzurüsten. Das soll mehr Effizienz und Kapazität bringen – und wichtige Strecken für eine Nachrüstung mit den Vakuumröhren vorbereiten.
Von Michael Förtsch
Der Traum vom Hyperloop hat einen Knacks bekommen. Ende des Jahres 2023 musste Hyperloop One aufgegeben. Das Unternehmen war bislang das aussichtsreichste und finanzstärkste, das die Röhrenbahn von der Vision zur Realität ausentwickeln wollte. Als erstes von mehreren Dutzend Hyperloop-Projekten beförderte es im Jahr 2020 zwei Menschen in einer Kapsel durch eine evakuierte Röhre. Erst im vergangenen Jahr glückte dies erneut geglückt – und zwar dem Hyperloop-Team der Technischen Universität München, das eine kurze Teststrecke auf dem Ludwig Bölkow Campus aufgebaut hat. hat.
Die Begeisterung für den Hyperloop ist nach dem Aus von Hyperloop One nicht gebrochen. Doch zeigte sich dadurch erneut, dass der Weg vom 2013 veröffentlichten Whitepaper bis zu einer für den Alltag nutzbaren Strecke noch weit ist.
Statt wie von verschiedenen Hyperloop-Firmen angekündigt in den 2020er-Jahren, gehen selbst die optimistischen Befürworter des 5th mode of transport nun davon aus, dass eine erste kommerzielle Strecke frühestens in den 2030er-Jahren zu erwarten ist. Das bringt manche Start-ups zum Umdenken. Dazu gehört auch das Unternehmen Hyper Poland, das mittlerweile in Nevomo umbenannt wurde. Wie auch Zeleros oder TUM Hyperloop wurde es von studentischen Teilnehmern der Hyperloop Pod Competition von Elon Musk gegründet. Teams aus aller Welt traten in den Jahren 2015 bis 2019 mit kleinen Prototypen von Hyperloop-Kapseln in einer eigens entlang des SpaceX-Hauptquartiers in Hawthorne angelegten Röhre gegeneinander an. Seit 2017 forschte Nevomo dann daran geforscht, wie ein europäischer Hyperloop aussehen und funktionieren könnte. Allerdings kam das Start-up dabei zur Erkenntnis, dass ein komplettes Hyperloop-System nicht ohne weiteres machbar ist. Zumindest nicht jetzt auf einen Schlag.
„Die Umsetzung würde sehr lange dauern“, sagt Stefan Kirch zu 1E9, der im September 2021 von der Deutschen Bahn zu Nevomo gewechselt ist. Das Problem liege nicht bei der Technologie. Der Hyperloop als Verkehrsmittel sei zweifellos machbar, auch wenn es noch Herausforderungen gebe. Das Problem sei eher die Infrastruktur. Ein eigenes Hyperloop-Netz mit unzähligen Kilometern von Röhren und Tunneln aufzubauen, wäre mit viel Zeit-, Arbeits-, Verwaltungs- und Finanzaufwand verbunden. Es würde Jahre bis Jahrzehnte dauern, um von einer ersten Strecke zu einem verzweigten Netz zu gelangen. Kirch, der für die Infrastruktur bei Nevomo verantwortlich ist, sagt: „Wenn man immer nur von A nach B fahren kann, ist das relativ witzlos“. Wenn der Hyperloop jedoch zu einem neuen Verkehrsmittel werden soll, müsse es ein Netzwerk von Strecken geben. Was also tun?
Die Lösung, die Kirch und die Gründer von Nevomo sehen: In Europa existiert bereits ein ausgedehntes und etabliertes Schienennetz, das Länder verbindet. „Das sind 300.000 Kilometer, die genutzt werden könnten“, sagt Kirch. „Sie verbinden Städte, Häfen, Logistikzonen. Damit kommst du überall hin.“ Warum also nicht den Hyperloop auf diesen Schienen verwirklichen –Stück für Stück?
Hyperloop, aber ohne Röhre?
Die konkrete Idee des polnischen Start-ups ist vergleichsweise simpel. In den vergangenen Jahren hat es ein eigenes Magnetschwebesystem und passende Transportkapseln für den Hyperloopkonstruiert. Ursprünglich waren diese für den Einsatz in evakuierten Röhren gedacht, wie es im 2013 veröffentlichten Whitepaper von Elon Musk beschrieben wird. Doch sie können auch ohne Vakuumröhren funktionieren, wenn auch nicht ganz so effektiv. Ohne Vakuum hemmt der Luftwiderstand die Beschleunigung und Geschwindigkeit. Schnell wären sie dennoch. Auf dieser Basis hat Nevomo ein System entwickelt, mit dem klassische Schienen mit der Magnetschwebetechnik nachgerüstet werden können.
Die sogenannte Magrail von Nevomo basiert auf passiver Levitation. Dazu wird zwischen den Gleisen ein sogenannter Linear-Motor-Stator verlegt. Das ist ein schlanker Streifen auf dem in festen Abständen Magnetmodule eingesetzt sind. Zusätzlich wird ein zweites Schienenpaar neben den bestehenden Schienen eingesetzt: die Levitationsgleise. Wenn eine Strecke entsprechend nachgerüstet ist, können die eigens von Nevomo entwickelten Kapselzüge darauf fahren, die etwa die Größe eines ICE-Waggons haben. In deren Fahrwerk sind Magnete eingesetzt, die so ausgerichtet sind, dass sie sich von denen der Magrail natürlich abstoßen.
Im Stand genügt diese Kraft nicht, um den Zug anzuheben. Zieht sich die Kapsel daher mit ihrem elektromagnetischen Mover über den Stator im Gleisbett, fährt sie zunächst wie eine normale Bahn über die Levitationsgleise. Sobald jedoch eine Geschwindigkeit von 64 bis 65 Kilometern pro Stunde erreicht wird, hebt sich die Kapsel abrupt um mehrere Millimeter an und fährt ab dann reibungslos. Dadurch sollen Geschwindigkeiten von bis zu 550 Kilometern pro Stunde mit den Kapseln möglich sein. „Etwa doppelt so schnell wie auf herkömmlichen Schienen und etwa halb so schnell wie mit einem Hyperloop“, sagt Kirch. Das Unternehmen hat bereits auf einer Teststrecke bewiesen, dass diese Technik grundsätzlich funktioniert.
Interessenten gibt es bereits
Mit der Magrail könnten bereits drei der vier Kernkomponenten, die einen Hyperloop ausmachen, im Einklang mit dem aktuellen Bahnsystem etabliert werden. Es ist nicht nur möglich, Schwebebahnen auf die Trassen zu bringen, sondern auch bestehende Bahnen und sogar einzelne Waggons so nachzurüsten, dass sie den Magnetpfad im Gleichbett nutzen können. Schweben können diese zwar nicht. Aber Bahnen könnten dadurch schneller beschleunigen und Waggons selbsttätig fahren. Wie Kirch offen zugibt, bietet dies Nevomo die Möglichkeit, ihre Technologie bereits jetzt gewinnbringend zu vermarkten. Es gehe jedoch auch darum, bestehende Infrastrukturen effizienter zu gestalten, die Transportkapazität zu erhöhen und zukunftsfähiger zu machen.
Laut der polnischen Firma könnte die Magrail-Technik Güterzüge befähigen, Steigungen schneller zu überwinden und mehr Tonnage zu transportieren. Wartende Züge könnten schneller wieder auf die Strecke zurückkehren, wenn sie beispielsweise auf ein Überholgleis wechseln müssten, um einen ICE passieren zu lassen. Insgesamt wäre es so möglich, die bestehende Infrastruktur besser auszunutzen, indem man die Beschleunigung und Geschwindigkeit erhöht und Züge mit höherer Frequenz fahren lässt. Die Fahrzeiten auf manchen Streckten könnten halbiert und die CO2-Emissionen drastisch reduziert werden. Dabei geht es jedoch nicht nur um die klassische Bahn. Auch in und um Hafenanlagen, Fabriken und Rangiereinrichtungen sieht das Unternehmen großes Potential, Transportprozesse zu automatisieren und zu beschleunigen.
Allerdings wäre das alles nicht günstig. Laut Nevomo kostet das Nachrüsten eines Kilometers mit der Magrail-Technologie rund 5 Millionen Euro. Daher sei die Technologie vor allem für Trassen und andere Orte geeignet, „wo ich eine hohe Frequenz, eine hohe Flexibilität“ brauche, kommentiert Kirch. Das Unternehmen hat jedoch bereits Interessenten, darunter die französische und italienische Bahn. In Deutschland möchte der Betreiber des Hafens von Duisburg die Magrail-Technologie testen. Laut Kirch könnte bereits im kommenden Jahr eine erste Pilotstrecke auf einem Hafen- oder Industriegelände eingeweiht und für die Nutzung freigegeben werden, um selbstfahrende Güterwaggons zu ermöglichen.
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Dass Nevomo jetzt seine Schwebetechnologie nutzen will, um bestehende Bahnstrecken nachzurüsten, heißt aber keineswegs, dass die Idee von der Röhrenbahn aufgegeben oder auf Eis gelegt ist. „Ich sage eher, wir haben den Hyperloop einfach anders eingetaktet“, sagt Kirch. „Wir arbeiten weiterhin an den Hyperloop-Technologien, aber modularer, eher nach dem Lego-Prinzip.“ Einige Bestandteile des Hyperloop-Prinzips sind bereits vorhanden und könnten ohne großen Widerstand integriert werden. Dies würde auch die Vorbereitung auf mögliche nachfolgende Module erleichtern.
Das Team hoffe, dass sich die Magrail-Technologie als nützlich erweist, sobald mehrere Strecken damit ausgestattet sind. Und dass es dann auch möglich wird, einzelne davon mit Röhren nachzurüsten – und zu echten Hyperloop-Tassen umzuwidmen, auf denen dann nicht 550 Kilometer pro Stunde, sondern über 1.000 Kilometer pro Stunde machbar sind. Einfach weil sich dort ein Hyperloop als die bessere Option erweist und sich gut in ein übergreifendes Verkehrsnetz einfügen kann. „Wir glauben, dass ein Hyperloop-Netzwerk nur so entstehen kann“, sagt Krich. „Wenn man es als Upgrade für die Eisenbahn sieht.“
Titelbild: Nevmo
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