Drohnen gegen Corona: Eine gut gemeinte Dystopie?

Mehrere Polizeibehörden rund um die Welt setzen auf Drohnen, um Menschen an Abstands- und Quarantäneregeln zu erinnern. Mittlerweile auch in Deutschland. Das mag gut gemeint sein. Jedoch sind robotische Fluggeräte, die mit körperlosen Stimmen sprechen genau das falsche Zeichen, meint 1E9-Redakteur Michael.

Ein Kommentar von Michael Förtsch

Das Corona-Virus hat unsere Welt und unseren Alltag binnen weniger Monate ziemlich verändert. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen haben sich mit dem Virus infiziert. Rund 177.000 Menschen sind an der Krankheit COVID-19 verstorben. Viele Experten arbeiten fieberhaft daran, herauszufinden, wie uns neue Technologien im Kampf gegen die Pandemie helfen können. 3D-Drucker, Roboter oder Mini-Computer wie der Raspberry Pi sind im Einsatz. Und: Flugdrohnen. In den USA, Australien und Finnland liefert das Google-Unternehmen Wing damit kontaktlos Waren an Besteller. In chinesischen Metropolen werden Transport-Drohnen genutzt, um Medikamente und medizinisches Gerät zwischen Hospitälern hin- und herzufliegen. Ebenso werden Agar-Drohnen in verschiedenen Städten umgerüstet, um groß flächig Desinfektionsmittel in öffentlichen Räumen zu verteilen. Doch vor allem werden Drohnen genutzt, um Menschen anzuschreien.

Ende Januar tauchte erstmals ein Video auf, in dem eine Drohne im ländlichen China herum surrt. Aus Sicht der Drohne ist zu sehen, wie eine ältere Dame mit herrisch-halliger Stimme aufgefordert wird, eine Maske zu tragen und so schnell wie möglich nach Hause zu gehen. Es war keine Drohne der chinesischen Regierung, sondern ein Influencer namens Guo Junjie, der, wie er selbst sagte, die „Ordnungsbemühungen der Behörden“ unterstützen wollte. Seitdem sind Polizeidienststellen aber durchaus ganz offiziell mit fliegenden Drohnen im Einsatz. In Spanien, Italien, Frankenreich, Dubai, den USA und Israel schwirren die Multikopter schon seit einigen Wochen herum, ferngesteuert von behördlichen Drohnen-Piloten. Aus der Luft überwachen sie Plätze, Straßen und Parks auf Verstöße gegen Versammlungsbote und Quarantäneverordnungen – und werden als Lautsprecher für Durchsagen und Verwarnungen eingesetzt.

Auch in Deutschland schweben die Drohnen mittlerweile durch Städte und Gemeinden – in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Laut FAZ und Welt werden die Drohnen beispielsweise in Dortmund und Düsseldorf „zur Information über die Gesundheitsgefahren bei Nichteinhalten des Kontaktverbots“ eingesetzt. Das heißt: Quadcopter wie die Mavic 2 Enterprise fliegen umher, ihre Piloten machen Personengruppen an beliebten Treffpunkten aus und fordern sie über voraufgezeichnete Ansprachen oder per Funkverbindung über den fest verbauten Lautsprecher dazu auf, sich zu zerstreuen oder zu gehen. Tatsächlich macht das die Arbeit für die Polizei leichter, die Einhaltung der derzeit geltenden Regularien zu überprüfen und durchzusetzen – ohne sich selbst einer möglichen Infektion auszusetzen. Aber: Das Bild, das entsteht, erinnert auch an düstere Science-Fiction-Dystopien.

Wer spricht wirklich?

Drohnen sind faszinierende Werkzeuge. Wer schon einmal selbst eine hochwertige Drohne gelenkt hat, der weiß, wie geschwind und elegant sich damit in der Luft herum sausen lässt – und, wie sie den Blick auf die Welt verändert. Denn fast alle modernen Drohnen kommen zumindest mit einer ziemlich okayen Kamera daher, die es ihrem Lenker ermöglicht, aus der Vogelperspektive herabzuschauen und zum Spion in den Lüften zu werden. Es lässt sich leicht über ein großes Gebiet ausmachen, wo Menschen gehen, stehen oder sitzen. Es lässt sich in Gärten und sogar Fenster spähen, die sonst nicht einsehbar sind. Einige Drohnen sind zudem ziemlich flink unterwegs und können dank Künstlicher Intelligenz und Kamerastabilisierung selbst bei einem wilden Flug eine Person oder einen Ort ohne Ruckelei im Blick behalten.

Natürlich werden solche Drohnen von der Polizei nicht im großen Stil eingesetzt. Sie werden nicht genutzt, um Menschen zu drangsalieren oder ausgiebig zu überwachen. Ihre Nutzung während der Corona-Pandemie ist eher ein Überwachungsschauspiel – das wohl auch eine mediale Abschreckungswirkung entfalten soll. Für viel mehr sind sie derzeit im behördlichen Rahmen auch einfach nicht nütze. Der Akku vieler Drohnen ist bereits nach 20 bis 30 Minuten erschöpft. Die kleinen Rotoren machen vergleichsweise viel Lärm und die Drohnen taugen damit – trotz der oben beschriebenen „Spionage“-Fähigkeiten – nicht gerade zum stillen Beobachter. Zum Transport einer Kamera mit langer Linse, die es möglich machen würde, Menschen aus großer Höhe eindeutig zu identifizieren, bräuchte es außerdem Drohen, die nicht nur klar hörbar, sondern auch schwerlich zu übersehen wären. Noch jedenfalls.

Trotzdem haben Polizei-Drohen, wie sie gerade eingesetzt werden, einen bitteren Beigeschmack. Sie wirken unheimlich, gruselig sogar – insbesondere jetzt und in dieser Krise. Sie lassen an TV-Serien wie Colony denken, in der außerirdische Drohnen die Menschheit unter steter Beobachtung halten. Oder William Gibsons Science-Fiction-Roman System Neustart, in dem nie genau zu sagen ist, wen die Schuhkarton-großen Mini-Flieger, die fast allgegenwärtig sind, nun verfolgen – oder für wen. Oder Drohnenland, in dem Tom Hillenbrand ein Europa zeichnet, das durch kleine Überachtungsdrohnen und Künstliche Intelligenz zum perfekten Überwachungsstaat verkommen ist. Oder auch Kill Decision von Daniel Suarez, in dem Drohnen nicht nur als Überwachungs-, sondern auch als Tötungsmaschinen dienen.

Entmenschlichung

Was Drohnen so unheimlich macht, ist jedoch nicht nur ihr Potential als Basis für Überwachungsmaschinerie, das mit jedem Fortschritt in der Batterie-, Elektromotoren- und Kameratechnik wächst. Sie sind, wenn sie über einer Gruppe von unbeschwerten Menschen schweben und urplötzlich „Achtung, Achtung hier spricht die Polizei!“-Aufforderungen und Ermahnungen quäken, der Inbegriff der anonymen und körperlosen Macht, die sich quasi aus dem Nichts materialisiert. Sie sind keine Person, der in die Augen geschaut werden kann, sondern eine entkörperte Stimme, die qua Präsenz eine Autorität beansprucht. Die Drohne erscheint als ein vollkommen gesichts-, mimik-, und emotionsloser Befehlsautomat. Selbst wenn ein Mensch einige hundert Meter entfernt an einer Fernsteuerung sitzen mag und die Aufforderung, sich zu zerstreuen im besten Sinne geäußert wird.

Genau das macht auch fassungslos und irritiert. Schließlich lässt sich, wie William Gibson 2010 in System Neustart so nachvollziehbar darstellte, nie sagen, ob nun wirklich eine Behörde oder vielleicht doch ein Unternehmen oder eine Privatperson die Drohne lenkt. Ob die Person hinter der Stimme wirklich fordern und Macht ausüben kann – oder ob es sich, wie in China, nur um einen Möchtegern handelt, der sich selbst zum verlängerten Arm der Regierung erklärt. Und auch wenn die Polizei, wie in Düsseldorf oder auch in Elizabeth, New Jersey, versichert, dass von den fliegenden Drohnen „keine Bilder gespeichert“ werden: Ob das wirklich so ist? Sicher sagen lässt sich das nicht. Vor allem da Polizeibehörden schon oft dadurch aufgefallen sind, das Daten gebunkert wurden, die offenbar nicht hätten gespeichert und vorgehalten durften. Auch jetzt während der Corona-Krise.

Natürlich sollte durch einzelne Drohnen, die derzeit durchaus berichtigte Hinweise übertragen, nicht gleich eine Dystopie heraufbeschwört werden. Aber – nicht nur, aber allen voran – die Behörden sollten sich vergegenwärtigen, dass sprechende und ermahnende Flug-Drohnen keine Werkzeuge darstellen können, die Vertrauen schaffen, sondern sowohl physische als auch auch emotionale Distanz aufbauen. Sie können und dürfen nicht den Polizisten ersetzen, der mit Mimik, Gestik und seiner eigenen Stimme spricht, der auf Rückfragen und Unsicherheit eingehen kann – und dabei Gesicht zeigt. Insbesondere in einer Zeit der Verunsicherung wie der Corona-Krise könnten Drohnen so das Gegenteil dessen erreichen, was Polizei und Behörden beabsichtigen. Drohnen zur Überwachung und zur Ansprache der Bevölkerung sollten kein Standardgerät werden. Sie sind in den Händen des Staates keine Werkzeuge des Vertrauens, sondern des Misstrauens und der Entmenschlichung. Und damit wären sie wohl doch in gewisser Weise ein Hinweis auf eine real gewordene Dystopie.

Teaser-Bild: Christopher Furlong / Getty

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Ja!
Weil die Drohne nicht nur etwas Nichtmenschliches, sondern auch etwas Übermenschliches hat. Sie kann fliegen und mich von oben beobachten. Insofern ist sie überlegen. Das war schon in der Vorstellung der griechischen Mythologie so. Die Götter im Olymp sind nicht unfehlbar, aber mächtig und sehen alles von da oben. Zweifelhaft nur was sie von dort runter schicken…die hatten meines Wissens auch nicht so gute Manieren.

Vorschlag zum Vertrauensaufbau: Könnten sich die Dronenpiloten nicht via Dronenlautsprecher erst mal persönlich mit Namen in freundlichem Ton vorstellen? So wie es die höfliche Etikette mal verlangte? Damit man weiß, dass man es trotz Propeller mit etwas Menschlichen zu tun hat, das es gut meint.
Der Drohnen-Knigge schadet bestimmt nicht in der Dystopie. :slight_smile:
Und könnte ernsthaft helfen die Distanz wegen mangelnder Präsenz der Person auszugleichen.

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Das könnte sicher helfen.

Problematisch aber: Natürlich weiß man weiterhin nicht, ob das dann auch so stimmt, was die Drohne da von sich gibt. Und um bei deiner Götteranalogie zu bleiben, die mir sehr gefällt: Die Drohne wird dann lediglich vom Gott zum Metatron.

Ich weiß aber auch nie, ob es so stimmt was mir Menschen erzählen. Da muss ich mich auf meine Intuition verlassen. Und das Gefühl für die Authentizität und Aufrichtigkeit der Motivation der Drohne könnte, in Ermangelung lesbarer Mimik und Gestik des technischen Objektes, zumindest ansatzweise durch eine freundliche Stimme und nette Konversation bestärkt werden. Auch wenn es nie das gleiche ist natürlich und schwierig bleibt…Das ist klar. Aber ich würde trotzdem nach ner Verbesserung suchen wollen.

Metatron :-), ja auch schöner Vergleich. Der ist aber auch komplex an Bedeutung, . Jedenfalls sehr mächtig.

Ein sehr vorbildlicher und freundlicher Engel ist der, der den Hirten auf dem Feld erscheint (Lukas-Evangelium) und etwas verkündigen will. Die Hirten haben in Anbetracht der mächtigen Erscheinung erst mal Angst. Aber der Engel eröffnet die Konversation mit einem empathischen: „Fürchtet Euch nicht!“

Voll ernst gemeinte „freundliche“ Grüsse :wink:

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Schöne Bilder, die mir im Kopf entstehen und würde mich freuen wenn ein Kunst / Dronen- Enthusiast sich einer Installation annehmen würde und solche Szenen einfach mal realisiert. Erzeugt bestimmt interessante Erfahrungen zwischen Mensch und Maschine :robot:

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Ja ich bin auch für Drohnenkunst!
Und Drohnenmusik! :musical_note: :loud_sound:

Das Schwirren der Propeller klingt unbehaglich. Da Schnurren einer Katze klingt allerdings äußerst behaglich. Ein verändertes Sounddesign der Drohne könnte ihrer Akzeptanz helfen. Auch wenn sie nicht wie relaxte fliegende Stubentiger klingen werden, die Drohnen werden zu den Soundscapes (Murray Schafer) der Zukunft gehören.
David Toop hat in den 90er Jahren mit „Ocean of Sound“ eine Compilation rausgebracht. Der Track von Aphex Twin ist auch drauf und klingt in meinen Ohren nach „netten“ Drohnen. Toop schrieb auch ein schönes Buch als Theorie über die Klänge unserer Welt dazu.
Ich fände ein Werk namens „Sky of Sound“ super, vllt können die Soundscapes der Drohnen ja von Mensch und Maschine zusammen komponiert werden?

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Drohnenkunst ist ja fast wieder ein Thema für sich - vor allem, da es mittlerweile sehr, sehr breit ist.

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Das Beispiel ist eine Inszenierung. Eine faszinierende. Ich persönlich würde solche Drohnen-Shows in den Bereich des Designs verorten, die Grenzen zwischen Kunst und Design sind ja aber bekanntlich unscharf und die Meinungen sind sicherlich verschieden. Ich bin Szenografin und liebe solche Entwürfe.

Doch Kunst, als unabhängige explorative Sphäre, in der man die Schnittstelle Mensch-Maschine erforschen kann, mit ästhetischen Mitteln, wie Klang, wäre primär keine Erlebnisszenografie für einen Grossanlass. Es wären eher Experimente. Die könnten Zukünfte ausloten, von denen nicht alle Verwendung finden wollen. Aber es könnte die „Alltage der Zukunft“ verbessern… ich würde es mir zumindest wünschen.

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