Roboter kommen im Kampf gegen das Coronavirus zum Einsatz, aber sie können noch nicht genug


Viele Menschen können trotz der Corona-Pandemie weiterarbeiten – im Home Office. Aber was ist mit denen, die in Supermärkten und Fabriken im Einsatz sind oder in Krankenhäusern ihr Leben riskieren? Damit auch sie in Zukunft ins Home Office ausweichen können, brauchen wir Roboter, die zu physischen Avataren von Menschen werden können. Vorläufer davon sind bereits gegen das Coronavirus im Einsatz. Leider sind ihre Fähigkeiten noch begrenzt.

Von Wolfgang Kerler

Der Höhepunkt der Epidemie war in Wuhan bereits überstanden, als das chinesische Start-up CloudMinds vor knapp zwei Wochen seine Roboter dorthin schickte. In der Station einer kurzfristig eingerichteten Klinik kamen sie für ein paar Tage zur Betreuung von 200 Patienten zum Einsatz. Diese mussten wegen einer Corona-Infektion in Quarantäne, zeigten aber noch keine schwerwiegenden Symptome.

Ein gleichwertiger Ersatz für menschliche Mitarbeiter waren die sechs verschiedenen Robotermodelle zwar nicht. Doch zumindest die Routineaufgaben, die auf dieser Station anfielen, konnten sie dem überarbeiteten Krankenhauspersonal abnehmen: das Verteilen von Medikamenten oder Essen, das Einsammeln von Abfällen und benutzter Bettwäsche, die Reinigung und Desinfektion einzelner Bereiche oder die Identifikation von Patienten mit erhöhter Temperatur.

„Es ist Chinas erste vollständig von Robotern betriebene Station und eine Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit der Technologie und die Zusammenarbeit [von Menschen und Robotern] zu testen“, sagte Bill Huang, der CEO von CloudMinds, laut BBC .

CloudMinds WuhanDer Roboter, der in einer Klinik in Wuhan zum Einsatz kam, soll sich gut desinfizieren lassen. Bild: CloudMinds

Manche der eingesetzten Roboter, der CloudPepper etwa, sehen eher menschlich aus und sollen mit kleinen Tanzeinlagen zwischendurch für ein bisschen Unterhaltung in der Quarantäne-Station gesorgt haben. Andere ähneln eher rollenden Boxen.

Über ein lokales 5G-Netz konnten die menschlichen Krankenhausmitarbeiter die Maschinen aus sicherer Distanz überwachen und steuern. Allerdings waren diese auch in der Lage, selbst zu navigieren, da sie auf den Lageplan der Station zugreifen konnten, der auf ihrem Cloud-Server lagerte. Smarte Armbänder oder Ringe lieferten außerdem Daten über Herzschlag und Temperatur der Patienten an das Terminal des medizinischen Personals.

Nach wenigen Tagen wurde das Testprojekt beendet – allerdings nicht, weil die Roboter nicht lieferten, sondern weil die Fallzahlen in der Region um Wuhan, wo die Corona-Pandemie wohl ihren Ausgang nahm, stark zurückgingen. Die Behelfsklinik wurde nicht mehr gebraucht. Sollte sich daran etwas ändern, stünden die Roboter aber sofort wieder bereit, hieß es von CloudMinds.

Das Projekt aus Wuhan ist längst nicht das einzige Beispiel dafür, wie vor allem in China Roboter gegen das Coronavirus eingesetzt werden. Mehrere chinesische Hospitäler wollen auf die selbstfahrenden Desinfektionsroboter des dänischen Start-ups UVD Robots setzen. Diese zerstören mithilfe von ultraviolettem Licht die DNA oder RNA von Mikroorganismen wie Viren, die sich auf Oberflächen eingenistet haben. Seit Jahren wird UV-Licht zu diesem Zweck eingesetzt – zuvor nur nicht in Verbindung mit Robotern.

In Hongkong werden kleinere, kastenförmige Roboter eingesetzt, um die U-Bahn ohne menschliche Hilfe vor Ort zu desinfizieren. Auch der Technologiekonzern Siemens entwickelte an einem chinesischen Standort einen – optisch an einen kleinen Panzer erinnernden – ferngesteuerten Desinfektionsroboter, der „klassisches“ Desinfektionsmittel verteilt. Und auch ferngesteuerte Drohnen versprühen an mehreren Orten in China Desinfektionsmittel.


Der selbstfahrende Desinfektionsroboter von UVD setzt UV-Licht ein. Inzwischen liefert das dänische Start-up jede Woche neue Geräte per Luftfracht nach China. Das Ziel: 2.000 damit ausgerüstete medizinische Einrichtungen.

Neue Roboter könnten Home Office für Krankenhauspersonal ermöglichen

All diese Beispiele sind bemerkenswert, belegen aber eines ganz klar: Die Roboter, die uns derzeit zur Verfügung stehen, können nur einen kleinen Beitrag zur Entschärfung der Situation leisten. Diese Krise werden wir nur überstehen, weil viele Menschen bereit sind, persönliche Risiken einzugehen, um die Gesellschaft vor Schlimmerem zu bewahren.

In zukünftigen Krisen sollte sich das ändern. Könnte es auch. Denn wie die Beispiele dennoch zeigen, wird bereits an Robotern gearbeitet, die so etwas wie Home Office auch für Menschen ermöglichen könnten, die ihre Arbeit bisher nur vor Ort erledigen können. Sei es im Lebensmittelgeschäft, im Industriebetrieb – oder eben im Krankenhaus.

Es geht darum, Menschen von gefährlichen Orten fernzuhalten, indem sie aus sicherer Umgebung die Roboter steuern können

Dafür braucht es sogenannte Telepräsenzroboter, die weit mehr sind als nur Webcams auf Rädern, an die frühe Modelle im Klinikeinsatz erinnerten. Die Roboter müssen zu physischen Avataren der Menschen werden. Sie müssen selbstständig durch unsere komplexe Welt manövrieren können, ohne Schaden anzurichten. Sie benötigen „empfindsame Hände“, mit denen sie mal sanfter und mal fester zugreifen können. Und sie sollten über eine Vielzahl von Sensoren verfügen, mit denen sie den bedienenden Menschen in der Ferne einen genauen Eindruck von der Situation vor Ort vermitteln können.

„Es geht darum, Menschen von gefährlichen Orten fernzuhalten, indem sie aus sicherer Umgebung die Roboter steuern können“, erklärte mir Oussama Khatib, Robotik-Professor an der Stanford University, vor eineinhalb Jahren. „Die Roboter werden zwar sehr smart darin sein, mit der Welt zu interagieren. Doch sie brauchen den menschlichen Verstand und die menschliche Erfahrung, um koordinierte Entscheidungen zu treffen.“


Oussama Khatib und sein Stanford-Team haben bereits einen Roboter entwickelt, der einen Menschen an einem gefährlichen Ort „vertreten“ kann und die Gefühle seiner Hände an den Menschen, der ihn steuert, weitergeben kann. Er heißt Ocean One und kann tief ins Meer tauchen, zum Beispiel um archäologische Fundstücke zu bergen.

Der Schlüssel liegt also nicht in Robotern, die nur von künstlicher Intelligenz gesteuert werden, sondern in Robotern, die von menschlicher Intelligenz angeleitet werden. An so einem Roboter arbeitet auch das Münchner Start-up Devanthro, das an der Technischen Universität entstanden ist. Der Name der sympathischen Zukunftsmaschine: Roboy.

Sein „stolzer Vater“ Rafael Hostettler und das Roboy-Team bekamen es schon früh mit dem neuartigen Coronavirus zu tun. Denn Roboy 3.0 hätte eigentlich beim Mobile World Congress in Barcelona präsentiert werden sollen. Doch die Riesenveranstaltung wurde gecancelt. Diese Absage unterstreiche, „wie wichtig die Technologie ist, an der wir gerade jetzt arbeiten“, schrieb Rafael Hostettler damals bei LinkedIn.

Roboy nimmt am ANA Avatar XPRIZE teil – einem Wettbewerb, der nach Avatar-Systemen sucht, die einen Menschen in Echtzeit an einen anderen Ort transportieren. Ohne ihn tatsächlich zu transportieren. „Man fühlt und interagiert mit der Welt, als wäre man irgendwo anders, bleibt aber tatsächlich in der Sicherheit seiner aktuellen Umgebung“, schrieb der Roboy-Macher. „Das funktioniert, indem man einen Anzug anzieht, der an einen Roboter überträgt, wie man sich bewegt, und der einen fühlen lässt, was der Roboter fühlt, sehen lässt, was dieser sieht und hören lässt, was dieser hört.“

Ein chinesischer Roboterarm, der vom Arzt ferngesteuert wird

Die von Rafael Hostettler beschriebene Technologie wäre, sobald sie einsatzbereit ist, ideal, um Menschen bei Epidemien oder Pandemien vor Infektionen zu schützen – allen voran natürlich medizinisches Personal. Mithilfe von Telepräsenzrobotern könnten Ärzte und Pflegekräfte die Patienten auf Quarantänestationen fast so versorgen, als wären sie dort. Von überall auf der Welt. Einen Schritt in diese Richtung stellt nun ein Roboterarm dar, der gerade an der Tshinghua University in Peking entwickelt wurde.


Nach mehrwöchiger Entwicklungszeit stellten chinesische Forscher diesen Roboterarm vor, der Ärzte vor Infektionen schützen soll

Ein Team von Wissenschaftlern der renommiertesten Universität Chinas präsentierte die Maschine Anfang März. Es handelt sich um einen robotischen Arm, der auf einen fahrenden Tisch montiert ist. Er kann von Ärzten aus der Ferne gesteuert werden und Aufgaben übernehmen, die Fingerspitzengefühl erfordern und für die anderen in Wuhan eingesetzten Roboter noch zu komplex sind: Ultraschallaufnahmen anfertigen, Abstriche im Mund nehmen oder den Patienten abhören.

„Ärzte sind sehr mutig“, sagte Zheng Gangtie, der Designer des Roboters, zu Reuters . „Aber dieses Virus ist einfach zu ansteckend. Wir können Roboter die gefährlichsten Aufgaben übernehmen lassen.“ Die Idee kam ihm demnach, als Wuhan bereits abgeriegelt war und sich Berichte über infizierte Ersthelfer häuften. Also trommelte Zheng Gangtie sein Team zusammen, um mechanische Roboterarme mit derselben Technologie, die sonst für Raumstationen oder Mondexpeditionen eingesetzt wird, umzurüsten.

Nun stehen zwei Exemplare bereit, einer soll schon in Wuhan im Einsatz sein. Größere Stückzahlen sind derzeit aber unwahrscheinlich – denn ein Roboterarm kostet 72.000 Dollar und das Budget der Universität ist erst einmal aufgebraucht. Vielleicht sollten die Forschungsbudgets für Robotik aufgestockt werden, um für die nächste Krise besser gerüstet zu sein – damit möglichst viele Menschen aus sicherer Distanz ihrer Arbeit nachgehen können.

Titelbild: Auch die R80-Roboter der chinesischen Firma XAG wurden eingesetzt, um möglicherweise kontaminierte Flächen zu desinfizieren. Bild: XAG

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