Die deutsche Wissenschaft presst ihre Ausgründungen zu oft aus

Das Problem in Deutschland ist bekannt: Aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden nicht genug erfolgreiche Technologie-Start-ups ausgegründet. Daran sind die Institutionen aus Sicht von Thomas Sattelberger mit schuld, da sie zu hohe Beteiligungen an den Spin-outs verlangen. Für eine gründliche Analyse und Bearbeitung dieser Schieflage bräuchte es verlässliche Zahlen – doch es herrsche Intransparenz.

Ein Gastbeitrag von Thomas Sattelberger

Der etablierten Wirtschaft hierzulande mangelt es an Innovation. Das lässt sich zumindest etwas kompensieren, wenn schnell neue Ökonomie entsteht. Gelingen wird das aber nur, wenn der volkswirtschaftliche Lebenszyklus von Anfang bis Ende intakt ist. In Deutschland jedoch ist dieser Zyklus – von Gründungsappetit über Gründung, Skalierung zu frischem Mittelstand, Expansion zum Konzern, Revitalisierung, Stagnation und endgültigem Aus – gestört. Altes überlebt, Neues kommt nicht nach!

Forschungsbasierte Technologie-Spin-outs sind Nadelöhr

Vor allem bei forschungsgetriebenen Hightech- und Deeptech-Ausgründungen erleben wir derzeit Tiefstände. Und unter Deutschlands Hidden Champions ist nur ein Zehntel jünger als 60 Jahre und die meisten unserer mittelständischen Weltmarktführer wurden vor 1950 gegründet. Zwei Drittel sind in Traditionsbranchen tätig.

Ruhm und Ehre sei allen unbenommen. Aber die Gründungs- und Wachstumsquote der Republik ist erschreckend niedrig. Es bedürfte dringend eines neuen Geschäftsmodells für Deutschland, eines Tech-Mittelstands 2.0, zu dem die deutsche Forschung Existenzielles beitragen müsste, dabei aber weitgehend versagt. Von digitalen Plattformen und E-Commerce à la Zalando wird Deutschland nicht genesen. Gefragt sind Deeptech insbesondere auf den Feldern Biotech, New Space, Künstliche Intelligenz und Internet of Things sowie ClimateTech. Doch dazu benötigt man exzellenten Transfer von Forschung in Kommerzialisierung.

Trotz kümmerlichem Transfer Spin-outs ausquetschen?

Im April 2018 hielt ich bei der Technologie-Allianz, die Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Patentverwertungsagenturen und weitere Transferdienstleister als politische Interessensvertretung zu einem bundesweiten Netzwerk vereinigt, einen Vortrag mit dem Titel „Gründungsleidenschaft der Wissenschaft?“. Schon das Fragezeichen sorgte für Unruhe. Erkühnte sich doch ein damaliger Oppositionspolitiker ein Tabu zu adressieren.

Ich sagte den rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass das Ergebnis ihrer Arbeit im internationalen Vergleich mehr als dürftig sei. Nicht nur hinsichtlich der professionellen Qualität und des Tiefgangs des Technologietransfers, sondern auch des quantitativen Outputs an Ausgründungen, Patenten und wirklichem skalierendem Geschäft, welches nicht nur Umsatz, sondern auch innovatives Wachstum und innovative Beschäftigungsperspektiven schafft. Hier haben wir in Deutschland massive Probleme. Bei einigen Institutionen, insbesondere bei Fraunhofer, habe ich intensiv mitgeholfen, diese medial aufzudecken.

Eine Schlüsselfrage ist, was die Forschungseinrichtungen von ihren Ausgründungen im Tausch für das geistige Eigentum, das diese nutzen bzw. „mitnehmen“ wollen, verlangen – in Form von Anteilen an den Start-ups. Wird stille Beteiligung moderat eingefordert? Oder will die Wissenschaft laute unternehmerische Beteiligung aus ihren Ausgründungen herauspressen?

Bei den Briten sind Fakten zu finden

Seit langem – schon als Staatssekretär – fordere ich maximal zehnprozentige Beteiligungsquoten von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen an ihren Spin-outs. Wo immer möglich mit virtuellen Anteilen für geistiges Eigentum („IP for virtual shares“), sodass weder die Liquidität und unternehmerische Leidenschaft der jungen Gründerinnen und Gründer noch die künftige Investitionsbereitschaft von Wagniskapitalgebern Schaden nimmt.

Hochinteressant in diesem Zusammenhang ist eine Studie aus Großbritannien. Eine Grafik darin zeigt, dass britische Universitäten 2013 eine Durchschnittsbeteiligung von 24,8 Prozent an ‚ihren’ Spin-outs aufwiesen, die 2017 mit 26,9 Prozent ihren Höchststand erreichte. Bei strukturellem Abwärtstrend liegt der Wert 2022 bei nur noch 17,8 Prozent.

Britische Top-Universitäten: deutliche Unterschiede

Die Universität Oxford hat zwar fast 40 Prozent mehr Spin-outs als Cambridge, aber die Skalierung ist signifikant geringer. Wagniskapitalgeber der Frühphase und Deeptech-Investoren erklären dies zum Teil damit, wie viel Gesellschaftsanteil die zwei Universitäten ihren Spin-outs abnehmen.

Daten der britischen Vermögensverwaltungsplattform Beauhurst weisen darauf hin, dass Oxford anfänglich im Durchschnitt 24,3 Prozent an Equity nimmt, während es bei Cambridge mit 12,6 Prozent deutlich weniger ist. Damit werden die Gründungen aus Oxford für Investoren später signifikant unattraktiver. Deshalb ist es interessant, dass die von der britischen Regierung eingesetzte Kommission zur Untersuchung dieser Sachverhalte – so etwas gibt es in Deutschland nicht einmal in Ansätzen – die Schlussfolgerungen von Beauhurst und des Venture-Capital-Fonds Air Street Capital, der die oben genannte Studie herausbrauchte, teilt: Nämlich, dass moderate Beteiligungen an Forschungsausgründungen deren Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg steigern.

In Deutschland diskutieren wir ohne Datenbasis

In Deutschland diskutieren wir bei solchen Themen nur planlos herum: überzeugungsbasiert, nicht faktenbasiert. Da sind Universitätspräsidenten von Spitzenuniversitäten glücklich darüber, wenn sie deutlich mehr als 20 Prozent herausholen. Da gingen außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bis fast an die 50-Prozent-Marke ran. Geizig und fordern, weil beide nicht strategisch in Gründungsportfolios denken, sondern offenbar glauben, Gründungen einzeln ausquetschen zu müssen.

Innovating Innovation: Es ist überfällig, dass die Transfer-Allianz nach fast sechs Jahren Erkenntnis endlich Daten dazu vorlegt. Sie behauptet, eine gute Indikatorik entwickelt zu haben, doch zu entdecken sind solche Werte nirgends. Ist Transparenz hier möglicherweise gar nicht gefragt? Transfer ist nur dann hilfreich für unsere Nation, wenn der IP-Transfer „worry free“ ist. Oder soll weiter ausgequetscht werden?

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Das ist leicht zu ändern. Statt auf Institutionen zu hoffen etwas zu tun, kann man einfach die Datenbasis von Airstreet Capital, wie im Text angesprochen nutzen und weiter ausbauen. Deren Initiative Spinout.fyi ist open source und jeder kann einfach beitragen und „seine“ Daten hinzufügen:

Vielleicht solltet ihr einen direkten Outreach an Startups, deren Investoren und Unis / Tech-Transfer Offices machen.

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