Warum kommen kaum große Tech-Unternehmen aus Deutschland und Europa? Laut dem liberalen Wirtschaftswissenschaftler Justus Enninga liegt das Problem unter anderem in der Migrationspolitik – und in der Kultur.
Ein Interview von Fritz Espenlaub
Das aktuelle KI-Wettrennen findet zwischen Microsoft und Google statt, auf staatlicher Ebene zwischen den USA und China. Europäische KI-Unternehmen sind bis auf wenige Ausnahmen kaum in den Schlagzeilen. Woran liegt das?
Justus Enninga forscht am King‘s College London und an der New York University zu Institutionenökonomik und arbeitet für das marktliberale Prometheus-Institut. Seine zentrale Antwort: Europa ist für innovative Unternehmensgründer nicht attraktiv genug. Aber das ließe sich ändern.
1E9: OpenAI, Google, Microsoft – gerade dominieren Technologie-Unternehmen mit ihrem Wettkampf um die beste Künstliche Intelligenz die Nachrichten. Und wie immer kommen fast alle Firmen, über die wir sprechen, aus den USA, nicht aus Europa. Wo siehst du die Gründe dafür?
Justus Enninga: Wenn wir nach den großen Innovationen fragen, die tatsächlich zu Produktivitätswachstum führen, dann sehen wir, dass Europa und die USA bis in die 2000er-Jahre hinein relativ nah beieinander lagen. Wenn man sich, zum Beispiel, die Lissabon-Strategie aus dieser Zeit anguckt, dann geht es darin darum, dass man Europa zum innovativsten, wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt machen wollte.
Aber jetzt, 20 Jahre später haben wir zwischen den USA und Europa diesen riesigen Abstand im Wirtschaftswachstum und vieles, was man sich damals vorgenommen hat, ist gescheitert. Ab den 2000ern ist in Europa etwas weggebrochen. Man hat diese neue industrielle Revolution, wie wir sie im Tech-Bereich sehen, einfach verschlafen – und auch nicht mehr geschafft, wieder anzuschließen.
Die USA sind tatsächlich das Land, das mehr Erfinder ins Land importiert hat als alle anderen Länder der Welt zusammen.
Woran könnte das liegen?
Justus Enninga: Als Ökonom würde man erstmal auf den polit-ökonomischen Rahmen verweisen, auf den Regulierungsrahmen, der in Europa anders ist als in den USA. In den Daten können wir sehen: die USA sind tatsächlich das Land, das mehr Erfinder ins Land importiert hat als alle anderen Länder der Welt zusammen.
Es ist unfassbar, was die USA – die ja momentan durchaus mit einer migrationsfeindlichen Politik assoziiert werden – in den letzten 20 Jahren geschafft haben. Sie haben unheimlich viele Erfinder ins Land geholt, die tatsächlich dazu beigetragen haben, dass in den USA mehr gegründet wird.
Ein Drittel der Patentanmeldungen in USA kommt von Migranten, 40 Prozent der amerikanischen Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften waren Migranten und 55 Prozent aller US-Start-ups mit einem Wert von einer Milliarde wurden von Migranten gestartet.
Das heißt, man hat es geschafft, sich die smartesten Leute der Welt ins Land zu holen – und die smartesten Leute wollen in die USA. Deutschland und Europa dagegen haben es einfach nicht geschafft, ein attraktiver Platz zu sein, um all diese smarten Menschen, gerade auch aus Schwellen- und Entwicklungsländern, anzuziehen.
Die mangelnde Attraktivität für innovative Einwanderer ist für dich also einer der Gründe, warum Europa und Deutschland heute weniger innovativ sind als die USA. Warum wollen denn so wenige Erfinder nach Deutschland?
Justus Enninga: Ein Unterschied zwischen Deutschland und den USA, aber auch England ist, dass der Durchschnittssteuersatz hier relativ hoch ist. Wenn man hochqualifizierte junge Ausländer ins Land holen möchte, um hier produktiv zu sein, muss man ihnen ein attraktives Angebot machen.
Ich glaube, Deutschland lebt noch in einer Fantasiewelt. Man glaubt, Migranten würden alle super gerne hierhin kommen. Wer aber auch nach England oder in die USA gehen könnte, entscheidet sich vielleicht gegen Deutschland und für diese Länder – auch wegen der Besteuerung.
Allein an den Steuern kann es aber auch nicht liegen, oder? Die Rahmenbedingungen hier sind ja gar nicht so verkehrt: Es gibt viele Universitäten und es wird Geld in die Hand genommen für Innovationsförderung.
Justus Enninga: Bevor wir über solche Rahmenbedingungen sprechen, müssen wir auch über das kulturelle Mindset sprechen. Denn wohin gehen denn Unternehmer, Erfinder und Gründer? Und wohin gehen auf der anderen Seite im klassischen Sinne Angestellte?
Es ist ein kulturelles Problem, dass in Deutschland die ganze Zeit über den Fachkräftemangel gesprochen wird, als bräuchten ausschließlich Daimler, Bosch und VW mehr gut qualifizierte Angestellte. Man spricht selten über Erfindermangel oder Unternehmermangel. Ich denke, die USA sind allein schon in der Rhetorik und in der Wahrnehmung ein unternehmerfreundlicheres Land.
Die richtigen Regeln und Gesetze reichen also nicht für eine erfolgreiche Migrationspolitik, es braucht auch die richtige Kultur?
Justus Enniga: Die Ökonomin Deirdre McCloskey spricht von Liberty und Dignity, die wichtig sind, um eine ökonomisch erfolgreiche Gesellschaft zu haben. Unter Liberty fallen die tatsächlichen regulatorischen Rahmenbedingungen, dass man Menschen einfach machen lässt, Individuen machen lässt. Sie nennt es auch den Bourgeois Deal: If you leave me alone, I will make you rich. Das ist quasi der liberale ökonomische Rahmen, der eine Rolle spielt.
If you leave me alone, I will make you rich.
Im Begriff der Dignity steckt aber auch die Idee, dass es tatsächlich ein würdevolles Leben ist, als Erfinder, Innovator, Unternehmer zu leben. Und ich glaube, wenn man sich in den USA die Debatten anschaut, wie Begriffe wie Marktwirtschaft oder Unternehmertum besetzt sind, ist es deutlich positiver als in Deutschland.
Das heißt, es spielt beides eine Rolle. Und ich glaube, beides ist in den USA einfach attraktiver für Innovatoren als in Deutschland.
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Jetzt Mitglied werden!Was wären denn ganz konkrete Politikmaßnahmen, die Europa oder Deutschland jetzt sofort umsetzen könnten, um innovativer zu werden? Was sind diese Low Hanging Fruits?
Justus Enninga: Die größte Low Hanging Fruit sehe ich in der Liberalisierung der Einwanderungspolitik, um es Menschen zu ermöglichen, hier sich selbst und damit das Land reich zu machen.
Man spricht als Ökonom auch von Milliarden-Euroscheinen, die auf dem Bürgersteig liegen und die man einfach aufheben kann, indem man das Land attraktiver macht für hochqualifizierte Migranten. Da ist es gerade in Deutschland ein Riesenproblem, dass der bürokratische Aufwand einfach extrem hoch ist.
Wenn man mit einem Masterabschluss aus Indien nach Deutschland kommt, wieso bekommt man dann nicht einfach innerhalb von ein paar Wochen ein Visum, um hier arbeiten oder gründen zu können?
Wie könnte man Menschen, die schon hier sind und mit innovativen Start-ups auf den Markt gehen wollen, besser unterstützen?
Justus Enninga: In Deutschland oder in Europa sollte man sich Gedanken machen, es den Leuten nicht mit noch mehr Regeln noch unattraktiver zu machen, innovativ zu sein. Wenn man sich anschaut, was zum Beispiel die europäische Datenschutzgrundverordnung, die DSGVO, angerichtet hat.
Im Google Play Store sind ein Drittel aller Apps verschwunden, nachdem die DSGVO eingeführt wurde und in den folgenden Quartalen ist die Anzahl der neu eingeführten Apps um die Hälfte gefallen. Man hat gerade den kleineren, den innovativen Unternehmen mit Auflagen wie der DSGVO extreme Hürden in den Weg gelegt. Das sind Dinge, aus denen man lernen sollte.
Es macht Europa auch berüchtigt dafür, im Gegensatz zu den USA ein tech-feindlicher Standort zu sein.
Doch wir machen immer weiter damit. Wenn man sich den Digital Markets Act oder den Digital Services Act der EU anschaut, damit macht man es für Unternehmen in Europa immer schwerer, tatsächlich erfolgreiche Tech-Unternehmen zu werden.
Das heißt nicht, dass man keinen regulatorischen Rahmen braucht. Aber diese hochspezifischen Gesetze, die, wenn man ehrlich ist, auf gewisse Unternehmen zielen und eben keine gute liberale Ordnungspolitik mehr sind, machen Europa als Standort unattraktiv. Und es ist nicht nur so, dass es dann regulatorisch schwieriger wird, sondern es macht Europa auch berüchtigt dafür, im Gegensatz zu den USA ein tech-feindlicher Standort zu sein.
Bei der KI-Revolution, die wir gerade erleben, kritisieren allerdings viele, dass es zu wenig Regulierung gibt. Das AI Safety Movement warnt vor einem Wettrennen mit ungewissem Ausgang, weil es sich bei KI um eine Technologie handelt, die unfassbar schwerwiegende Folgen haben könnte. Kann Regulierung gerade bei besonders innovativen und schwer einzuschätzenden Technologien nicht auch ihren Sinn haben?
Justus Enninga: Das stimmt und ist tatsächlich superspannend. Nicht nur bei KI, sondern auch bei biomedizinischer Forschung zum Beispiel, wo man sich im Vorhinein Gedanken machen sollte, wie man regulieren soll. Ich bin tatsächlich noch skeptisch, ob KI wirklich diese Durchschlagskraft haben wird, wie das von manchen KI-Forschern oder öffentlichen Advokaten einer stärkeren a priori Regulierung prognostiziert wird.
Ich denke aber, wir müssen wirklich aufpassen, um nicht im Vorhinein die positiven Dinge, die uns KI bringen kann, wegzuregulieren. Dafür muss KI erst mal zeigen, was sie kann. Programme wie ChatGPT helfen uns ja tatsächlich, ein besseres Leben zu leben.
Wenn es uns darum geht, auch die Gefahren von KI zu erforschen – warum schafft man es nicht, das in Deutschland attraktiver zu machen?
Und, tut mir leid, dass ich schon wieder auf die Migrationsfrage zurückkommen muss und wie attraktiv Deutschland oder Europa als Standort sind: Die USA bilden ungefähr 20 Prozent der KI-Forscher weltweit aus. Gleichzeitig schaffen sie es aber, dass 60 Prozent aller KI-Forscher der Welt in den USA arbeiten.
Wenn es uns darum geht, auch die Gefahren von KI zu erforschen – warum schafft man es nicht, das in Deutschland attraktiver zu machen? Natürlich klingt man schnell wie so ein neoliberaler Ökonom, wenn man niedrigere Steuern fordert.
Aber wenn man in einem globalen Wettbewerb um diese Talente steht, um KI so zu gestalten, wie wir glauben, dass sie die Welt tatsächlich besser machen kann, warum macht man es nicht attraktiver für diese Leute, das auch hier zu tun? Da spielt Migrations- und Steuerpolitik eben auch eine extrem große Rolle.
Die Befürworter von mehr KI-Regulierung sagen: Bei einer möglichen Singularität steht so viel auf dem Spiel, dass man sich keine Fehler erlauben kann. Deshalb lieber aus Versehen zu viel Regulierung als zu wenig – anders als bei vielen klassischeren Technologien. Wie beurteilst du dieses Argument?
Justus Enninga: Das ist eine sehr, sehr gute Frage, die diskutieren wir hier an der Fakultät auch extrem viel. Mich hat es einfach noch nicht überzeugt, weil man so krass mit dem Stock im Dunkeln rumstochert, dass man gar keine Wahrscheinlichkeiten zuteilen kann, also wie wahrscheinlich jetzt gewisse Ereignisse sind, ob uns KI tatsächlich in eine positive Singularität führt oder eine negative Singularität.
Hätten wir die gleiche Debatte schon vor der industriellen Revolution gehabt und hätten wir angefangen da a priori zu regulieren, zum Beispiel die Dampfmaschine oder Fabriken, dann in der zweiten industriellen Revolution Motoren und Flugzeuge, hätten wir all diese Dinge vielleicht nie erfunden.
Wir sind aber dieses Risiko eingegangen. Ich halte es für sehr schwierig, so ein Risiko Assessment zu treffen, ohne Wahrscheinlichkeiten zuordnen zu können. Ich mache mir nicht so große Sorgen um die KI, sondern glaube, dass man sie auch im Nachhinein noch regulieren kann.
Aber ich sehe natürlich auch die Gegenargumente, die die sehr smarten Leute auf der kritischen Seite vorbringen. Nur dadurch, dass wir gar keine Wahrscheinlichkeit zuordnen können, müssen wir, glaube ich, das Risiko eingehen. Denn es gibt auch so viele andere Probleme, die existenzbedrohend sind für unsere Welt, wo uns KI helfen kann, diese zu reduzieren.
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