Was einige Unternehmen mit Millionen- und Milliardeninvestitionen versuchen, will ein kleines Team aus Dänemark mit Spenden und Freizeitarbeit bewältigen. Copenhagen Suborbitals möchte eine Rakete samt Kapsel bauen, um einen Menschen ins All und danach wieder wohlbehalten zur Erde zu bringen. Die ersten Kandidaten für den Ritt stehen schon bereit.
Von Michael Förtsch
Die Halbinsel Refshaleøen liegt im westlichen Hafenteil von Kopenhagen, der dänischen Hauptstadt. Dort wurden einst die Schiffe der Großwerft Burmeister & Wain vom Stapel gelassen. Über 150 Jahre hatte das Traditionsunternehmen zunächst Handelsschiffe, dann Tanker und riesige Frachter produziert. Bis Burmeister & Wain im Jahre 1996 nach finanziellen Engpässen und einer Aufspaltung des Unternehmens aufgeben musste. Heute werden in den blechernen Büro- und Lageranlagen auf dem früheren Werftgelände dröhnende Heavy-Metal-Konzerte wie Copenhell veranstaltet, experimentelle Edelrestaurants und hippe Kaffeeröstereien betrieben. Und dann werden dort auch noch Raketen gebaut. Denn im hinteren Teil einer grasgrünen Halle, in der einst die Hüllen von Schiffen lackiert wurden, liegt die Werkstatt von Copenhagen Suborbitals.
Auf 630 Quadratmetern schweißen, flexen und löten dort Ingenieure, Informatiker, Elektriker, Lehrer, Projektmanager, Webdesigner, Kindergärtner aber auch Bank- und Verwaltungsangestellte und zahlreiche weitere Menschen aus allen möglichen Berufs- und Gesellschaftsgruppen. Denn Copenhagen Suborbitals ist, anders als es der Name vermuten lässt, kein gut finanziertes New-Space-Start-up. Es ist das größte weil auch einzige Amateurweltraumprogramm der Welt. „Wir machen das alles in unserer Freizeit“, sagt Mads Stenfatt zu 1E9. Er arbeitet eigentlich als Finanzanalyst bei der Danske Bank, fungiert bei Copenhagen Suborbitals aber als Verantwortlicher für die Fallschirm- und Rückholsysteme. „Gerade arbeiten wir uns an unsere große Herausforderung heran. Wir wollen einen Menschen ins All bringen.“
Mord und das All
Gestartet wurde Copenhagen Suborbitals im Jahre 2008 – vom Architekten und einstigen NASA- und Mars-One-Berater Kristian von Bengtson sowie einem Ingenieur, dessen Person und Tun der Verein heute nur noch ungern kommentiert. Es handelte sich nämlich um Peter Madsen. Der war nicht nur Raketen-, sondern auch U-Boot-Enthusiast und hatte 2017 die Journalistin Kim Wall getötet, die über ihn und sein Selbstbau-U-Boot UC3 Nautilus berichten wollte. Zu dieser Zeit hatte er aber nichts mehr mit Copenhagen Suborbitals zu tun. Sowohl Kristian von Bengtson als auch Madsen hatten sich bereits 2014 vom Verein getrennt. „Natürlich hatten sie einen großen und langen Einfluss auf unser Projekt“, sagt Mads Stenfatt heute. „Aber was wir erreicht haben, davor und danach, waren auch unsere Erfolge, unsere Leistungen.“
Und das waren so einige. Das rund 50 Köpfe starke Team hat bereits mehrere Raketen und über 25 Raketenmotoren von Grund auf konzipierte, getestet und abgefeuert. Schon 2011 starteten sie die HEAT-1X, eine über neun Meter lange und über 1,6 Tonnen schwere Rakete. Sie hievte den Prototyp einer rudimentären Raumkapsel aus Blech, Kork und Plexiglas samt Test-Dummy in 2,8 Kilometer Höhe. Darauf folgten die Raketen Smaragd und Sapphire, die bereits über acht Kilometer hochschossen. Zuletzt starteten die Dänen am 4. August 2018 die Rakete Nexø 2, die 6,5 Kilometer hochstieg und anschließend nahezu intakt geborgen werden konnte.
Das sind beeindruckende Leistungen, für die die Dänen sowohl von Amateurkollegen als auch von Profis gefeiert werden. Bis zum Weltraum müssten sie aber noch ein ganzes Stück weiterkommen. Der beginnt bei der sogenannten Kármán-Linie in 100 Kilometern Höhe. Aber: „Unsere letzten Starts haben uns gezeigt, dass wir das schaffen können. Die Raketen waren Technologiedemonstratoren, wenn man so mag“, sagt Mads Stenfatt zuversichtlich. „Wir haben uns selbst bewiesen, dass wir alle Systeme selbst bauen können, die wir brauchen, um an die Grenze zum All zu kommen – und einen Menschen bis dorthin mitzunehmen.“
Die Stahlrakete Spica soll das All erreichen
Die Rakete, die den Dänen im Weltall zur Realität machen soll (der erste Däne wäre es jedoch nicht, das war Andreas Enevold Mogensen), soll die Spica werden. Mit 13 Metern Höhe, 95 Zentimetern Durchmesser und einem Gewicht von vier Tonnen wird sie die bis dato größte Amateurrakete sein. Der Bau hat bereits begonnen. Gefertigt wird die Spica zu weiten Teilen, wie auch Elon Musks Starship, aus Edelstahl, der mit einem selbstgebauten CNC-Plasmaschneider in Form gebracht wird. Als Treibstoff werden Ethanol und flüssiger Sauerstoff herhalten, die ein schwenkbares Triebwerk befeuern sollen, das die Hobbyraumfahrern seit 2016 zu perfektionieren versuchen.
Die erste Spica wird aber noch nicht in den Weltraum, sondern „lediglich 30 bis 40 Kilometer hochfliegen“ – und das ohne Mensch an Bord –, sagt Mads Stenfatt. Denn es soll zunächst festgestellt werden, ob sich die vergleichsweise große Rakete überhaupt sicher unter Kontrolle bringen lässt. „Aber wir sind sicher, dass das der Fall sein wird“, sagt Stenfatt. Denn bei den Subsystemen und Steuereinheiten wird es sich vielfach um verbesserte Fassungen aus den Nexon-Raketen handeln.
Dennoch wird der erste Start der Spica wohl erst um das Jahr 2021 stattfinden. Es geht momentan nämlich nur langsam voran. „Unsere Probleme sind nicht die Technik oder mangelnde Fähigkeiten“, sagt der Finanzanalyst Stenfatt. „Wir sind hingegen gerade in einem Kaufstopp. Wir stellen unsere Teile schneller her als wir Material nachkaufen können. Denn gerade haben wir kein Geld dafür.“ Als reines Hobbyprojekt hat Copenagen Suborbitals nämlich kein Konto mit üppigen Investorengeldern zur Verfügung, sondern ist auf regelmäßige Spenden von Fans und Förderern aus der ganzen Welt angewiesen.
Ohne Spendengelder geht es nicht
Das Budget der NASA für „Human Space Flight Operations“, „Launch Services“ und „Rocket Propulsion Tests“ für das Jahr 2020 beträgt zusammen 213,19 Millionen Euro. Wenn Copenagen Suborbitals seine derzeitigen Spender treu bleiben, haben die Dänen jährlich nur rund 96.000 Euro zur Verfügung – was angeblich weniger als 10 Prozent des NASA-Budgets für Kaffee entspricht. „Das Geld kommt von Menschen, die es gut finden, was wir machen, die sehen wollen, wie weit wir kommen“, sagt Stenfatt. „Wir haben damit viel Glück und sind echt dankbar.“ Um die 8.000 werden ihnen pro Monat durch regelmäßige und einmalige Spenden überwiesen.
Davon wollen dann aber nicht nur Materialien und Werkzeug (und, klar auch Kaffee), sondern auch die Mietkosten für die Werkstatt, Heizkosten und Strom bezahlt werden „Mit begrenzten Mitteln auszukommen, das ist ein Kern unseres Tuns. Was wichtig ist, ist daher, niemals aufzuhören, nachzudenken und zu improvisieren“, erklärt Stenfatt. Das Team versuche, wo „die großen Jungs“ ganz selbstverständlich exotische Materialien und High-Tech-Werkstoffe nutzen, einen deutlich günstigeren, einfacheren und damit manchmal sogar eleganteren Weg zu finden. Dabei seien das World Wide Web und Smartphones mit die größte Hilfe.
„Ohne das Internet wäre unsere Mission gar nicht denkbar“, sagt Stenfatt. „Denn nicht alles, was wir benutzen, kannst du einfach im Baumarkt um die Ecke kaufen oder selbst herstellen.“ Vieles davon lasse sich heute aber über größere, kleinere und manchmal sehr exotische Händlerwebsites, Kleinanzeigen oder auch Internetforen besorgen. Darunter war kürzlich ein Hochdrucktank, den das Team über Wochen gesucht und letztlich für nur 800 Euro in China gefunden hat. Andere Teile holen sie aus alten Smartphones, von Ersatzteilhändlern und Elektronikzuliefern. Darunter beispielsweise Beschleunigungssensoren, Gyroskope und GPS-Chips, die, wie Mads sagt, „in der Apollo-5-Rakete ganze Sektionen ausfüllten, aber heute in fast allen Telefonen stecken.“
Der bemannte Start der Spica ist in zehn Jahren geplant
Beim jetzigen Tempo, das hofft der dänische Raketenbauverein, könnte der bemannte Start in rund zehn Jahre bevorstehen. Bevor tatsächlich jemand auf die Reise geschickt wird, sollen mindestens zwei perfekte Probestarts mit der Spica-Rakete absolviert werden. „Wir müssen wirklich sicher sagen können, dass beim Start mit dem Astronauten alles safe ist und nichts schief gehen kann“, bestärkt der Raketenbauer und Fallschirmexperte. „Wenn wir davor noch ein paar Leute finden, die uns kräftig unterstützen, geht es vielleicht etwas schneller. Das wäre großartig.“
Selbst wenn die Dänen keine allzu große Eile haben, befinden sie sich dennoch in einem Wettrennen mit einem starken Kontrahenten. „Ja, das ist witzig: Wir sind mit unserem Hobbyprojekt der Anwärter auf den Titel um die vierte Nation, die einen Menschen ins All bringt. Und damit stehen wir in direkter Konkurrenz zu Indien“, lacht Stenfatt. Tatsächlich haben bislang nur Russland, die Vereinigten Staaten und China mit eigener Technik eigene und fremde Astronauten ins All gebracht. „Das ist schon ziemlich irre“, fährt Stenfatt fort. „Aber selbst wenn wir nur die fünfte Nationen werden, die das schafft, wäre das schon fantastisch. Ich denke, wir könnten auch dann noch ziemlich stolz auf uns sein.“
Wie der bemannte Start ablaufen würde, ist schon geplant. Genau wie bei vorherigen Abschüssen würde die Rakete von Kopenhagen zur 180 Kilometer entfernten Insel Bornholm verschifft. Dort befindet sich ein militärisches Übungsgelände, wo die Rakete bei Fehlern keinen großen Schaden anrichten kann. Der Astronaut oder die Astronautin würde nach dem Ankommen, die oben an der Rakete angebrachte Kapsel besteigen und müsste dann warten – lange warten. Denn gestartet wird von einer Plattform auf dem offenen Meer. Und dort muss die Rakete erst einmal hingeschleppt und dann das zeitliche Startfenster abgepasst werden – falls in der Zwischenzeit nichts schief geht.
Auch sonst wäre es für den potentiellen Raumfahrer nicht sonderlich gemütlich. Die Kapsel ist kleiner und enger als jene, die einst Juri Gagarin als ersten Mensch und Alan Shepard als ersten US-Astronauten ins All gebracht hatten. Wer auch immer hochfliegt, muss daher mit angewinkelten Beinen wie auf einem Besenstiel sitzen. Ansonsten, sagt der Raketenbastler, wäre der Trip von der körperlichen Belastung her aber „nicht anspruchsvoller als eine Fahrt in einer Achterbahn“.
„Wenn wir unseren großen grünen Knopf drücken, zündet die Rakete, dann beschleunigt sie für 60 bis 90 Sekunden“, schlüsselt Stenfatt auf. Anschließend würde sie „an die Atmosphäre stoßen“ und die Kapsel ausklinken. Für zwei bis fünf Minuten würde der Däne im Weltall die Schwerelosigkeit erleben. „Wenn alles so läuft, wie wir wollen, wird man aber vor allem einen großartigen Blick auf Dänemark haben“, hofft Stenfatt. „Das ist eigentlich der Grund, warum wir all das tun. Das wird spektakulär.“ Kurz darauf würde die Kapsel zur Erde zurückgezogen, fallen und letztlich mit einem Fallschirm im Meer landen, um aufgefischt zu werden.
Kandidaten stehen schon bereit
Wer der Däne im Weltraum werden soll, steht noch nicht fest. Aber Kandidaten gibt es durchaus schon. Nämlich Mads Stenfatt selbst, den Kindergärtner Carsten Olsen und dessen Tochter, die Biotechnologiestudentin Anna Olsen. „Wer den Flug aber nun macht, das muss noch entschieden werden. Wir wissen noch nicht einmal, wie wir es auslosen sollen“, meint Mads Stenfatt. „Doch bis es akut wird, ist es ja auch noch eine Weile hin und natürlich können noch weitere Kandidaten dazukommen. Wichtig ist nur, dass wir das machen und jemand vom Team da rauf kommt.“
Was nach dem bemannten Raumflug für Copenhagen Suborbitals anstehen könnte, ist noch nicht entschieden. Das Projekt damit einfach zu beenden stehe jedoch nicht im Raum. Denn das wäre ja „verdammt langweilig“. Aber auch die Idee, aus Copenhagen Suborbitals ein echtes Start-up zu machen, erscheint dem Team eher abwegig. „Wir wollen zeigen, dass man nicht auf das Geld von Regierungen angewiesen oder ein großes Unternehmen sein muss, um so etwas [wie einen Raumflug] zu erreichen“, sagt Mads Stenfatt. „Wir machen das, weil wir es wollen und toll finden, nicht um damit Geld zu verdienen.“
Reizend als nächster Schritt wäre jedoch für Mads Stenfatt selbst und einige weitere der Raketenbauer, „wenn wir irgendwann das Sub aus unseren Namen streichen und zu Copenhagen Orbitals werden könnten.“ Heißt: Es ginge dann darum, nicht nur einen Menschen ins All zu bringen, sondern ihn auch im Orbit komplett um die Erde fliegen zu lassen. Aber momentan liegt der Fokus ganz klar auf der Rakete Spica und dem ersten dänischen bemannten Raumflug. „Einen Menschen ins All und sicher zurück zu bringen, das ist für uns vorerst schwierig genug“, lacht Stenfatt. „Aber wir schaffen das. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit … und des Geldes, bevor wir jemanden in den Weltraum schicken.“
Teaser-Bild: Sarunas Kazlauskas
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