Kann ein Team dänischer Amateure einen Menschen ins Weltall bringen?

Ein kleiner Verein aus Dänemark arbeitet an der größten Rakete, die jemals von Amateuren gebaut wurde. Sie soll einen Menschen in den Weltraum bringen und Dänemark zur Raumfahrtnation machen. Der größte Konkurrent bei diesem Rennen ins All ist Indien, das den Dänen zuvorkommen will.

Von Michael Förtsch

Die letzten zwei Jahre waren hart. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich viel geändert. Viele Menschen arbeiten nun öfter zu Hause, vermeiden unnötige Kontakte oder sind zumindest vorsichtig geworden, wenn es darum geht, mit mehreren Personen im gleichen Raum zu arbeiten. Das kann eine ziemliche Herausforderung sein. Vor allem wenn man daran arbeitet, einen Menschen mit einer Rakete in den Weltraum zu befördern. „Es nervt, um es mal diplomatisch auszudrücken“, sagt Mads Stenfatt, der aber nicht bei SpaceX, Blue Origin oder der NASA arbeitet, sondern eines der derzeit rund 50 Mitglieder von Copenhagen Suborbitals ist.

Das kleine Team aus der dänischen Hauptstadt wurde im Jahr 2008 als Verein für Hobby-Raketenbauer gegründet. Seitdem startete es mehrere Raketen, die zu den größten und stärksten Raketen zählen, die nicht von professionellen Luft- und Raumfahrtunternehmen stammen. Erst 2018 feuerte Copenhagen Suborbitals mit der Nexø 2 eine 6,7 Meter hohe Rakete mit einem Flüssigkeitstriebwerk ganze 6.500 Meter in den Himmel. Dieser Flug, so beeindruckend er war, war für die Truppe nur ein Test. Denn ihr eigentliches Ziel ist bereits seit einigen Jahren ein deutlich größeres: Sie will mit einer eigens gefertigten Trägerrakete einen dänischen Staatsbürger über die Kármán-Linie hieven. Wer sie überschreitet, gilt als Astronaut. Damit soll Dänemark nach Russland, den USA und China zur vierten Nation werden, die das mit eigener Technologie erreicht.

„Ja, sicher, man muss etwas verrückt sein“, sagt Mads Stenfatt, der im Alltag als Finanzverwalter beim Sanitärarmaturenhersteller Grohe arbeitet, aber auch passionierter Fallschirmspringer ist. „Wir machen das auch, weil es eine echte Herausforderung ist; etwas, das echt schwer ist und uns immer wieder vor Probleme stellt, die wir lösen müssen. Das ist Teil der Faszination und des Spaßes.“ Als 1E9 vor drei Jahren das erste Mal über Copenhagen Suborbitals berichtete, hatte gerade die Arbeit an der Rakete begonnen, die irgendwann die menschliche Besatzung in den niedrigen Erdorbit feuern soll. Das Spica getaufte Geschoss soll 13 Meter in der Höhe messen und sein Sauerstoff-Ethanol-Raketenmotor soll eine Schubkraft von rund 11,97 Tonnen entwickeln. Und vor allem: Ähnlich wie die Falcon-9-Raketen von SpaceX ist Spica so konzipiert, dass sie mehrmals fliegen kann.

Wenn sie fertig ist, wird sie die größte, stärkste und erste wiederverwendbare Rakete sein, die von Amateuren gefertigt wurde.

Mads Stenfatt

„Wenn sie fertig ist, wird sie die größte, stärkste und erste wiederverwendbare Rakete sein, die von Amateuren gefertigt wurde“, sagt Stenfatt. Doch bis es soweit ist, wird es noch eine Weile dauern. Vor allem wegen Corona. Denn im hinteren Teil einer grasgrünen Halle im Hafen von Kopenhagen, wo sonst von über einem Dutzend Personen gehämmert, geflext und geschweißt wird, war es zuletzt sehr ruhig. Deutlich ruhiger als es dem Team lieb war. „Mehrere Monate ging bei uns fast gar nichts – unsere Werkstatt war geschlossen. Aber jetzt geht es wieder voran“, sagt der Däne. „Wir haben unser grobes Design [für die Rakete] beisammen. Wir haben die zwei Tanks fertig und verbunden, für den Sauerstoff und den Alkohol.“ Die aus drei Millimeter dicken Stahlplatten gefertigten Tanks haben auch schon erste Druck- und Stabilitätstests überstanden.

Mittlerweile können auch die ersten Bestandteile für den Raketenmotor gefertigt werden, den das Team BPM-100 getauft hat. „Er nimmt langsam Form an“, beschreibt Stenfatt. „Wir hoffen, dass wir den Motor bis zum Sommer zünden können. Das wäre immerhin schon etwas.“ Auch die Fallschirmsysteme, die Rakete und Kapsel einen sanften Aufprall garantieren sollen, wären auf dem Papier finalisiert und könnten nun genäht werden. Für sie ist Stenfatt verantwortlich. „Sie müssen mehr Masse tragen und bei einer höheren Fallgeschwindigkeit funktionieren als alles, was wir bisher haben“, erklärt der Faltschirmenthusiast. Insgesamt sollen Kapsel und Raketenbooster von je drei 19 respektive 36 Quadratmeter durchmessenden Schirmen sicher aufs offene Meer gebracht werden.

Verlorene Monate

Wann Spica das erste Mal fliegen wird, das ist nicht sicher. „Wir haben noch einiges zu tun“, sagt Stenfatt und lacht. „Ursprünglich war der Teststart für Sommer 2021 angesetzt – aber dann kam COVID. Wir hoffen immer noch auf Spätsommer dieses Jahres, aber das wird knapp.“ Wann auch immer die Spica-Rakete ihren Jungfernflug erlebt: Es geht nicht sofort in den Weltraum – und schon gar nicht mit einem Menschen an Bord. „Das wäre etwas riskant“, so der Däne. Stattdessen soll die Rakete bei ihrem Abschuss von einer Schwimmplattform in der Nordsee zunächst auf 30 bis 40 Kilometer Höhe kommen – mit einem Dummy namens Rescue Randy an der Spitze. Gelingt dieser Start soll ein zweiter folgen, der höher hinausgeht. Und noch ein weiterer, der nochmals einige Kilometer drauflegt. Schließlich muss das Team sicher gehen, dass die Tanks halten, der Raketenmotor stets zuverlässig funktioniert und auch die Steuerelektronik verlässlich tut, was sie soll.

Nahezu alles an der Rakete wurde von den Teammitgliedern selbst entwickelt. Denn einfach Bauelemente und Elektronik kaufen, das geht bei Copenhagen Suborbitals nur selten. Die Mittel sind begrenzt. Finanziert wird das komplette Projekt durch Spenden. „Wir können nicht einfach Hunderttausende oder Millionen auf den Tisch knallen, wenn wir ein Problem haben“, sagt Stenfatt. Das Budget des Teams liegt gerade mal bei rund 100.000 Dollar pro Jahr – je nach Zahl der Förderer mal mehr, mal weniger. Dazu sei das Team mit 50 Mitgliedern vergleichsweise klein, was auch die Arbeitsaufteilung dann und wann erschwert. „Die Leute, die den Raketenmotor bauen sind die gleichen, die eigentlich die Kapsel bauen sollen“, sagt Stenfatt. Daher existiert die Kapsel bislang nur als „grobe Metallform“ mit einer Plexiglashaube.

Diese Unwägbarkeiten und Stolpersteine sieht das Team aber auch als Vorteil. „Wir müssen kreativ sein und wirklich darauf achten, wie wir unsere Ressourcen nutzen“, argumentiert der Hobby-Raketenbauer. Der Astronautensitz für die Raumkapsel, der beim kommenden Teststart den Dummy in Position halten soll, wurde beispielsweise kurzerhand aus Restteilen zusammengeschustert, die noch in der Werkstatt herumlagen. „Das ist nicht schick“, sagt Stenfatt. „Aber es funktioniert fürs Erste.“ Bei einem früheren Raketenprojekt wurde eine Rohrleitung über mehrere Stunden mit einem Hammer zurechtgezimmert, statt speziell eine anfertigen zu lassen. Und einige der Elektronikelemente für die Navigations- und Positionssysteme holen die Bastler einfach aus alten Smartphones.

Der Konkurrent heißt Indien!

Wie Stenfatt eingesteht, ist die Geld- und Ressourcenknappheit aber natürlich nicht immer nur eine reizende Herausforderung, sondern hin und wieder auch einfach nur frustrierend. Manchmal müsse das Team bis zum nächsten Monat und damit die neue Spendenüberweisung warten, um Material kaufen zu können, das für einen weiteren Arbeitsschritt gebraucht wird. Und wenn ein Bauteil beschädigt wird, ist das natürlich weitaus dramatischer und einschneidender, als wenn SpaceX einen Prototypen seines Starships versehentlich in die Luft sprengt. Auch aus diesen Gründen wird der bemannte Flug noch auf sich warten lassen – selbst wenn der komplette Plan für den Start schon ausgeklügelt ist.

Von einer Sputnik genannten Schwimmplattform nahe der Insel Bornholm soll die Rakete starten und mit bis zu 3.800 Kilometer pro Stunde in den Himmel schießen. In rund 90 Kilometern soll sich die Kapsel von der Rakete trennen und auf 105 Kilometer Höhe rauschen. Mads Stenfatt selbst, der Kindergärtner Carsten Olsen und dessen Tochter Anna Olsen sind jene, die derzeit im Rennen um den Sitzplatz in der Kapsel sind. „Wer auch immer in der Kapsel sitzt, wird 15 Minuten herrlicher Stille und Schwerelosigkeit erleben“, sagt der Finanzverwalter. „Und die Aussicht wird wohl auch echt gut sein.“ Nach den 15 Minuten beginnt die Kapsel zurück zur Erde zu fallen. Dabei erreicht sie eine Geschwindigkeit von bis zu 3.200 Kilometer pro Stunde. Wie auch die Rakete soll sie auf dem Rückweg von mehreren Fallschirmen gebremst werden und in der Ostsee landen, wo sie dann von einem Schiff geborgen wird.

Wir konkurrieren mit Indien! Das ist schon irre.
Mads Stenfatt

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Bei alldem kann sehr viel schief gehen. „Daher müssen wir sehr sorgfältig, sehr überlegt arbeiten“, betont Mads Stenfatt. „Es geht dann nicht nur um eine Rakete, sondern auch einen Menschen, der in der Kapsel sitzt.“ Beim derzeitigen Entwicklungs- und Arbeitstempo könnte der bemannte Start der Spica frühstens Ende dieses Jahrzehnts erfolgen. Realistischer sei aber: zu Beginn des kommenden Jahrzehnts. „Ich habe vor drei Jahren gesagt, dass wir es wohl in zehn Jahren schaffen“, meint Stenfatt. „Und ich muss auch jetzt sagen: in zehn Jahren. Aber eigentlich ist es schwer, da irgendeine Vorhersage zu treffen. […] Was ich sagen kann: Ich glaube, wir packen das – auch wenn es dauert!“

Etwas Sorge bereitet den dänischen Amateurraumfahrern nur ein großer Konkurrent. Indien treibt mit großem finanziellem und personellem Aufwand sein bemanntes Raumfahrtprogramm voran und will möglichst bis 2025 einen indischen Staatsbürger mit eigener Rakete ins All schicken. Schafft Indien das, wäre es das vierte Land, das einen eigenen Staatsbürger mit eigener Technologie ins All schickt und nicht Dänemark. „Ich kann mir vorstellen, dass sie in den letzten drei Jahren mehr Fortschritte gemacht haben als wir“, sagt Stenfatt lachend. „Wir konkurrieren mit Indien! Das ist schon irre. Aber auch wenn sie uns schlagen: Der fünfte Platz in diesem Rennen ist auch noch gut, denke ich. Dafür müssten wir uns nicht schämen.“

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