Stellt euch vor, ihr könntet im Supermarkt nicht nur die Preise von Lebensmitteln, ihre Zutaten oder Kalorien vergleichen, sondern auch die Menge an Treibhausgasen, die für ihre Produktion in die Atmosphäre geblasen wurden. Würdet ihr anders einkaufen? Die Befürworter einer Klima-Kennzeichnungspflicht meinen: ja. Wir erklären, wer diese Pflicht fordert, wie ein Start-up die Berechnung des CO2e-Ausstoßes erleichtern will, und wollen wissen, was ihr von der Kennzeichnungspflicht haltet.
Von Wolfgang Kerler
Sonst verbreitet der schwedische Haferdrink-Hersteller Oatly mit seiner Werbung vor allem eine Botschaft: Oatly stelle Milch her, die – im Gegensatz zur Kuhmilch – wirklich für den Menschen gemacht sei. Im vergangenen Herbst startete die Firma dann aber eine durch und durch politische Kampagne, für die sie deutsche U-Bahnhöfe und ganze Hausfassaden plakatieren ließ: „Unterschreibe die Petition, damit CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln Gesetz wird“, war zu lesen. Und die Aktion hatte Erfolg.
Die Petition, von der die Rede war, ging an den deutschen Bundestag. Sie forderte, dass auf der Verpackung von Lebensmitteln in Zukunft nicht nur die Zutaten oder die Kalorien angegeben werden müssen, sondern auch, wie viele klimaschädlichen Treibhausgase durch deren Herstellung ausgestoßen wurden. Und sie schaffte pünktlich das Quorum von 50.000 Unterschriften. Bis zum 12. November 2020 unterstützten 57.067 Menschen die Forderung. Das heißt nicht, dass die Kennzeichnungspflicht automatisch Gesetz wird. Aber ein Ausschuss des Parlaments muss sich mit dem Thema beschäftigen.
Oatly konnte sich auch deswegen mit so viel Engagement hinter die Petition stellen, da die eigenen Milchersatz-Produkte tatsächlich einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck haben als die von der Firma immer wieder kritisierte Kuhmilch. Genauer gesagt: einen niedrigeren CO2e -Fußabdruck. Das „e“ signalisiert dabei, dass andere schädliche Klimagase in dem Wert ebenfalls berücksichtigt werden, umgerechnet in die entsprechende Menge CO2. So wird in der Rechnung ein Kilogramm Methan zu 21 Kilogramm CO2, da es 21-mal mehr Potential hat, die Erderwärmung voranzutreiben.
CarbonCloud berechnet für Oatly den CO2e-Fußabdruck
Bei der Herstellung von einem Liter „Haferdrink Calcium“, zum Beispiel, fallen CO2e-Emmissionen von 0,29 Kilogramm an. Bei der „Barista Edition“ sind es 0,42 Kilo. Diese Angaben finden sich zum Teil auf den Verpackungen der Oatly-Produkte, zum Teil bisher nur auf der Webseite. Zum Vergleich: Ein Liter fettarme Milch verursacht einen Ausstoß von 1,06 Kilogramm, ein Liter Vollmilch (mit drei Prozent Fett) sorgt für 1,28 Kilogramm an Treibhausgasen. Berechnet wurden all diese Werte vom schwedischen Start-up CarbonCloud, eines von mehreren Unternehmen, die den Klima-Fußabdruck von Lebensmitteln ermitteln.
Der Chef von CarbonCloud, David Bryngelsson, erklärt im Gespräch mit 1E9, wie seine Firma dabei vorgeht. „Im Prinzip ist es einfach. Wir nehmen ein Produkt aus dem Supermarktregal und fragen uns: Was war nötig, um es so hierher zu bekommen?“, sagt er. „Dann wird es allerdings komplizierter, weil die Wertschöpfungsketten oft aus vielen einzelnen Schritten bestehen.“
Wo wurden die Zutaten angebaut? Wie viel Dünger wurde verwendet? Wie hoch ist der Ertrag der Ernte? Wie weit waren die Transportwege? Kamen Elektrofahrzeuge oder Verbrenner zum Einsatz? Wie wird die Fabrik mit Strom versorgt? Diese und viele ähnliche Fragen müssen beantwortet werden, um am Ende einen Wert wie 0,29 Kilogramm CO2e auf eine Packung drucken zu können.
Da es unbezahlbar wäre, jeden einzelnen Produktionsschritt von Menschen oder Sensoren erfassen zu lassen und auf jede Variation bei der Herstellung von Lebensmitteln einzugehen – schließlich ist nicht jeder Acker gleich weit von der Fabrik entfernt –, vereinfacht CarbonCloud die Berechnung in zweifacher Hinsicht, genau wie andere Firmen und Institutionen.
„Zum eine ermitteln wir, zum Beispiel beim Transport, durchschnittliche Wege, die zurückgelegt werden müssen“, erklärt David Bryngelsson. „Zum anderen greifen wir auf nationale Statistiken über die Landwirtschaft oder Industrie im jeweiligen Staat zurück.“ Die Gesamtwerte, die so ermittelt werden, seien gut genug, um damit zu arbeiten, sagt er. Die Berechnungsmodelle basierten außerdem auf zwei Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung, an der David und sein Team selbst beteiligt waren. Auch die schwedische Umweltschutzbehörde greife darauf zurück.
Wettbewerb um die beste Klimabilanz
Bisher nutzt etwa ein Dutzend Firmen die Plattform von CarbonCloud, darunter neben Oatly auch Naturli Foods, Sproud oder Nude – und der Start-up-Chef beobachtet immer wieder den gleichen Effekt: „Sobald die Unternehmen die Ergebnisse bekommen, lautet die erste Frage: Wie können wir den Klima-Fußabdruck verringern?“ Gezielt werde dann nach den effizientesten Wegen gesucht, weniger Treibhausgase zu verursachen. „Mit unserem Tool kann man das ausprobieren – so einfach, als würde man mit Lego spielen.“
Noch mehr könnte das Klima aus seiner Sicht profitieren, wenn sich immer mehr Firmen dafür entscheiden, die CO2e-Bilanz ihrer Produkte ermitteln zu lassen. „Wenn ein Unternehmen auch seine Zulieferer auf unsere Plattform holt, können wir detailliert deren Fußabdruck bestimmen und müssten nicht mehr auf allgemeine Statistiken zurückgreifen“, sagt David Bryngelsson. „Auf die Dauer könnte aus der Plattform ein Netzwerk werden mit einer nie dagewesenen Tiefe an Daten.“ Außerdem rechnet er mit zunehmendem Wettbewerb um die Endverbraucher, sobald immer mehr Lebensmittelhersteller auf ihren Produkten ihre Klimabilanz offenlegen.
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Jetzt Mitglied werden!„Die Zahl der Menschen steigt, denen es wichtig ist, möglichst klimafreundlich zu konsumieren“, sagt der Firmenchef. „Die Hersteller werden also versuchen, einen möglichst geringen Klimafußabdruck zu erreichen – und er wird damit zu einer Kennzahl, auf die das Management achtet. Genau das ist die Voraussetzung dafür, dass Hersteller und ihre Zulieferer damit anfangen, das Thema ernst zu nehmen.“
Dieser Meinung ist auch der deutsche Unternehmer Tim Schumacher, der nun zusammen mit der finnischen Risikokapitalgesellschaft Maki.vc eine Million Euro in CarbonCloud investiert und vorher bereits andere Klima-Start-ups wie Ecosia mitfinanziert hat. „Ein Grundsatz im Management lautet: you can’t manage what you can’t measure ”, sagt er zu 1E9. „Also muss man erstmal messen und vor allem transparent auszeichnen, denn nur so kann sich der Konsument überhaupt entscheiden.“
Kennzeichnungspflicht – ja oder nein?
„Ich bin absolut dafür“, sagt Tim Schumacher über die Forderung nach einer CO2e-Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel. Und auch David Bryngelsson spricht sich dafür aus, da die Verbraucher dann ihr Einkaufsverhalten gezielt ändern könnten – was eine enorme Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen zur Folge haben könnte. Allerdings rät er dazu, eine solche Pflicht mit Bedacht einzuführen. „Was auf keinen Fall passieren darf, wäre die Einführung eines sehr bürokratischen Systems, das hohe Kosten verursacht und trotzdem zu wenig Vergleichbarkeit führt“, mahnt er.
Spruchreif ist die verpflichtende Einführung von Kennzeichen noch lange nicht, zumal zunächst ohnehin einheitliche Standards zur Messung des Klima-Fußabdrucks definiert werden müssten. Aber: Am 14. September wird sich der deutsche Bundestag mit dem Thema beschäftigen. Im Petitionsausschuss darf dann einer der Deutschland-Chefs von Oatly, Tobias Goj, die Forderung des Unternehmens vorstellen, hinter die sich über 57.000 Menschen gestellt haben. Was er sagen wird, lässt sich online schon nachlesen. Denn auch diesen Schritt begleitet Oatly mit einer professionell gestalteten Kampagne.
Jetzt seid ihr gefragt!
Sollte die Kennzeichnung des Klima-Fußabdrucks von Lebensmitteln in Zukunft verpflichtend sein?
- Ja!
- Nein!
- Weiß nicht.
0 Stimmen
Würdet ihr gezielt anders einkaufen, wenn ihr den CO2e-Ausstoß kennen würdet, den Lebensmittel verursachen?
- Ja!
- Nein!
- Weiß nicht.
0 Stimmen
Danke für eure Stimmen. Lasst uns in den Kommentaren gerne noch wissen, warum ihr so abgestimmt habt!
Titelbild: Mark Swallow