Vor ein paar Monaten habe ich mir die Frage gestellt, wie die Wissenschaft von der Gesellschaft und Politik wahrgenommen wird. Zum Abschluss habe ich die folgende Frage gestellt:
Die Fragestellung kam bei mir im Rahmen der Corona-Beschränkungen auf. Denn die haben letztlich der Allgemeinheit sehr anschaulich vermitteln können, wie die Wissenschaft die Grundlage für weitreichende und wichtige Entscheidungen bildet, die das gemeinsames Zusammenleben und die gemeinsame Zukunft bestimmen. In meinen Augen ein Sinnbild für die ideale Rolle der Wissenschaft. Damals wie heute werden diese wissenschaftlichen Grundlagen aber im öffentlichen Diskurs oftmals auch aus dem Kontext gerissen und unvollständig oder schlicht falsch wiedergegeben. In manchen Fällen werden sie bewusst ignoriert, zu Gunsten einer einfacheren und angenehmeren „Realität“, in der die Verantwortung (oder je nach Auslegung auch die Schuld) bei anderen liegt.
Zur Wahrnehmung der Wissenschaft in Politik und Öffentlichkeit gibt es aber auch abseits von Corona noch weitere aktuelle Beispiele:
US-Präsident Donald Trump antwortet auf einen eindringlichen Appell, wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Bekämpfung von Waldbränden und klimabedingten Ursachen anzuerkennen:
It will start getting cooler, you just watch.
I don’t think science knows that actually
Im Interview mit dem ZDF verkündet NRW-Innenminister Herbert Reul zum Umgang mit Rechtsextremismus in der Polizei:
Reul:
— Giselle Ucar (@giselle_ucar) September 16, 2020
„Ich bin mir auch nicht sicher, ob das was bringt, wenn Wissenschaftler jetzt einfach mal ne Untersuchung machen, sondern ich sage: Wir brauchen Fakten!“
Slomkas Reaktion: pic.twitter.com/QeXwlDVHDB
Muss in der Folge die Wissenschaft etwa politischer werden, wenn die Politik sich weniger an der Wissenschaft orientiert. So geschehen beim Wissenschaftsmagazin „Scientific American“, das nun sozusagen Wahlkampf führt:
We’ve never backed a presidential candidate in our 175-year history—until now: Scientific American Endorses Joe Biden
Gerade für uns auch interessant: Wie tragen auch Medien oder der Journalismus zu dieser Entwicklung bei? Denn wie kann die Wissenschaft authentisch mit ihren eigenen Maßstäben in den Medien stattfinden, wenn diese Maßstäbe dort gar nicht gelten? Damit beschäftigt sich ganz aktuell auch die Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim.
Sie spricht von Qualitätssiegeln oder Kriterien, die gefunden werden müssen um verlässliche Wissenschaftskommunikation auch erkennen zu können. Diese Standards sollten es im Wissenschaftsjournalismus mit der journalistischen Sorgfaltspflicht aber eigentlich auch schon geben. Das bedeutet, es ist eine (noch) kritische(re) Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Inhalten gefragt. Blickt man auf heutige Schlagzeilen, heißt das aber auch zwangsläufig, dass effektheischende Thesen und Positionen weniger stark öffentlich stattfinden, zu Gunsten „leiserer“ Stimmen, die sachlicher und moderater auftreten, da sie ihre Arbeit gemäß wissenschaftlicher Anforderungen eingeordnet haben.
Medien-Geschäftsmodelle, die allein auf Reichweite und Aufmerksamkeit ausgelegt sind, können damit jedoch nicht ausreichend bespielt werden. Zeigt sich hier dann aber nicht in erster Linie ein strukturelles Problem von Medien und Journalismus, was die Wissenschaft in öffentlichen Wahrnehmung beeinträchtigt?
Etwas sprunghaft meine Beobachtungen und Gedanken zu diesem vielschichtigen Thema aus den letzten Wochen. Vielleicht auch mit mehr Fragen als Antworten. Ich bin auf eure Ideen und Meinungen gespannt.
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