Im Zuge der Corona-Beschränkungen haben einige Politiker und Wissenschaftlicher Morddrohungen erhalten. Dafür, dass sie ihren Job gemacht haben. Ich finde in diesem Zusammenhang einen Artikel in der NY Times sehr empfehlenswert. Der Beitrag beschreibt, wie viele etwas einfordern und erwarten, was augenscheinlich gar nicht leistbar ist: Eine präzise Vorhersage der Zukunft.
Zukunftsprognosen hatten quasi schon immer (Orakel von Delphi) einen enormen Stellenwert für unsere Gesellschaften. Heute werden Wahlen danach entschieden, ob ein/e Politiker/in mit seiner/ihrer Vorhersage richtig lag („Wahlversprechen einhalten konnte“) und das Management wird gemäß prognostizierten Zahlen beurteilt bzw. eingestellt, entlassen oder entlohnt. Denn:
[P]eople must be thinking that the more they learn about what is predetermined, the more control they will have. This is an illusion.
Mit der Zukunft umzugehen bedeutet, sich mit Komplexität und Unsicherheit auseinanderzusetzen, nicht mit Gewissheiten. Die Zukunft ist erforschbar und gestaltbar, aber eben nicht vorhersehbar. Das ist eigentlich auch allgemein bekannt, aber wollen wir das auch glauben?
Ein Beispiel:
Vorhersagen wie „Wir schaffen das“ oder der Hochrechnung, dass bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf den deutschen Straßen unterwegs sein werden, werden Angela Merkel wahrscheinlich bis weit über ihre Kanzlerschaft hinaus begleiten. Wie lange? Das könnte man ja Norbert Blüm fragen, wenn der noch leben würde.
In Alternativen denken, statt in Gewissheiten
Wie das besser geht? Statt Prognosen abzugeben, die lineare Entwicklungen aus der Vergangenheit weiterdenken, sollten Entscheidungsträger stets in Szenarien denken. Auf diese Weise erhält man Orientierungs- und Handlungswissen, ohne Verantwortung abgegeben zu können.
Wichtig ist, zu verstehen und anzuerkennen, dass Szenarien keine Zukunftsvorhersagen sind. Stattdessen bedeutet in Szenarien zu denken, in Alternativen zu denken. Diese Alternativen sind formulierte Annahmen, die bewusst überspitzt und strukturell unterschiedlich, aber inhaltlich konsistent und plausibel sind. Ziel ist es, Wirkzusammenhänge und Effekte von derzeitigen und zukünftigen Einflussgrößen zu verstehen.
Mit Szenarien umzugehen bedeutet also, bekanntes weiterzudenken, dabei aber auch den Einfluss von noch unbekannten Entwicklungen zuzulassen. Das Unvorhergesehene wird somit als Möglichkeit in Betracht gezogen.
[L]et us stop asking health specialists and public officials for confident projections they are in no position to make — and stop being disappointed when the ones we force out of them turn out to be wrong.
Aber lässt sich das auch vermitteln? Mehr und mehr Menschen suchen die Einfachheit und wenden sich populistischen Politik-Vertretern zu. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden hierfür auch gerne einmal zu Gunsten einer angenehmeren „Realität“ ausgeblendet.
Wie planen wir für also für die Zukunft, wenn rationales Denken und Handeln erforderlich, aber nicht erwünscht ist?