Eigentlich stehen sie uns schon lange zur Verfügung, doch genutzt wurden sie bisher oft nicht: natürliche Materialien wie Algen, Seegras oder Pilzgeflechte. Doch, um problematische Kunststoffe oder selbst tierische Lebensmittel zu ersetzen, werden sie jetzt insbesondere von Start-ups entdeckt. Wir stellen drei innovative Ideen vor.
Von Roman Maas
Früher galten Plastik und andere Kunststoffe als Zukunftsmaterialien. Doch das ist vorbei, denn sie sind alles andere als nachhaltig: Sie basieren auf fossilen Rohstoffen, ihre Herstellung verursacht CO2-Ausstoß und ihre Entsorgung ist oft problematisch. Wieso verwenden wir an ihrer Stelle nicht Stoffe, die in der Natur ohnehin und sogar im Überfluss vorkommen? Beim Festival der Zukunft 2022 von 1E9 und Deutschem Museum präsentierten einige kreative Start-ups jedenfalls neue Ideen, wie natürliche Materialien im großen Maßstab eingesetzt werden können.
Beim Panel Vegan Fish, Mushrooms and Seaweed: How Start-ups Create Innovations with Natural Materials stellten Peer Kohlmorgen von Morgenshapes, Tjark Ziehm von BalticMaterials und Guido Albanese von Koralo ihre ökotechnologischen Innovationen vor: Surfboards, die aus Pilzen gezüchtet werden, Dämmstoffe aus Seegras und veganer Speisefischersatz aus Mikroalgen. Eingeführt wurde der Talk von Alexander Ohrt, der mit dem Waterkant-Festival eine norddeutsche Gründer:innen-Zusammenkunft geschaffen hat.
Surfin’ on Mushrooms
Surfer:innen lieben die Freiheit, die Natur und vor allem meterhohe Wellen. Doch obwohl sie keine benzinschleudernden Motoren brauchen, verursacht ihr Wassersport Umweltprobleme. Denn die Bretter sind in der Regel aus toxischem Polystyrol und Polyurethan gefertigt – aus Kunststoff also, der mehrere hundert Jahre braucht, bevor er sich in der Natur zersetzt. Außerdem kann Mikroplastik in die natürlichen Gewässer abgegeben werden und bei der Herstellung von Surfbrettern werden giftige Stoffe freigesetzt, was für die, die damit arbeiten, gesundheitsschädlich sein kann.
Peer Kohlmorgen ist selber mit dem Windsurfen groß geworden und hat sich als Industriedesigner mit dem Design von Surfbrettern beschäftigt. Seit den 1960ern, als das Surfen weltweit zu einem Massenphänomen in Küstenorten geworden ist, werden die Boards zum großen Teil aus Kunststoffen hergestellt. Das hatte seine Gründe: Sie sind schnell zu verarbeiten, extrem leicht, resistent gegen Umwelteinflüsse und billig in der Herstellung. Über die schon erwähnten Nachteile machte man sich lange keine Gedanken.
Als biobasierte Alternative zu den fossilen Plastikbrettern ist Kohlmorgen auf den Pilz, beziehungsweise Pilzmyzele gekommen. Myzele sind die fadenartigen Strukturen der Pilze, die in der Natur, im Gegensatz zu den Pilzfrüchten, meist im Untergrund bleiben. Als verwertbarer Rohstoff haben diese schnell wachsenden Fasern viele Eigenschaften, die auch Plastik und andere Baumaterialien so beliebt machen. Da es sich um organische Stoffe handelt, sind sie in der Verarbeitung sehr flexibel und können so fest, elastisch und abweisend sein, wie es das Produkt verlangt. Außerdem ist die Herstellung umweltschonend und ungefährlich.
Kohlmorgen steht mit seinem Start-up Morgenshapes derzeit in der Frühphase der Entwicklung. Für sein Pilz-Surfbrett, dessen Prototyp er mit zum Festival der Zukunft brachte, experimentiert er mit unterschiedlichen Zuchtformen. Er muss Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Druck austarieren, um optimale Funktionalität zu erreichen. Die Pilzsorte, die er dafür verwendet, ist Reishi. In China wird der glänzende Lackporling, so sein deutscher Name, schon lange in der traditionellen Heilkunde eingesetzt. Doch immer mehr Menschen entdecken derzeit seine Eigenschaften als Baumaterial. Dafür wird zunächst das Myzel auf einem sterilen Substrat aufgezogen. Mit Hilfe nährstoffreicher und leicht verfügbarer Materialien wie Holzspänen, Getreidehülsen oder Stroh können die Pilzstrukturen dann in die gewünschte Form gezüchtet werden.
In einem kurzen Film zeigte der Morgenshapes-Designer, wie er auf einer Arbeitsfläche in der Größe eines Schreibtisches innerhalb von nur fünf Tagen sein Proto-Pilzboard gezüchtet hat. Für das notwendige Fachwissen über die Herstellung des organischen Materials hat er sich mit einem Pilz-Experten zusammengetan, die Härtetests auf dem Wasser unternimmt er zusammen mit Profi-Surfer:innen.
Die Herausforderung, mit einem für viele gänzlich unbekannten Material einen etablierten Markt aufzumischen, ist groß, das weiß auch Kohlmorgen: „Die Messlatte ist sehr hoch angelegt für das Pilzmaterial, da Surfen ein High-Performance-Sport ist“, sagt er zu 1E9. „Jedoch ist es gleichzeitig ein Natursport mit einem hohen Naturbewusstsein bei vielen. Das Interesse der Surfcommunity nach einer nachhaltigen Variante zu den herkömmlichen und giftigen Materialien ist enorm. Wenn man sich die Statistiken anschaut, gibt es definitiv einen exponentiell steigenden Trend für Ecoboards.“
Man solle sich aber nicht vormachen, dass man in kürzester Zeit ein Material wie Polyurethan, welches seit etwa 60 Jahren in Sport und Handwerk fest etabliert ist, ohne weiteres ersetzen zu könne. „Es reicht nicht, nur ein nachhaltigeres Material anzubieten, sondern es muss weitere Vorteile mit sich bringen“, sagt Kohlmorgen. „Wie der Flex, Verarbeitung, Gewicht und so weiter. Herkömmliche Kunststoffe haben einen enormen Vorsprung und nun gilt es, diesen wieder aufzuholen und diesmal mit einem Material, das unbedenklich ist.”
Die größten Herausforderungen sieht Kohlmorgen aktuell beim Gewicht, das noch verringert werden muss, um mit den herkömmlichen Brettern mitzuhalten. „Dazu habe ich aber schon ein paar Ideen.“
Auch wenn es nicht immer leicht ist, erdölbasierte Materialien zu ersetzen, wird weltweit nach umweltfreundlichen Alternativen gesucht. Und Pilzmyzel hat dabei das Zeug, zu einem echten Baumaterial der Zukunft zu werden. Einige andere Anwendungsbereiche sind Gebäudedämmung, Wandziegel oder auch Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel Lampenschirme. Bei Morgenshapes wird neben den Surfboards auch noch an Akustikplatten aus Pilzen gearbeitet, die anstelle von Schaumstoffen zur Schalldämmung eingesetzt werden können.
Ist Pilzbauer also ein Beruf, der bald neben Schreinern und Metallbauern existieren wird? Denkbar wäre es. Peer Kohlmorgen steht mit Morgenshapes noch am Anfang. Der nächste Schritt ist es, von der kleinen Werkstatt in eine größere Anlage, die derzeit im Bau ist, umzuziehen: „Wir arbeiten derzeit am Aufbau eines Zuchthauses, in dem ich meine Produktideen züchten und steuern werde. Meine Ideen sind skalierbar wie automatisierbar, um herkömmliche Herstellungsprozesse durch neue zu ersetzen.“
Seegras: Natürlicher Dämmstoff aus dem Ozean
Gibt es ein Baumaterial, das tonnenweise in der Gegend herumliegt und eigentlich nur aufgesammelt werden muss? Ja, Seegras. Es wächst in unvorstellbaren Mengen in den Ozeanen. Allein an den deutschen Ostesse-Küsten werden jedes Jahr etwa 75.000 Tonnen davon angeschwemmt. Die Wasserpflanzen sammeln sich an Stränden an, wo sie oft aufwendig von Abfallunternehmen abtransportiert werden müssen. Danach landet das Seegras oft auf Müllkippen oder wird verbrannt. Was für eine Verschwendung, denn Seegras eignet sich getrocknet und verarbeitet als Baumaterial, etwa für Häuserdämmungen.
Das Pflanzenmaterial ist trocken nur schwer entflammbar, nimmt kaum Feuchtigkeit auf und ist resistent gegen Schädlingsbefall. Beste Voraussetzungen also, für einen Einsatz zwischen Häuserwänden. Zumal die Dämmstoffe, mit denen wir unsere Wände, Dächer und Böden bisher auskleiden oftmals aus wenig nachhaltigen Stoffen wie Polystyrol bestehen. Spätestens bei ihrer Entsorgung werden sie zum Umweltproblem.
Das Start-up BalticMaterials hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, das überschüssige Seegras zu nutzen, um die schädlichen Kunststoff-Dämmungen zu ersetzen. Beim Festival der Zukunft stellte der Gründer Tjark Ziehm die Idee für die Seegras-Produktlinie BalticTherm vor. In einem automatisierten und von Künstlicher Intelligenz unterstütztem Reinigungsvorgang macht das Start-up aus dem Naturrohstoff eine DIN-konforme Dämmung.
Ein weiterer Pluspunkt: Die Meerespflanzen speichern CO2. Werden sie verbrannt, wie dies derzeit in vielen Küstenorten der Normalfall ist, gelangt dieses wieder in die Atmosphäre. Würden sie hingegen getrocknet und in Gebäuden verarbeitet, bliebe das Treibhausgas für viele Jahrzehnte gespeichert. BalticMaterials will nicht nur das Material, sondern auch den Einbau als Service anbieten. Darüber hinaus arbeitet die junge Firma an anderen Einsatzmöglichkeiten für das angespülte Algenmaterial.
Mikroalgen, die zu Fischersatz gebraut werden
Es muss nicht nur bei Kunststoffen und Baumaterialien umgedacht werden – auch unser Essen benötigt eine Transformation. So stellte bei dem Panel zu Naturmaterialien der Mitgründer des Food-Start-ups Koralo, Guido Albanese, eine neue Alternative zu Fisch vor.
Die weltweite Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten ist gewaltig. Die daraus resultierenden Probleme sind es allerdings auch: Ein Drittel der weltweiten Fischbestände ist überfischt, zwei Drittel sind durch industriellen Fischfang an ihre Grenzen gebracht. Illegale Fischerei zerstört essenzielle Ökosysteme und trägt zum weltweiten Artensterben bei. Hinzu kommt, dass Menschen mit Fisch verstärkt die menschengemachte Umweltverschmutzung mitessen: Mikroplastik, Schwermetalle und andere Chemikalien sind darin längst nachweisbar.
Gleichzeitig gibt es in den Supermärkten eine Entwicklung hin zu mehr Veggie-Ersatzprodukten für tierisches Fleisch. Viele davon haben bereits ihre Fans und vieles dürfe, wie der Festival-Talk zur Future of Food gezeigt hat, in Zukunft dank technischer Innovationen noch besser werden. Wenn es aber um Ersatz für frischen Fisch geht, ist beim derzeitigen Angebot noch Luft nach oben. Meerestiere mit Hilfe von pflanzlichen Stoffen und Gewürzen aus der Landwirtschaft nachzuahmen, ist besonders schwierig. Das gilt nicht nur für den Geschmack, sondern auch für die speziellen Nährstoffe wie Proteine und Omega-3-Fettsäuren.
Warum also nicht Meerespflanzen als Ausgangsprodukt nehmen? Das vegane Fischfilet von Koralo basiert auf gezüchteten Mikroalgen. Die kleinen grünen Wasserpflanzen werden in einem Fermentierungs- und Brauprozess zu einem Stoff verarbeitet, der echtem Weißfischfleisch sehr ähnlich sein soll. Sowohl Geschmack als auch Konsistenz sollen an das tierische Produkt herankommen, sogar die wertvollen Fettsäuren sollen enthalten sein.
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Ja, die Hürden bei umweltfreundlichen Naturmaterialien erscheinen so hoch, dass die meisten Unternehmer:innen es über Jahrzehnte vermieden haben, intensiver darüber nachzudenken. Doch Tech-Gründer wie Peer Kohlmorgen von Morgenshapes, Guido Albanese von Koralo oder Tjark Ziehm von BalticMaterials zeigen Wege auf, wie deren Einsatz in Zukunft gelingen kann.
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