Neue Technologien – oder die Wiederentdeckung traditioneller Technologien – verändern auch, was wir essen. Das ist auch dringend nötig, denn die Erzeugung von Lebensmitteln, aber auch unser Ernährungsverhalten sind für viele globale und gesellschaftliche Probleme verantwortlich. Wir stellen drei Start-ups vor, die diese Herausforderungen angehen wollen: Planet A Foods, Juicy Marbles und Foodpunk.
Von Roman Maas
Web3, KI, Quantencomputer: Auf dem Festival der Zukunft von 1E9 und Deutschem Museum gab es Einblicke in die neuesten Entwicklungen der digitalen Welt zu erleben. Was dort aber mindestens genauso wichtig war wie die Frage, wie wir unsere virtuellen Parallelwelten gestalten werden: Wie und womit bekommen wir in Zukunft eigentlich unsere Mägen voll?
Bei dem Panel Healthy, Sustainable and Individual: The Future of Food ging es genau darum. Denn die globale Gegenwart der Ernährung ist alles andere als appetitlich: Fleisch von Tieren aus Massentierhaltung, die mit Futtermitteln von gerodeten Regenwaldflächen gemästet werden. Nur noch wenige Pflanzen- und Getreidesorten aus Monokulturen, die fruchtbare Böden auslaugen und durch Krankheiten gefährdet sind. Snacks und Süßigkeiten aus Rohstoffen, die unter ausbeuterischer Arbeit geerntet werden müssen. Als wären diese Zustände nicht verschwenderisch und zerstörerisch genug, kommt dann noch unser Essverhalten dazu, das — seien wir ehrlich — in vielen Fällen auch ein großes Update vertragen könnte.
Lösungen für die notwendige Ernährungs-Transformation diskutierten Sara Marquart, Co-Gründerin und technische Leiterin von Planet A Foods (vormals QOA), Tilen Travnik, Co-CEO von Juicy Marbles und Marina Lommel CEO von Foodpunk.
Eine Zukunft ohne Kakao – und trotzdem mit Schokolade?
Neun Kilogramm Schokolade isst ein Mensch in Deutschland durchschnittlich pro Jahr. Ein großer Teil davon wird vermutlich gedankenlos gesnackt, um ein schnelles Bedürfnis nach Zucker zu stillen oder einen kleinen Hunger zu sättigen. Was viele dabei ausblenden oder schlicht nicht wissen, ist, dass Millionen von Kindern für den Abbau von Kakaobohnen Zwangsarbeit leisten müssen. Außerdem werden Regenwälder und Naturreservate abgeholzt, um die riesige Schokoladen-Nachfrage auf dem Weltmarkt stillen zu können.
Eine Alternative dazu kommt von Planet A Foods, ehemals: QOA, und heißt Nocoa. Es ist ein veganer Schokoladenersatz auf der Basis von Hafer und anderen günstigen Pflanzenprodukten, wie Aprikosenkernen. Eine „Schokolade“, die ganz ohne Waldrodung und Zwangsarbeit entsteht. Das charakteristische Kakao-Aroma wird hier durch einen Fermentations- und Röstungsprozess erreicht. Der Geschmack ist konventioneller Schokolade so verblüffend ähnlich, dass bereits mehrere Schokoladenproduzenten Nocoa in ihren Produkten einsetzen möchten.
Planet A Foods kombiniert das selbst kreierte „Kakao”-Pulver und die passende „Kakao”-Butter nach eigenem Rezept zur Nocoa-Schokolade. Hiervon gibt es verschiedene Versionen: Eine Nocoa, die backfest ist, eine Version, die sich zum Überziehen eignet und eine für Schokoladenchips. Es gibt auch zuckerfreie Nocoa und eine Bio-Version. Die klassische Nocoa schmeckt nach Milchschokolade, an einer dunkleren Variante wird derzeit gearbeitet. In Konzentrat-Form kann sie für Eis und Getränke und überall dort verwendet werden, wo man heutzutage Kakaopulver einsetzt.
Vertreten wurde Planet A Foods beim Panel von Sara Marquart, die das Food-Start-up gemeinsam mit ihrem Bruder Max gegründet hat. Bei der Diskussion wurde ihre kritische Haltung zu den schädlichen Auswirkungen des Kakao-Anbaus deutlich – und dass sie mit ihrem Substitut etwas verändern möchte.
Tradiertes Brauen und Rösten für Innovationen
Marquart hat sich lange wissenschaftlich mit Aromen und Geschmäcken beschäftigt. Sie erzählt 1E9, wie sie vom spannenden Feld der Lebensmittelchemie zur eigenen nachhaltigen Schoko-Produktion gekommen ist: „Ich bin seit jeher ein Foodie – ich liebe Lebensmittel und ich liebe Essen. Ich kann mich erinnern, wie ich schon als Kind fasziniert war, wie sich zum Beispiel eine rohe Kartoffel in so etwas Leckeres wie Pommes verwandeln kann. Oder warum rohes Fleisch so wenig appetitlich ist, der Schweinebraten aber so verlockend roch und schmeckte. Wegen dieser Faszination für Lebensmittel wollte ich eigentlich Köchin werden, doch wurde ich von den Horrorgeschichten von anderen Köch:innen abgeschreckt. Entsprechend studierte ich Lebensmittelchemie, was dem Beruf einer Köchin irgendwie am nächsten kommt.“
Spätestens seit sie als Kuratorin am Deutschen Museum eine Ausstellung über den Kosmos Kaffee kuratiert hatte, sei ihr dann bewusst gewesen, was der globale und ungezügelte Konsum von einer kleinen Auswahl verschiedener Lebensmittel, wie Kaffee oder Kakao, mit dem Planeten anrichte: „Regenwaldrodung, Monokulturen, wenn man so will Ausbeutung von Mensch und Natur“, sagt sie. „Als mein Bruder dann das Buch Never out of Season von Rob Dunn las und mir erzählte, wie gefährdet der Bestand von Kakao und damit Schokolade ist, wollten wir das Problem unbedingt lösen. Wer mag sich schon eine Zukunft ohne Schokolade vorstellen?”
Aber kann ein Produkt wie Nocoa Schokolade eins zu eins ersetzen? Es kommt dem Original in Geschmack und Textur extrem nahe, das heißt es in Berichten immer wieder. Aber es gibt ja auch das „gewisse Etwas” bei Genussmitteln, was die Menschen immer und immer wieder zu Leckereien greifen lässt. In Kakaobohnen stecken immerhin Stoffe wie Tryptophan, Koffein und andere Bestandteile, die teils kaum erforscht sind.
Planet A Foods arbeiten daran, auch diese Herausforderungen zu bewältigen, aber: „Ein Ersatzprodukt kann nie das originale Naturprodukt ersetzen”, so Marquart. Nocoa solle daher nicht die klassische Tafelschokolade ablösen. Wo es aber einen sinnvollen Einsatz finden kann, ist in Süßwarenprodukten, die nur zum Teil aus Schokolade bestehen. „In einem Riegel, der zu 90 Prozent aus Erdnüssen und Karamellzucker besteht, braucht man da noch einen Überzug aus echtem Kakao?”
Einen weiteren Vorbehalt, den Sara Marquart öfter hört, ist, dass ihre kakaofreie Schokolade aus dem Labor kommen würde: „Da kann ich nur immer sagen, dass man uns gerne besuchen kann und sich das mal hautnah ansehen kann, wie wir unsere Schoki herstellen. Am Ende machen wir nämlich nichts anderes als alt tradiertes Brauen und Rösten von natürlichen Zutaten, wie Hafer, die jeder von uns kennt. Keine Chemie, keine Zusatzstoffe, keine verrückten E-Nummern. Weil, wie gesagt, ich bin ja selbst ein Foodie und mag wissen, was drin ist und dass es gut für mich ist.”
Ursprünglich dachten die Geschwister daran, in den US-Markt einzusteigen, konzentrieren sich nun aber zunächst auf Deutschland als Startpunkt. Eine Produktionslinie in Nürnberg soll in diesem Herbst starten und dann 400 Kilogramm der umweltfreundlichen Schokolade pro Stunde herstellen können.
Ein brutzelndes Steak für Veganer:innen
Um das „gewisse Etwas“ geht es auch Tilen Travnik, der auf dem Festival der Zukunft Juicy Marbles vertrat. Allein in den Supermärkten sehen wir, dass der Markt für vegane und vegetarische Fleischersatzprodukte wächst. Derzeit sind es Produkte wie Burger, Wurst oder Hähnchengeschnetzeltes, zu denen fleischlose Alternativen angeboten werden. Aber was ist mit dem kulinarischen Genuss, den ein echtes Filetsteak vom Rind auslöst?
Tilen Travnik arbeitet mit Juicy Marbles an der Kreation von Premium-Fleisch auf Pflanzenbasis, das auch hartnäckige Fleischesser:innen überzeugen soll. Er verdeutlicht die Verschwendung, die durch Fleischkonsum entsteht, mit einem wirtschaftlichen Bild: Für 100 Prozent des Nährwertes der Futterpflanzen, die einer Kuh im Laufe ihres Lebens zugeführt werden, bekommt man nur ein Zwanzigstel wieder heraus. Rinder seien fünfprozentige Effizienzmaschinen — ein Verhältnis, das in der Industrie normalerweise als ruinöses Verlustgeschäft gilt.
Das Food-Start-up hat ein eigenes Herstellungsverfahren entwickelt, das sich von klassischer 3D-Drucktechnik unterscheidet und auch kein Laborfleisch züchtet. Schwerpunkte bei der Zusammensetzung der sojabasierten Steaks von Juicy Marbles liegen auf allem, was eine Fleischmahlzeit für Liebhaber:innen unverwechselbar macht: auf Faktoren wie einem möglichst originalem Geschmack, saftigen Fettgewebetexturen und einer knusprigen Bratkruste.
Die saftige Herzhaftigkeit, für die kein Tier gemästet und geschlachtet werden muss, liegt im hauseigenen Shop derzeit noch preislich auf einer Linie mit echtem Filet Mignon – soll aber so bald wie möglich günstiger werden. Dafür gebe es dann auch die gleichen Werte an Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen.
Foodpunk: Individuelle Lösungen für Alle
Was nutzen aber die tollsten fleischlosen und fair hergestellten Leckereien, wenn doch der Hunger und die Lust an Mehr mit einem durchgeht? In den Supermärkten stapeln sich von fast jedem Produkt dutzende Geschmacksvariationen, in der Werbung werden wir zum Genuss im Übermaß verführt – und gleichzeitig bekommen wir auf Fitness-Kanälen gesagt, wie sehr wir uns zügeln müssen, wenn wir gesund und fit sein wollen.
Eine Wunderdiät für alle, gibt es leider nicht. Wer Probleme damit hat, sich gesund, ausgewogen und nachhaltig zu ernähren, braucht im Idealfall einen auf sich zugeschnittenen Ernährungsplan. Eine App, die genau dies möglich machen möchte, ist Foodpunk. Auf dem Festival der Zukunft ist das Start-up, das gerade auch eine Crowd-Finanzierungsrunde gestartet hat, mit der Gründerin und Ernährungswissenschaftlerin Marina Lommel dabei.
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Jetzt Mitglied werden!Was Foodpunk anbietet, sind Ernährungspläne, die sich an individuellen Vorgaben und Wünschen orientieren. Mit Hilfe von Fragebögen, die vorher ausgefüllt werden, berechnet die App den genauen Kalorienbedarf und gibt Rezeptvorschläge vor. Die User:innen sollen dabei motiviert werden, ihre Mahlzeiten besser zu planen und sich optimal zu ernähren, ohne dabei hungern zu müssen. Dazu gibt es eine Community, über die man sich austauschen und motivieren lassen kann. Die Vorschläge der Foodpunk-App wurden von einem Team an Ernährungswissenschaftler:innen zusammengestellt. Was sich Marina Lommel besonders vom Essverhalten der Deutschen wünscht? Dass sie spendabler würden, wenn es um ihre eigene gesunde Ernährung geht!
Das Panel zur Future of Food auf dem 1E9-Zukunftsfestival hat gezeigt, dass die Probleme, die es bei der Ernährung zu bewältigen gilt, zwar gewaltig sind, dass es aber trotzdem Grund für Optimismus gibt. Denn gerade bei Food-Technology entstehen gerade unter großem Einsatz Innovationen, um die globalen Herausforderung zu lösen – und trotzdem schmackhaft zu bleiben.
Titelbild: Das vegane Steak von Juicy Marbles
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