Wer sich für das Klima und faire Arbeitsbedingungen einsetzt, sollte sie eigentlich nicht essen, die Schokolade. Wegen des Kakao-Bohnen-Anbaus werden Millionen Hektar Regenwald gerodet, für ein Kilogramm Kakao braucht es 24.000 Liter Wasser und immer wieder wird über Kinderarbeit auf den Plantagen berichtet. Das Münchner Start-up QOA möchte das ändern und lässt die Kakao-Bohne einfach weg – mit einer erstaunliche Entdeckung.
Von Christiane Miethge
Irgendwann riefen die Nachbarn das Gewerbeamt, weil sie sich wunderten, was da in der Wohnung von Max Marquart vor sich ging. Da wurden Kisten mit Lebensmitteln angeliefert, adressiert an eine ominöse Schokoladenfabrik. Dann dieses seltsame Surren, das selbst nachts nicht aufhörte. Wären die Gewerbeaufseher dem Aufruf gefolgt, hätten sie im Inneren der Wohnung eine ungewöhnliche Produktionsstätte gefunden.
Acht Thermomix zerkleinerten und fermentierten rund um die Uhr Steinfrüchte, Öle, Getreide. Es waren die ersten Versuche von Sara Marquart und ihrem Bruder Max, ein Rezept zu entwickeln, das zwar genau wie Schokolade schmeckt, aber nicht das beinhaltet, was wir bisher für das Herzstück von Schokolade hielten: Kakao. „Das war so ein bisschen wie die ersten Nächte mit einem Neugeborenen. So ein Thermomix schaltet sich alle zwei Stunden aus. Damit der Prozess weiterlaufen konnte, musste also einer von uns alle zwei Stunden aufstehen und auf den Knopf drücken“, erinnert sich Max Marquart.
Der Mensch hat sich von einigen wenigen Lebensmitteln abhängig gemacht
Auf die Idee zu QOA brachte Sara und Max Marquart das Buch Never out of Season von Rob Dunn. Darin beschreibt der Biologe, wie unsere Vorfahren vor 30.000 Jahren jede Woche hundert unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten aßen, je nachdem was gerade zu finden war. Dank Globalisierung und einer auf Effizienz getrimmten Landwirtschaft ernähren wir uns heute im Schnitt von nur noch 15 Pflanzen: Weizen, Reis, Zucker und – als angeblich glücklich-machendes Genussmittel – eben auch Kakao. Eindrücklich beschreibt Rob Dunn die Folgen: Um immer mehr Menschen mit immer weniger Pflanzen- und Tierarten zu ernähren, braucht es riesige Monokulturen und Massentierhaltung. Wir roden, wir spritzen Gift und verbrauchen Unmengen an wertvollem Wasser. Und: Wir haben uns abhängig gemacht. Ein einziger Schädling reicht und Ernten ganzer Kontinenten fallen aus. Historische Beispiele dazu gibt es genug.
Max Marquart las das Buch und dachte: „Ist das, was ich gerade mache eigentlich wirklich relevant?“ Dabei war er in vieler Hinsicht ein Durchstarter. Doktortitel in Ingenieurswissenschaften, Projektleiter bei BMW, Mitgründer und Geschäftsleiter des erfolgreichen Start-ups 27pilots. „Ich dachte mir damals, da verbringe ich meine Zeit mit Themen wie Software-as-a-Service und Corporate Innovation und am Ende verhungern Menschen, weil wir unser Geld nicht in die richtige Ernährung hineinstecken.“
Eine Technologie-Plattform für Lebensmittel
Dann kamen eine Hochzeit, ein langes Gespräch mit seiner Schwester Sara und zwei Flaschen Rotwein. Sie war damals Head of Flavour an der Zürich Universität für Angewandte Wissenschaften – ZAHW. Ihr Forschungsgebiet: Aromabildung beim Kaffee. Angefixt von der Idee, wirklich einen Unterschied zu machen, entwickelten der Entrepreneur und die Lebensmittel-Chemikerin die Vision einer Technologie-Plattform. Damit wollen sie Lebensmittel ohne Raubbau an der Natur und Ausbeutung menschlicher Arbeit sowie aus rein regionalen Produkten herstellen. „Schokolade ist nur der erste Schritt, weil es ein schönes Premium-Produkt ist, und neue Technologien beginnen oft in den gehobenen Segmenten“, so Max Marquart.
Fünfmal Zähneputzen nach dem ersten Schokoladen-Test
Trotzdem konnte auch ein achtstimmiges Thermomix-Konzert nicht sofort den perfekten Schokoladen-Ersatz hervorbringen. Es galt, in vielen kleinen Experimenten herauszufinden, wie genau das Schokoladen-Aroma chemisch entsteht. Dazu bestellten sich die Marquarts jene verdächtigen Kisten an regionalen Produkten mit aussortierten Lebensmitteln, die sonst an Tiere verfüttert worden wären: Steinfrüchte, Palmöl, Weizen. In diese gab Sara Marquart gezielt bestimmte Mikroorganismen, die den Fermentationsprozess in Gang setzten. Anschließend wurde das fermentierte Gemisch geröstet und zu Schokolade weiterverarbeitet. Im Prinzip folgt die Produktion damit den gleichen Produktionsschritten wie bei herkömmlicher Schokolade. Fermentieren, rösten, mahlen, zubereiten. Und das, so beteuert Max Marquart, ohne künstliche Zusätze oder Genmanipulation.
Die eigentliche Magie von QOA liegt somit in der Auswahl des Ausgangsmaterials – regionale Nebenprodukte statt Kakao-Bohnen – und der Zusammensetzung der fermentierenden Mikroorganismen. „Sara hat eine Methode entwickelt, wie man die Bildung von Aromen in solchen Prozessen sichtbar machen kann.“ Zudem gaben die beiden QOA Gründer ihre Rezepturen immer wieder Testpersonen zum Naschen. „Wir hatten eine Chocolatière, die uns geholfen hat, schöne, dünne Pralinen zu machen. Als sie unseren ersten Prototypen probierte, ist sie direkt ins Bad gestürmt, um sich die Zähne zu putzen. Sie meinte, selbst nach fünfmal Schrubben, wäre der metallene Geschmack noch nicht weg gewesen.“
Schokoladen-Aroma kommt nicht von der Kakao-Bohne, sondern entsteht während der Fermentation
Ungefähr 30 Rezeptionen und über 1.000 Versuchspunkte später gelang schließlich der Durchbruch. Die Chocolatière war begeistert und zwölf Experten der Fraunhofer-Gesellschaft konnten die kakaofreie Schokolade nicht mehr von der herkömmlichen unterscheiden. Sara und Max Marquart waren selbst überrascht von ihrer Entdeckung: Der typische Schokoladengeschmack hat nur wenig mit den Eigenschaften der Kakao-Bohne zu tun. „Die eigentlichen Aromen entstehen im Prozess der Fermentation und Röstung und lassen sich damit mit anderen Lebensmitteln nachbauen“, so Marquart. „Vielleicht ist Kakao nur das zufällige Ausgangsprodukt gewesen und seit Jahrhunderten haben wir das einfach nicht hinterfragt.“
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Jetzt Mitglied werden!Zehnmal nachhaltiger als Kakao-Schokolade
Die neue Art Schokolade zu machen könnte sich lohnen. Nach Angaben von QOA ist sie in der Produktion nicht nur günstiger, sondern auch zehnmal nachhaltiger als herkömmliche Schokolade. „Wir haben eine relativ aufwändige CO2-Bilanz gemacht. 80 Prozent unserer Einsparungen kommen dadurch, dass unseretwegen kein Regenwald gerodet wird. Zudem verwenden wir keine tierische Milch, was wiederum den CO2 Ausstoß reduziert.“ Rund 100 bis 200 Megatonnen pro Jahr will QOA damit ab 2030 einsparen. Geht diese Rechnung so auf, wären dies rund 20 Prozent dessen, was Deutschland 2020 an Treibhausgasen in die Luft geblasen hat und immerhin 0,4 Prozent des weltweiten Ausstoßes. Ein Ansatz, der in Zeiten der schnell wachsenden Green Economy gut ankommt. Statt mühsam bei einzelnen Venture-Capital Fonds anzuklopfen, beworben sich die Investoren quasi bei QOA: „Nach einer Demo im Y-Combinator hatten wir innerhalb von 30 Minuten 180 Investoren-Anfragen. Wir hätten dreimal so viel an Kapital einsammeln können, als wir brauchten.“ Trotzdem begnügten sich die beiden Gründer in der Seed-Runde mit den geplanten 5,2 Millionen, die sie für die nächsten Schritte brauchten. Als Haupt-Investor entschieden sie sich für den Early-Stage Fund Cherry Ventures, außerdem für Fifty Years, Nucleus Capital, Tet Ventures, Trellis Road, Pioneer Fund und den neuen Climate-Tech-Player World Fund.
Wird „echte“ Schokolade bald zum teuren Luxusprodukt?
Inzwischen arbeitet QOA nicht mehr mit acht Thermomix, sondern professionellen Fermentern und Röstern. Ab Ende 2021 werden sie damit rund 15 Kilogramm Schokolade pro Tag produzieren können. Bis Mitte 2022 wollen die Geschwister ein Consumer-Produkt auf den Markt bringen, allerdings zunächst nur auf den amerikanischen. Wann und ob wir auch in Deutschland zum QOA-Riegel im Supermarkt greifen können, ist unklar. Langfristig ist die Vision der Markquarts, Zulieferer der großen Schokoladenhersteller zu werden und so den Massenmarkt zu erobern. „Uns geht es nicht darum, Kakao von diesem Planeten zu verbannen oder Kakao zu 100 Prozent zu ersetzen“, so Marquart. Für ihn hat gerade der Premium-Markt einen wichtigen Stellenwert. Hier könnte „echte“ Schokolade so teuer verkauft werden, dass eine nachhaltige Produktion ohne Rodungen und Kinderarbeit möglich sei. Derzeit liege der Anteil an Premium-Schokolade bei rund 10 Prozent. Ginge es nach Marquart wächst dieser auf 40 oder 50 Prozent. „Bis 2035 wollen wir in allen Massenmarktprodukten, also von Mars über Snickers bis Müsli und American Cookies, Kakao ersetzen.“
Jedes Jahr werden für den Kakao-Anbau Millionen Hektar Regenwald gerodet. Bild: QOA
Das soziale Dilemma
Mit dieser Vision rechtfertigt Marquart auch das größte Dilemma der Nachhaltigkeits-Geschichte von QOA. So groß die ökologischen Vorteile auch sind, ein konsequenter Schokoladenersatz könnte Millionen von Menschen vor existentielle Probleme stellen. Arme Länder wie Ghana oder die Elfenbeinküste sind auf den Export von Kakao-Bohnen angewiesen. Essen wir im Westen alle Schokolade ohne Kakao, fehlen plötzlich Milliarden an Einnahmen. Gelänge es jedoch, den Preis für „echte“ Schokolade mithilfe eines Ersatzprodukts wie QOA in die Höhe zu treiben, könnte damit nachhaltiger und sozialer Kakaoanbau ermöglicht werden. So zumindest die Theorie. Das QOA-Team will dabei selbst nachhelfen und entwickelt gerade Ideen, wie sie auch auf den Kakao-Plantagen einen Unterschied machen können. „Wir wollen am Ende nicht einfach nur ein Substitut sein, sondern unser Ziel ist es, das Thema Schokolade und Kakao-Supply Chain im Ganzen zu revolutionieren.“
Keine einfache Aufgabe. Schließlich ist QOA auch darauf angewiesen, dass wir alle unseren Konsum ändern und nur noch kakaofreie oder nachhaltige Premium-Schokolade kaufen. Wer sich darauf schon einmal einstellen will, kann auf der QOA-Webseite ein sogenanntes Supermassive Testkit bestellen. Die Lieferung könnte jedoch etwas dauern, denn nicht nur die Investoren, auch die freiwilligen Tester stehen inzwischen bei QOA Schlange.
Max Marquart von QOA bei der 1E9-Konferenz vom 23. bis 25. November!
Die Zukunft unserer Ernährung wird auch Thema bei der diesjährigen 1E9-Konferenz vom 23. bis 25. November, jeweils ab 17 Uhr sein – du kannst vor Ort in München oder digital teilnehmen! Neben Max Marquart von QOA wird auch Tilen Travnik, der Gründer und CEO des Start-ups Juicy Marbles dabei sein, dass das erste Steak auf Pflanzenbasis entwickelt hat. Außerdem wird die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin Ann-Kristin Achleitner darüber sprechen, warum Food Tech gerade für Deutschland und Europa eine große Chance ist. Hier gibt’s alle Infos und Tickets zur Konferenz!
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