Krieg und Klimakrise, Pandemie und Inflation. Wir leben in herausfordernden Zeiten. Doch es wird auch an Lösungen für die vielen großen und kleinen Probleme gearbeitet – wie beim Festival der Zukunft vom 22. bis 24. Juli in München zu erleben war. Wir stellen euch einige spannende Ideen und Technologien vor, die dort präsentiert wurden und die Mut machen.
Von Roman Maas
Das Festival der Zukunft von 1E9 und Deutschem Museum ist vorbei: Ideen, Visionen, Zukunftstechnologien, Kunst, Musik und Roboter. An drei vollgepackten Tagen – zwei davon mit freiem Eintritt für alle – machten sich mehrere tausend Besucher:innen ein Bild davon, welche Innovationen und hochaktuellen Entwicklungen in der nahen Zukunft bahnbrechende, positive Veränderungen bringen könnten. Von Web3, KI, XR und Quantum-Computing über Elektromobilität und Speichertechnologien bis hin zur Weltraumforschung.
Dutzende Vordenker:innen, Start-up-Gründer:innen, Venture Capital Investor:innen, Künstler:innen und hoch spezialisierte Nerds kamen an diesem langen Sommerwochenende zusammen, um sich gegenseitig bei Talks, Präsentationen, Workshops und Ausstellungen auf den neuesten Stand zu bringen und sich darüber auszutauschen, wie eine bessere Zukunft möglich sein kann.
Das neue Forum der Zukunft des Deutschen Museums im Herzen Münchens war nicht nur Mit-Veranstalter, sondern bot mit seinem historischen Gebäude auch die ideale Location: Schauplätze waren eine Bühne im früheren Planetarium mit exorbitanten Lichteffekten, ein ehemaliges IMAX-Kino, eine große Ausstellungsfläche mit Workshop- und Experience-Flächen und eine weitere Bühne im Innenhof, auf der die zahlreichen Gäste bei vegetarischem Essen und Erfrischungen im Schatten der Bäume ein umfassendes Festival-Programm aus Talks und Podiumsdiskussionen, Kunst- und Musikdarbietungen erleben konnten.
Aber, Moment mal: Zukunfts- und Tech-Optimismus im Jahr 2022? In Zeiten von Klimawandel, Artensterben, Dürreperioden, Waldbränden, globalen Nahrungsmittel- und Energiekrisen, Krieg, Pandemie und Inflation? Passt das? Ja, bitte!
Denn gerade in Krisenzeiten müssen wir zusammenkommen und Transformationen vorwärtsbringen. Allein in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und regenerative Energien gibt es so viele Ideen, Konzepte und Prototypen, die einfach nur darauf warten, umgesetzt zu werden. Wenn auch nur die Hälfte aller auf dem Festival vorgestellten Projekte realisiert und skaliert würden, könnten wir uns auf einem deutlich besseren Pfad in die Zukunft wiederfinden.
Hier sind einige der spannendsten Ideen und Innovationen aus dem Bereich Sustainability, die das 1E9-Festival zu bieten hatte:
Eine regenerative Ökonomie aufbauen!
Ökologisch handeln in einer durchkommerzialisierten Welt? Bei dem Panel Balancing planets, people and profits: Let’s strive for a regenerative economy! stellten 1E9 und der RESPOND Accelerator eine faszinierende Runde zusammen, die grundlegende Probleme diskutierten: Wie lässt sich unser Wirtschaftssystem, das die längste Zeit auf der Ausbeutung nicht nachwachsender Ressourcen basierte, zu einem nachhaltigen System verändern? Wie kann innerhalb – oder trotz – einer Wachstumswirtschaft eine regenerative Ökonomie entstehen?
Der Investor Fridtjof Detzner, Co-Founder von Planet A Ventures, machte deutlich, wie verschwenderisch wir mit unserem Planeten umgehen. In diesem Jahr verbrauchen wir die Ressourcen von 1,75 Erden. Viele der lebenserhaltenden Bio-Systeme seien bedroht. Wenn wir so weiter machen und die planetaren Grenzen überschreiten, werde dies zweifelsohne zu unwiderruflichen Schäden führen. Würde die heutige Weltwirtschaft als Business Modell gepitcht werden, würden Investoren nur mit dem Kopf schütteln.
Planet A Ventures unterstützt daher ausdrücklich Green-Tech-Unternehmen, die globale Umweltprobleme angehen. Bei der Vergabe von Geldern messen und prognostizieren sie die positiven Umwelteinflüsse sowie den voraussichtlichen Energieverbrauch der Start-ups. Datenerhebungen, die, wie Detzner es ausdrückt, für alle Unternehmen eigentlich keine Innovation, sondern schon lange selbstverständlich sein müssten.
Franz Josef Allmayer Mitgründer von Hypha.earth und integrity.earth und Experte in globaler Entwicklung, betonte die Absurdität des Fiat-Geldsystems. Er vertrat ein Netzwerk aus DAOs, die sich auf integrative, regenerative und bodenständige Lösungen fokussieren.
Bodenständig handeln auch die Climate Farmers, vertreten von Philippe Birker. Ihr Fokus liegt auf der Vernetzung der wohl wichtigsten Berufsgruppe für unser täglich Brot. Veränderte Klimabedingungen und wirtschaftliche Herausforderungen zwängen auch die Landwirtschaft zur Veränderung. Doch Landwirt:innen seien nicht dafür bekannt, dass sie sich in ihre Arbeitsweisen reinreden lassen, meinte Birker, dafür seien sie sehr offen für Input ihrer Kolleg:innen. Die Climate Farmers setzen daher darauf, Landwirt:innen zu vernetzen, damit sie sich gegenseitig über Fortschritte zu regenerativer Agrikultur austauschen können.
Myzel und Algen statt Plastik: Neue Produkte aus nachwachsenden Ressourcen
Erdölbasierte Kunststoffe sind toxisch für Mensch und Umwelt. Um das Plastikzeitalter zu beenden, braucht es daher alternative Materialien. Meist wird dazu auf Holz umgestellt. Das wächst zwar nach, braucht aber Zeit, Flächen und Böden. Warum setzen wir nicht mehr auf Stoffe, die im Überfluss in der Natur vorhanden sind, aber bisher weitgehend übersehen werden?
Seegras, zum Beispiel, wird an vielen Küsten der Welt tonnenweise angetrieben. Dabei stört es nicht nur Menschen am Strand, es endet auch oft umständlich und umweltschädlich in der Müllverbrennung. Das Start-up Baltic Materials – ebenfalls auf der Festival-Bühne – will aus diesem Naturmaterial Dämmstoffe herstellen. Dies löst nicht nur das Problem von angeschwemmter Biomasse, sondern ersetzt auch die meist umweltschädlichen „klassischen” Dämmungen.
Pilze sind eine auf vielen Ebenen unterschätzte Lebensform. Das hat auch der Industriedesigner Peer Kohlmorgen von Morgenshapes herausgefunden. Aus Reishi-Pilzen hat er tatsächlich ein funktionales Pilz-Surfboard „gezüchtet”. Dass die schneidigen Wellenbretter seit Jahrzehnten aus extrem umweltschädlichem Polystyrol hergestellt werden, ist sicherlich nicht jedem bewusst. Pilzmaterialien dagegen sind biologisch abbaubar, resistent, flexibel und leicht zu produzieren. Das Myzel, also das dichte Pilzfadengewebe, wächst auf Substraten wie Getreidehülsen oder Holzspänen, die sonst oft als Industriemüll enden. Sind die Zuchtbedingungen einmal klar, braucht es nur wenige Tage und eine schreibtischgroße Arbeitsfläche für ein Produkt wie ein Surfboard. Dämmungen, Leichtbauplatten und viele weitere Kunststoff-Ersatzmaterialien können mit Hilfe von Pilzen produziert werden.
Mit Physik die Meere und Gewässer von Plastik säubern.
Wusstet ihr, dass ihr eurem Körper jede Woche etwa sechs Gramm, also die Ausmaße einer Kreditkarte, an Mikroplastik zuführt? Die winzigen Kunststoffteile verteilen sich in ungeheuerlichen Ausmaßen in der Luft, im Boden und im Wasser. Besonders in natürlichen Gewässern richten sie große Schäden an. Das Tückische daran ist, dass sie nicht so einfach wie größerer Plastikmüll einzusammeln sind. Was also tun?
Auf dem Festival der Zukunft konnten die Besucher:innen gleich zwei Lösungen in Form von funktionierenden Prototypen anschauen, die sich der komplizierten Herausforderung zur Beseitigung von Mikroplastik aus Wasser angenommen haben.
Das Start-up Microbubbles macht sich eine physikalische Eigenschaft der mikroskopisch kleinen Plastikteilchen zunutze: Diese sind nämlich wasserabweisend, also hydrophob. Treffen sie unter Wasser auf kleine Luftblasen, lagern sie sich daher dort gesammelt an. Um das auszunutzen, wird in der Praxis wird bei Microbubbles mit Hilfe von Luftdruck und Sauerstoffzufuhr unter Wasser eine Mikroblasenwolke erzeugt. Die Bläschen nehmen bis zu 98 Prozent aller Plastikpartikel einer Größe von 30 bis 50 Mikrometern auf und tragen sie an die Wasseroberfläche. Dort werden sie mit einer Schwimmring-Technologie gesammelt und abgesaugt. Angewendet werden kann die Methode in vielen Arten von Gewässern. Die Vision von Microbubbles- Gründer Roland Damann ist es, ein globales mobiles Kläranlagensystem zu errichten, um Trinkwasser von den giftigen Kleinteilen zu befreien.
Das Start-up CyFract nutzt hingegen Strömungs- und Fluidkräfte, um Partikel aus dem Wasser zu lösen. Bei dem Verfahren wird verschmutztes Wasser durch ein Rohrsystem geleitet und durch Zyklontechnologie durchgewirbelt. Dabei werden – vereinfacht ausgedrückt – Schwebstoffe und Partikel an die Außenränder der Rohre befördert und am Ende des Systems separiert. Für den Firmenchef, Ideengeber und Strömungsexperten Tayyar Bayrakci ist die Abscheidung von Mikroplastiken nur eine von mehreren möglichen Anwendungen – seine ausgefeilte Technologie soll in Zukunft auch die Meerwasserentsalzung vereinfachen.
Übrigens: Sowohl Microbubbles als auch CyFract werden von der Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIN-D gefördert, die beim Festival gleich zwei neue Challenges vorstellte: zu neuen Energiespeicher-Technologien und zu neuen Formen von Computern.
Schokolade ohne Kakao, Steak aus Soja und Fisch aus Algen: Nachhaltiges Essen ist möglich.
Fleischkonsum ist einer der größten Treiber der Klimaerwärmung. Die Liebe für Schokolade trägt – je nach Herkunftsland der Rohstoffe – zu Kinderarbeit und Regenwaldvernichtung bei. Und die Lebensräume in den Ozeanen gehen auch deshalb zugrunde, weil Fisch und Meeresfrüchten als gesund gelten und die Nachfrage danach steigt.
An der wachsenden Zahl der veganen Ersatzprodukte in Supermärkten zeigt sich allerdings, dass immer mehr Menschen bereit sind, umzudenken. Innovationen bei fleischlosen, nachhaltigen und fairen Lebensmitteln machen eine echte Ernährungsumstellung zunehmende möglich. Auf dem 1E9-Festival waren deshalb gleich mehrere Foodtech-Pionier:innen unterwegs, stellten ihre schmackhaften Ideen vor und diskutierten die Zukunft der Ernährung.
Die Schokoladenseite der Cutting-Edge-Ersatzprodukte vertrat Sara Marquart, Technikchefin von Planet A Foods (ehemals QOA). Der kakaofreien Schokolade Nocoa des Start-ups wurde schon von vielen Seiten bezeugt, sie sei in Geschmack und Textur nahezu unverwechselbar mit dem Original. Marquart will mit ihrem Unternehmen auch ein Umdenken in Sachen genussvoller Ernährung erreichen. Warum braucht ein Erdnussriegel, der zu über 90 Prozent aus Karamellzucker und Nüssen besteht, auch noch den Zusatz wertvoller Kakaobohnen?
Burger, Aufschnitt und Würste gibt es bereits in überaus leckeren fleischlosen Varianten. Aber ein echtes Steak oder Filet Mignon lässt sich nie ersetzen — oder? Juicy Marbles gibt sich ganz der Fleischeslust hin – ohne dabei Tiere zu töten. Das Food-Start-up, auf dem Festival vertreten von Co-Chef Tilen Travnik, kreiert vegane Fleischprodukte auf Sojabasis, die in Sachen Zartheit, Saftigkeit und Geschmack viele gute Kritiken abräumen. Von der Konsistenz der Fettanteile bis zur Knusprigkeit der gebratenen Kruste – jeder Aspekt des „Fleisches” ist hier technisch aufs Feinste abgestimmt.
Um die vegane High-End-Speisekarte zu vervollständigen, braucht es noch ein Fischgericht ohne Fisch. Bisherige Ersatzprodukte überzeugten noch nicht, aber was ist, wenn die Pflanzenbasis aus dem Meer kommt? Guido Albanese von Koralo aus München präsentierte eine Lösung, bei der für das alternative Fischfilet fermentierte Mikroalgen eingesetzt werden. Hier sind sogar schon die wertvollen Omega-3-Fettsäuren enthalten.
Weltraumforschung gegen irdische Probleme
In einer konfliktbehafteten Zeit wie heute ist selbst der Weltraum nicht mehr unumstritten. Milliardeninvestitionen in Raumschiffe und Teleskope? Wem nützt das alles denn, in einer Welt am Rande der Klimakatastrophe?
Der Astronaut, Physiker und Wissenschaftskommunikator Ulrich Walter hatte auf dem Festival der Zukunft klare Antworten für Zweifler. Dass wir den Zustand unseres Planeten so genau kennen — von der atmosphärischen Zusammensetzung bis zum Anstieg des Meeresspiegels, liege nämlich an der Entwicklung von immer neuen Beobachtungs-Satelliten, die mit Raketen ins Weltall geschossen werden.
Mit den Space-Start-uppern von OroraTech und Blackwave diskutierte Walter dann darüber, wie junge Unternehmen derzeit den Weltraum erobern. Besonders die Satelliten von Orora zeigten, wie der Erde aus dem Weltraum geholfen werden kann. Die schuhkartongroßen CubeSats sind mit Kameras und Bildtechnologie ausgestattet, die unter anderem Infrarotaufnahmen von Waldbränden machen und damit Einsatzkräften am Boden helfen können.
Maja Göpel: Werte müssen neu definiert werden.
Trotz aller dieser fantastischen, aussichtsreichen Zukunftstechnologien, der Genialität und dem Enthusiasmus der Menschen dahinter, kann es einem angesichts der aktuellen Nachrichtenlage doch bange werden. Wie kann man optimistisch bleiben? Die Transformationsforscherin und Autorin Maja Göpel fand mit ihrem eindrucksvollen Vortrag Mission Value: Compass for a Good Anthopocene viele richtige Worte. Sie mahnte, ohne vorwurfsvoll zu sein und hatte Lösungsvorschläge, die trotz ihrer transformativen Kraft nicht unrealistisch daherkamen. Mit ihrem Auftritt konnte sie einiges Licht in das Dunkel der Wolken bringen, die derzeit sicherlich über vielen der Besucher:innen schwebten.
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Was sich ändern müsse, ist nicht bloß die Technologie, sondern vor allem die Narrative – die Geschichten, mit denen wir uns und anderen die Welt erklären. So müsse man den Menschen eher vermitteln: „Mehr Besitz wird dich nicht glücklicher machen.” Das wäre besser als zu sagen: „Du kannst nicht noch mehr haben!”
Begriffe wie Kapital und Wachstum müssten ebenfalls transformiert werden. Echtes Wachstum bedeute nicht finanzielles Wachstum, sondern die Summe der Möglichkeiten, Probleme zu lösen, die alle Menschen betreffen. Auf einem runden Planeten, der von Kreisläufen bestimmt ist, sei die Vorstellung von positivem Wachstum in Form einer ewig ansteigenden Kurve einfach absurd. Die Zukunft, so Göpel, sei rund.
Die Nachhaltigkeitsexpertin sprach viel an, was aus ihrer Sicht in unserem Wirtschaftssystem falsch läuft: Die heutigen Marktregeln seien das Gegenteil von sozialen Werten; Daten sollten keine Ressource sein, die zentral angehäuft wird; die Akteure sollten sichtbar machen, was die wahre Wertsteigerung ist, wenn sie ihre Preise zugunsten besserer Umweltbedingungen erhöhen. Unternehmen dürften sich nicht mit Green- und Social-Washing aufhalten, sondern müssten in ehrlicher Weise kooperativ werden. Insgesamt müsse Kooperation an die Stelle von Wettbewerb und Eigennutz treten.
Menschenzeitalter, globales Wachstum, allumfassende Erzählweisen: Was soll ich denn nun als Einzelne:r für eine bessere Zukunft tun? Göpels Antwort: Investiere in das, was dir wichtig ist und von dem du glaubst, dass es das System verbessert! Und sie teilte noch den wichtigsten Rat, den sie selbst lange unterschätzt und abgetan hatte: Höre auf Dein Herz!
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