Staatshilfen für Lilium? Warum es dabei auch um den Start-up-Standort Deutschland geht

Lilium droht die Insolvenz. Es sei denn, der Bund und Bayern springen mit einer Kreditbürgschaft ein. Doch sollte der Staat das Flugtaxi-Unternehmen retten? Zweifel am Konzept von Lilium sind nicht neu. Sie rechtfertigen allerdings nicht die Häme, mit der Lilium jetzt im Netz überschüttet wird. Zumal es Gründe gibt, die für Staatshilfen sprechen.

Von Wolfgang Kerler

Der deutsche Startup-Verband will Lilium nicht kampflos aufgeben. Seit gestern mobilisiert er Gründerinnen, Investoren und andere Unterstützerinnen, um möglichst viele Unterschriften unter eine Last-Minute-Petition zu bekommen. Ihr Titel: „Darlehen für Lilium ermöglichen, Deutschland als DeepTech-Standort stärken“.

Innerhalb weniger Minuten, heißt es im heutigen Statement des Verbands, hätten sich über 635 namhafte Unterzeichner der Initiative angeschlossen. Darunter finden sich prominente Vertreter der Start-up-Welt, etwa Daniel Metzler, Gründer und CEO von Isar Aerospace, Verena Pausder, die Vorsitzende des Startup-Verbands, oder Helmut Schönenberger, Chef des Münchner Gründungszentrums UnternehmerTUM.

Doch kann ihr Appell die Stimmung im Bundestag noch drehen?

Seit Tagen zeichnet sich ab, dass es keine Staatshilfen für Lilium geben wird. Im Haushaltsausschuss des Bundestags, der am Ende entscheidet, findet sich dafür offenbar keine Mehrheit. Die Unterstützung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, änderte daran nichts. Er plädierte für eine Bürgschaft in Höhe von 100 Millionen Euro, die je zur Hälfte vom Bund und vom Freistaat Bayern übernommen werden müsste, damit Lilium einen Kredit der staatlichen KFW-Bank erhält.

Ohne den Bund dürfte auch Bayern abspringen, der Kredit würde platzen – und Lilium die Pleite drohen. Das 2015 von Absolventen der Technischen Universität München gegründete Unternehmen hat nach den Angaben, die an die amerikanische Börsenaufsicht übermittelt wurden, bisher über 1,4 Milliarden Euro Verluste angehäuft.

Bisher konnte Lilium die nötigen Mittel bei Investoren wie Tencent aus China, dem in London sitzenden Wagniskapitalfonds Atomico von Skype-Gründer Niklas Zennström oder Earlybird Venture Capital aus Deutschland beschaffen. Nun wollen Investoren nach Angaben des Unternehmens erst Geld nachschießen, wenn der deutsche Staat Lilium ebenfalls unterstützt. „Das Darlehen der KFW mit der Bürgschaft von Bund und Bayern triggert Investments in der Größenordnung von 100 Millionen Euro durch private Investoren, die schon zugesagt wurden“, sagt Daniel Wiegand, Mitgründer und Chefentwickler von Lilium, zu 1E9.

Die Zweifel an Lilium: Reichweite, „Flugtaxi für Reiche“, fehlender Markt

Obwohl die politischen Mehrheiten bei Subventionen und Kreditbürgschaften in den vergangenen Jahren nicht gerade die reine marktwirtschaftliche Lehre vertreten haben – siehe Galeria Karstadt Kaufhof, Abwrackprämie, Intel –, will der Bund das einstige Vorzeige-Tech-Start-up aus Oberpfaffenhofen bei München nun fallen lassen. Das Risiko sei zu hoch, sagte der FDP-Berichterstatter im Haushaltsauschuss zur Begründung der Deutschen Presse-Agentur. „Eine Hilfe für Lilium halte ich für falsch.“

Ein Risiko wäre die Bürgschaft in der Tat. Frisches Geld garantiert den Erfolg von Lilium nicht. Bis heute gibt es Zweifel an der Technologie, mit der das Unternehmen seinen elektrischen, siebensitzigen Lilium Jet senkrecht starten lassen will. Lilium setzt nicht auf wenige große, sondern auf Dutzende kleine Propeller. Zu komplex, zu hoher Energieverbrauch, sagen Kritiker. Schon 2020 berichteten Medien über Experteneinschätzungen, dass die versprochene Reichweite von 300 Kilometern bei 300 km/h Reisegeschwindigkeit unrealistisch sei.

Das bestritt Lilium zunächst, korrigierte die geplante Leistung des Jets dann jedoch auf 175 Kilometer Reichweite und 250 km/h herunter. Auch wurde der bemannte Erstflug von Ende 2024 auf Anfang 2025 verschoben.

Nicht gerade in die Karten spielt Lilium in der aktuellen Diskussion außerdem, dass die elektrischen Kurzstreckenflüge anfangs teuer sein dürften, weshalb der Markt eher klein ausfallen könnte. Wieso sollte es „Staatsgeld für Flugtaxis für Reiche“ geben, fragt die Frankfurter Rundschau deshalb. Doch zieht so ein Argument, wenn der Staat den Kauf übergewichtiger Elektro-SUVs subventioniert hat? Zumal Deutschlands wichtigstes Exportprodukt, das Auto, anfangs auch nur für Gutverdiener war.

Was für Staatshilfen spricht: Vorbestellungen, Arbeitsplätze, Reputation

Lilium ignoriert die Kritik nicht. Ob Mitgründer Daniel Wiegand oder CEO Klaus Roewe – in Interviews und auf LinkedIn erklären sie, warum sie an den Erfolg von Lilium glauben.

Die kleinen Jets seien nur der Einstieg in die Elektrifizierung der Luftfahrt. Mit mehr als 100 Festbestellungen und über 600 Vorbestellungen mit einem Gesamtvolumen von rund sieben Milliarden Euro habe man einen Weltrekord aufgestellt. Über 3.000 Arbeitsplätze hingen an Lilium. Airbus gebe es ohne Staatshilfen auch nicht, zumal internationale Wettbewerber von den Regierungen der USA oder China längst mit Millionensummen unterstützt würden.

„Wollen wir jetzt auch noch die Elektrifizierung der Luftfahrt ins Ausland abwandern lassen, wenn die weltweit beste Technologie dafür von deutschen Ingenieuren entwickelt wurde?“, fragt Klaus Roewe am Ende seines LinkedIn-Posts.

Beim Startup-Verband teilt man die Argumente der Lilium-Führung im oben erwähnten Statement fast wörtlich – ergänzt jedoch einen Punkt: „In Deutschland gibt es dutzende DeepTech Startups mit ähnlich ehrgeizigen Vorhaben und vergleichbarem Kapitalbedarf. Die Augen dieser Gründer und ihrer Investoren sind nach Berlin gerichtet – ein erfolgreiches Lilium hilft der ganzen Branche und ein gescheitertes Lilium wird dem DeepTech Standort Deutschland nachhaltig schaden.“

Christoph Stresing, der Geschäftsführer des Verbands, warnt vor einem Reputationsschaden für Deutschland, sollte der Bund Lilium nicht unterstützen. „Gründer:innen und Investor:innen würden sich künftig einmal mehr überlegen, ob sie sich für Deutschland als Standort entscheiden.“

Viele Gründer würden aufatmen, wenn der Bund Lilium rettet

Ob bei Bürgergeld, Rente, Subventionen für Autobauer, Kohle- und Atomausstieg oder Chip-Fabriken: Laufend werden in Berlin Entscheidungen getroffen, die nicht nur auf nackten Zahlen und Statistiken beruhen, sondern auch Signalwirkung haben sollen. Wichtigen Wählergruppen werden dadurch Zukunftsängste genommen.

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Staatshilfen würden Lilium einerseits die Chance geben, die für die Entwicklung des Lilium Jets kritischen nächsten Monate zu finanzieren – und bei Erfolg den KFW-Kredit später zurückzuzahlen.

Andererseits – vielleicht vor allem – würde die Unterstützung des Bundes Gründerinnen und Gründern signalisieren, dass sie politischen Rückhalt haben. Bei Start-ups, die an Fusionskraftwerken, Raketen oder Quantencomputern arbeiten, damit Deutschland bei Zukunftsindustrien vorne mitspielen kann, dürfte das ein Aufatmen auslösen. Bei ihrer Risikobewertung sollten die Mitglieder des Haushaltsausschusses das nicht vergessen.

Eines könnten jedoch selbst Staatshilfen nicht ungeschehen machen: den ernüchternden Eindruck, den die Schadenfreunde und die Häme hinterlassen, mit denen der Fall Lilium im Netz kommentiert wird. „Spielzeug für Millionäre“, „der größte Schwachsinn“, „von Technik keine Ahnung“.

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Titelbild: Lilium

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